Fürchte dich nicht, Gott ist bei dir

Predigt über Jesaja 43,2‑7 zum 6. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Das Hochwasser in Deutschland war schlimm, aber noch schlimmer war das fast gleich­zeitige Hochwasser in Indien: Es ist zu befürchten, dass darin mehrere tausend Menschen umgekommen sind. Gott hat zwar durch den Propheten Jesaja ver­sprochen: „Wenn du durch Wasser gehst, will ich bei dir sein, dass dich die Ströme nicht ersäufen sollen“, aber das gilt offenbar nicht für alle Menschen, sondern nur für Gottes Lieblinge. Auch in der Sintflut hat Gott den Tod von Tausenden zugelassen und nur seinen Liebling Noah gerettet sowie dessen Familie. Der Brand in einer Textil­fabrik in Bangladesch Ende letzten Jahres kostete mehrere hundert Menschen das Leben. Gott hat zwar durch den Propheten Jesaja ver­sprochen: „Wenn du ins Feuer gehst, sollst du nicht brennen, und die Flamme soll dich nicht versengen“, aber das gilt offenbar auch nicht für alle, sondern nur für Gottes Lieblinge. Auch als Gott Feuer auf Sodom und Gomorrha regnen ließ, hat Gott den Tod von Hunderten zugelassen und nur seinen Liebling Lot gerettet sowie dessen Familie.

Wir müssen uns klarmachen: Das Wort, das Gott durch seinen Propheten Jesaja geredet hat, hat er zu seinem Lieblings­volk Israel gesagt. Israel, so die Botschaft des Alten Testaments, ist Gottes Liebling, Gottes aus­erwähltes Volk vor allen anderen Völkern. Darum heißt es weiter bei Jesaja: „Ich bin der Herr, dein Gott, der Heilige Israels, dein Heiland.“ Und dann folgt der Hinweis auf einen ganz besonderen und erstaun­lichen Liebes­beweis in der Geschichte Israels: Als im sechsten Jahrhundert von Christus die Perser das babylo­nische Großreich eroberten und in halb Asien die Macht übernahmen, da entließen sie das kleine und schwache jüdische Volk aus der Babylo­nischen Gefangen­schaft nach Hause in die Freiheit; die Juden durften ihre zerstörte Hauptstadt Jerusalem wieder aufbauen und auch ihren Tempel. Andere starke Völker dagegen, die lange ihre Selbst­ständig­keit behauptet hatten, wurden von den Persern gedemütigt. Der Perserkönig Kambyses eroberte unter anderem das gut gerüstete Ägypten und das stolze Nubien, in der Bibel „Kusch“ und „Saba“ genannt, das heutige Äthiopien. Jesajas Prophe­zeiung nimmt darauf Bezug: „Ich habe Ägypten für dich als Lösegeld gegeben, Kusch und Seba an deiner Statt, weil du in meinen Augen so wert geachtet und auch herrlich bist und weil ich dich lieb habe. Ich gebe Menschen an deiner statt und Völker für dein Leben.“ Ja, Israel ist Gottes Lieblingsvolk, und darum hat Gott die Juden in der genannten histo­rischen Situation gerettet, während größere und mächtigere Völker geschlagen wurden.

Gott hilft nicht allen, aber er hilft seinen Lieblingen. Gottes Liebes­erklärung durch Jesaja gipfelt in dem Satz, der in der Mitte unseres Predigt­textes steht: „So fürchte dich nun nicht, denn ich bin bei dir.“ Was für ein starkes Trostwort, was für eine glühende Liebes­erklärung des Herrn! Dieser herrliche Satz steht, wie gesagt, in der Mitte unseres Predigt­textes. Das heißt: Es folgt noch etwas Bedeutsames - besonders bedeutsam für uns und für alle Menschen, die nicht zum Volk Israel gehören. Wenn Israel als Gottes Lieblings­volk bezeichnet wird, dann drängt sich ja förmlich die Frage auf, ob Gott denn alle anderen Völker gleich­gültig sind. Und ob es ihn nicht kümmert, wenn diese anderen Völker in Flut­katastro­phen, Großbränden und Kriegen zugrunde gehen.

Hören wir also, was Gott durch Jesaja in der zweiten Hälfte unseres Predigt­textes zu sagen hat. Er ließ ver­kündigen: „Ich will vom Osten deine Kinder bringen und dich vom Westen her sammeln, ich will sagen zum Norden: Gib her!, und zum Süden: Halte nicht zurück!“ Da merken wir: Gottes Lieblinge sind in alle Himmels­richtungen zerstreut, aber Gott wird sie bei sich sammeln. Man kann dieses Propheten­wort auf das Volk Israel beziehen, das nach den Eroberungs­zügen der Assyrer und der Babylonier in viele Länder zerstreut war. Von Osten sind sie unter den Persern aus der Babylo­nischen Gefangen­schaft wieder zurück­gekehrt. Von Westen kamen sie aus Phönizien und von der Insel Zypern, von Norden aus Syrien, von Süden aus Ägypten. Aber damit ist Jesajas Weissagung nur zum Teil erfüllt, denn die Länder der Zerstreuung waren ja mehr oder weniger alles Nachbar­länder Israels. Jesaja fuhr jedoch fort: „Bring her meine Söhne von ferne und meine Töchter vom Ende der Erde.“ Gott hat also auch Lieblinge in ferneren Ländern auf der ganzen Erde - östlich von Jerusalem in ganz Asien und in Australien, westlich von Jerusalem im ganzen Mittelmeer­raum und in Amerika, nördlich von Jerusalem in ganz Europa bis hin zur Polar­region, südlich von Jerusalem in Afrika bis hin zum Kap der guten Hoffnung. Damit nimmt der Prophet Gottes neues Bundesvolk in den Blick, das sich aus allen Völkern zusammen­setzt. Jesus hat in seinen Erdentagen bestätigt, dass sich das zu seiner Zeit erfüllt: „Es werden kommen von Osten und von Westen, von Norden und von Süden, die zu Tisch sitzen werden im Reich Gottes“ (Lukas 13,29). Und den Aposteln trug der Auf­erstandene dann auf: „Gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“ (Matth. 28,19‑20). Da wird auf einmal ganz klar: Es geht hier nicht nur um die zerstreuten Nachkommen des Stammvaters Jakob, sondern es geht hier um Menschen aller Völker der Erde. Alle sind eingeladen, Gottes Lieblinge zu werden und durch die Taufe zu seinem Eigentumsvolk zu kommen. Darum schließt Jesajas Prophe­zeiung mit den Worten: „… alle, die mit meinem Namen genannt sind, die ich zu meiner Ehre geschaffen und zubereitet und gemacht habe.“ Wer durch Gottes Schöpfung ein Mensch geworden ist und durch seine Neu­schöpfung in der Taufe ein Gotteskind, der darf gewiss sein: Ich bin Gottes Liebling - nicht, weil ich so nett und brav bin, sondern einfach, weil Gott mich durch Christus zu seinem Liebling erwählt hat. Er hat mich durch die Taufe zu seinem Liebling erwählt, so wie er einst Noah und dann Lot und dann das Volk Israel zu Lieblingen erwählt hatte. Kein Getaufter braucht daran zu zweifeln, dass Gottes starkes Trostwort und Gottes glühende Liebes­erklärung auch ihm gilt: „So fürchte dich nun nicht, denn ich bin bei dir.“

Soll das heißen, dass kein Christ in einem Tsunami sterben wird, oder in einem Großfeuer? Bedeutet es, dass Christen jeden Krieg überleben werden? Die Antwort lautet: ja und nein. Sie lautet nein, weil auch der Leib von einem Liebling Gottes der Sterblich­keit verfallen ist wegen der Sünde. Es ist ja nicht nur so, dass wir sterben können, sondern es ist so, dass wir sterben werden. Wenn unser Erdenleib nicht in Wasser oder Feuer oder Krieg zugrunde gehen wird, dann durch Krebs oder wegen Kreislauf­versagen oder bei einem Unfall oder aufgrund einer anderen Ursache. Aber zugleich gilt das, was Gott durch Jesaja all seinen Lieblingen versprochen hat: „Wenn du durch Wasser gehst, will ich bei dir sein, dass dich die Ströme nicht ersäufen sollen; und wenn du ins Feuer gehst, sollst du nicht brennen, und die Flamme soll dich nicht versengen.“ Selbst wenn der irdische Leib ertrinken oder verbrennen sollte, gilt die Zusage: „Ich will bei dir sein.“ Ja, auch in der Todesnot will Gott bei uns sei, will dann durch seinen Sohn Jesus Christus sogar besonders nahe sein. Der hat mit seinem heiligen Selbstopfer dafür gesorgt, dass der Tod unserer Seele nichts anhaben kann, sondern dass sie zum Tag der Auf­erstehung bewahrt wird und dann mit einem neuen Leib in die ewige Seligkeit eingehen darf. Was Gott durch Jesaja versprochen hat, das hat Paul Gerhardt in einem schönen Lied aus­gedrückt, das wir vertrauens­voll nach­sprechen und nachsingen können: „Unverzagt und ohne Grauen / soll ein Christ, / wo er ist, / stets sich lassen schauen. / Wollt ihn auch der Tod aufreiben, / soll der Mut / dennoch gut / und fein stille bleiben. / Kann uns doch kein Tod nicht töten, / sondern reißt / unsern Geist / aus viel tausen Nöten, / schließt das Tor der bittern Leiden / und macht Bahn, / da man kann / gehn zu Himmels­freuden.“ Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2013.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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