Die Kirchen­vorsteher­rüste

Predigt über Epheser 4,7‑14 zu einer Kirchenversammlung

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Ich will euch jetzt mal von einer Kirchen­vorsteher­rüste erzählen. Keine Sorge, ich habe sie frei erfunden.

Gleich zu Beginn der Rüste möchte ein Kirchen­vorsteher endlich mal ein Anliegen loswerden, das er schon lange mit sich herumträgt. Er sagt: „Eigentlich ist ja alles ganz okay in unserer Gemeinde. Aber ich finde, wir könnten noch besser werden.“ Der zweite erwidert: „Was soll denn besser werden?“ Der dritte schlägt vor: „Wir könnten zum Beispiel öfter mal einen Gemeinde­ausflug machen. Und der Gottes­dienst müsste einladender sein. Und wir sollten auch unsere öku­menischen Kontakte in der Nachbar­schaft ver­bessern.“ Der Pastor sagt: „Wenn man etwas Gutes noch besser machen kann, bin ich dabei. Gerade beim Reich Gottes lohnt es sich, dass wir uns viel Mühe geben.“ Der Kirchen­vorstand verbringt den ganzen Vormittag mit angeregter Selbst­reflexion darüber, was denn in der Gemeinde besser werden sollte und wie man das anpacken könnte.

Auch geistige Arbeit macht hungrig, und so begeben sich alle um die Mittagszeit in eine Pizzeria. Schnell merken sie: Das ist ein außer­gewöhnlich gutes Restaurant. Kerzen und echte Blumen stehen auf der blüten­weißen Tischdecke; es gibt Stoff­servietten und eine über­sichtliche schöne Speisen­karte. Die Bedienung ist zuverlässig und freundlich. Speisen und Getränke erfreuen Leib und Seele vollkommen. Natürlich sind die Gedanken der Vorsteher immer noch beim Thema. Der erste Vorsteher sagt: „Seht ihr, so muss man das machen – so wie in diesem Restaurant. Man muss sich auf die Wünsche der Gäste einstellen und den ganzen Laden dann ent­sprechend organi­sieren. Wir brauchen nur das richtige Konzept.“ Der zweite Vorsteher wendet ein: „Eine Kirchen­gemeinde ist doch keine Pizzeria. Da geht es doch nicht darum, was für Wünsche die Menschen haben, sondern was Christus sagt.“ Der dritte Vorsteher versucht zu vermitteln: „Natürlich, Jesus ist der Chef. Aber er will doch den Menschen dienen und ihnen das geben, was sie brauchen.“ Der Pastor führt den Gedanken weiter: „Was sie brauchen und was sie wollen, das deckt sich nicht immer. Wir müssen uns da tatsächlich schon nach Jesus richten, der am besten weiß, was uns Menschen gut tut. Jesus ist gewisser­maßen der Geschäfts­führer Kirche. Der Eigentümer, der himmlische Vater, hat ihm eine General­vollmacht gegeben. Der Vater hat dem Sohn die Kirche anvertraut, damit der Sohn in der Kirche und durch die Kirche uns Menschen beschenken kann.“

Am Nachmittag steht eine Bibelarbeit über Epheser 4 auf dem Programm. Da finden die Vorsteher bestätigt, was am Mittags­tisch über Christus gesagt wurde. Sie lesen in Vers 9: „Dass er aber aufgefahren ist, was heißt das anderes, als dass er auch hinab­gefahren ist in die Tiefen der Erde? Der hinab­gefahren ist, das ist derselbe, der aufgefahren ist über alle Himmel, damit er alles erfülle.“ Der Pastor erklärt: „Damit kommt zum Ausdruck, dass Christus der universale Herr über alles ist, der General­bevoll­mächtigte Gottes sowohl über die tiefsten Tiefen des Totenreichs bis hin zu den höchsten Höhen des Himmels. Aber er benutzt diese Macht nicht, um uns zu unter­drücken, sondern um uns zu beschenken. Achtet mal darauf, wie häufig in diesen Versen vom Schenken die Rede ist: Uns ist die Gnade gegeben… nach dem Maß der Gabe Christi… er hat den Menschen Gaben gegeben. Hier liegt der ent­scheidende Unterschied zwischen einem Wirtschafts­betrieb und der Kirche: Ein Wirtschafts­betrieb hat letztlich das Ziel, Gewinn zu machen, aber in der Kirche haben wir das Ziel, Christi Gaben weiter­zuver­schenken.“ Der erste Vorsteher führt den Gedanken fort: „Genau, und das sollten wir nicht nur trocken predigen, sondern wir sollten den Leuten auch tatsächlich etwas bieten, zum Beispiel mehr Gemeinde­ausflüge.“ Der zweite Vorsteher ist skeptisch: „In unserem Bibeltext steht aber nichts von gemeinsamer Freizeit­gestaltung. Hier sind doch ganz andere Gaben gemeint; seht euch doch mal genau den Vers 8 an. Da heißt es: Er ist aufgefahren zur Höhe und hat Gefangene mit sich geführt. Christi Gabe ist also Befreiung, nicht Freizeit­gestaltung, und zwar Befreiung von unseren schlimmsten Feinden, von der Sünde, vom Tod und vom Teufel.“ Der dritte Kirchen­vorsteher merkt an: „Das kann man doch auch bei einer Gemeinde­fahrt in einer Andacht predigen.“

Es tritt ein Moment der Stille ein. Die Kirchen­vorsteher brüten über ihren Bibeln und schauen, ob es da nicht noch mehr Gutes zu entdecken gibt. Da weist der erste Vorsteher auf die Verse 11 und 12 hin. Er sagt: „Nicht nur die Befreiung an sich ist Christi Gabe, sondern auch diejenigen, die diese Befreiung ver­kündigen: Apostel, Propheten, Evange­listen, Hirten und Lehrer. Und nicht nur diese Profis sind zum Dienst gerufen, sondern alle Getauften, denn weiter steht da ja: …damit die Heiligen zugerüstet werden zum Werk des Dienstes. Jeder Christ ist nicht nur ein Be­schenkter, sondern zugleich ein Geschenk des Herrn. Und wenn oben vom Maß der Gabe Christi die Rede ist, dann stelle ich mir vor, dass jeder Christus Gaben bekommen hat, die wie ein Maßanzug genau zu ihm passen. Alle Gemeinde­glieder sind Mit­arbeiter, jeder mit seinen Gaben und seinem Amt. Alle sollen zum Beispiel mithelfen, dass unser Gottes­dienst einladender wird; er ist doch schließlich keine Ein-Mann-Vorstellung des Pastors.“ Den zweiten Vorsteher überzeugt das nicht: „Nein, nein, ich gehe doch nicht in die Kirche, um zu kellnern, sondern um zu essen. Ich bin Jesu Tischgast, nicht Jesu An­gestellter. Der Pastor ist dazu berufen, das Lebensbrot aus­zuteilen, und ich bin dazu eingeladen, das Lebensbrot zu empfangen.“ Dem dritten Kirchen­vorsteher geht jetzt ein Licht auf: „Ihr liegt beide falsch; die Gemeinde lässt sich überhaupt nicht mit einem Betrieb ver­gleichen, es gibt hier nämlich keine Trennung zwischen Kunden und Personal. Wir alle werden von Christus mit Lebensbrot bewirtet, und zugleich helfen wir alle mit, dass es ausgeteilt wird – nicht zuletzt durch die aktive Teilnahme am Gottes­dienst. Es ist eher so wie in einer Familie, wo alle an Mutters Tisch satt werden und wo zugleich jeder nach seinen Möglich­keiten auch mit anpackt. Oder wie bei einem Organismus, wo alle Glieder voneinander profitieren und zugleich füreinander da sind.“ Der Pastor bestätigt: „Ja, so ist das, hier stehts doch auch in Vers 12: Dadurch soll der Leib Christi erbaut werden.“

Der erste Kirchen­vorsteher leitet zu einem neuen Thema über: „Leib Christi ist aber nicht nur unsere Gemeinde, Leib Christi ist überall da, wo Menschen getauft sind und glauben. Wir sollten wirklich mehr für die Ökumene tun.“ Der zweite Kirchen­vorsteher tritt auf die Bremse: „Natürlich sollen wir unsere kirchlichen Nachbarn nicht ignorieren, aber wir müssen doch anderer­seits unser luthe­risches Profil wahren.“ Der dritte Vorsteher verteidigt den ersten: „Vom luthe­rischen Profil steht gar nichts in unserm Text, sondern da steht etwas von der Einheit des Glaubens.“ Der Pastor gibt den Hinweis: „Lest doch weiter, besonders den Vers 14! Da steht, dass wir im Glauben reifen sollen und uns nicht von jedem Wind einer Lehre bewegen und umher­treiben lassen. Es geht tatsächlich nicht darum, dass wir irgendein kon­fessio­nelles Profil aufbauen, um uns von anderen abzuheben. Es geht aber darum, dass wir durch das eine wahre Evangelium immer besser werden in der Erkenntnis des Glaubens; dann können wir auch die Geister um ums herum richtig beurteilen. Und wenn wir das können, brauchen wir einerseits keine Berührungs­ängste zu haben, werden uns aber anderer­seits deutlich abgrenzen von allem, was nicht dem biblischen Evangelium entspricht.“

Liebe Brüder und Schwestern in Christus, diese Predigt hat ausnahms­weise keinen Schluss, aber sie ist hier trotzdem zuende. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2013.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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