Wer hat Macht?

Predigt über Lukas 19,47b‑48 zum 10. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Was wird aus Griechen­land? Was wird aus dem Euro? Was wird aus der Euro­päischen Union? Solche Fragen stellen jetzt viele – im Stillen auch diejenigen, nehme ich an, die zu­versicht­lich Lösungs­vorschläge machen oder Prognosen in die Welt setzen. Aber wer hat es eigentlich in der Hand, was aus Europa wird? Wer kann da was machen? Machen kann nur der etwas, der Macht hat. Sind das alle Politiker? Oder nur die Politiker bestimmter Länder? Oder das Volk, von dem ja in einer Demokratie alle Macht ausgehen soll? Oder die Meinungs­macher der Massen­medien? Oder diejenigen, die über großes Kapital verfügen? Oder am Ende – Gott?

Wir vergleichen das jetzt mal mit der Situation, von der unser Predigttext spricht. Die Frage­stellung lautete damals: Was wird aus Jesus? Der Zimmerman aus Nazareth war öffentlich in Erscheinung getreten, hatte gewaltig gepredigt, hatte mit Heilungen und anderen Wundertaten das Volk in Erstaunen versetzt. Zuletzt hatte er alle Geschäfte­macher aus dem Tempel vertrieben und dazu Gottes Wort zitiert: „Mein Haus soll ein Bethaus sein“ (Lukas 19,46). Einige Leute waren begeistert von ihm, andere waren empört, wieder andere waren un­schlüssig: Wer ist dieser Jesus – ein Heiliger, ein Spinner, ein Volks­verhetzer? Und: Was wird nun aus ihm? Muss er bestraft werden? Soll man ihn weiter­machen lassen? Wäre er nicht sogar ein guter Kandidat als König? Und wer hat es in der Hand, etwas mit ihm zu machen? Ja, wer hat Macht über ihn?

Hatten die jüdischen Würden­träger Macht über Jesus? Zumindest bildeten sie sich das ein. Es steht ge­schrieben: „Die Hohen­prieser und Schrift­gelehrten und An­gesehensten des Volkes trachteten danach, dass sie ihn um­brächten.“ Ihr Urteil war eindeutig: Jesus ist ein Aufrührer und Gottes­lästerer, deshalb muss er hin­gerichtet werden. Aber genau an dieser Stelle fand ihre Macht eine Grenze: Sie durften nicht selbständig Todes­urteile voll­strecken, denn ihr Land wurde von den Römern kon­trolliert.

Hatten also die Römer Macht über Jesus? Zwar hatte die römische Besatzungs­macht nicht das hohe Ansehen wie der jüdische Hohe Rat, aber sie hatte Waffen und Soldaten. Mit dieser Macht machten die Römer Welt­politik. Sie hatten bis dahin all das gemacht, was sie machen wollten; niemand konnte sie aufhalten. Trotzdem: Als Jesus ein paar Tage später als Angeklagter vor dem römischen Statthalter Pontius Pilatus stand, da sagte er mutig zu ihm: „Du hättest keine Macht über mich, wenn es dir nicht von oben her gegeben wäre“ (Joh. 19,11). Meinte Jesus damit den mächtigen Kaiser in Rom? Oder meinte er seinen noch mächtigeren Vater im Himmel?

Aber die jüdischen Würden­träger sahen noch ein anderes Hindernis für ihre Macht­ausübung. Es steht ge­schrieben: „Sie fanden nicht, wie sie es machen sollten; denn das ganze Volk hing ihm an und hörte ihn.“ Zwar war die jüdische Volks­gemeinschaft keine Demokratie, aber doch fürchteten ihre Machthaber die Meinung der Mehrheit offenbar ebenso, wie Politiker es heute vor Wahlen tun. Hatte also in Wahrheit das Volk die Macht? Konnten sie mit De­monstrations­zügen und großem Geschrei etwas mit Jesus machen? Konnten etwa ihre „Hosianna“-Rufe beim Einzug in Jerusalem Jesus zum König machen? Oder waren es ihre „Kreuzige“-Rufe am Karfreitag, die Jesu Hinrichtung herbei­führten?

Da merken wir: Die Mehrheit mit ihrer Meinung ist ein schwanken­des Rohr. Oft weiß die Mehrheit nicht genau, was sie machen soll, und lässt sich heute so und morgen anders be­einflussen. Man braucht nur geschickte Ein­flüsterer, Demagogen, Populisten und Meinungs­macher, dann kann man die Volks­meinung dahin drehen, wo man sie haben will. Hatten damals also in Wahrheit solche Meinungs­macher Macht über Jesus? Das wären dann die Leute um den Hohen­priester Kaiphas gewesen, denn die sorgten dafür, dass die Meinung der Menge binnen weniger Tage von „Hosianna“ nach „Kreuzige“ umschlug.

Vielleicht (aber das ist jetzt pure Speku­lation) war ja auch Bestechung im Spiel. Vielleicht gaben Reiche, die sich über Jesus geärgert hatten, einigen Rädels­führern Geld, damit sie das Volk ent­sprechend umstimmen. Vielleicht steckten welche von den Händlern dahinter, die Jesus aus dem Tempel geworfen hatte und die nun wütend auf ihn waren. Hatte also möglicher­weise schon damals das Kapital die Macht – auch über Jesu Ergehen?

Nein, nichts von alledem, jedenfalls nicht wirklich. Wenn wir uns über die Macht ver­schiedener Menschen Gedanken machen, dann kratzen wir nämlich nur an der Oberfläche. Die Bibel lässt keinen Zweifel daran, dass nichts gegen Gottes Willen geschieht und dass somit letztlich nur er die Macht hat; darum heißt er auch der All­mächtige. Jesus selbst hat in seiner un­nachahm­lichen Art gepredigt, dass kein Mensch ein einziges Haar an seinem Körper schwarz oder weiß machen kann ohne Gottes Willen (man kann es höchstens einfärben). Jesus hat auch gesagt, dass kein Spatz vom Baum fällt, wenn Gott es nicht zulässt. Und so hatte letztlich auch nur der himmlische Vater Macht über das, was aus Jesus wurde. Als „seine Zeit noch nicht gekommen war“, wie es in der Bibel mehrfach formuliert ist, da hätten die jüdischen Würden­träger sich auf den Kopf stellen können, sie wären ihn nicht los­geworden. Auch römische Legionen sind gegen Gottes Willen machtlos, auch Volksmassen und Wutbürger und Meinungs­macher und Demagogen und das große Kapital. Niemand konnte Jesus etwas anhaben, solange des Vaters Hand schützend über ihm war. Erst als die Zeit gekommen war, dass er die Menschheit am Kreuz erlösen sollte, da gab Gott grünes Licht zu seinem Tod. Ja, da benutzte Gott die jüdischen Würden­träger, da befehligte er römische Soldaten, da pfiff er das Volk herbei, um sein großes Erlösungs­werk zu vollenden.

Das ist noch heute so, und das wirkt sich bis in unser Alltags­leben aus: Gott hat alle Macht im Himmel und auf Erden. Freilich: Sehen können wir nicht viel von dieser Macht. Auch als Jesus starb, konnte man nicht erkennen, dass da der ein­geborenen Sohn des all­mächtigen Gottes am Kreuz hängt. Gottes Macht ist ebenso noch heute oft genug unter dem Anschein der Ohnmacht verborgen. Für den einen mag es Krankheit sein, für den zweiten beruflicher Misserfolg, für den dritten das Leiden an der Kirche und ihrem armseligen Zustand – Gottes Macht kann man meistens nicht direkt sehen. Wir sollen sie auch gar nicht sehen, denn wir sollen sie glauben. Wir sollen blind darauf vertrauen: Gott hat die Macht; Gott macht ganz viel Gutes; Gott kann alles machen – nur keine Fehler! Diesen Glauben bekennen wir darum auch Sonntag für Sonntag: „Ich glaube an Gott, den All­mächti­gen…“

Lasst uns also nicht darüber grübeln, welche Menschen denn nun wie viel oder wie wenig Macht haben! Lasst uns auch nicht an Gottes Macht zweifeln, selbst wenn wir wenig davon merken! Lasst uns vielmehr unser ganzes Vertrauen auf unsern Herrn setzen – im Großen wie im Kleinen, im persön­lichen Leben wie in der Europa­politik! Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2012.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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