Davids letzte Worte

Predigt über 2. Samuel 23,1‑7 zum 16. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Als Goethe starb, soll er zuletzt gesagt haben: „Mehr Licht!“ Man ist sich nicht sicher, ob er sich mehr Erkenntnis­licht für den mensch­lichen Verstand wünschte oder ob es ihm in seiner Sterbe­kammer einfach zu dunkel war. Als König David starb, redete er auch vom Licht und sagte: „Wer in der Furcht Gottes herrscht, der ist wie das Licht des Morgens, wenn die Sonne aufgeht am Morgen ohne Wolken.“ Und er sagte noch viel mehr; er war auf seinem Sterbelager viel ge­sprächiger als Goethe. Er hat da sogar einen kleinen Psalm gedichtet – David, der größte Psalm­dichter aller Zeiten, der sich in diesem seinem letzten Psalm darum selbst als „Liebling der Lieder Israels“ bezeichnet hat. Dieser Psalm steht allerdings nicht im Buch der Psalmen, sondern im 2. Buch Samuel, Davids Biografie aus seiner Königszeit. Der Psalm trägt die Überschrift „Davids letzte Worte“.

Wie kommt es, dass David kurz vor seinem Tod noch so viel geredet hat? Wie kommt es, dass er in seinen letzten Stunden noch so schöne Worte fand? Menschlich lässt sich das nicht erklären; menschlich liegt es näher anzunehmen, dass jemand im Sterben bestenfalls noch zwei Wörter stammelt – so wie Goethe. Aber es geht hier eigentlich gar nicht um Menschen­worte, es geht hier um Gottes Wort. Gottes heiliger Geist machte David noch einmal zu seinem Boten und Sprachrohr, wie er es viele Male zuvor getan hatte. Er gab dem sterbenden David diese wunderbaren Worte ein, und er gab ihm auch die Kraft, sie aus­zusprechen. Es ist bei David so ähnlich wie beim alten Jakob, dem Stammvater der Israeliten: Auch er wurde kurz vor seinem Tod zu Gottes Sprachrohr und gab jedem seiner Söhne ein göttliches Segenswort mit auf den Weg (s. 1. Mose 49). David war sich dessen bewusst, dass Gott durch ihn redete, und sagte deshalb: „Der Geist des Herrn hat durch mich geredet, und sein Wort ist auf meiner Zunge. Es hat der Gott Israels zu mir gesprochen, der Fels Israels hat geredet.“

Liebe Brüder und Schwestern, über diese Einleitungs­worte sollten wir nicht zu schnell hinweg­gehen! Was David da gesagt hat, das gilt grund­sätzlich für die ganze Heilige Schrift: Sie ist Gottes Wort auf mensch­lichen Zungen; Gottes Wort, zu mensch­lichen Boten gesprochen und durch sie weiter­gegeben. Wenn wir Worte der Bibel hören oder lesen, dann hören oder lesen wir nicht nur David, Mose, Lukas oder Paulus, sondern dann spricht „der Fels Israels“ zu uns, der starke, verläss­liche, schützende und allmächtige Gott. Was für eine große und unverdiente Ehre, dass wir sein Wort vernehmen dürfen! Dass wir es nur ja nicht leicht­fertig tun! Dass wir nur ja nicht ober­flächlich hören oder uns ablenken lassen, wenn er uns etwas sagen will!

Wenn wir im Neuen Testament nach­schlagen würden, wie da die Davids­psalmen auf­gegriffen werden, dann müssten wir präziser werden und sagen: Es ist nicht nur einfach Gott, der durch David geredet hat, sondern es ist Gottes ein­geborener Sohn Jesus Christus. Das ist ja eine ganz wichtige Erkenntnis, die uns in der Bibel vermittelt wird: Im Leben und Reden von König David kündigt sich bereits der Davidssohn Jesus Christus an, der verheißene große Nachkomme, durch den Gott sein ewiges Friedens­reich auf­gerichtet hat. Wenn auch wir Davids letzte Worte so verstehen, dann werden sie uns nicht wie Eigenlob befremden, sondern dann können sie uns zu einer wunderbaren Christus-Weissagung werden. Wir können das schon aus den ersten Versen heraus­hören, wo es heißt: „Es spricht der Mann, der hoch erhoben ist, der Gesalbte des Gottes Jakobs.“ „Der Gesalbte“ ist nicht nur allgemein Titel für einen König in Israel, sondern speziell der Titel des verheißenen Erlösers und Friedens­königs. Auf hebräisch steht da „Messias“, und in der griechi­schen Bibel­übersetzung steht das „Christus“. Ja, hier spricht der Christus, der Messias, der Gesalbte Gottes durch den Mund des Königs David!

Und was sagt Christus durch den sterbenden David? Er sagt: „Wer gerecht herrscht unter den Menschen, wer herrscht in der Furcht Gottes, der ist wie das Licht des Morgens, wenn die Sonne aufgeht, am Morgen ohne Wolken. Und wie das Gras nach dem Regen aus der Erde bricht, so ist mein Haus fest bei Gott; denn er hat mir einen ewigen Bund gesetzt, in allem wohl geordnet und gesichert. All mein Heil und all mein Begehren wir er gedeihen lassen.“ Da finden wir Gottes neuen Bund voraus­gesagt, die Botschaft des Neuen Testaments. Wir finden diesen Bund in einem wunderbaren Bild, das dann auch im Neuen Testament mehrfach auf­gegriffen ist. Der Sonnen­aufgang, das ist natürlich Christi Kommen in die Welt. Der Evangelist Johannes hat es so be­schrieben: „Das Licht scheint in der Finsternis“ (Joh. 1,5). Und Jesus hat selbst von sich gesagt: „Ich bin das Licht der Welt“ (Joh. 8,12). Keine Wolke trübt seinen Glanz, kein Schatten fällt auf ihn: Er kommt ohne Sünde, rein und heilig. „Wir sahen seine Herrlich­keit, eine Herrlich­keit als des ein­geborenen Sohnes vom Vater voller Gnade und Wahrheit“ (Joh. 1,14). Diese Sonne scheint auf die Erde. Die Erde ist zuvor durch den Regen der göttlichen Ver­heißungen feucht und locker geworden; nun sprießen frische, kräftige Halme aus ihr hervor. Wie saftiges Grün wachsen Glaube, Hoffnung und Liebe unter den Menschen. Ja, so bricht Gottes neuer Bund an, Gottes Reich für alle Menschen der Erde. Es geschieht nicht durch mensch­lichen Willen und menschliche An­strengun­gen, sondern es kommt alles als Geschenk vom Himmel herab, so wie Regen und Sonnen­schein. Es kommt durch das Volk Israel und durch das Haus Davids, also durch die Menschen­familie, die Gott sich zu diesem Zweck erwählt hat.

Liebe Brüder und Schwestern, heute macht dieses Gotteswort unsere Herzen fruchtbar, und heute scheint die Sonne Jesus Christus in unser Leben! Jesus ist unser König, und er herrscht durch sein Wort. Wir lassen uns dieses Licht einfach ins Gesicht scheinen, so wie man sich an den letzten schönen Sommertagen noch einmal besonders gern in die Sonne setzt. Wir richten uns nach ihm aus, so wie die Blumen ihre Blüten­kelche dem Licht zuwenden. Wir vertrauen in allen Lebenslagen auf Christus und sind gewiss, dass durch ihn alles gut wird. Er ist unsere Freude, er ist unser Leben!

Nun wissen wir aber: Wo Licht ist, da ist auch Schatten. Und wo das helle Licht Christus scheint, da fallen die Schatten und die dunklen Stellen besonders auf. David verschweigt das nicht in seinem letzten Psalm. Er redet von den dunklen Stellen mit dem Bild des Unkrauts, das zusammen mit den erwünschten Pflanzen aufgeht. Christus sagte durch David: „Aber die nichts­würdigen Leute sind allesamt wie verwehte Disteln, die man nicht mit der Hand fassen kann; sondern wer sie angreifen will, muss Eisen und Spieß in der Hand haben; sie werden mit Feuer verbrannt an ihrer Stätte.“ Gemeint sind die Leute, die ihr Gesicht abwenden, wenn das Licht Christus sie bescheinen will, und die sich in einem dunklen Winkel ver­kriechen. Ihre Sünde macht sie un­ausstehlich für Gott und ihre Mit­menschen: Sie gleichen Disteln oder anderen dornigen Gewächsen. Wenn sie sich nicht ändern, sondern in ihrer Gottlosig­keit beharren, dann werden sie am Ende vom Welten­richter verurteilt werden. Ja, am Ende kommt Christus als Richter. Wie ein Bauer das Unkraut aus den Nutz­pflanzen heraushackt und wie ein antiker König mit dem Schwert richtet, so wird Christus dann das Unkraut von den guten Pflanzen scheiden. Disteln und andere piekende Pflanzen fasst man nicht mit der Hand an, sondern entfernt sie mit der Hacke, wie es in Davids Sterbe­prophetie heißt: „Wer sie angreifen will, muss Eisen und Spieß in der Hand haben.“ Jesus selbst hat in seinen Himmelreich-Gleich­nissen vom Unkraut gesprochen, das am Ende, am großen Erntetag, mit Feuer verbrannt wird. Er lehrte zum Beispiel: „Der Menschen­sohn wird seine Engel senden, und sie werden sammeln aus seinem Reich alles, was zum Abfall verführt, und die da Unrecht tun, und werden sie in den Feuerofen werfen, da wird Heulen und Zähne­klappern sein“ (Matth. 13,41‑42). Auch uns würde dieses Schicksal erwarten, wenn uns Christus nicht mit seinem Gnadenlicht angestrahlt und alle Schuld vergeben hätte.

„Mehr Licht!“ sagte Goethe, als er starb. Als David starb, weissagte er von Gottes großem Licht Jesus Christus und vom neuen Bund unter dessen Herrschaft. Gebe Gott, dass wir, wenn wir einmal sterben, sagen können: Danke, Gott, für dein wunderbares Gnaden­licht! Auch wenn ich das Licht der irdischen Sonne bald nicht mehr sehen werde, so bin ich doch gewiss, dass du mich nun hinein­nimmst in die Herrlich­keit deines ewigen Lichts. Wenn wir mit dieser Aussicht unserm Sterben entgegen­gehen, dann können wir bereits an allen Tagen davor, also auch heute schon, fröhlich und getrost leben. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2012.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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