Versiegelt – ganz einfach

Predigt über Offenbarung 7,1‑4 zum Vorletzten Sonntag des Kirchenjahres

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Wir leben in einer kompli­zierten Welt. Hinter den unzähligen kompli­zierten Alltags­problemen lauern die ganz großen kompli­zierten Fragen: Was ist gut? Was ist böse? Was ist Gerechtig­keit? Wie kann ein Mensch glücklich werden? Die Regierenden geben tausend Antworten auf diese Fragen und lassen sie doch letztlich un­beant­wortet. Die Wissen­schaftler sind sehr zurück­haltend mit ver­bindlichen Antworten geworden und bieten nur bruchstück­hafte vorläufige Erkennt­nisse an. Auch die meisten Theologen unserer Zeit lehren nichts Ein­deutiges, und im Zentrum ihrer Wissen­schaft steht nicht mehr Gott, sondern nur des Menschen Reden und Denken über Gott. So scheint auch der christliche Glaube eine kompli­zierte und ungewisse Sache geworden zu sein.

Dabei ist er das gar nicht. Vielmehr lässt sich Gottes gute Nachricht klar und deutlich in der Bibel finden. Die Bibel sagt un­missver­ständlich, was wesentlich und ewig gültig ist. Die Bibel offenbart Gottes klare Antworten auf unsere ganz großen Fragen. Und damit wir uns diese Antworten fest einprägen, vertieft Gottes Wort sie mit vielen unter­schiedlichen Gleich­nissen und Bildern. Das ist auch der Sinn der Visionen, die Gott dem Johannes gezeigt hat und die im Buch der Offenbarung auf­geschrieben sind. Mit dieser Erkenntnis haben wir den richtigen Schlüssel, um uns die Offenbarung auf­zuschließen: Die in ihr be­schriebenen Visionen machen das eine klare Evangelium von Jesus Christus anschaulich – nicht mehr und nicht weniger. Wer allerdings in der Johannes-Offenbarung darüber hinaus­gehende Geheim­botschaften Gottes vermutet, der muss das letzte Buch der Bibel für eine kompli­zierte Schrift halten, die letztlich mehr theo­logische Fragen und Probleme aufwirft, als sie be­antwor­tet. Wir aber sind mit Luther davon überzeugt, dass die bildhaften Aussagen der Bibel von ihren klaren Lehren her verstanden werden müssen, besonders von ihrer Kern­botschaft her, dem Evangelium von Jesus Christus. Lasst uns mit dieser Grund­haltung nun den eben gehörten Abschnitt von der Ver­siegelung betrachten.

Vier Engel stehen an den vier Ecken der Erde. Sie halten sich bereit, um vier Winde wehen zu lassen. Mit den vier „Ecken“ sind die vier Himmels­richtungen gemeint. Was die vier Engel da vorhaben, betrifft also nicht nur bestimmte Gebiete der Erde, sondern es betrifft die ganze Welt; es gibt keine Himmels­richtung, in die man reisen könnte, um sich dem zu entziehen. Die Winde sind Wirbel­stürme, Orkane, Taifune, Hurricans; wenn die vier Engel sie loslassen, dann richten sie auf der ganzen Welt großen Schaden an. Da sehen wir: Es geht um ein welt­umspannen­des Gottes­gericht. Wir hören ja in den Nachrichten immer wieder von ver­heerenden Stürmen und Über­schwemmun­gen, aber die sind immer nur auf einen relativ kleine Bereich der Erde beschränkt. Die Stürme hingegen, die die vier Engel noch zurück­halten, stehen wie eine weltweite Ver­nichtungs­kata­strophe bereit, die man nur mit der Sintflut vergleichen kann. Wenn wir uns das Ausmaß von Gott­losig­keit und Bosheit vergegen­wärtigen, das uns umgibt, dann müssen wir leider sagen: Gott hätte heute nicht weniger Grund für so ein Straf­gericht wie damals, zu Noahs Zeiten.

Aber nun tritt in der Vision des Johannes ein fünfter Engel auf den Plan. Er kommt vom Aufgang der Sonne her, von Osten also. Was bedeutet das? Wir müssen uns vergegen­wärtigen, dass Johannes sich auf der griechi­schen Insel Patmos befand, als er das aufschrieb. Östlich von ihm war das Heilige Land, wo Gottes ein­geborener Sohn Jesus Christus lebte, wirkte, starb und von den Toten auferstand. Noch weiter östlich befand sich das Zweistrom­land, wo nach biblischem Zeugnis am Anfang der Welt der Garten Eden lag. Im Osten geht die Sonne auf; von Osten her wird es hell; der Osten ver­anschau­licht Gott Gnaden­licht, das wie eine große barmherzige Sonne über der Menschheit aufgeht. Da merken wir: Während die vier ersten Engel Boten von Gottes Straf­gericht sind, ist dieser fünfte Engel ein Bote von Gottes liebevollem Erlösungs­handeln. Vier Engel stehen für Gottes Gesetz und die Kon­sequenzen, die sich für Sünder daraus ergeben; der fünfte Engel steht für Gottes Evangelium, für die frohe Botschaft von der Erlösung durch Jesus Christus.

Dieser fünfte Engel ruft nun etwas. Er ruft sehr laut, „mit großer Stimme“. Dass dieser Engel der lauteste ist, zeigt uns, dass Gottes Evangelium mächtiger und wichtiger ist als sein Gesetz. Das Evangelium ist Gottes letztes Wort für die Welt; es triumphiert über sein Gesetz und über das damit verbundene Straf­gericht. Ja, das Evangelium stoppt Gottes Straf­gericht, setzt es zumindest eine Zeit lang aus. Der fünfte Engel ruft den vier anderen nämlich folgendes zu: „Tut der Erde und dem Meer und dem Bäumen keinen Schaden!“ Der fünfte Engel hindert die vier anderen daran, den weltweiten Orkan frei­zulassen, der die Meere zu mächtigen Über­flutungen auf­peitschen und alle Bäume wie Streich­hölzer umknicken kann. Der fünfte Engel schreit also „Halt!“, so wie es einst der Engel auf dem Berg Morija tat, als Abraham seinen Sohn Isaak opfern wollte: „Halt! Noch darf das Straf­gericht nicht kommen; Gott will es noch eine Weile aufsparen.“

Und nun wollen wir auf die Hauptsache in dieser Vision zu sprechen kommen: das Siegel. Der fünfte Engel, so heißt es, hat „das Siegel des lebendigen Gottes“ in seiner Hand. Bevor die vier Engel Gottes Straf­gericht losgehen lassen, will der fünfte Engel mit diesem Siegel die „Knechte Gottes“ versiegeln. Was ist das für ein Siegel?

Wenn ich mir ein Buch kaufe oder eins geschenkt bekomme, dann stempele ich zunächst meinen Namen hinein und stelle es erst danach ins Bücher­regal. So ist es als mein Eigentum gekenn­zeichnet; und wenn ich es mal verleihe, dann ist klar, dass es mir gehört. Das Siegel in der Hand des fünften Engels ist so ein Namens­stempel. Wer mit diesem göttlichen Stempel versiegelt wird, der ist gekenn­zeichnet als Gottes Eigentum, der gehört zuverlässig dem lebendigen Gott. Mit seinem Siegel sagt Gott dem Ver­siegelten selbst und den anderen Menschen: „Du bist mein.“ Kein Zweifel: Dieses Siegel meint die christliche Taufe, die Jesus nach seiner Auf­erstehung eingesetzt und geboten hat. Jesus hat die Taufe aus­drücklich als Anwendung von Gottes Namens­stempel gekenn­zeichnet, denn er sagte: „Tauft im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“ (Matth. 28,19). Und der Apostel Paulus hat die Taufe mehrfach aus­drücklich eine Ver­siegelung genannt, zum Beispiel im Epheser­brief mit folgenden Worten: „In Christus seid ihr, als ihr gläubig wurdet, versiegelt worden mit dem Heiligen Geist…, dass wir sein Eigentum würden zum Lob seiner Herrlich­keit“ (Eph. 1,13‑14).

Nun merken wir, wie wunderbar diese Vision das Evangelium von Jesus Christus bestätigt und mit einem eindrucks­vollen Bild in unseren Herzen verankert. Weil Jesus uns erlöst hat, sind und bleiben wir Gottes Eigentum, das zeigt uns und anderen das göttliche Siegel der Taufe. Sie bezeugt uns: In allen Leiden und An­fechtungen, besonders aber in Gottes letztem großen Straf­gericht, werden wir nicht untergehen, sondern zum ewigen Leben bewahrt werden, denn wir sind Gott lieb und wertvoll als sein Eigentum.

Nun steht in der Offenbarung des Johannes noch die Anzahl derer, die versiegelt werden: hundert­vierund­vierzig­tausend. Die Zeugen Jehovas nehmen diese Zahl wörtlich und behaupten, dass nur 144.000 Menschen in den Himmel kommen und mit Jesus die neue Welt regieren werden. Wenn sie diese Zahl wörtlich nehmen, dann müssten sie aber kon­sequenter­weise auch wörtlich nehmen, dass jeweils 12.000 Versiegelte von einem der 12 Stämme Israels abstammen, denn so wird die Zahl auf­geschlüs­selt. Und sie müssten auch all das andere wörtlich nehmen, was von den Hundert­vierund­vierzig­tausend im 14. Ka­pitel der Johannes-Offenbarung auf­geschrieben ist – zum Beispiel dies: „Diese sind's, die sich mit Frauen nicht befleckt haben, denn sie sind jung­fräulich“ (Offb. 14,4); demnach kämen nur Un­verheira­tete in Frage. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass es sich hier um Bilder handelt, mit denen ewige Wahrheiten ver­anschau­licht werden. „Nicht befleckt“ und „jung­fräulich“ meint hier wie an vielen anderen Stellen der Bibel, dass sie nicht fremden Göttern dienen, sondern nur dem einen Herrn. Darum heißt es auch weiter von ihnen: „Die folgen dem Lamm nach, wohin es geht. Diese sind erkauft aus den Menschen als Erstlinge für Gott und das Lamm, und in ihrem Mund wurde kein Falsch gefunden; sie sind untadelig.“ Damit bestätigt sich, dass alle Getauften gemeint sind, die im Glauben dem Gotteslamm Jesus Christus treu bleiben. Sie folgen dem Lamm nach, sind also Jünger Jesu, denn die Taufe macht einen Menschen zum Jünger des Herrn. Sie sind teuer erkauft mit dem Blut des Gottes­lammes und auf diese Weise „Erstlinge für Gott“ geworden (das ist ein anderer Begriff für Gottes Eigentum). Und sie sind „un­tadelig“, nämlich völlig heilig und gerecht – nicht, weil sie keine Fehler mehr machen, sondern weil Christus ihnen seine Gerechtig­keit geschenkt hat und sie mit dieser Glaubens­gerechtig­keit unbefleckt vor Gott dastehen. Wir merken: Jedes Detail dieses Bildes malt uns das Evangelium vor Augen, damit es sich tief in unsere Herzen einprägt.

Was hat es nun aber mit den zwölf Stämmen Israels auf sich und mit der Zahl zwölfmal zwölf­tausend gleich hundert­vierund­vierzig­tausend? In der Antike wurde vielfach nicht mit dem Dezimal­system, sondern mit dem Zwölfer-Zahlen­system gerechnet; darum wurde auch die Zeit zwischen Sonnen­aufgang und Sonnen­untergang in zwölf Stunden eingeteilt. Die Zahl zwölf stand deshalb symbolisch für Gesamtheit. Zwölf Stämme Israels bildeten die Gesamtheit von Gottes Bundesvolk, zwölf Apostel re­präsen­tierten die Gesamtheit der Jünger­schaft Jesu. Wenn nun zwölf Stämme ein ganzes Volk darstellen, dann stellen zwölfmal zwölf Stämme die Gesamtheit der ganzen Völkerwelt dar. Der Faktor tausend symboli­siert dann noch eine große Menge. Damit zeigt die Zahl zwölfmal zwölf­tausend gleich hundert­vierund­vierzig­tausend insgesamt: Gott versiegelt eine große Menschen­menge aus der gesamten Völkerwelt mit der heiligen Taufe als sein Eigentum. Es ist genauso, wie Jesus es gesagt hat; es ist ganz einfach: „Geht hin und macht zu Jüngern alle Völker: Tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.“ Und wer sich dann nicht von diesem Siegel lossagt und falschen Göttern hinterher­läuft, der wird durch Gottes großes Zorngericht hindurch bewahrt werden zum ewigen Leben. Es ist so, wie Jesus selbst verheißen hat: „Wer da glaubet und getauft wird, der wird selig werden.“ Ja, so einfach ist das: Wir sind mit der Taufe versiegelt zum ewigen Leben.

Mit dieser Vision aus der Offenbarung versichert Gott uns: Bis zum Jüngsten Tag schickt er kein weltweites Strafgericht; die vier Strafengel halten die Verderben bringenden Winde noch zurück. Es sollen ja erst noch viel mehr Menschen Gottes Eigentum werden. So zeigt dieses Bild letztlich Gottes liebevolle Geduld, mit der er alle Menschen zur Umkehr ruft. Es zeigt genau das, was der Apostel Petrus in seinem zweiten Brief ohne Bild so ausgedrückt hat: „Gott hat Geduld mit euch und will nicht, dass jemand verloren werde, sondern dass jedermann zur Buße finde“ (2. Petrus 3,9). Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2012.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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