Beten ohne Scheuklappen

Predigt über Psalm 25,1‑11 zum Sonntag Reminiszere

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Glauben heißt beten, und beten heißt glauben, das können wir von David lernen. David hat uns in den eben gehörten Versen des 25. Psalms vorgemacht, was es heißt, betend zu glauben und glaubend zu beten. Zwei Dinge wechseln sich ständig ab in diesem Psalmgebet: Bitte und Bekenntnis. David bat: „Lass meine Feinde nicht frohlocken über mich!“ Und er bekannte: „Keiner wird zuschanden, der auf dich harrt.“ Und er bat weiter: „Zeige mir deine Wege!“ Und er bekannte: „Du bist der Gott, der mir hilft.“ Und er bat weiter: „Gedenke nicht der Sünden meiner Jugend!“ Und er bekannte: „Der Herr ist gut und gerecht.“ Und er bat weiter: „Vergib mir meine Schuld, die so groß ist!“ Wer bittet, der gibt zu, dass er sich nicht selbst helfen kann, sondern dass er Gottes Hilfe nötig hat. Das ist ein wesent­licher Teil unseres Glaubens: erkennen, dass wir uns nicht selbst helfen können, sondern Gottes Hilfe brauchen. Und wer bekennt, der spricht Gott sein Vertrauen aus. Er ist zu­versicht­lich, dass Gott helfen kann, helfen will und helfen wird. Auch das ist ein wesent­licher Bestand­teil des Glaubens: zu­versicht­lich auf Gottes Hilfe vertrauen. Ja, Glauben heißt beten, bitten und bekennen. Lasst uns das von David lernen und lasst uns dann seinem Beispiel folgen.

Wenn wir genauer darauf achten, was David gebeten und bekannt hat, dann stellen wir fest: David hat seine Vergangenheit, seine Gegenwart und seine Zukunft in Gottes Hand gelegt. Im Blick auf seine Vergangen­heit bat er um Vergebung der Sünden, aus­drücklich auch „der Sünden seiner Jugend“. Was es mit diesen Jugend­sünden auf sich hat, werden wir gleich noch sehen. Im Blick auf seine Gegenwart bat er um Bewahrung, aus­drücklich auch um Bewahrung vor seinen Feinden. Welche Feinde er damit meinte, werden wir ebenfalls gleich noch sehen. Um im Blick auf seine Zukunft bat er Gott um Wegweisung. Diese dreifache Blick­richtung beim Beten ist vorbild­lich; da können wir viel von David lernen. Denn wir stehen beim Beten ja immer wieder in der Gefahr, dass wir zeitliche Scheu­klappen aufsetzen. Mancher brave Lutheraner betet nur rückwärts­gerichtet um Vergebung der Sünden, will aber die Zukunft selbst in die Hand nehmen. Mancher kranke Christ hat nur das eine Anliegen, jetzt in der Gegenwart schnell gesund zu werden, und blendet dabei Vergangen­heit und Zukunft aus. Und es gibt auch die Beter, die nicht über vergangene Sünden nachdenken wollen, sondern nur darum bitten, dass Gott ihnen den Weg in die Zukunft ebnet. Lernen wir jetzt also von David, ohne Scheu­klappen zu beten!

Da ist erstens Bitte und Bekenntnis mit Blick auf die Vergangen­heit. David bat: „Gedenke nicht der Sünden meiner Jugend“, und: „Vergib mir meine Schuld, die so groß ist“. Von diesem Psalmwort stammt der Begriff „Jugend­sünden“. Allerdings denkt man da heute allgemein wahr­scheinlich an ganz andere Sünden als David damals. Bei Jugend­sünden denkt man heute an Sex, Alkohol­exzesse oder Mode­torheiten. Davids Jugend sah ein bisschen anders aus: David lebte viele Jahre seiner Jugend als Bandenchef in der Steinwüste im südlichen Judäa. Er hauste zusammen mit seinen Kumpanen in Höhlen. Sie verdienten ihren Lebens­unterhalt als privater Sicherheits­dienst – aber böse Zungen könnten behaupten, dass sie Schutzgeld­erpresser waren. Die Bibel berichtet sehr offen und nüchtern, dass es dabei manche Leiche gab. Noch im Alter hat David selbst­kritisch davon geredet, dass an seinen Händen Blut klebt von den vielen Kämpfen und Schlachten, in die er verwickelt war. Zu seiner Ent­schuldigung muss allerdings gesagt werden, dass er dieses Leben keineswegs freiwillig auf sich genommen hatte, sondern dass er sich vor dem Jähzorn des damaligen Königs Saul in Sicherheit bringen musste. Dennoch: Es waren blutige Sünden, die Davids Jugend über­schatteten. Es gehörte viel Mut und Gott­vertrauen dazu, angesichts solcher Sünden um Vergebung zu bitten. David bat: „Gedenke meiner nach deiner Barm­herzig­keit, Herr, um deiner Güte willen!“ Und er bekannte zu­versicht­lich: „Der Herr ist gut und gerecht.“ Mit „gerecht“ meinte David nicht die vergeltende Gerechtig­keit des göttlichen Gesetzes, sondern die vergebende Gerechtig­keit, die Gott dem Glaubenden zurechnet. Es ist genau jene Glaubens­gerechtig­keit, die dann im Evangelium von Jesus Christus völlig offenbar geworden ist, die die Apostel verkündigt haben und die Martin Luther im 16. Jahr­hundert wieder­entdeckt hat.

Nun sind wir Gott sei Dank nicht von solchen Jugend­sünden belastet, wie David es war. Wir leben in einem Land und in einer Zeit, wo es ein hohes Maß an Recht und Ordnung gibt. Aber unser Leben steht unter dem Anspruch des Schöpfers, dass wir unseren Nächsten lieben sollen wie uns selbst. Alles Gute sollen wir ihm gönnen und tun, wie wir es selbst von den anderen Menschen erwarten. Wenn wir uns das klar machen, werden bestimmt auch uns Jugend­sünden einfallen. Wie oft habe ich als Schüler mitgemacht, wenn es galt, Lehrer zu ärgern oder unbeliebte Mitschüler. Das ging dann manchmal über den Bereich eines harmlosen Streichs hinaus und muss dem anderen richtig weh getan haben in seiner Seele. Kinder sind grausam, und Jugendliche auch. Mit zunehmendem Alter kann es besser werden, weil man dann nämlich selbst schon oft geärgert wurde und weiß, wie weh das tun. Grund­sätzlich aber gilt im Blick auf alle hinter uns liegenden Sünden, egal ob man sie nun als Jugend­sünden bezeichnet oder nicht: Wir können das im Gebet nur Gottes Gnade anbefehlen, sonst sind wir verloren, sonst können wir in Gottes Gericht nicht bestehen. Zugleich aber dürfen wir im Vertrauen auf unsern Herrn Jesus Christus zu­versicht­lich wie David bekennen: „Der Herr ist gut und gerecht.“ Das heißt: Er macht mich gerecht, er recht­fertigt mich um des Sühnopfers am Kreuz willen.

Zweitens ist da Davids Bitte mit Blick auf die Gegenwart. David bat: „Lass mich nicht zuschanden werden, dass meine Feinde nicht frohlocken über mich.“ Davids Feinde waren mörderische Feinde. Mehrmals zog der jähzornige König Saul mit seinen Soldaten aus, um David zu suchen und zu töten. Saul war rasend vor Eifersucht, weil er immer deutlicher spürte, dass dieser Hirtenjunge aus Bethlehem ihm auf dem Thron folgen würde und nicht sein eigener Sohn. Mehrmals befand David sich in un­mittel­barer Lebens­gefahr. Da wird sein Herz bis zum Hals geschlagen haben, und da hat er dann bei Gott gebettelt und gefleht: „Lass mich nicht zuschanden werden!“ Zugleich bekannte er zu­versicht­lich: „Keiner wird zuschanden, der auf dich harrt.“

Unser Leben ist heute rundum weitgehend ab­gesichert. Trotzdem kann es auch uns jederzeit geschehen, dass wir in Lebens­gefahr geraten. Oder es kann schnell so kommen, dass wir im Wartezimmer des Arztes sitzen und uns das Herz bis zum Hals schlägt in Erwartung der Diagnose. Da ist es dann gut, wenn wir wie David ein Stoßgebet zum Himmel schicken: „Lass mich nicht zuschanden werden!“ Da ist es dann gut, wenn wir uns auf Gottes Zusage besinnen und vertrauens­voll wie David bekennen: „Keiner wird zuschanden, der auf dich harrt.“ Aber auch wenn wir kerngesund sind und keine Gefahr unseren Leib bedroht, so gibt es doch verborgene Feinde, die uns täglich nach dem Leben trachten: der Teufel und die bösen Geister in seinem Gefolge. Man kann ihnen keinen größeren Gefallen tun als ihre Existenz ab­zustreiten, wie es heute vielfach geschieht. Denn wenn die Leute nicht mehr an die Existenz des Teufels glauben, dann sind sie nicht mehr auf der Hut vor ihm, und er kann sie desto leichter ums ewige Leben bringen. Es ist so, wie wenn David nicht für möglich gehalten hätte, dass Saul ihn wirklich verfolgt und umbringen will. David wäre dann nicht geflohen und hätte sich nicht in Höhlen versteckt gehalten, und Saul hätte leichts Spiel mit ihm gehabt. Unter­schätzen wir nur nicht den Teufel und seine mörderische Absicht! Er ist hinter unserer Seele ebenso her, wie der jähzornige Saul hinter David her war.

Drittens ist da Davids Bitte mit Blick auf die Zukunft. David bat: „Herr, zeige mir deine Wege und lehre mich deine Steige!“ Zwar war er schon als Hirtenjunge heimlich zum König gesalbt worden durch Samuel, aber in der Verfolgungszeit konnte er sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie sein Königtum Wirklich­keit werden sollte. Solange Saul lebte, sah er keinen Ausweg aus seinem Banden- und Vagabunden­leben. Aber er bat Gott, ihn Schritt für Schritt zu führen. David verlangte nicht von Gott, dass er ihm einen großen Lebensplan offenbart, er wollte lediglich Tag für Tag von ihm geleitet werden. Und er war zu­versicht­lich, dass Gott das auch tun würde. Er bekannte: „Du bist der Gott, der mir hilft; täglich harre ich auf dich.“ Diese Hoffnung wurde nicht enttäuscht. Mit vierzig Jahren wurde David König, wie Gott es ihm verheißen hatte.

Die meisten jungen Leute planen ihre Zukunft heute weiter als David. Es ist ja auch nowendig, dass man für Schule und Ausbildung eine längeren Atem hat als nur bis zum nächsten Tag. Auch in späteren Jahren blicken wir meistens weiter. Ich könnte zum Beispiel ohne meinen Termin­kalender gar nicht arbeiten; da plane ich für viele Monate im Voraus. Gerade dabei aber ist es wichtig, Gott immer wieder um Wegweisung zu bitten: „Herr zeige mir deine Wege und lehre mich deine Steige!“ Es kann ja sein, dass meine Pläne Gott nicht gefallen oder dass er etwas anderes, Besseres für mich im Sinn hat. Glauben heißt auch bereit sein, sich von Gott einen Strich durch alle eigenen Pläne machen zu lassen – und zwar im vollen Vertrauen darauf, dass das nicht schädlich, sondern hilfreich ist: „Du bist der Gott, der mir hilft; täglich harre ich auf dich.“ So vertraue ich darauf, dass Gott mir Schritt für Schritt einen guten Weg durchs Leben zeigt. Und ich vertraue darauf, dass dieser Weg an das herrliche Ziel fühlt, dass er mir bereits mit meiner Taufe zugesagt hat: „Wer da glaubt und getauft wird, der wird selig werden“ (Markus 16,16). Ja, ich vertraue darauf, dass Gott es auch bei mir so macht wie bei David, der bereits als Hirtenjunge zum König gesalbt wurde und dann, nach abenteuer­lichen Wegen unter Gottes Führung, zu königlichem Glanz gelangte. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2012.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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