Wie gut sind gute Werke?

Predigt über Hebräer 6,10‑12 zum Sonntag Okuli

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Wenn ein Verkäufer zum Kunden freundlich ist, sich Zeit nimmt und ihn uneigennützig berät, dann tut er ein gutes Werk. Wenn ein Nachbar zum anderen freundlich ist und ihm hilft, dann tut er ein gutes Werk. Wenn ein Mensch liebevoll und geduldig seine alten Eltern pflegt und dafür viel von seiner Freizeit opfert, dann tut er ein gutes Werk. Wenn ein Reicher einen Armen beschenkt, ihm großzügig Geld leiht oder auch Schulden erlässt, dann tut er ein gutes Werk. Wenn ein Gemeinde­glied mit echter Anteilnahme fragt, wie es anderen Gemeinde­gliedern geht, und wenn er ihnen daraufhin den einen oder anderen Liebes­dienst tut, dann tut er ein gutes Werk. Wenn ein Christ zehn Prozent seines Einkommens für das Reich Gottes opfert, für die Kirche und für die Mission, dann tut er ein gutes Werk. Wie schön!, sagen dazu alle normalen Menschen. Wie gefähr­lich!, sagen dazu viele stramme Lutheraner. Auch in unserer luthe­rischen Kirche steht ja mit großen Buchstaben an der Wand: „So halten wir es nun, dass der Mensch gerecht werde ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben“ (Römer 3,28). So hat es Paulus ge­schrieben, so hat es Luther betont: Gute Werke machen nicht gerecht vor Gott, sondern allein der Glaube an Christus. Wer sich etwas auf seine guten Werke einbildet und meint, damit vor Gott bestehen zu können, der ist auf dem Holzweg. Gute Werke sind also gefährlich, denn sie führen zum Pharisäer­tum. Der Pharisäer im Tempel, von dem Jesus berichtete, zählte im Gebet all seine guten Werke auf, aber am Ende sprach Gott ihn nicht gerecht; den sündhaften und reumütigen Zöllner aber, den sprach er gerecht. So kommt es, dass gute Werke unter Lutheranern nicht besonders hoch im Kurs stehen. Wenn Lutheraner von guten Werken hören, dann wittern sie oft die von Luther kritisierte Werk­gerechtig­keit.

Zum Glück ist der liebe Gott kein Lutheraner, jedenfalls nich so einer. Der liebe Gott verachtet gute Werke keineswegs, sondern sie sind ihm lieb und wertvoll. Wenn wir stets fleißig gute Werke tun, dann machen wir ihm damit eine Freude. Gott vergisst zwar unsere Sünden, wenn wir sie zu ihm in die Beichte bringen, aber unsere guten Werke vergisst er nicht, sondern erinnert sich immer wieder gern an sie. So steht im Hebräer­brief: „Gott ist nicht ungerecht, dass er vergäße euer Werk und die Liebe, die ihr seinem Namen erwiesen habt, indem ihr den Heiligen dientet und noch dient.“ Das dürfen wir nicht überlesen, das sollten wir uns vielmehr dick unter­streichen, auch und gerade wir Lutheraner! Gott übersieht unsere guten Werke nicht, sie sind ihm auch nicht egal und sie fallen ihm erst recht nicht negativ auf. Vielmehr nimmt er unsere guten Werke wohlwollend wahr und freut sich darüber. Jesus hat sogar gesagt: „Was ihr getan habt einem unter diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan“ (Matth. 25,40). Dasselbe klingt hier im Hebräer­brief an, wenn es heißt: Gott vergisst nicht die Liebes­werke, die ihr seinem Namen erwiesen habt, indem ihr den Heiligen dient. Kurz: Gute Werke sind wirklich gut und gefallen Gott! Darum brauchen wir nicht zu zögern, wenn sich uns Gelegenheit bietet, ein gutes Werk zu tun.

Ich komme nun zum zweiten Teil meiner Predigt, und ihr könnt euch vielleicht schon denken, wie er beginnt: Er beginnt mit dem Wörtchen „aber“. Dieses „Aber“ ist jedoch nicht meine Idee, sondern Gottes Idee, denn dieses „Aber“ taucht gleich im nächsten Satz unseres Predigt­textes auf. Der geht so: „Wir wünschen aber, dass jeder von euch denselben Eifer beweise, die Hoffnung fest­zuhalten bis ans Ende, damit ihr nicht träge werdet, sondern Nachfolger derer, die durch Glauben und Geduld die Ver­heißungen ererben.“

Dieser Satz ist nicht kurz und nicht leicht, darum müssen wir uns an seinen Sinn langsam heran­tasten. Von Eifer ist da die Rede und vom Nicht-träge-Werden. Geht es dabei um das eifrige Tun von guten Werken? Nein, das nicht, denn dieser Satz handelt ja aus­drücklich von dem Eifer, „die Hoffnung fest­zuhalten bis ans Ende.“ Wörtlich steht da sogar: „die volle Gewissheit der Hoffnung fest­zuhalten bis ans Ende.“ Da merken wir: Hier geht es nicht um Werke, sondern hier geht es um den Glauben. Nur der Glaube nämlich kann uns die volle Gewissheit der christ­lichen Hoffnung geben, dass wir am Ende in Gottes Gericht frei­gesprochen werden und die ewige Seligkeit erben. Jetzt merken wir, warum da „aber“ steht: Unsere guten Werke sind eine gute Sache für unser all­tägliches Leben, aber das ewige Leben können wir nur mit Glauben erlangen. Selbst wenn jemand so viele gute Werke täte wie einst die heilige Elisabeth oder Albert Schweitzer oder Mutter Teresa, dann müsste er, wenn er ehrlich ist, am Ende immer noch zweifeln, ob das für den Himmel ausreicht, ob damit wirklich Gottes Erwartungen an uns Menschen voll zufrieden­gestellt sind. Und das schließt ein: ob diese vielen be­eindruckend guten Werke auch wirklich ganz und gar aus einem liebenden und demütigen Herzen geflossen sind, ohne Macht­gefühle, ohne Stolz, ohne Gier nach An­erkennung. Wir merken: Die „volle Gewissheit“ des Heils kann niemals aus den Werken kommen, die kann nur aus dem Glauben kommen. Denn der Glaube vertraut nicht auf die eigenen Werke, ganz gleich wie kümmerlich oder wie gewaltig sie sein mögen, sondern der Glaube vertraut auf das eine Werk des Herrn Jesus Christus, nämlich auf sein Erlösungs­werk am Kreuz.

Kurz: Nur derjenige findet Heils­gewiss­heit, der sein Vertrauen auf Jesus Christus setzt, nicht auf irgend­welche eigenen Leistungen oder Qualitäten. Über solches Leben in der Heils­gewiss­heit sagt unser langer kompli­zierter „Aber“-Satz nun noch mehr aus: „Werdet Nachfolger derer, die durch Glauben und Geduld die Ver­heißungen ererben.“ Der Hebräer­brief sieht die Christen­heit wie eine lange Prozession durch die Zeiten. Am Anfang geht Christus und lädt ein: Folgt mir nach! Ihm folgen die Apostel, und den Aposteln folgen die ersten Christen. Irgendwo viel weiter hinten folgen auch wir. Die Christen, die vor uns Jesus nachgefolgt sind, die haben vor uns im Glauben gelebt und hatten dadurch auch unter schwie­rigsten Lebens­umständen die „volle Gewissheit der Hoffnung“. An dieser Glaubens­zuversicht hielten sie fest bis an ihr Lebensende und kommen deshalb auch an dem wunderbaren Ziel an, wohin ihnen der auf­erstandene Christus als erster voraus­gegangen ist. Wir sehen: Es kommt nicht nur auf den Glauben als solchen an, sondern es kommt auch darauf an, dass wir an diesem Vertrauen festhalten durch alle Höhen und Tiefen des Lebens hindurch. Dieses beharrliche Festhalten am Glauben kommt in dem Wort „Geduld“ zum Ausdruck. Es heißt ja: „Werdet Nachfolger derer, die durch Glauben und Geduld die Ver­heißungen ererben.“

Freilich kann niemand solchen Glauben und solche Geduld aus eigener Willens­kraft hervor­bringen. Gott selbst ist es mit seinem Heiligen Geist, der durch sein Wort und durch die heiligen Sakramente solchen Glauben und solche Geduld in uns wirkt. Aber wenn wir uns treu an Gottes Wort halten, die Ver­kündigung des Evangeliums nicht verachten und gemeinsam das Heilige Abendmahl feiern, können wir darauf vertrauen, dass Gott uns im rechten Glauben erhält und die volle Gewissheit des Heils schenkt, die nur durch Christi Werk, nicht durch unsere Werke kommen kann.

Gute Werke sind gut. Lasst sie uns reichlich tun! Aber gute Werke können uns kein gutes Gewissen machen, das kann nur Christus mit seinem Erlösungs­werk. Lasst uns darum im Glauben und in Geduld daran festhalten und stets Glaubens­stärkung da suchen, wo Gott sie uns schenken will! Im 20. Artikel des Augsburger Bekennt­nisses heißt es: „Ferner wird gelehrt, dass gute Werke getan werden sollen und müssen, aber nicht so, dass man darauf vertraut, durch sie Gnade zu verdienen, sondern dass man sie um Gottes willen und zu Gottes Lob tut.“ Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2013.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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