Ein Gedicht von Gottes Wundern

Predigt über Habakuk 3 zum Sonntag Reminiszere

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Wir betrachten heute den Psalm Habakuks, auf­geschrieben im dritten Kapitel dieses Propheten­buchs. „Psalm“ heißt „Lied“, und in der Tat handelt es sich um ein Gedicht, das für den musi­kalischen Vortrag bestimmt ist. „Vor­zusingen, beim Saiten­spiel“, so lautet die Regie­anweisung am Schluss des Psalms. Das „Saiten­spiel“ ist ein uraltes Begleit­instrument; wir können auch „Harfe“ sagen oder „Psalter“ oder „Leier“ oder „Lyra“. Vom Instru­menten­namen „Lyra“ ist der Begriff Lyrik abgeleitet; es handelt sich hier in der Tat um ein göttliches Stück Lyrik.

Nun ist das ja mit der Lyrik so eine Sache. Viele haben sie vom Schul­unterricht her in unguter Erinnerung: Lyrik – das sind doch diese Gedichte, bei denen man nie so recht weiß, was sie eigentlich bedeuten sollen. Manche Leute finden aber gerade das besonders reizvoll: dass die Lyrik eben nicht einfach plump sagt, was Sache ist, sondern dass man sie erst ent­schlüsseln muss, inter­pretieren, wie ein Rätsel lösen. Das gilt auch für viele Stücke biblischer Lyrik, und das gilt auch für unseren Habakuk-Psalm. Freilich kann ich jetzt nicht alle 32 Strophen des Habakuk-Gedichts für euch im Einzelnen deuten; das würde den Rahmen der Predigt sprengen. Wohl aber will ich versuchen, euch seine Haupt­botschaft mit einigen Beobachtun­gen nahe­zubringen.

Erste Be­obachtung: Es ist ein Freuden­psalm – auch wenn er sich strecken­weise ganz anders anhört. Habakuk spricht hier nicht so wie in dem Klagegebet, das wir am vergangenen Sonntag betrachtet haben. Der Psalm mündet vielmehr in den fröhlichen Ausruf: „Ich will mich freuen des HERRN und fröhlich sein in Gott, meinem Heil! Denn der HERR ist meine Kraft.“ Woher weiß Habakuk das? Er weiß es durch Gottes Wort. Er hat von den Wundertaten gehört, die Gott in der Vergangen­heit getan hat; er sieht sie durch die Kunde der Über­lieferung vor seinem geistigen Auge. Darum beginnt Habakuks Psalm mit dem Ausruf: „HERR, ich habe die Kunde von dir gehört, ich habe dein Werk gesehen, HERR!“ Habakuk freut sich, weil er in den göttlichen Wundern der Vergangen­heit Gottes Macht erkennt.

Zweite Be­obachtung: Habakuk selbst singt diesen Psalm offenbar in einer wunderarmen Zeit. Wir haben ja bereits am vergangenen Sonntag davon gehört, dass er strecken­weise überhaupt nichts von Gottes Handeln merkt. Damit rückt Habakuk uns sehr nahe, denn das kennen wir auch: Wir lesen in der Bibel von spektaku­lären Wundern, die selbst Gottlose nicht übersehen konnten, aber wir kennen solche Wunder nicht aus persön­licher Erfahrung. Natürlich: Wer mit Augen des Glaubens schaut, der kann auch in unserer Zeit viele Wunder erleben. Aber es sind eben nicht solche Wunder, wie sie zum Beispiel beim Auszug der Israeliten aus Ägypten geschehen sind, wo etwa ein ganzes Volk trockenen Fußes einen Meeresarm durchqueren konnte, weil das Wasser rechts und links wie Mauern stand. Würden wir nicht auch gern mal so etwas erleben? Vielleicht würde uns so ein Wunder helfen bei unseren Glaubens­problemen und Zweifeln. Habakuk spricht diesen Wunsch offen aus in seinem Psalm. Er kleidet ihn in folgende Worte: „Mache es lebendig in naher Zeit, und lass es kund werden in naher Zeit!“

Dritte Be­obachtung: Der Hauptteil von Habakuks Psalm beschreibt Gottes Wunder aus früheren Zeiten in lyrischer Weise. Wenn wir genauer hinschauen, dann merken wir, dass es sich um die Wunder Gottes beim Auszug der Israeliten aus Ägypten und beim Einzug ins verheißene Land Kanaan handelt. Mit einer todbringen Krankheit zwang Gott damals die Ägypter, die versklavten Hebräer ziehen zu lassen. Wir lesen: „Pest ging vor ihm her, und Seuche folgte, wo er hintrat.“ Mit den zurück­flutenden Wassern des Schilfmeers vernichtete Gott die Kriegswagen des Pharao, ehe sie die Hebräer angreifen konnten. Wir lesen: „Du tratest nieder seine Rosse im Meer, im Schlamm der Wasser­fluten.“ Am Berg Sinai machte Gott sich durch Erdbeben bemerkbar, sodass die umliegenden Völker Respekt bekamen vor dem Gott Israels. Wir lesen: „Er stand auf und ließ erbeben die Erde; er schaute und ließ erzittern die Heiden. Zer­schmettert wurden uralte Berge, und bücken mussten sich die uralten Hügel, als er wie früher kam. Ich sah die Hütten von Kuschan in Not und die Zelte der Midianiter betrübt.“ Gott half mit Wundern seinem Volk, das Land Kanaan ein­zunehmen, und ließ bei der Schlacht zu Gibeon dafür sogar die Gestirne am Himmel still­stehen. Wir lesen: „Ihren Aufgang vergaß die Sonne, und der Mond stand still.“ Bei all diesen Wunder­beschreibun­gen merken wir: Gott besiegt die Feinde seines Volkes mit Macht. Seine Wunder haben nichts Sanftes und Rührendes an sich, sondern es sind gewaltige, Angst einflößende Taten. Wie ein mächtiger General kämpft Gott für sein Volk und besiegt alle Feinde. Ja, ein Siegeslied ist der Psalm des Habakuk, ein Lied von Gottes mächtigen Taten!

Vierte Be­obachtung: Genau in der Mitte des Psalms wird ein ganz anderes Wunder angedeutet. Es ist das Wunder, wie Gott sein Volk Israel in der Wüste vor dem Verdursten rettete. Da ließ Gott nämlich aus einem Felsen unvermutet Wasser quellen – herrliches frisches sauberes Wasser! Wir lesen: „Du spaltetest das Land, dass Ströme flossen, die Berge sahen dich, und ihnen ward bange. Der Wasserstrom fuhr dahin, die Tiefe ließ sich hören.“ Hier sind wir nicht nur in der Mitte des Psalms, sondern hier sind wir mitten am Herzen Gottes! Gott meint es von Herzen gut mit seinem Volk: Er hilft, er rettet, er erfrischt, er erquickt.

Mit der fünften Beobachtung lösen wir uns von der buchstäb­lichen Bedeutung der Worte und spannen einen Bogen über den Psalm hinaus. Habakuk freut sich über Gottes Wunder der Vergangen­heit, er freut sich über Gottes Sieg und Hilfe für sein Volk. Habakuk bittet darum, dass Gott wieder Zeiten kommen lässt, in denen er un­übersehbar seine Macht zeigt. Diese Zeiten sind dann auch gekommen. Ja, es kam eine Zeit, in der Gott sein größtes Wunder getan hat: Er hat seinen Sohn Mensch werden lassen und durch ihn die schlimmsten Feinde besiegt – den Teufel, die Sünde und den Tod. Dieser Sieg zeigte sich in der Auf­erstehung Jesu Christi von den Toten. Danach sandte er den Heiligen Geist, goss ihn aus über sein Volk wie lebendiges Wasser. Er tat es zu Pfingsten unter großen Zeichen und Wundern. Da sehen wir wieder Gott ins Herz, da sehen wir seine große Liebe zu uns: Gottes Geist kommt, um zu helfen, zu retten, zu erfrischen und zu erquicken.

Sechste Be­obachtung: Christi Ostersieg lag für Habakuk in der Zukunft, für uns aber liegt er in der Vergangen­heit. Wir haben die Kunde davon jetzt in Gottes Wort, wir sehen Jesus mit Glaubens­augen: „HERR, ich habe die Kunde von dir gehört, ich habe dein Werk gesehen, HERR!“ Wir blicken auf den Ostersieg ebenso zurück, wie Habakuk auf Gottes Sieg beim Auszug aus Ägypten zurück­blickte. Auch wir leben in einer wunderarmen Zeit, wie Habakuk damals. Keine Felsen brechen vor uns auf, um uns mit Wasser zu tränken; wir müssen uns mit dem unschein­baren Wunder des Taufwassers begnügen und damit, dass Christus für uns im Brot und Wein des Abendmahls verborgen ist. Es kann ja auch gar nicht sein, dass Gott immerfort spektaku­läre Wunder tut. Wenn er es täte, wären sie nichts Besonderes mehr. Es liegt in der Natur der Wunder, dass sie extreme Ausnahmen darstellen.

Siebente Be­obachtung: Wie Habakuk dürfen wir darauf hoffen, dass Gott noch einmal wieder große Wunder tun wird. Wie Habakuk dürfen wir beten: „Mach es lebendig in naher Zeit, und lass es kund werden in naher Zeit.“ Wir wissen: Solcher Glaube wird nicht enttäuscht werden. Wir wissen: Wer Jesus vertraut und seinem großen Ostersieg, der wird am eigenen Leib das Wunder erleben, dass der Tod keine Macht über ihn hat. Was war doch gleich Gottes wichtigste Botschaft an Habakuk gewesen? „Der Gerechte wird durch seinen Glauben leben“ (Hab. 2,4). Ja, Gott wird noch einmal große Wunder tun auf Erden, das hat er ver­sprochen. Er wird es tun, wenn Christus wieder­kommt. Da werden dann große Zeichen an Himmel und Erde erscheinen. Da werden Gottes Feinde endgültig besiegt werden. Da werden die Gräber aufspringen wie Jesu Grab und wie der Fels in der Wüste. Da werden die Toten auferstehen wie Jesus selbst und werden wie ein lebendiger Wassertrom heraus­treten. Und dann dürfen wir ganz dicht an Gottes großem liebenden Herzen bleiben – für immer. Da wird Gott alle Tränen abtrocken. Da brauchen wir dann keine Sehnsucht mehr zu haben nach neuen Wundern. Denn dann werden wir in dem einen großen Wunder leben, das nie mehr aufhört: Das Wunder unserer Seligkeit. Was für eine große Freude, diese Vorfreude! Lasst uns einstimmen und mit Habakuk sagen: „Ich will mich freuen des HERRN und fröhlich sein in Gott meinem Heil. Denn der HERR ist meine Kraft.“ Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2011.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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