Schutz und Nahrung

Predigt über Hesekiel 34,17‑31 zum Sonntag Miserikordias Domini

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Gibt es eigentlich einen Staat, wo die Bürger mit ihrer Regierung restlos zufrieden sind? Ich habe noch nie von so einem Staat gehört. In den Nachrichten erfahren wir immer nur von Staaten, wo die Bürger unzufrieden sind mit ihren Regierun­gen. Denken wir nur an die Meldungen der letzten Monate aus Ägypten, Libyen, Syrien oder Japan: Überall pro­testieren Bürger gegen ihre Regierun­gen. Sie sind un­zufrieden, weil sie sich von ihren Regierungen eher bedroht fühlen als beschützt. Und sie sind un­zufrieden, weil es ihnen an lebens­notwendigen Dingen mangelt; sie werden nicht ausreichend versorgt oder haben kaum Gelegen­heit, sich selbst ausreichend zu versorgen. Auch in unserem Land mit seinen relativ stabilen Verhält­nissen und seinem relativ hohen Wohlstand ist Kritik zu hören. Viele Menschen fühlen sich bedroht von Atom­kraftwer­ken, unter­irdischen Kohlendoxid-Lagern und zunehmenden Gewalt­verbrechen. Und eine große Zahl von Menschen fühlt sich nicht ausreichend versorgt angesichts der Tatsache, dass die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden. Manchmal entsteht der Eindruck, dass die Reichen der Erde nicht nur ganz viel für sich selbst be­anspruchen, sondern den Armen auch noch das Wenige, das ihnen verbleibt, missgönnen. Da wird zum Beispiel aus Getreide Bio­kraftstoff hergestellt statt Brot. Aus 20 Kilogramm Weizen kann man genug Brot backen, um eine Person einen Monat lang zu ernähren. Aus 20 Kilogramm Weizen kann man aber kaum genug Bio-Äthanol herstellen, um damit im PKW von Fürsten­walde nach Berlin zu fahren. Das ist ein modernes Beispiel für das Gleichnis­wort beim Propheten Hesekiel, an die Reichen gerichtet: „Ist es euch nicht genug, das beste Gras zu fressen? Warum zertrampelt ihr den Rest? Ist es euch nicht genug, das klare Wasser zu trinken? Warum wühlt ihr auch noch den Schlamm vom Grund auf?“

Was kann man von einer guten Regierung erwarten? Schutz und Nahrung kann man von ihr erwarten. Früher war vor allem der Schutz nach außen hin wichtig, der Schutz vor feindlichen Horden, die ins Land einfielen und es verwüsten wollten. Heute steht die innere Sicherheit im Mittel­punkt: Eine gute Regierung sorgt dafür, dass die Schwachen vor den Starken geschützt werden – nicht nur im öffent­lichen Verkehr, sondern auch in der Wirtschaft und bei der sozialen Gerechtig­keit. Eine gute Regierung macht gerechte Gesetze und sorgt dafür, dass diese auch eingehalten werden. Eine gute Regierung sorgt für Frieden und Sicherheit. Eine gute Regierung greift allen Bürgern hilfreich unter die Arme, besonders den Schwachen, und hindert die Starken daran, sich auf Kosten der Schwachen zu bereichern. Eine gute Regierung sorgt für Nahrung: Sie sorgt dafür, dass jeder wenigstens das Lebens­notwendige bekommt. Sie sorgt dafür, dass ein gesunder Erwachsener arbeiten und von dem leben kann, was er dabei verdient. Sie sorgt dafür, dass Kinder, Alte und Kranke alles Lebens­notwendige erhalten, obwohl sie nicht arbeiten können. Beim Propheten Hesekiel klingt die Muster-Regierungs­erklärung einer guten Regierung so: „Ich sorge für Recht; ich nehme die Schwachen vor den Starken in Schutz. Ich komme meinen Bürgern zu Hilfe; jeder soll zu seinem Recht kommen. Ich verbürge mich für Frieden und Sicherheit. Überall soll man gefahrlos leben können. Ich reiße die Bürger aus der Gewalt von Unter­drückern; sie können ohne Angst und Sorge leben. Keiner von ihnen wird mehr verhungern und kein Fremder sie verspotten. Ich mache ihr Land zu einem prächtigen Garten.“

Kurz: Eine gute Regierung tut für ihre Bürger all das, was ein guter Hirte für seine Herde tut.

Was kann man von einem guten Hirten erwarten? Eben dasselbe wie von einer guten Regierung: Schutz und Nahrung. Einen Staat zu führen, das ist eine sehr ähnliche Ver­antwortung wie eine Herde zu weiden. Darum wurden in biblischer Zeit Regierende oft mit Hirten verglichen. Ein Hirte soll seine Herde beschützen. Wenn ein wildes Tier angreift, dann stellt er sich schützend vor seine Schafe und bekämpft den Ein­dringling. Wenn der Hirte die Herde durch unwegsames Gelände zu besseren Weide­plätzen führt, dann achtet er darauf, dass sie nicht ver­unglücken – weder auf steilem Grat noch im finsteren Tal. Auch für die innere Sicherheit sorgt ein guter Hirte: Er passt auf, dass die starken Tiere die Schwachen nicht von der Wasser­stelle wegstoßen und sich auch nicht gegenseitig verletzen. Wenn sie sich aber doch verletzt haben, dann behandelt er ihre Wunden mit Öl. Die Haupt­aufgabe des Hirten besteht jedoch darin, gute Weide für seine Schafe zu finden. Er sorgt für Nahrung; sie sollen ja alle satt werden. Und auch für Wasser sorgt er und macht besonders in der trockenen Jahreszeit immer wieder neue Wasser­stellen ausfindig. Er führt sie auf grüne Wiesen und zum frischen Wasser. Der Prophet Hesekiel hat das, was man von einer guten Regierung erwarten kann, ebenfalls ausführlich im Bild des guten Hirten aus­gedrückt: „Ihr Widder und Böcke, ist es euch nicht genug, das beste Gras zu fressen? Warum zertrampelt ihr den Rest? … Ich werde die schwächeren Tiere vor euch in Schutz nehmen. Ihr habt sie mit Schulter und Hinterteil beiseite gedrängt, mit euren Hörnern gestoßen und weit von der Herde weg­getrieben. Aber jetzt komme ich meinen Schafen zu Hilfe.“

Was ein guter Hirte für seine Herde tut und was eine gute Regierung für ihr Volk tut, das ist bei Hesekiel letztlich beides ein Bild dafür, was Gott für die Menschen tut. Durch den Propheten kommt der Allmächtige selbst zu Wort und spricht nicht nur zum Volk Israel, sondern zu allen Menschen, also auch zu uns. Ja, wenn wir uns diese Worte genau besehen, dann bekommen wir hier einen großen Strauß göttlicher Ver­heißungen geschenkt. Gott sagt uns durch Hesekiel, was wir alles von ihm erwarten können. Er ist ja unser König und wir sind sein Volk. Er ist unser Hirte und wir sind seine Herde.

So betrachten wir jetzt drittens: Was kann man von Gott erwarten? Auch bei Gott gilt: Schutz und Nahrung kann man von ihm erwarten. Alle die Zusagen aus Hesekiels Worten, die wir eben schon bedacht haben, sind Gottes Zusagen an uns. Gott verspricht: „Ich sorge für Recht.“ Gott verspricht: „Ich nehme die Schwächeren in Schutz, denn jeder soll zu seinem Recht kommen.“ Gott verspricht: „Ich verbürge mich für Frieden und Sicher­heit.“ Gott verspricht: „Ich mache das ganze Land fruchtbar.“ Gott verspricht: „Ich zerbreche das Sklaven­joch.“ Und schließlich verspricht Gott: „Ihr seid meine Herde, für die ich sorge, und ich bin euer Gott.“

Die Juden zu Hesekiels Zeit und auch danach hatten erwartet, dass Gott diese Versprechen durch eine richtige weltliche Staats­regierung wahr machen würde: durch einen mächtigen König aus der Nach­kommen­schaft Davids. Dann, so meinten sie, würde das Land Israel aufblühen und zu einer Leitkultur unter den Völkern werden. Wir wissen heute: So, wie die Juden es damals erwarteten, ist es nicht gekommen. Dennoch hat Gott seine wunderbaren Versprechen wahr gemacht. Und er hat auch schon damals durch Hesekiel an­gekündigt, wie er sie wahr machen wollte. Gott versprach nämlich: „Ich setze über meine Herde einen einzigen Hirten ein. Er wird sie auf die Weide führen und so für sie sorgen wie einst mein Diener David. Ich, der Herr, werde ihr Gott sein, und der Mann, der meinem Diener David gleicht, soll ihr König sein. Ich, der Herr, führe das herbei. Ich schließe mit ihnen einen Bund.“

Wir wissen, wen Gott durch Hesekiel da ankündigte: Es ist der Davidssohn Jesus Christus, unser lieber Hirte und König. Durch ihn hat Gott seinen neuen Bund geschlossen mit Israel und allen Völkern: Alle, die an ihn glauben und auf seinen Namen getauft sind, die sind Bürger in Gottes Reich und Schafe seiner Weide. Freilich ist dieses Gottesreich ganz anders als die Staaten der Welt, und sein Regiment ist ganz anders als die Herrschaft der Mächtigen der Welt. Schwach und geschunden stand Jesus als Angeklagter vor Pontius Pilatus. Der fragte ihn ungläubig: „Du bist ein König?“ Jesus bejahte, fügte aber hinzu: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt.“ Ja, in dieser Welt scheint Gottes Herrschaft schwach und geschunden zu sein. Wer zu seinem Reich gehört, wird oft genug angeklagt oder ausgelacht. Nicht Gottes Friede triumphiert in unserer Welt, sondern der Menschen Unfriede. Wie viele Menschen haben weder Schutz noch Nahrung, sondern leiden unter Hunger und Krieg!

Liebe Brüder und Schwestern in Christus, wenn wir satt sind und im Frieden leben, sollen wir das sehr dankbar aus Gottes Hand nehmen. Aber wir müssen dabei wissen: Das ist es nicht, was Gott uns für alle Zeiten verspricht. Es können auch andere Zeiten kommen, notvolle Zeiten, Kreuzes-Zeiten. Eines aber gilt heute und für immer un­einge­schränkt: Das ist die Herrschaft des Königs Jesus Christus, des Davids­sohns, des guten Hirten. Zwar ist sein Reich nicht von dieser Welt, aber diese Welt wird vergehen, und sein Reich bleibt. Und überall da, wo Menschen im Namen Jesu zusammen­kommen und nach seinem Wort leben, da finden wir sein Reich schon jetzt. Da finden wir seinen Schutz: Er beschützt uns vor dem Teufel und allen finsteren Mächten, dass sie unserer Seele nichts anhaben können. Er beschützt uns von außen und von innen: vor der Gottlosig­keit Ungläubiger ebenso wie vor falscher Lehre innerhalb der Christen­heit. Wenn die Bibel als sein unfehlbares Wort anerkannt wird und oberster Maßstab für alles Lehren und Leben der Kirche bleibt, dann werden uns fremde Lehren nichts anhaben können. Mit demselben Wort aber gibt er uns auch geistliche Nahrung. Er weidet uns auf grüner Aue und führt uns zum frischen Wasser. Sein Heiliger Geist erfrischt uns, wann immer wir Gottes Wort gepredigt bekommen, wann immer uns die Sünden vergeben werden, wann immer wir Leib und Blut Christi im Heiligen Abendmahl zu uns nehmen. Ja, so beschützt und versorgt uns Gott durch Jesus Christus. Der ist unser guter König, der ist unser guter Hirte, der ist unser guter Gott. Er ist es letztlich selbst, der uns auch heute durch die Botschaft des Propheten Hesekiel zuruft: „Ihr seid meine Herde, für die ich sorge, und ich bin euer Gott.“ Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2011.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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