Von der Versuchung, Gott zu versuchen

Predigt über Matthäus 16,1‑4 zum Sonntag Invokavit

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Das Evangelium des Sonntags Invokavit berichtet davon, wie der Teufel Jesus versuchte. Am Ende der Lesung heißt es: „Da verließ ihn der Teufel“ (Matth. 4,11). Leider nicht auf Dauer. Wer die Evangelien aufmerksam liest, wird feststellen, dass Satan weiterhin Versuche unternahm, Jesus auf seine Seite zu ziehen. Auch der Abschnitt, den wir jetzt betrachten, handelt von so einer Versuchung. Der Teufel benutzte bei dieser Gelegenheit einige jüdische Theologen, um Jesus zu versuchen. Wir lesen: „Pharisäer und Sadduzäer traten zu Jesus, versuchten ihn und forderten ihn auf, ein Zeichen vom Himmel sehen zu lassen.“ Es wäre Jesus ein Leichtes gewesen, vor ihren Augen ein wirklich beeindruckendes Wunder zu in­szenieren, und die Aussicht, diese einfluss­reichen Männer für sich zu gewinnen, war bestimmt verlockend. Aber Jesus widerstand dieser Versuchung – ebenso wie allen anderen.

Diese Begebenheit zeigt nun nicht nur eine Versuchung des Gottes­sohnes, sondern auch eine Versuchung von Menschen­kindern. Es handelt sich um die Versuchung, Gott zu versuchen. Diese Versuchung betraf nicht nur die frommen Pharisäer und die liberalen Sadduzäer damals, sondern sie betrifft noch heute sowohl fromme als auch liberale Leute. Ich wage sogar zu behaupten: Sie ist eine der stärksten Ver­suchungen überhaupt, wenn sie auch oft unter­schätzt wird – die Versuchung, Gott zu versuchen. Ich will hier jetzt nicht vom Leichtsinn reden, der sich mit dem Gedanken beruhigt: Gott wird schon auf mich aufpassen. Das ist auch ein Gott-Versuchen, aber das meine ich hier nicht. Ich meine auch nicht die Bitte um ein göttliches Zeichen, die ein Orien­tierungs­loser demütig vor Gott bringt. Das ist kein Versuchen Gottes, sondern das kann unter Umständen durchaus angemessen sein. Gideon hat sich solche Zeichen vom Herrn erbeten und sie auch erhalten. Und mit David lernen wir beten: „Weise mir, Herr, deinen, Weg“ (Ps. 86,11). Ich meine hier vielmehr ein Verhalten, wie es von den Pharisäern und Sadduzäern berichtet wird: Sie haben nicht um ein Zeichen gebeten, sondern sie haben es gefordert. Sie wollten unbedingt ein „Zeichen vom Himmel“ sehen, ein eindeutig über­natürliches Wunder, einen klaren Beweis dafür, dass Jesus wirklich Gottes Sohn ist. Ihr Ansinnen war praktisch eine Misstrauens­erklärung, denn sie weigerten sich, seinen Worten einfach zu glauben. Solche Art Versuchung findet sich noch heute bei Frommen und Unfrommen; sie findet sich auch in meinem Herzen und vermutlich auch in eurem. Oder habt ihr niemals gedacht: Jesus müsste in der heutigen Zeit deutlicher zeigen, dass er der Herr ist, dann würden sicher mehr Menschen an ihn glauben? Oder kennt ihr nicht den Gedanken einer an­gefochtenen Seele: Gott, wenn du jetzt nicht dies oder jenes tust, dann will ich mit dir nichts mehr zu tun haben? Auch aus der Seelsorge weiß ich, dass viele Christen sich mit solcherart Ver­suchungen herum­plagen, nicht zuletzt Pfarrer. Und von den Skeptikern wissen wir, dass Gott ihnen erstmal dies oder jenes beweisen soll, ehe sie dem Glauben näher treten wollen.

Jesus hat den versuchten Versuchern damals eine Antwort gegeben, die uns in unserer Versuchung, Gott zu versuchen, hilft. Zunächst gab Jesus mit leiser Ironie zu bedenken: Ein himmlisches Zeichen wollt ihr haben? Ihr kriegt doch jeden Tag himmlische Zeichen und wisst sie auch zu deuten, denn vom Morgenrot und vom Abendrot könnte ihr Wetterprognosen herleiten. Damit bereitete Jesus das vor, was er eigentlich zu sagen hatte: „Über das Aussehen des Himmels könnt ihr urteilen; könnt ihr dann nicht auch über die Zeichen der Zeit urteilen?“ Nicht spektaku­läre Wunder­zeichen am Himmel, sondern zeit­geschicht­liche Ereignisse auf der Erde erweisen Jesus als den Gottessohn – „die Zeichen der Zeit“. Die Pharisäer und Sadduzäer wussten, dass Jesus Kranken half und Besessene heilte. Sie brauchten das nur mit den Weis­sagungen des Alten Testaments in Verbindung zu bringen, um die Gewissheit zu erlangen, dass Jesus der Messias ist. So hatte Jesaja vom kommenden Heiland geweissagt: „Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben geöffnet werden. Dann werden die Lahmen springen wie ein Hirsch, und die Zunge der Stummen wird froh­locken.“ (Jes. 35,5‑6) Nicht spektaku­läre himmlische Wunder, sondern heilvolle Zeichen auf Erden erweisen in Verbindung mit Gottes Wort Jesus als Messias und Gottessohn. Solche Zeichen gibt es bis heute, auch in unserer Mitte. In der Taufe hat Jesus uns neu geboren für die Ewigkeit – was für ein über die Maßen heilvolles Zeichen und Wunder, von Gottes Wort her betrachtet! Im Heiligen Abendmahl ist Jesus auf wunderbare Weise leiblich anwesend, so hat er es ja selbst ver­sprochen. Jesus sagte: „Könnt ihr nicht auch über die Zeichen der Zeit urteilen?“ Ja, das können wir, wenn wir nur Gottes Wort vertrauen. Jesus schenkt uns in der Regel keine spektaku­lären und offen­sichtlich über­natürlichen Wunder­zeichen, aber er zeigt uns auch in unserer Zeit hinreichend deutlich, wer er ist und wie er zu uns steht.

Jesus ist nicht nur am Anfang seines öffent­lichen Auftretens versucht worden, sondern die ganze Zeit über bis hin zum bitteren Ende. Noch wenige Stunden vor seinem Tod versuchte ihn der Teufel durch einige Menschen, die sagten: „Ist er der Christus, so steige er nun vom Kreuz, damit wir sehen und glauben“ (Markus 15,32). Auch dieser letzten großen Versuchung widerstand unser Herr. Er tat es aus Liebe zu uns. So hat er uns erlöst. Und so konnte es zu dem größten Wunder­zeichen kommen, das Gott uns in der Welt­geschichte geschenkt hat: Jesu Auf­erstehung von den Toten. In seinem Gespräch mit den Pharisäern und Sadduzäern hat er seine Auf­erstehung „das Zeichen des Jona“ genannt, denn wie der Prophet Jona drei Tage lang im Bauch eines großen Fisches war, so war der Gottessohn drei Tage lang tot. Jesus sagte: „Ein böses und abtrünniges Geschlecht fordert ein Zeichen: doch soll ihm kein Zeichen gegeben werden, es sei denn das Zeichen des Jona.“ Böse und abtrünnig nannte Jesus die Theologen, die ihn versuchten, sowohl die frommen als auch die liberalen. Böse und abtrünnig kann Jesus auch uns Heutige nennen, egal ob wir uns als Christen verstehen oder als Atheisten. Es gelingt uns nämlich nicht besser als den Menschen damals, den Ver­suchungen des Satans zu widerstehen – ein­schließ­lich der Versuchung, Gott zu versuchen. Einen Unterschied macht allein die Art und Weise, wie wir zum Zeichen des Jona stehen. Im Licht von Gottes Wort betrachtet, ist es das größte Wunder der Welt­geschichte: Jesus war tot und hat damit unsere Schuld gesühnt; Jesus lebt in Ewigkeit und schenkt uns ewiges Leben. Hinter diesem Zeichen müssen alle anderen Wunder verblassen. Wer diesem Zeichen vertraut, braucht keine weiteren Wunder mehr und kann deshalb den Teufel mit seiner Versuchung, Gott zu versuchen, abblitzen lassen. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2013.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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