Wie sich ein Christ benimmt

Predigt über Apostelgeschichte 14,8-18 zum 12. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Heute möchte ich euch einfach eine biblische Geschichte erzählen. Sie ist nicht sehr bekannt; den meisten von euch wird sie neu sein. Nun sind ja die Ereignisse aus biblischen Geschichten zeitlich und räumlich sehr weit weg; außerdem sind die äußeren Umstände meistens ganz anders, als wir es gewohnt sind. Trotzdem können wir mit dieser Geschichte erkennen, wie sich ein Christ benimmt – auch für unsere Zeit. Wir können das am Beispiel des Apostels Paulus sehen.

Paulus und Barnabas befinden sich auf ihrer ersten Missions­reise. In Kleinasien, dem Gebiet der heutigen Türkei, kommen sie zur Stadt Lystra. Die Menschen, die dort leben, gehören zum Volk der Lykaonier. Sie haben schon lange ihre Un­abhängig­keit verloren: Erst haben die Griechen ihnen die griechische Kultur auf­gezwungen, und nun sind sie von den all­gegen­wärtigen Römern besetzt. Ein Stückchen Un­abhängig­keit haben sie sich aber trotzdem bewahrt: Wenn sie miteinander reden, dann tun sie es auf Lykaonisch. Wir können sie mit den Sorben ver­gleichen, die in der Lausitz leben und immer noch sorbisch sprechen, obwohl ihr Lebensraum Deutschland ist.

Paulus und Barnabas treffen bei den Lykaoniern in Lystra ein. Sie rufen die Einwohner zusammen, denn sie haben ihnen etwas Wichtiges zu sagen. Neugierig kommen die Menschen zum Ver­sammlungs­platz: Arme und Reiche, Alte und Junge, Gesunde und Kranke. Ein behinderter Mann fällt unter ihnen auf: Er hat ver­krüppelte Beine und kann sich nur mühsam auf Händen fort­bewegen. Während die anderen im Stehen zuhören, kauert er im Sand. Aber wie er zuhört! Gebannt hängen seine Augen an den Lippen des Apostels. Paulus erzählt von Jesus. Er berichtet, dass Jesus ausnahmslos alle Menschen lieb hat und dass ihm besonders diejenigen am Herzen liegen, die von anderen verachtet werden: die Sünder und die Kranken. Paulus erzählt, wie Jesus Sündern vergibt und Kranke gesund macht. Der gelähmte Mann spürt, wie eine Hoffnung in ihm aufkeimt.

Noch nie in seinem Leben hat dieser Mensch gestanden, nie hat er laufen gelernt. Von Geburt an behindert, ist er immer der Kummer seiner Eltern und der Spott seiner Mitmenschen gewesen. Echtes Mitgefühl und die Integration von Behinderten sind in Lystra weitgehend unbekannt – so unbekannt wie Rollstühle und be­hinderten­gerechte Toiletten. Wie gern hätte der Gelähmte als Kind mit Gleich­altrigen herum­getobt! Wie gern wäre er später aufs Feld zur Arbeit gegangen und hätte sich selbst seinen Lebens­unterhalt verdient! All das ist ihm verwehrt. Aber als er hört, dass Jesus besonders die Kranken liebt und bereits viele durch ihn gesund geworden sind, da keimt eine verwegene Hoffnung in ihm auf: Vielleicht könnte es ja geschehen, dass auch er durch diesen Jesus gesund wird…

Paulus merkt, wie ihn der Gelähmte anstarrt, und er kann aus seinem Blick zwei Dinge heraus­lesen: erstens das Leiden an seinem Gebrechen und zweitens den Wunsch, durch Jesus geheilt zu werden. Außerdem weiß Paulus, dass Gott ihm die Gabe verliehen hat, im Namen Jesu Kranke zu heilen. Was liegt da näher, als diese Gabe hier ein­zusetzen? Als Paulus mit seiner Predigt fertig ist, sagt er zu dem Be­hinderten: „Stell dich auf deine Füße!“ Und das Wunder geschieht: Der Mann springt auf; er kann stehen; er kann gehen; er ist gesund.

Liebe Brüder und Schwestern, die Gabe gesund zu machen hat keiner von uns. Trotzdem können wir von Paulus lernen, wie man sich als Christ benimmt. Wir können unsere Mitmenschen ebenso aufmerksam und liebevoll wahrnehmen wie er. Ja, damit fängt christ­liches Verhalten an: Wenn jemand seine Mitmenschen aufmerksam wahrnimmt und nach­empfindet, was in ihnen vorgeht. Empathie nennt man das. Weiter können wir uns überlegen, welche Gaben Gott uns gegeben hat. Wenn wir zu dem Ergebnis kommen, dass wir anderen mit diesen Gaben helfen können, dann sollten wir das ohne zu zögern auch tun. Solche tätige Nächsten­liebe entspricht dem Vorbild des Apostels Paulus, und sie entspricht auch der Liebe unsers Herrn Jesus Christus. Wir haben diese Liebe ja am eigenen Leib erfahren und erfahren sie immer wieder aufs Neue, wenn Jesus uns die Sünden vergibt.

Das Wunder versetzt die Lykaonier aus Lystra in helle Aufregung. So etwas haben sie noch nie erlebt. Was Paulus und Barnabas da vor ihren Augen getan haben, das kann kein Arzt, das kann kein Wunder­heiler. Bedenken wir: Die Heilung ist ohne irgend­welche Therapien oder Zeremonien geschehen, nur durch eine kurze Auf­forderung. Sie ist un­verzüglich erfolgt, ohne langes Trainieren und Laufen-Lernen. Den Lykaoniern ist klar: So ein Wunder kann nur Gott selbst tun. Das heißt: Eigentlich kennen sie Gott überhaupt nicht, sondern sie glauben an die im­portierten Götzen der Griechen, die auch die Römer übernommen haben. So meinen sie, dass zwei von diesen Göttern menschliche Gestalt angenommen und sie besucht haben, um dieses un­glaubliche Wunder vor ihren Augen zu tun. Weil Paulus am meisten redet, halten sie ihn für den Botengott Hermes, und weil Barnabas würdevoll schweigend daneben steht, denken sie, dass er der Obergott Zeus ist. Aufgeregt reden die Lykaonier durch­einander und sagen: „Die Götter sind den Menschen gleich geworden und zu uns herab­gekommen!“ Natürlich sprechen sie dabei Lykaonisch. Nun ist Paulus ein sehr gebildeter Mann und beherrscht mehrere Sprachen, aber Lykaonisch ist nicht darunter. Auch Barnabas ist des Lyka­onischen nicht mächtig. Beide haben also keine Ahnung, was die Leute da so aufgeregt miteinander besprechen. Sie sehen nur, wie einige sich auf den Weg zum nahe gelegenen Zeustempel machen. Bald darauf bildet sich eine merkwürdige Prozession: Einige Stiere, mit Blumen­kränzen geschmückt, werden vom Zeus­priester zu Paulus und Barnabas geführt. Das Volk von Lystra begleitet sie und verbeugt sich dabei huldigend vor den beiden Missio­naren. Nun dämmert es ihnen, was hier geschieht: Die Lykaonier denken, sie sind Götter, und wollen ihnen opfern! Sie kriegen einen Riesen-Schreck: Das geht doch nicht! Sie sollen doch lernen, den einen wahren Gott zu ehren, nicht heidnische Götzen und schon gar nicht sie selbst, die beiden Missionare. Als Zeichen ihrer Bestürzung reißen sie ihre Ober­gewänder ein, wie es Brauch ist. Dann schreien sie gegen den Lärm der Menge an: „Ihr Männer, was macht ihr da? Wir sind auch sterbliche Menschen wie ihr und predigen euch das Evangelium, dass ihr euch bekehren sollt von diesen falschen Göttern zu dem lebendigen Gott…“ Paulus und Barnabas handeln vorbildlich in christ­licher Demut.

Liebe Brüder und Schwestern, menschlich gesehen wäre so eine Ver­wechslung gar nicht übel; es ist bestimmt sehr angenehm, göttlich bewundert und bewirtet zu werden. Aber das wäre nun wirklich kein christ­liches Benehmen. Christlich ist es vielmehr, alle Ehrungen zurück­zuweisen, die einem nicht gebühren. Christ­liches Benehmen ist von Demut geprägt. Die Devise lautet: Ich bin nichts, Gott ist alles! Das gilt auch dann, wenn man nicht für göttlich gehalten wird. Es gilt zum Beispiel, wenn man Ehrungen empfängt, die einem nicht zustehen: Ein Christ wird da sofort deutlich Einspruch erheben. Und es gilt auch, wenn verdiente Ehrungen in einen Personen­kult umschlagen, bei dem für Gottes Ehre nicht mehr viel Raum bleibt. Wenn ein Christ für irgend­welche Taten geliebt und bewundert wird, dann wird er immer versuchen deutlich zu machen, dass diese Ehre in Wahrheit Gott gebührt. Alles, was wir gut machen und was uns gelingt, ist ja Gottes Gabe; letztlich gebührt nur ihm die Ehre dafür.

Paulus versucht, den Lykaoniern noch mehr klar zu machen. Er fordert sie auf, sich von den falschen Göttern zu dem einen lebendigen Gott zu bekehren, der alles geschaffen hat und von dem alle gute Gabe kommt. Paulus versucht, weiter­zupredigen und den Lykaoniern die Wahrheit zu bezeugen. Auch das gehört zum christ­lichen Benehmen: dass wir Gelegen­heiten nutzen, anderen Menschen etwas von dem einen lebendigen Gott zu sagen. Wir sollten dieses Zeugnis auch dann geben, wenn menschlich wenig Hoffnung besteht, dass die Hörer es annehmen. Wir können freilich nur reden, wir können andere Menschen nicht zum Glauben bringen, das kann nur der Heilige Geist. Auch Paulus und Barnabas müssen das erfahren. Der biblische Bericht von der Heilung in Lystra schließt mit den Worten: „Obwohl sie das sagten, konnten sie kaum das Volk davon abbringen, ihnen zu opfern.“

Liebe Brüder und Schwestern, lasst uns vier Dinge mitnehmen aus dieser Geschichte für unser christ­liches Benehmen: erstens liebevoll offene Augen für unsere Mitmenschen und ihren Kummer, zweitens ein beherztes Einsetzen unserer von Gott empfangenen Gaben, drittens Demut und Verweisen auf Gottes Ehre, viertens das Zeugnis für den einen wahren Gott. Ja, so wolllen wir uns verhalten – egal ob wir damit Erfolg haben oder nicht. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2012.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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