Gottes Musiktherapie

Predigt über 1. Samuel 16,14‑23 zum Sonntag Kantate

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Kennt ihr die Pest des 21. Jahr­hunderts? Ich denke, es ist die Depression. Egal, ob man diese seelische Kranheit mit psycho­logischen Fach­begriffen dif­feren­ziert oder ob man einfach die Mode­diagnose „Burnout“ verwendet: Es ist er­schreckend, in welchem Maße Erschöpfungs­depressionen und ähnliche psychische Störungen um sich greifen. Wohl dem, der weder an sich selbst noch bei nahe­stehenden Menschen damit kon­frontiert ist! Ich halte die Depression nicht zuletzt auch deshalb für die Pest des 21. Jahr­hunderts, weil ich glaube, dass sie ansteckend ist.

Freilich hat es auch schon in alten Zeiten De­pressionen gegeben. Man sprach früher von Schwermut und von Melan­cholie. Sogar im Alten Testament haben wir ein Muster­beispiel dafür: Saul, den ersten König Israels. Wenn ein Psychologe seine Geschichte in der Bibel liest, wird er wahr­scheinlich eine sogenannte bipolare Störung diagnosti­zieren. Oder wie man auch sagen kann: Saul war manisch-depressiv. Das bedeutet: Er war hin- und hergerissen zwischen atem­beraubendem Aktivismus und großer Traurig­keit; mal aggressiv und mal apathisch; mal sprühend vor Unter­nehmungs­lust oder auch vor Jähzorn, dann wieder dumpf vor sich hin brütend. Es ist heute üblich geworden, solche Krankheiten vom Gehirn und von den Hormonen her körperlich zu erklären, aber darüber hinaus natürlich auch immer noch tiefen­psycho­logisch, etwa von früh­kindlichen Erfahrungen oder belastenden Erlebnissen her. Beides, das Körperliche und das Tiefen­psycholo­gische, sind zutreffende Blickwinkel für seelische Krank­heiten. Aber es gibt noch einen dritten Blick­winkel, der nicht weniger zutreffend ist: den geistlichen Blick­winkel. Aus diesem Blickwinkel hört sich Sauls Diagnose so an: „Der Geist des Herrn aber wich von Saul und ein böser Geist vom Herrn ängstigte ihn.“ Freilich dürfen wir das nicht falsch verstehen und unzulässig ver­allgemei­nern: Es wäre verheerend zu denken, dass alle Gemüts­kranken von Gott verlassen sind. Trotzdem: Wenn sich De­pressionen einstellen, dann sollte man nicht nur fragen, ob ein körper­liches oder ein psychisches Problem dahinter steckt, sondern auch, ob möglicher­weise etwas mit der Beziehung zu Gott nicht in Ordnung ist. Wer beim Predigttext genau hingehört hat, dem wird nicht entgangen sein: Der böse Geist, der Sauls Seele ver­finsterte, kam letztlich von Gott! Daraus können wir schließen: Wenn ein Christ depressiv wird, dann ist das etwas, was direkt oder indirekt von Gott kommt, was Gott selbst ihm zumutet.Der Erkrankte und die ihm nahestehenden Menschen tun gut daran, mit Gott darüber zu reden und offen zu sein für das, was Gott durch diese Krankheit möglicher­weise zeigen und bewegen will.

Noch viel­fältiger als unsere Diagnose-Blickwinkel sind nun aber die Therapien, die man bei De­pressionen einsetzt. Es ist hier nicht der Ort, auch nur eine groben Überblick zu geben. Ich weise lediglich auf die eine Therapie hin, von der unser Bibelwort berichtet: die Musik­therapie.

Sauls Berater machen sich ernsthaft Sorgen um die wieder­holten Schwermuts-Schübe ihres Königs. Sie schlagen ihm vor, einen Musiker zu engagieren, der ihn aufheitern soll. Saul findet das gut, und so kommt es, dass man den jungen Mann David an den Königshof holt. David ist ein vielseitig begabter Hirten­junge, der achte Sohn des Bethle­hemiters Isai. Zu seinen Begabungen gehört nicht nur, dass er wunderbare geistliche Lieder dichtet, sondern auch, dass er sie zum Saitenspiel kunstvoll vortragen kann. Unter einem Saitenspiel dürfen wir uns keine moderne Konzert­harfe vorstellen; es handelte sich vielmehr um einen einfachen Holzkasten als Resonanz­körper, über den mehrere Därme als Saiten gespannt sind. Wir liegen nicht völlig falsch, wenn wir an einen antiken Vorläufer der Gitarre denken; jedenfalls war Davids Instrument damals mindestens ebenso beliebt wie die Gitarre heute.

Davids Vater Isai wird vom Königshof be­nachrich­tigt, und er fühlt sich geehrt, dass man seinen Jüngsten dort haben will. Heutzutage wäre unser erster Gedanke vielleicht: Zahlt der König denn auch anständig für die Musik? Isai dachte genau umgekehrt: Wie bedanke ich mich am besten beim König für die Ehre, dass mein Sohn vor seinem Thron musizieren darf? Er tut es mit einem Geschenk, das er mit David mitschickt: „ein Esel und Brot und ein Schlauch Wein und ein Ziegen­böcklein“. Isai gibt damit all denen ein Vorbild, die für den höchsten König musizieren: Wir loben Gott mit unsern Liedern nicht deshalb, damit sich das irgendwie für uns rechnet, sondern wir bedanken uns für die Ehre, dass er sich unser armes Lob gnädig gefallen lässt.

David Musik­therapie ist sehr erfolg­reich. Wir lesen: „Sooft der böse Geist von Gott über Saul kam, nahm David die Harfe und spielte darauf mit seiner Hand. So wurde es Saul leichter und ward besser mit ihm und der böse Geist wich von ihm.“ Saul sorgt dafür, dass Davids Musik­therapie kein kurzes Gastspiel bleibt. Er vereinbart mit Isai, dass sein Jüngster bei ihm wohnen soll und stets zur Verfügung ist. Saul gewinnt David lieb wie einen eigenen Sohn. Erst später wird sich das Blatt wenden, und Saul wird zu Davids erbittertem Feind werden, ja, wird ihm sogar nach dem Leben trachten.

Liebe Brüder und Schwestern in Christus, wir können dieses Gotteswort durchaus als eine Empfehlung zur Musiktherapie ansehen. Das ist bis heute un­bestritten: Gute Musik kann ein finsteres Gemüt aufhellen und die Schwermut vertreiben. Auch wenn man bei richtigen De­pressionen nicht alle thera­peutischen Hoffnungen auf die Musik setzen sollte, so kann sie doch einen wichtigen Beitrag dazu leisten, das Leiden zu lindern.

Aber wir sollten noch etwas tiefer schürfen. Egal ob es uns schlecht geht oder gut, als Christen machen wir Musik. Wir singen und musizieren dem höchsten König zur Ehre. Das macht ihm und uns Freude. Die Kirchen­musik ist keineswegs eine neben­sächliche Verzierung im Gottes­dienst, sondern ein wichtiger Bestand­teil. Und der regelmäßige Gottes­dienst­besuch lohnt sich nicht nur wegen der Predigt und dem Heiligen Abendmahl, sondern auch deswegen, weil wir hier gemeinsam musikalisch Gott loben können. Es ist gut, wenn wir das mit Ernst und Eifer betreiben, wenn wir Geld, Zeit und Schweiß dafür aufwenden. Es ist gut, wenn wir im Singchor und im Bläserchor fleißig üben, damit es möglichst schön zu Gottes Ehre klingt. Denken wir an Isai: Die Musik für den damaligen König von Israel war ihm einen Esel, einen jungen Ziegenbock, einen Schlauch Wein und Brot wert; sollte uns da die Musik für unsern Herrn im Himmel nicht noch viel mehr wert sein? Die Kirchen­musik ist immerhin wichtig genug, dass ein Sonntag im Kirchenjahr diesem Thema gewidmet ist: der heutige Sonntag Kantate.

Schürfen wir noch tiefer! Unser König Jesus Christus hat keine Musik­therapie von uns nötig, so wie es damals bei Saul und David der Fall war. Es ist genau umgekehrt: Wir haben es nötig, dass Jesus uns therapiert! Wir haben es nötig, dass er uns hilft, heilt und rettet für Zeit und Ewigkeit. Wenn wir die geistliche Musik als Musik­therapie auffassen, dann ist es eine Therapie, die der König uns angedeihen lässt, den Musi­zierenden! Durch die Musica Sacra wird uns ja das Evangelium ins Herz gesungen: „Nun freut euch, lieben Christen gmein, / und lasst uns fröhlich springen, / dass wir getrost und all in ein / mit Lust und Liebe singen, / was Gott an uns gewendet hat / und seine süße Wundertat; / gar teur hat ers erworben.“

Ja, wenn wir jeden Sonntag von Gottes Liebe singen (und am besten auch noch zwischen­durch in der Woche), dann ist das eine herrliche Theraphie gegen Sünde, Schwermut und alles Böse. Singend jagen wir den Teufel fort aus unserem Leben und alle bösen Geister. Wer singt, der lässt sich nicht von seinem Stress versklaven, sondern der triumphiert in der Freiheit des Christen­menschen. Die Afrikaner, die vor ein paar hundert Jahren als Sklaven nach Amerika verschleppt worden waren, haben sich singend die Freiheit des Glaubens bewahrt; ihre geistlichen Lieder werden noch heute als Gospels und Spirituals gern gehört und gesungen. Ja, liebe Brüder und Schwestern, die Musica Sacra ist Gottes Musik­therapie für uns.

Und wie Saul den David dauerhaft zu sich holte, um vor seinem Thron zu musizieren, so wird Gott auch uns einst direkt an seinen Thron holen, damit wir ihn da in Ewigkeit loben. Was wird das für ein toller Chor sein und für ein tolles Orchester: alle Heiligen, zusammen mit allen Engeln! Vieles, was wir hier auf Erden treiben, wird einmal zu Ende gehen; irgendwann sind wir zu alt dafür, und spätestens der Tod nimmt es uns aus der Hand. Aber das Gotteslob wird in Ewigkeit weiter­gehen. Die Musik gehört zu den ganz wenigen Dingen, die wir schon hier auf Erden treiben und die im Himmel weitergehen werden; das möchte ich zum Abschluss meiner Predigt betonen. Ich bitte euch darum, mir dabei zu helfen und ein­zustimmen in den Kanon: „Himmel und Erde werden vergehn, / aber die Musica, die bleibt bestehn.“ Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2011.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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