Ein Modell für die Kirche

Predigt über Matthäus 10,1‑7 zum 1. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Wenn ein Architekt eine neue Kirche bauen soll, dann zeichnet er zunächst Skizzen und Grundrisse. Es kann nun sein, dass die auftrag­gebende Gemeinde sich ihr zukünftiges Gotteshaus mit diesen Entwürfen nicht richtig vorstellen kann. Das wird besonders dann der Fall sein, wenn es sich um eine große Kirche oder einen kompli­zierten Entwurf handelt. In diesem Fall baut der Architekt ein Modell in ver­kleinertem Maßstab. Nun kann man sich die Kirche von allen Seiten anschauen und eine gute Vorstellung gewinnen, wie sie einmal aussehen wird.

Was für ein Kirch­gebäude sinnvoll ist, das ist auch für die eigentliche Kirche sinnvoll – nämlich für die Christen­heit, die Gemeinde der Heiligen. Es gibt sie in der ganzen Welt, und es gibt sie schon seit zweitausend Jahren. Wenn wir eine an­schauliche Vorstellung von ihr bekommen wollen, dann geht das auch am besten mit einem ver­kleinerten und ver­einfachten Modell. Dieses lebende Modell gibt es wirklich: Es ist die Schar der zwölf Apostel, die Jesus in seinen Erdentagen um sich sammelte. Mit diesem Modell hat er anschaulich gemacht, was für die christliche Kirche grundlegend wichtig ist. Man kann dieses Modell in all jenen Bibel­stellen betrachten, die von Jesus und den zwölf Jüngern handeln, also auch in unserem heutigen Predigt­text. Er macht sogar besonders gut an­schaulich, was die christliche Kirche im wesent­lichen ausmacht.

Der Evangelist Matthäus hat unseren Abschnitt mit den Worten begonnen: „Jesus rief seine zwölf Jünger zu sich.“ Da erkennen wir: Jüngersein und Christsein bedeutet zuerst, von Jesus berufen zu sein. Niemand wird ein Christ, weil er in eine christliche Familie hinein­geboren ist oder weil er sich aus eigenem Antrieb für Jesus ent­scheidet. Nein, noch heute ist es der Ruf Christi, der einen Menschen zu einem Christen macht. Seit Pfingsten geschieht das durch den Heiligen Geist. Es ist so, wie Martin Luther im Kleinen Katechismus zum dritten Glaubens­artikel ausgeführt hat: „Ich glaube, dass ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesus Christus, meinen Herrn, glauben oder zu ihm kommen kann; sondern der Heilige Geist hat mich durch das Evangelium berufen…“ Die zwölf Apostel hat dieser Ruf direkt akustisch erreicht durch die Stimme Jesu, als er auf Erden lebte. Seit Pfingsten erreicht dieser Ruf Menschen durch den Heiligen Geist zusammen mit dem äußeren Zeichen, das der auf­erstandene Jesus selbst dafür eingesetzt hat: mit der heiligen Taufe nämlich. Jesus trug den Aposteln auf: „Macht Jünger, indem ihr Menschen aus allen Völkern tauft und sie all das lehrt, was ich euch gelehrt habe“ (Matth. 28,19). Dieser göttliche Ruf ist zugleich ein göttlicher Schöpfungs­akt: Gott schafft durch sein Wort, was er ins Leben ruft. So schafft er mit der heiligen Taufe Christen, Jünger Jesu, Bürger seines Reiches, Glieder der Kirche. Der Evangelist Markus hat besonders diesen letzten Gesichts­punkt betont, als er von der Modell-Kirche der zwölf Apostel schrieb: „Jesus schuf zwölf, die er auch Apostel nannte“ (Markus 3,14). Die Taufe ist die Neu­schöpfung beziehungs­weise die neue Geburt eines Menschen.

Auch die Zahl zwölf ist bedeutsam beim Apostel-Modell der Kirche. So wie Gottes Volk des alten Bundes aus zwölf Stämmen bestand, gründet Gottes Volk des neuen Bundes auf dem Fundament der zwölf Apostel. Sie werden hier namentlich genannt. Auch der Name des Verräters fehlt nicht: Judas Iskariot. Als Matthäus diese Apostel­liste aufschrieb, lag der Verrat des Judas schon viele Jahre zurück, und er war auch schon lange tot. Matthäus hätte diesen Abtrünnigen leicht weglassen und mit dem Namen des nach­gewählten Apostels ersetzen können. Das hat er aber nicht getan. Der Grund dafür ist nicht nur historische Ehrlich­keit, sondern er hat mit dem Modell­charakter der zwölf Apostel für die Kirche zu tun. Auf diese Weise wird nämlich klar, dass nicht unbedingt alle, die von Jesus berufen werden, ihm treu bleiben und das ewige Leben erlangen. Es kommt vielmehr vor, dass Menschen abfallen und verloren gehen. In der Modell­gemeinde der Apostel kann man das an Judas sehen: Er hat sich aus freien Stücken von Jesus abgewandt und ist zu seinem Feind geworden. Jesus hat ihn dabei nicht auf­gehalten, er hat ihn nicht zu seinem Glück gezwungen. Jesus zwingt niemanden zu seinem Glück – das gilt bis heute für die ganze Christen­heit.

Jesus zwingt niemanden – aber er lädt alle ein. Er lockt und wirbt um alle Menschen, dass sie sich mit dem Vater im Himmel versöhnen lassen und Frieden finden. Er tut es mithilfe derjenigen, die bereits seinem Ruf gefolgt sind. Auch das wird deutlich am Modell der zwölf Jünger, denn von ihnen heißt es weiter bei Matthäus: „Diese zwölf sandte Jesus aus, gebot ihnen und sprach: Geht nicht den Weg zu den Heiden und zieht in keine Stadt der Samariter, sondern geht hin zu den verlorenen Schafen aus dem Hause Israel. Geht aber und predigt und sprecht: Das Himmelreich ist nahe herbei­gekommen.“ Es mag uns wundern, dass Jesus die Apostel nur zu den Juden sandte und nicht zu Menschen mit anderer Herkunft. Wir müssen uns aber klar machen, dass Jesus diesen Auftrag erteilte, bevor er starb, auferstand, gen Himmel fuhr und zu Pfingsten den Heiligen Geist ausgoss. Dieser Auftrag galt also für die Modell­kirche, und da stehen die „verlorenen Schafe aus dem Hause Israel“ modellhaft für die ganze Völkerwelt. So wie Gott sich mit seinem alten Bund stets zu Israel als seinem Eigentums­volk bekannte und im Falle des Abfalls darum mühte es zurückzugewinnen, so hat er mit dem neuen Bund seine liebevolle Zuwendung auf die gesamte Völkerwelt ausgedehnt. Zur Zeit der Modell­kirche, ist das Himmelreich noch nicht ganz da gewesen, es ist erst „nahe herbei­gekommen“, es befand sich noch im Planungs- und Baustadium. Nach Ostern ist dann alles erfüllt und vollbracht; da hat Jesus dann seinen Auftrag an die Apostel entgrenzt und gesagt: „Geht hin und macht zu Jüngern alle Völker“ (Matth. 28,19).

Für uns, die Jünger der heutigen Zeit, wird deutlich: Wer von Christus berufen ist, der ist auch von ihm beauftragt. Die Kirche empfängt nicht nur passiv Gottes Gnade und Heil, sondern sie engagiert sich auch aktiv in der Ausbreitung von Gottes Reich. Sie tut es natürlich vor allem durch die besonders dafür berufenen Diener, die Träger des aposto­lischen Amts. Aber doch kann jedes Glied der christ­lichen Gemeinde dabei mithelfen, und sei es auch nur indirekt durch Fürbitte oder durch Werke der Liebe, die der Evangeliums­verkündi­gung Nachdruck verleihen. Wichtig ist, dass auch in unserer Zeit alle Menschen erfahren: Gottes Reich ist jetzt da, es ist gekommen durch den Gottessohn Jesus Christus, unseren Erlöser.

Zum Schluss müssen wir noch nach dem Sinn und Zweck der Kirche fragen. Warum ist es für einen Menschen gut und heilsam dazu­zugehören? Warum sollen alle Menschen in Gottes Reich engeladen werden? Auch das beantwortet unser Modell des Zwölfer­kreises. Gleich zu Anfang heißt es in unserem Text: „Jesus gab ihnen Macht über die unreinen Geister, dass sie die austrieben und heilten alle Krankheiten und alle Gebrechen.“ Da finden wir den Sinn und Zweck der Kirche klar ausgesagt: Sieg über böse Mächte und Heilung. Beides hängt un­zertrenn­lich miteinander zusammen, denn der Teufel und seine Gehilfen machen uns in jeder Hinsicht krank. In jeder Hinsicht – damit meine ich nicht nur Krebs und Kreislauf­probleme, nicht nur Depression und Drogen­sucht, sondern auch Habsucht, Selbst­sucht, Eifersucht und was es da sonst noch alles an üblen Krankheits­herden gibt. Natürlich kann man neben dem Teufel noch weitere Krankheits­ursachen nennen: Viren, Unfälle, Umwelt­einflüsse, schädliche Lebens­gewohn­heiten, schlechte Vorbilder und ungute Ver­anlagungen. Hinter dem allen aber steckt der Teufel, der uns damit quälen und letztlich für immer töten will. Zur Zeit des Neuen Testaments kannten die Menschen diesen Zusammen­hang viel besser als heute und haben darum bei Krankheit oft von bösen Geistern und Besessen­heit gesprochen. Dämonische Besessen­heit ist nämlich keineswegs eine besondere Art von Krankheit oder eine besondere Art von Sünde, sondern es handelt sich schlicht um den Umstand, dass der Teufel auf die eine oder andere Art Macht über einen Menschen gewinnt, ihn anficht und quält. Jesus ist gekommen, um uns von der Macht des Bösen zu befreien und einen Heilungs­prozess ein­zuleiten, der einst im Himmel ab­geschlossen sein wird. Die christliche Kirche ist nun gewisser­maßen die Klinik, wo diese Heilung geschieht: Hier wird getauft, hier wird das Reich Gottes verkündigt, hier muss der Teufel der Macht eines Stärkeren weichen. Dieser Stärkere ist Jesus, von dem bereits im Alten Testament geweissagt wurde: „Fürwahr, er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen“ (Jes. 53,4). Vom Apostel­kreis, der Modell­kirche, heißt es darum: Jesus gab ihnen Macht über die unreinen Geister, dass sie die austrieben und heilten alle Krankheiten und alle Gebrechen.“ Ja, das erfahren wir heute in der Kirche, und wir helfen dabei mit, dass es auch andere erfahren: Sieg über böse Mächte und Heilung.

Das Modell eines Architekten kann zeigen, wie schön ein Gotteshaus werden soll und wie gut es seinen Zweck erfüllt. Die Schar der zwölf Apostel, das Modell der christ­lichen Kirche, zeigt uns, wie Gott sein Reich baut und welch großen Segen wir davon haben. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2013.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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