Gethsemane

Predigt über Lukas 22,39‑44 in einer Passionsandacht

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Immer wenn Jesus sich in Jerusalem aufhielt, über­nachtete er mit den Jüngern im Vorort Betanien bei seinen Freunden Lazarus, Maria und Marta. Betanien liegt etwa eine halbe Stunde Fußweg von Jerusalem entfernt. Der Weg von Jerusalem nach Betanien führt durch das Kidrontal – das Bachtal, das einen tiefen Einschnitt zwischen dem Tempelberg im Westen und dem Ölberg im Osten bildet. Zu Jesu Zeiten berührte dieser Weg eine Plantage von Oliven­bäumen am Fuß des Ölbergs. Hier standen viele der markanten Ölbäume, wuchtig und gedrungen. In Palästina ist der Ölbaum der Gartenbaum mit der größten Ver­breitung. Sein Holz ist uns bekannt durch die stark gemaserten Schnitz­figuren aus Israel, die man auch auf deutschen Weihnachts­märkten kaufen kann. Die Oliven, die Früchte des Ölbaums, kann man essen; aber vor allem sind die Steine dieser Früchte begehrt, denn wenn man sie unter hohem Druck kalt auspresst, dann erhält man das kostbare Olivenöl. Es wurde nicht nur zum Kochen und Backen benutzt, sondern auch als Lampenöl, zum Salben und für kosmetische Produkte. Direkt in der Plantage am Fuße des Ölbergs, die am Weg nach Betanien lag, gab es deshalb auch eine Ölmühle beziehungs­weise Ölpresse. Nach ihr war der ganze Olivenhain benannt worden; er hieß „Geth­semane“ – zu deutsch „Ölpresse“.

Tagsüber herrschte in Gethsema meist ge­schäftiges Treiben, denn diese Plantage war ja ein Arbeits­platz, nicht ein Park oder ein Garten, der zum bloßen Vergnügen angelegt worden war. Abends aber, wenn es dunkel war, lag Gethsemane einsam und verlassen da. So kam es, dass Jesus diesen Ort immer wieder gern aufsuchte, wenn er sich nach einem langen Tag im Tempel auf dem Rückweg nach Betanien befand. Im Tempel war stets ein großes Gewimmel; viele Menschen drängten sich zu Jesus, um ihm zuzuhören, ihm aufzulauern oder von ihm geheilt zu werden. In Betanien aber warteten viele Freunde auf Jesus, um noch bis in die Nacht hinein mit ihm zu reden. Da war es gut, dass es auf dem Weg dazwischen eine Oase der Ruhe für Jesus und seine Jünger gab: Gethsemane, die Oliven­plantage. Wie gesagt, es war ihnen eine liebe Gewohnheit geworden, dort abends auf dem Rückweg ein wenig zu rasten und zu beten. Jesus suchte ja immer wieder die Einsamkeit, um ungestört mit seinem Vater im Himmel reden zu können. So war es auch in der Woche nach dem triumphalen Einzug in Jerusalem – in der Woche seines Todes.

Am Donnerstag­abend hatte Jesus mit seinen Jüngern in Jerusalem das Passamahl gehalten. Spät war es geworden. Er hatte das Heilige Abendmahl gestiftet und ausführlich über das geredet, was ihm nun unmittelbar bevorstand. Er sah die schreck­lichen Leiden, die auf ihn warteten, ganz klar vor sich. Dann hatte er mit seinen Jüngern einen Dankpsalm gesungen und sich in Richtung Ölberg auf den Weg gemacht. Wieder lenkten ihn seine Schritte nach Gethsamene, dem Ölbaum-Wäldchen – zum letzten Mal. Dieses Mal wollte Jesus ganz allein beten und wies seine Jünger daher an, einen Steinwurf weit zu warten; dort sollten sie für sich beten. Als Jesus sich nieder­gekniet hatte, fühlte er den ungeheuren Druck der kommenden Ereignisse auf sich lasten. Es war so, als ob seine Seele sich in einer riesigen Presse befand – hier am Ort der Ölpresse. Und wie der Teufel ihn einst in der Einsamkeit der Wüste versucht hatte, so versuchte er ihn nun wieder in der Einsamkeit von Gethsemane. Er wird dem Herrn ein­geflüstert haben: Steig aus, noch ist es nicht zu spät! Du bist doch Gottes Sohn! Du hast solches Leiden und Sterben nicht verdient; du bist doch kein Sünder! Niemand zwingt dich! Weise diesen Leidens­kelch einfach zurück! Unter diesem Ver­suchungs­druck schwitzte Jesus Blut. „Sein Schweiß wurde wie Bluts­tropfen“, heißt es. So heftig produzierte sein Körper Angst­schweiß, dass er ihm nicht nur über den Körper rann, sondern in dicken Tropfen wie Blut zur Erde fiel – an der Stelle, wo sonst Olivenöl aus der Presse floss.

Unter dem Einfluss solcher Versuchung betete Jesus: „Vater, willst du, so nimm diesen Kelch von mir!“ Indem er so betete, überwand er die Versuchung. Denn er weigerte sich ja nicht, den schweren Weg weiter­zugehen, sondern stellte es ganz seinem Vater anheim. „Vater, willst du“, betete er, und fuhr dann fort: „Nicht mein, sondern dein Wille geschehe!“ Wie es einst in der Wüste gewesen war, als ihn der Teufel versuchte, so war es dann auch in Gethsemane: Jesus stellte den Willen des Vaters über seinen eigenen Willen. Der Gehorsam dem Befehl des Vaters gegenüber war ihm wichtiger als sein per­sönliches Wohl­ergehen. Ja, daran hielt Jesus auch noch in der Leidens­presse Gethsemane fest.

Nun hat der himmlische Vater seinem Sohn das Leiden und Sterben zwar nicht erspart, aber er hat dennoch sein Gebet erhört. Noch in Gethsemane half er ihm aus seiner Angst heraus. Er schickte Jesus einen Engel, der ihn stärkte. So kam es, dass Jesus dann an­schließend bei seiner Gefangen­nahme ganz ruhig und gefasst war. Das ist ein schöner Trost für uns alle, wenn wir Leiden auf uns zukommen sehen: Es mag sein, dass Gott sie uns nicht erspart, aber wenn wir ihn bitten, wird er uns auf alle Fälle stärken, sodass wir sie ertragen können.

Es ist wohl kein Zufall, dass dieses wichtige Ereignis auf Jesu Leidensweg in einer Plantage von Oliven­bäumen bei einer Ölmühle geschah. Mit Olivenöl wurden zu biblischer Zeit Könige, Priester und Propheten für ihr Amt gesalbt. Jesus ist der eine Gesalbte, der diese drei Ämter in ihrer Vollendung auf sich vereint: König, Priester und Prophet. Er ist der Gesalbte, der Messias, der Christus. Er ist durch Leiden und Tod gegangen, um uns mit dem himmlischen Vater zu versöhnen. Es ist so, wie Jesaja prophezeit hat: „Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten“ (Jes. 53,5). Daran kann uns nicht zuletzt ein Zweig vom Olivenbaum erinnern mit seinen länglichen harten Blättern. Einen solchen Zweig trug einst eine Taube im Schnabel, die zu Noah in der Arche zurück­kehrte und ihm auf diese Weise das Ende der Sintflut ankündigte. Gott sagte damals: „Ich will hinfort nicht mehr die Erde verfluchen um der Menschen willen; denn das Dichten und Trachten des mensch­lichen Herzens ist böse von Jugend auf“ (1. Mose 8,21). So wurde der Ölzweig mit der Taube zum Symbol des Friedens – eigentlich des Friedens zwischen dem heiligen Gott und den in Sünde gefallenen Menschen. Für diesen Frieden ist Jesus am Kreuz gestorben. In der Ölbaum­plantage Gethsemane hat der Gottessohn die Versuchung überwunden und Zuversicht gewonnen, diesen schweren Weg zu Ende zu gehen – aus Gehorsam zum Vater und aus Liebe zu uns. „Tausend‑, tausendmal sei dir, / liebster Jesu, Dank dafür.“ Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2012.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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