Wahrheit plus Liebe gleich Licht

Predigt über 1. Johannes 1,5‑7 zum 3. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Wer ab und zu Maler­arbeiten macht, der kennt das: Eine frisch gemalerte Oberfläche kann bei Lampenlicht gut aussehen, aber im hellen Tageslicht stellt sich heraus, dass die Farbe noch nicht richtig deckt. Die Sonne bringt es an den Tag. Von Menschen gemachte Beleuch­tungen sind eben immer nur ein schwacher Ersatz für das große Licht, das Gott gemacht hat. Darum eignet sich das Sonnenlicht auch vorzüglich als Gleichnis für Gottes Wesen. Der Apostel Johannes schreibt: „Gott ist Licht, und in ihm ist keine Finster­nis.“ Gott ist das absolute Mega-Licht; nichts kann seine Helligkeit über­treffen.

Was bedeutet das? Wir machen jetzt mal ein bisschen Mathematik und stellen eine Gleichung auf. Keine Angst, es ist eine ganz einfache Gleichung, und Zahlen brauchen wir dafür auch nicht. Die Gleichung lautet: Licht gleich Wahrheit plus Liebe. Wenn nun Gott das absolute Mega-Licht ist, dann heißt das: Er ist absolut wahrhaftig und absolut liebevoll. So wie das helle Sonnenlicht die kleinste Un­genauig­keit einer un­vollkom­menen Malerarbeit enttarnt, so gibt es bei Gott nicht die kleinste Un­wahrhaftig­keit. Und so wie der Sonnen­schein uns Menschen Leib und Seele erwärmt wie nichts anderes, so werden wir von Gott geliebt. Licht gleich Wahrheit plus Liebe – diese Gleichung ist Mensch geworden in Jesus Christus. Er hat von sich selbst gesagt: „Ich bin das Licht der Welt“ (Joh. 8,12). Und von ihm heißt es bei Johannes: „Das ist die Botschaft, die wir von ihm gehört haben und euch ver­kündigen: Gott ist Licht…“ Gott hat uns durch seinen ein­geborenen Sohn die absolute Mega-Wahrheit seines Evangeliums offenbart, und er hat uns durch ihn seine absolute Mega-Liebe erwiesen. Auf diese Weise hat er uns mit dem himmlischen Vater versöhnt. Wahrheit und Liebe stiften immer Gemein­schaft, während Lüge und Hass Gemein­schaft über kurz oder lang kaputt machen. Darum bekennen wir, dass wir durch Jesus Gemein­schaft mit Gott haben, und das für immer, auch über den Tod hinaus.

Aus diesem Bekenntnis folgt etwas, das der Apostel Johannes so beschreibt: „Wenn wir sagen, dass wir Gemein­schaft mit ihm haben, und wandeln in der Finsternis, so lügen wir und tun nicht die Wahrheit.“ Mit anderen Worten, wenn wir durch Jesus erkannt haben, wie gut und gemein­schafts­stiftend das Licht der Wahrheit und der Liebe ist, dann wäre es total verlogen, wenn wir nicht unserer­seits wahrhaftig und liebevoll leben wollten. Im Luther­deutsch heißt das „wandeln in der Finster­nis“, wobei „wandeln“ ganz einfach unser Verhalten bezeichnet. Andersherum gilt: „Wenn wir aber im Licht wandeln, wie er im Licht ist, so haben wir Gemein­schaft unter­einander…“ Wenn wir uns also nach Gottes und Christi Vorbild wie „Licht der Welt“ verhalten, also wahrhaftig und liebevoll leben, dann werden wir merken, wie sehr unser mensch­liches Miteinander davon profitiert.

Das gilt auch und sogar ganz besonders für unser all­tägliches Verhalten, für die ganz normalen Kontakte mit anderen Menschen. Lasst uns ein Beispiel betrachten. Ein Christ namens Christian hat einen Nachbarn namens Hans. Der ist arbeitslos und lebt von der staatlichen Grund­sicherung. Das heißt, eigentlich hat er noch ein anderes Einkommen. Als Christian ihn einmal zufällig trifft und und sagt: „Na, wir haben uns ja lange nicht mehr gesehen“, da erwidert Hans: „Ja, ich habe immer gut zu tun. Es hat sich inzwischen herum­gesprochen, dass ich für wenig Geld tapeziere, und seitdem kann ich mich vor Aufträgen kaum retten.“ Hans arbeitet also schwarz. Er kassiert einerseits die staatliche Grund­sicherung für Mittellose und erarbeitet sich anderer­seits ein an­sehnliches Neben­einkommen, ohne einen einzigen Cent Steuern davon abzuführen. Hans erläutert Christian: Mit dem Hartz-IV-Geld komme ja kein Mensch aus; und zu Hause falle ihm sowieso die Decke auf den Kopf.

Christian will wahrhaftig sein. Er weiß: Was Hans tut, ist Betrug. Jesus würde das nicht gefallen, denn er hat klar gesagt: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist“ (Matth. 22,17); und der Apostel Paulus lehrte: „Steuer, dem die Steuer gebührt“ (Römer 13,7). Darum sagt Christian zu Hans: Sie sollten sich schämen, so die Allgemein­heit zu betrügen und den ehrlich arbeitenden Bürgern auf der Tasche zu liegen! Dann wendet sich von ihm ab und geht. Er denkt bei sich: Was sind doch die Menschen schlecht! Die nachbar­schaft­liche Gemein­schaft zwischen den beiden ist nun beschädigt. Am nächsten Sonntag erzählt Christian einem Mitchristen nach dem Gottes­dienst, was er für einen betrüge­rischen Nachbarn hat. Zweifellos hat sich Christian bei dem allen völlig wahrhaftig verhalten; Lügen sind ihm zuwider. Aber ist er damit auch im Licht gewandelt? Hat er sich nach Christi Vorbild gerichtet? Christus hat ja auch mit Betrügern zu tun gehabt, zum Beispiel mit dem Zöllner Zachäus. Er hat sich aber nicht empört von ihm abgewandt und hat ihn auch nicht in seinem Herzen verachtet. Im Gegenteil, er hat ihn lieb gehabt und wollte darum bei ihm zu Gast sein. Solche Liebe fehlt Christian offen­sichtlich. Das Ergebnis ist nicht „Wandeln im Licht“, sondern Recht­haberei. Wir können das in die folgende Gleichung fassen: Wahrheit minus Liebe gleich Recht­haberei. Zwar gilt: Wahrheit plus Liebe gleich Licht, aber nur Wahrheit ohne Liebe ist nicht einmal halbes Licht, sondern Finsternis.

Wir geben Christian eine zweite Chance und unserer Beispiel­geschichte einen anderen Schluss. Christian will nun liebevoll sein. Er will Hans nicht wehtun. Als der ihm von seiner Schwarz­arbeit erzählt und sie recht­fertigt, nickt er und sagt es einsilbig: Ja, so ist das. Freundlich ver­abschieden sie sich, und zu Hause denkt Christian: Ist mir doch egal, was der macht; das ist seine Sache, das muss er selbst ver­antworten. Aber als am nächsten Sonntag ein Mitchrist empört über schwarz arbeitende „Schma­rotzer“ schimpft, da nickt der liebevolle Christian ebenfalls uns sagt: Ja, so ist das. Er will mit Rücksicht auf ein gutes Miteinander jedes Streit­gespräch vermeiden. Aber wandelt er damit im Licht? Hat er sich nach Christi Vorbild gerichtet? Jesus war zwar viel mit Sündern zusammen, aber das heißt nicht, dass er zu ihrem sündhaften Treiben ja und amen gesagt hätte. Im Gegenteil: Jesus hat Sünde deutlich beim Namen genannt. Er hat die Sünder zur Umkehr aufgerufen und dabei im Fall von Zachäus auch Erfolg gehabt: Nach Jesu Besuch erstattete Zachäus alles betrüge­risch erworbene Geld zurück. Sünde beim Namen nennen und zur Umkehr rufen ist ein wesent­licher Bestandteil der Evangeliums-Wahrheit. Solch mutige Wahrhaftig­keit hat Christian in der zweiten Fassung der Geschichte gefehlt. Das Ergebnis ist nicht „Wandeln im Licht“, sondern Heuchelei. Wir können das in folgende Gleichung fassen: Liebe minus Wahrheit gleich Heuchelei. Zwar gilt: Liebe plus Wahrheit gleich Licht, aber nur Liebe ohne Wahrheit ist nicht einmal halbes Licht, auch nicht echte Liebe, sondern Finsternis.

Wie soll sich denn der arme Christian nun verhalten? Er sollte versuchen, Wahrheit und Liebe irgendwie unter einen Hut zu kriegen. Vielleicht könnte er Hans freundlich sagen, dass er das anders sieht, und es dann Hans überlassen, ob er das genauer wissen möchte. Oder er könnte von seinem Vetrauen sprechen, dass Gott ihm auch in kargen Zeiten weiterhelfen wird. Es kommt darauf an, was für eine Person Christian ist, was für eine Person Hans ist und wie ihre Beziehung beschaffen ist. Wichtig ist, dass Christian Hans nicht verachtet, ganz egal, was Hans getan hat und noch tut. Das ist nämlich das Grund­prinzip von Gottes Licht, von Gottes Wahrheit und Liebe: Er verachtet nie den Menschen selbst, aber seine Sünde heißt er dennoch nicht gut. Gott differen­ziert also zwischen der Person und ihrem Verhalten. Das sollte auch jeder Christ lernen und sich auf dieser Grundlage bemühen, sowohl wahrhaftig als auch liebevoll zu sein. Denn nur Wahrheit und Liebe zusammen entsprechen dem Licht des himmlischen Vaters und seines ein­geborenen Sohnes: Wahrheit plus Liebe gleich Licht. Gewiss, es ist schwierig, das im Alltag umzusetzen, und wir machen dabei immer wieder Fehler. Aber darüber triumphiert Gottes Evangeliums-Wahrheit und Gottes Gnaden-Liebe. Angestrahlt von diesem Licht, können wir immer besser lernen, im Licht zu wandeln. Darum heißt es auch am Ende unseres Predigt­textes ganz tröstlich: „Das Blut Jesu Christi, seines Sohnes, macht uns rein von aller Sünde.“ Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2013.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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