Liebe Brüder und Schwestern in Christus!
Die Heilige Schrift ist göttlich, kräftig, ehrwürdig und unvergänglich. Das ist das Thema des Sonntags Sexagesimä, und das können wir beispielhaft an einer Begebenheit aus dem Leben des Propheten Jeremia lernen. Jeremia ist ja ein bekannter Prophet des Alten Testaments. Weniger bekannt sind sein Schreiber Baruch und die Sache mit der verbrannten Schriftrolle. Diese Geschichte möchte ich euch jetzt erzählen.
Jeremia war zu dieser Zeit schon gut zwanzig Jahre lang Gottes Prophet. Gott ließ ihn Botschaften für die Juden wissen, die er dann öffentlich predigte. Es waren harte Botschaften, Bußrufe. Gott forderte durch Jeremia sein Volk zur Umkehr auf. Da muss es uns nicht wundern, dass Jeremia oft angeeckt ist. Einmal hatte er sich im Tempel hingestellt und gesagt: Wenn ihr so weitermacht, wird es diese Stätte, wo ihr Gott begegnen könnt, bald nicht mehr geben. Das rief einen Sturm der Entrüstung hervor. Vor allem König Jojakim und die Priester waren wütend auf Jeremia und begannen, ihn zu verfolgen. Er konnte sich seitdem nicht mehr im Tempel blicken lassen. Gott aber wollte, dass die Tempelgemeinde trotzdem weiterhin die Predigten des Jeremia hört. Darum beauftragte er ihn, seine Verkündigung aufzuschreiben. Jeremia stellte Baruch als Schreiber ein, denn das Beschreiben von Schriftrollen war damals eine Facharbeit, die man besonders ausgebildeten Personen übertrug. Dann diktierte er dem Baruch die Botschaften, die Gott ihm in den beiden zurückliegenden Jahrzehnten aufgetragen hatte, und Baruch schrieb sie nieder. Als sie fertig waren, schickte Jeremia Baruch mit der Schrift in den Tempel und ließ ihn dort Gottes Bußrufe öffentlich vorlesen.
Diese Botschaften beginnen mit den Worten: „Des Herrn Wort geschah zu Jeremia.“ Gottes Wort in Menschenmund – das war so bei Jeremia, das war so bei allen Propheten und auch bei den Aposteln des Neuen Testaments. Wir können uns darauf verlassen, dass die Worte der Propheten und Apostel Gottes Worte sind. Dabei ist es letztlich egal, ob sie mündlich oder schriftlich vorliegen. Das prophetisch-apostolische Wort der Heiligen Schrift ist in jedem Fall göttlich.
Nicht immer bewirkt Gottes Bußruf Umkehr, aber immer bewirkt Gottes Wort etwas; es verhallt nie wirkungslos in unserer Welt. So war es auch damals mit Jeremias Botschaft, aufgeschrieben und im Tempel vorgetragen durch Baruch. Ein gewisser Michaja war so betroffen von der Botschaft, dass er sogleich die Berater des Königs informierte. Die ließen Baruch zu sich kommen und die göttlichen Worte vorlesen. Sie bewirkten auch bei ihnen Betroffenheit und Umkehr. Natürlich waren die Berater ebenso wie König Jojakim selbst eigentlich sehr skeptisch gegenüber Jeremia, aber unter der Kraft der Worte merkten sie: Hier spricht der Herr selbst zu uns; diesen Worten müssen wir uns beugen; wir müssen uns ändern! Und so beschlossen sie: Auch der König muss diese Worte hören; auch er soll unter der Kraft dieser Worte in sich gehen und sich neu nach Gott ausrichten. Aber die Berater kannten ihren König gut genug, um zu wissen, dass diese Prophetenworte auch die Wut des Königs auf Jeremia neu entfachen konnten. So gaben sie Baruch umsichtig den Rat, sich mit Jeremia versteckt zu halten, um möglichen Verfolgungen zu entgehen. Die Schriftrolle aber nahm der königliche Schreiber in Verwahrung. König Jojakim wurde informiert, und er gab Anweisung, ihm den Text vorzulesen. Auch bei ihm blieb er nicht ohne Wirkung – freilich hatten die Worte bei ihm eine ganz andere Wirkung als bei seinen Beratern: Sie verhärteten ihn in seiner Haltung, dass er sich von Gott und von dessen Propheten Jeremia nichts sagen lassen wollte.
Ja, immer bewirkt Gottes Wort etwas, auch bei uns. Immer wenn wir Gottes Wort hören oder lesen, dann klopft Gott damit bei uns an die Herzenstür. Er möchte, dass sich bei uns etwas ändert. Er möchte, dass wir uns auf ihn einstellen, ihm bedingungslos vertrauen und Liebe von ihm lernen. Es ist gut zu wissen, dass Gottes Wort auch heute noch damit zum Ziel kommt bei dem einen oder anderen Menschen, selbst wenn es bei vielen das bewirkt, was es damals bei König Jojakim bewirkte: Verhärtung in einem Zustand der Sünde und feindselige Ablehnung. Auch das ist eine Wirkung von Gottes Wort, die die Bibel selbst ausdrücklich nennt. So ist das Wort der Heiligen Schrift nicht nur göttlich, sondern auch kräftig.
Es geschah im November oder Dezember, als König Jojakim sich die Schriftrolle des Baruch mit den göttlichen Prophetenworten Jeremias vorlesen ließ. In diesen kältesten Wochen des Jahres residierte der König in besonderen Wintergemächern seines Palastes. Es ist so ähnlich, wie wenn heute manche Gemeinden ihre Gottesdienste in den Wintermonaten nicht in großen kalten Kirchen feiern, sondern in kleineren, besser beheizbaren Räumen, den sogenannten Winterkirchen. Im Winterhaus des Königspalasts befand sich eine offene Schale mit glühenden Kohlen vor dem Thron, die den Raum und vor allem den König selbst wärmten. In dieser Umgebung ließ Jojakim sich die Worte des Propheten vorlesen. Wir müssen es uns so vorstellen, das der Pergamentstreifen aufgerollt war, und immer, wenn der Vorleser ein Stück abrollte, kam eine neue Spalte Text zum Vorschein. Nach einer Weile hingen mehrere Spalten bereits gelesenen Textes an einem Ende der Rolle herunter. Irgendwann reichte es dem König; er nahm ein Messer, schnitt das bereits gelesene Ende ab und verbrannte es im Kohlenbecken. So ging das ständig weiter: Der Vorleser las Gottes Bußruf, der König ärgerte sich darüber, schnitt das betreffende Stück Schriftrolle ab und verbrannte es. So meinte er, mit den unbequemen Worten des Jeremia fertigzuwerden und jede mögliche Unruhe, die davon für sein Volk ausgehen könnte, im Keim zu ersticken.
Wenn wir das hören, müssen wir erschrecken. Wie kann nur einer so mit Gottes Wort umgehen! Es einfach verbrennen, vernichten! Das machen doch nur die schlimmsten Feinde Gottes: demonstrativ die Bibel verbrennen! Aber wenn wir uns über andere entrüsten, müssen wir natürlich zugleich selbstkritisch sein: Erweisen wir denn dem göttlichen Wort immer die nötige Achtung? Natürlich, wir zerschneiden es nicht und verbrennen es auch nicht, aber halten wir unsere Bibeln und unsere Gotteshäuser, wo wir das Wort hören, in Ehren? Sind wir aufmerksam und ehrfüchtig beim Lesen und Hören? Nehmen wir zu Herzen, was Martin Luther im Kleinen Katechismus in der Erklärung zum 3. Gebot geschrieben hat: „Wir sollen Gott fürchten und lieben, dass wir die Predigt und sein Wort nicht verachten, sondern es heilig halten, gerne hören und lernen“? Die Heilige Schrift ist nicht nur göttlich und kräftig, sondern auch ehrwürdig.
Einige von Jojakims Beratern wollten den König davon abbringen, die Prophetenschrift zu verbrennen, aber er hörte nicht auf sie, er vernichtete die gesamte Rolle bis hin zur letzten Spalte. Außerdem erließ er einen Haftbefehl gegen Jeremia und Baruch. Die aber waren längst im sicheren Versteck. Und dort geschah es erneut, dass Gott mit seinem Propheten redete. Gott sagte zu Jeremia: Mach dich zusammen mit Baruch noch einmal an die Arbeit; schreibt noch einmal all die Worte auf, die ich dir gesagt habe! Und füge ein weiteres Gerichtswort an speziell für König Jojakim! So geschah es dann auch.
Und so ist es gekommen, dass Jeremias Prophezeiungen bis zum heutigen Tag erhalten geblieben sind. Wir können sie in unseren Bibeln nachlesen – einschließlich der wunderbaren Verheißungen des Erlösers, die dann in Jesus wahr geworden sind. Es geht ja in Gottes Wort nicht nur um Gericht, Strafe, Mahnungen und Bußrufe, sondern vor allem um die gute Nachricht, dass Gott sich vergebend und liebevoll all denen zuwendet, die bei ihm Hilfe suchen. Das ist Gottes ewig gültige Botschaft, die wir im Alten wie im Neuen Testament finden in Verheißung und Erfüllung. Gottes Feinde können zwar die Schriften verbrennen und die Boten töten, und sie haben es auch oft genug getan, aber das Wort an sich bleibt unvergänglich. Die Worte der Heiligen Schrift werden mit ihren wunderbaren Verheißungen auch den letzten und endgültigen Feuersturm überstehen, der einmal über unsere Welt kommen wird. Denn die Heilige Schrift ist nicht nur göttlich, kräftig und ehrwürdig, sondern auch unvergänglich. Amen.
PREDIGTKASTEN |