Was vergeht und was bleibt

Predigt über Markus 13,31‑32 zum 1. Advent

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Was haben ein Advents­kranz und ein Fahrrad­reifen gemeinsam? Klarer Fall: Beide sind ringförmig. Der Fahrrad­reifen ist ringförmig, damit er rollen kann; jede Umdrehung bringt das Rad ein Stück weiter. Der Advents­kranz sym­bolisiert das Kirchenjahr mit seinem Kreislauf der stets wieder­kehrenden kirchlichen Feste und Festzeiten; dabei rollt die Welt von Kirchenjahr zu Kirchenjahr immer weiter durch die Zeit. Kreislauf und Fort­schritt, diese beiden Dinge haben Advents­kranz und Fahrrad­reifen gemeinsam. Kreislauf und Fortschritt sind ja überhaupt charakte­ristisch für unser Menschen­leben und für den Lauf der Welt. Vieles wiederholt sich in steten Kreis­läufen, aber zugleich bleibt nichts so, wie es war. Ein Mensch erlebt viele Male Frühling, Sommer, Herbst und Winter, aber zugleich wird er jedesmal ein Jahr älter und lässt Mitmenschen und Erlebnisse unwieder­bringlich in der Ver­gangen­heit zurück. Unser Erball umkreist schon seit vielen tausend Jahren die Sonne auf einer festen Bahn, aber rast dabei doch zusammen mit der Sonne und dem ganzen Weltall seinem Ende entgegen.

Die Advenstzeit rückt dieses Voranrollen in unser Bewusst­sein. Advent heißt „Ankunft“; damit ist vor allen Dingen das Kommen unseres Herrn Jesus Christus am Ende der Zeit gemeint. Er kommt am Ende aller Zukunft auf uns zu, weil wir uns im Strom der Zeit auf ihn zubewegen. Wir können darum Advent auch mit „Zukunft“ übersetzen: Jesus und sein Reich ist das, was bleibt, wenn die vor uns liegende Zukunft vollständig durchrollt sein wird. Die Adventszeit nötigt uns also letztlich dazu, dass wir uns der Frage stellen: Was vergeht und was bleibt? Jesus selbst hat diese Frage klar be­antwortet; sie liegt uns in unserem Predigttext vor: „Himmel und Erde werden vergehen; meine Worte aber werden nicht vergehen.“

Was vergeht also? Himmel und Erde vergehen. Der Himmel und die Erde nämlich, die Gott am Anfang geschaffen hat. Es ist der Lebensraum, in dem wir uns jetzt befinden: die Erdkugel, auf der wir herum­krabbeln, der Lufthimmel über uns mit den Wolken und auch die un­vorstell­baren Weiten des Weltalls mit den Milliarden von Sternen. Gott wird der gesamten materiellen Welt einmal ein Ende bereiten, so wie man ein aus­gelesenes Buch zuklappt oder wie man ein baufälliges Haus abreißt. Ja, „Himmel und Erde werden vergehen“, wenn Jesus wieder­kommen wird, zu richten die Lebendigen und die Toten.

Und was bleibt dann? Jesus sagte: „Meine Worte werden nicht vergehen.“ Da müssen wir genauer hinschauen. Wenn Himmel und Erde vergehen, wird natürlich keine einzige Bibel mehr übrig bleiben. Auch Kanzeln wird es nicht mehr geben, von denen herab Prediger die Worte Jesu ver­kündigen. Was also bleibt von Jesu Worten? Bleiben wird nur ihr Inhalt – das, was sie sagen. Und was sagen die Worte Jesu? Kurzgefasst Folgendes: Wer durch Taufe und Glaube zu ihm gehört, der wird ewig bei ihm leben. Bleiben wird Jesus, bleiben werden auch die Seinen, und sie werden mit erneuertem Leib in die ewige Seligkeit eingehen. Es ist so, wie wenn Gott uns ein neues Haus baut, nachdem er das alte abgerissen hat. Gott hat ja wirklich ver­sprochen: „Ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen“ (Jesaja 65,17). Was also bleibt? Das, was Gott in seinem Wort versprochen hat. Sein Wort wird insofern nicht vergehen, als dass sich am Jünsten Tag vollständig erfüllen wird, was es heute schon verspricht. Hört noch einmal die Verheißung des Herrn: „Himmel und Erde werden vergehen; meine Worte aber werden nicht vergehen.“

Wer das berühmte Hohelied der Lied aus dem 1. Ko­rinther­brief gut kennt, ist jetzt vielleicht verwirrt. Da steht nämlich etwas anderes, das bleiben wird: „Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen“ (1. Kor. 13,13). Es ist allerdings nur von der Wortwahl her etwas anderes; von der Sache her ist es dasselbe, was Jesus gesagt hat. Denn genau das, was der christliche Glaube glaubt und was die christliche Hoffnung hofft, ist das, was Jesus in seinem Evangeliums­wort versprochen hat. Ebenso, wie der Inhalt von Jesu Wort bleiben wird, so wird auch das von uns Christen Geglaubte und Erhoffte bleiben. Und die Liebe? Die Liebe nimmt eine Sonder­stellung ein; sie ist „die größte unter ihnen“. Denn die Liebe wird unverändert fort­bestehen als kontinu­ierlicher göttlicher Strom durch unsere Zeit hindurch bis in alle Ewigkeit. Sie bleibt nicht nur in Form ihres Objekts bestehen, des geliebten Gottes nämlich und der von ihm geliebten Menschen. Vielmehr wird auch im Himmel ungebrochen weiter­geliebt werden. Gottes Liebe wird uns da ebenso umgeben wie in der jetzigen Welt – nur dass wir sie dann noch stärker spüren werden. Und unsere Liebe, die wir jetzt schon zu Gott und zu unseren Mitchristen hegen, wird im Himmel für immer weiter­brennen – nur dass sie dann nicht mehr von Sünde getrübt sein wird. Was also bleibt? Ein Leben in liebevoller Gemein­schaft mit Gott! Es wird sich in Gottes neuer Welt für immer fortsetzen. So hat es Jesus in seinem Wort ver­sprochen; so glauben wir es und so hoffen wir es.

Liebe Brüder und Schwestern in Christus, wir haben mit diesem Wort unseres Herrn und mit advent­lichen Gedanken erkannt, was vergeht und was bleibt. Diese Erkenntnis hilft uns, das Wichtigste von weniger Wichtigem zu unter­scheiden. Diese Erkenntnis hilft uns, Prioritäten zu setzen. Wenn die An­gelegen­heiten dieser Welt vorläufig und vergänglich sind, Gottes Wort und Gottes Liebe aber un­vergäng­lich, dann sollten wir uns vorrangig um Letztere kümmern. Bei anderer Gelegenheit hat Jesus das auch klar gefordert. Er sagte seinen Jüngern: „Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtig­keit, so wird euch das alles zufallen“ (Matth. 6,33). Das Lebensbrot Jesus Christus soll uns wichtiger sein als das tägliche Brot. Gottes Wort im Gottes­dienst und in täglicher Andacht soll uns wichtiger sein als das Kaffee­kränzchen oder die täglichen Nach­richten. Vergesst nicht: Hier in der Kirche geht es nicht um Menschen­worte und Menschen­meinung, sondern hier geht es um die gute Nachricht des Herrn Jesus Christus, die nie veralten wird. Keine anderen Worte haben so große Bedeutung für unsere Zukunft wie diese. Ich wiederhole noch einmal, was Jesus gesagt hat: „Himmel und Erde werden vergehen, meine Worte aber werden nicht vergehen.“

Nun gab es immer wieder Leute, die daraus einen falschen Schluss gezogen haben. Sie haben gesagt: Wenn das so ist, dann ist das Leben in dieser Welt ganz unwichtig, dann brauchen wir uns nur noch um den Himmel zu kümmern. Und sie haben dann angefangen aus­zurechnen, wann Jesus wieder­kommen und uns zu sich holen wird. Auf abenteuer­liche Weise haben sie ver­schiedene Zahlen­angaben der Bibel miteinander verknüpft und dann ein bestimmtes Datum für den Jüngsten Tag bekannt gegeben. Das haben sie auch öffentlich gepredigt, und viele haben ihnen geglaubt. Es kam zuweilen sogar dazu, dass viele Leute angesichtes des ver­meintlich nahen Endes ihren Besitz verkauften und alles ver­schenkten, was sie besaßen. An dem aus­gerechneten Termin ver­sammelten sie sich und warteten singend und betend auf Jesu Erscheinen. Sie warteten vergeblich. Denn sie hatten etwas Wichtiges übersehen. Sie hatten übersehen, was Jesus weiter gesagt hat in dem Wort, das wir heute als Predigttext betrachten. Er sagte: „Von dem Tag aber und der Stunde weiß niemand, auch die Engel im Himmel nicht, auch der Sohn nicht, sondern allein der Vater im Himmel.“ Die Zeugen Jehovas, die es immer besonders schlau anstellen wollen, meinten nach mehreren fehl­geschlagenen Berech­nungen des Jüngsten Tages: Na ja, den Tag und die Stunde weiß wohl niemand, aber das Jahr können wir ungefähr angeben! Ich kann mich noch an eine Begegnung mit Zeugen Jehovas in den Siebziger Jahren erinnern, wo sie mir unbeirrt ver­sicherten: Jesus kommt noch vor dem Jahr 1980 wieder!

Liebe Brüder und Schwestern, wir wissen natürlich, wie Jesus es gemeint hat. Jesus wollte uns begreiflich machen: Der Jüngste Tag lässt sich nicht berechnen; er wird einmal völlig über­raschend kommen. Ganz erstaunlich ist, dass sogar Jesus selbst in seinen Erdentagen nicht wusste, an welchem Datum Himmel und Erde vergehen werden. Er sagte ja: „Niemand weiß es, auch die Engel im Himmel nicht, auch der Sohn nicht, sondern allein der Vater.“ Das hängt damit zusammen, dass Jesus sich in seinen Erdentagen im sogenannten Stand der Er­niedrigung befand; da hat er bewusst auf göttliche Allwissen­heit und den Gebrauch anderer göttlicher Eigen­schaften verzichtet.

Warum ist das Datum des Jüngsten Tages so ein großes Geheimnis? Die Antwort ist schnell gefunden: Jesus möchte, dass wir jederzeit auf sein Kommen vorbereitet sind, zugleich aber nicht vorzeitig mit dem Leben in dieser Welt fertig ab­schließen. Gott möchte, dass wir arbeiten, Gutes tun, Liebe üben und Ver­antwortung übernehmen in der alten Welt, solange es sie gibt. Er möchte, dass wir mit beiden Beinen im Leben stehen. Der jetzige Himmel und die jetzige Erde sollen uns durchaus wichtig sein – aber nicht das Wichtigste. Denn der jetzige Himmel und die jetzige Erde werden vergehen, aber Gottes Reich bleibt – so, wie Jesus es in seinen Worten versprochen hat. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2011.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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