Richtig reagieren

Predigt über Jesaja 30,8‑17 zum Altjahrsabend

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Am Ende eines Jahres können uns Situationen einfallen, wo wir rück­blickend sagen: Ach, hätte ich nur…! In schwierigen Situationen ertappen wir uns ja immer wieder dabei, dass wir falsch reagieren. Auch dieses fast vergangene Jahr war für die meisten von uns sicher nicht frei davon.

Wie reagieren wir denn in schwierigen Situationen – wenn Gefahr droht, wenn Streit in der Luft liegt, wenn knifflige Probleme anstehen? Grund­sätzlich gibt es dafür drei ver­schiedene Strategien: erstens die Bären-Strategie, zweitens die Reh-Strategie, drittens die Schild­kröten-Strategie. Die Bären-Strategie ist der Angriff. Wenn ein Bär sich bedroht fühlt, dann greift er an. Wer so veranlagt ist, der kann bei Problemen nicht tatenlos bleiben. Er hat keine Geduld, sondern er muss irgendetwas tun, um dem Problem zu Leibe zu rücken – egal, ob es vernünftig ist oder nicht. Die Reh-Strategie ist die Flucht. Wenn ein Reh sich bedroht fühlt, dann flieht es mit schnellen Sprüngen. Wer so veranlagt ist, der läuft vor allen Problemen davon, oder er versucht es zumindest. Die Schild­kröten-Strategie schließlich ist das Stillhalten und Abwarten. Die Schildkröte zieht sich bei Gefahr in ihren Panzer zurück und wartet ab. Wer so veranlagt ist, der wartet einfach ab, bis das Problem vorüber ist.

Die Frage ist nun: Welche Strategie ist die Richtige? Und noch wichtiger: Was erwartet denn Gott von uns, wie wir mit Problemen umgehen?

Als der Prophet Jesaja die eben gehörte Botschaft von Gott empfing, da hatten die Israeliten ein großes Problem: Sie wurden von den mächtigen Assyrern bedroht. In ihrer Ver­zweiflung taten sie das, was auch die Nachbar­länder taten: Sie schickten Boten nach Ägypten und baten den Pharao, ihnen zu helfen. Wir sehen: Sie wendeten die Bären-Strategie an, sie taten etwas! Sie wollten zusammen mit den Ägyptern und ihren Nachbar­ländern gegen die Assyrer Krieg führen und sie dabei zurück­drängen.

Wie findet ihr das? Ist das nicht ganz vernünftig? Sollte man sich nicht wehren, wenn man angegriffen wird? Sollte man Probleme nicht überhaupt stets aktiv angehen und sie zu lösen versuchen? Ja, die Bären-Strategie findet wohl bei den meisten Menschen Anklang. Fliehen wie ein Reh, abwarten wie eine Schild­kröte, das scheint dagegen längst nicht so hilfreich zu sein.

Über­raschend ist nun, was Gott zu Israels Strategie sagt. Sein Kommentar sind die Worte, die wir als Predigttext gehört haben. Gott ist überhaupt nicht ein­verstanden mit Israels Plänen. Er verkündet ihnen durch den Propheten Jesaja: „Weil ihr euch auf Frevel und Mutwillen verlasst, so soll euch diese Sünde sein wie ein Riss, wenn es beginnt zu rieseln an einer hohen Mauer, die plötzlich, unversehens einstürzt; wie wenn ein Topf zer­schmettert wird, den man zerstößt ohne Erbarmen, sodass man von seinen Stücken nicht eine Scherbe findet, darin man Feuer hole vom Herde oder Wasser schöpfe vom Brunnen.“ Gott prophezeit den Israeliten also: Das wird auf keinen Fall gut gehen, was ihr vorhabt! Das Verbünden mit den heidnischen Ägyptern ist eine Sünde, und ihr werdet die Quittung dafür kriegen! Stattdessen erwartet Gott von den Israeliten die Schild­kröten-Strategie, das Abwarten, das Stille­halten. Er rät ihnen durch Jesaja: „Wenn ihr umkehrtet und stille bliebet, so würde euch geholfen; durch Stillesein und Hoffen würdet ihr stark sein.“ Doch Gott sieht voraus, dass Israel zu solcher Umkehr nicht bereit ist und alle Warnungen in den Wind schlagen wird. Er spricht weiter durch Jesaja: „Aber ihr wollt nicht und sprecht: Nein, sondern auf Rossen wollen wir dahin­fliegen – darum werdet ihr dahin­fliehen, und auf Rennern wollen wir reiten – darum werden euch eure Verfolger über­rennen.“ Was Gott von Israel erwartete, ist ganz klar: Er erwartete von ihnen, dass sie sich nicht mit dem heidnischen Ägypten verbünden und auf dessen mili­tärische Stärke vertrauen, auch nicht auf die eigene mili­tärische Stärke, sondern dass sie einfach abwarten, was kommt, und dabei ihr Vertrauen ganz auf ihren König im Himmel setzen.

Die Frage ist nun aber: Lässt sich das ver­allgemei­nern? Erwartet Gott von allen Menschen die Schild­kröten-Strategie, wenn Probleme kommen? Haben wir im zurück­liegenden Jahr immer dann gesündigt, wenn wir unsere Probleme selbst in die Hand nahmen, oder auch, wenn wir vor ihnen wegliefen?

Gottes Weisung an Israel lässt sich nicht ver­allgemei­nern; es handelt sich vielmehr um Gottes Wort für eine spezielle Situation. Freilich hatte Gott dieses Wort seinem Volk schon vorher mehrfach zukommen lassen durch Jesaja und andere Propheten. Die Israeliten wussten also, was Gott von ihnen erwartete, aber sie hielten sich nicht daran. Das war eigentlich ihre Sünde: Nicht, dass sie aus Versehen eine falsche Strategie gewählt hatten, sondern dass sie bewusst gegen Gottes Wort eine eigen­mächtige Strategie be­vorzugten! Wir wissen das, weil Gott dem Jesaja erklärte: „Sie sind ein un­gehorsames Volk und verlogene Söhne, die nicht hören wollen die Weisung des Herrn, sondern sagen zu den Sehern: Ihr sollt nicht sehen!, und zu den Schauern: Was wahr ist, sollt ihr uns nicht schauen! Redet zu uns, was angenehm ist; schaut, was das Herz begehrt! Weicht ab vom Wege, geht aus der rechten Bahn! Lasst uns doch in Ruhe mit dem Heiligen Israels!“

Seht, das ist eigentlich die Wurzel jeder Sünde: dass Menschen sich gegen Gott ent­scheiden, dass sie ungehorsam sind. Man kann es kaum deutlicher ausdrücken, als es hier vom Propheten Jesaja gesagt ist. Er hat es dann übrigens auch in Gottes Auftrag auf­geschrieben, damit die Menschen aller Zeiten diese Warnung hören, auch wir heute. Unser Predigt­abschnitt beginnt damit, dass Gott dem Jesaja aufträgt: „Geh nun hin und schreib es vor ihnen nieder auf eine Tafel und zeichne es in ein Buch, dass es bleibe für immer und ewig.“ Wenn wir heute aus dem Buch des Propheten Jesaja lesen, dann ist das nichts anderes, als stünde Jesaja leibhaftig vor uns und predigte mit seinem Mund; seine leibhaftige Predigt aber ist nichts anderes als Gottes eigenes Wort! Seht, und da kann man dann die Sünde des modernen Menschen erkennen, der an der Bibel so lange herum­deutelt, bis er sie nicht mehr für Gottes Wort hält, oder für unklar, oder für un­zeitgemäß. Es ist eigentlich gar keine moderne Sünde, sondern sie ist uralt. Auch heute sagen die Menschen, wie es bei Jesaja heißt: „Lasst uns doch in Ruhe mit dem Heiligen Israels!“ Lasst uns in Ruhe mit Gott! Lasst uns in Ruhe mit seinen Geboten, die sind eh veraltet! Haltet uns doch nicht immer wieder dieselben Sachen vor die Nase, nach denen sich sowieso kaum noch einer richtet! Predigt doch lieber, was man gern hört, was fröhlich ist, unter­haltend, auf­munternd! Predigt etwas Zeit­gemäßes, etwas Modernes! „Redet zu uns, was angenehm ist; schaut, was das Herz begehrt!“

Wenn wir auf das vergangene Jahr zurück blicken und überlegen, was falsch gelaufen ist, dann sollten wir vor allem an dieser Stelle ansetzen. Wenn wir mal auf ein Problem falsch reagiert haben, dann ist das eigentlich gar nicht so schlimm; die Folgen lassen sich aushalten. Wenn wir uns aber gegen Gottes Wort und Gebot entschieden haben, dann ist das schlimm. Wenn wir uns selbst oder anderen Menschen mehr zugetraut haben als ihm, dann ist das schlimm. Wenn wir eigen­mächtig wichtige Ent­scheidungen gefällt haben, ohne Gott um seine Leitung zu bitten, dann ist das schlimm. Lasst uns aber wenigstens nicht so halsstarrig sein wie die Israeliten damals, die den Ruf zur Umkehr nicht gehört haben. Wenn wir die Risse in den Wänden unserer Lebens­häuser sehen, dann lasst uns Gott um Hilfe bitten, ehe unsere Lebens­häuser ganz zusammen­krachen. Lasst uns die Sünde der Eigen­mächtigkeit in die Beichte bringen und unsere Hoffnung ganz auf die Vergebung setzen, die er uns um Christi willen zuspricht.

Und lasst uns dann für das bevor­stehende Jahr Folgendes lernen: Gott schreibt uns keine allgemein gültige Lösungs­strategie für unsere Probleme vor. Bei manchen Problemen werden wir aktiv werden müssen, vor anderen fliehen, bei wieder anderen still­halten. In jedem Fall aber sollten wir uns darauf besinnen, was Gottes Wort zu unserem Problem zu sagen hat, und wir sollten das Problem ihm auch im Gebet anbefehlen. Diese Grund­haltung entspricht dem Glauben. Der christliche Glaube ist seinem Wesen nach etwas Passives: Er ist ein Sich-beschenken-Lassen, ein Gott-machen-Lassen, ein Christus-herrschen-Lassen. Insofern ist an der Schild­kröten-Strategie doch etwas grund­sätzlich Wahres dran: Wie auch immer wir uns in Krisen­situationen verhalten – wir sollten im Glauben verharren, im Glauben still sein, im Glauben hoffen. Gott hat durch Jesaja verheißen: „Durch Stillesein und Hoffen würdet ihr stark sein.“ Unsere Stärke liegt nicht in unserem eigenen Aktivi­täten, auch nicht in der Flucht, sondern beim Herrn Jesus Christus. Dem wollen wir alles anbefehlen, auf dessen Wort und Weisung wollen wir achten. Solcher Glaube ist eine Haltung, die Jesus „wachen und beten“ genannt hat.

Das Wunderbare an dieser Glaubens-Strategie ist, dass wir unter der Last unserer Probleme nicht zerbrechen müssen. Wir vergehen auch nicht vor Angst in Erwartung so mancher schwieriger Situation, die das neue Jahr bringen könnte. Ja, wir dürfen es geistlich getrost so machen wie die Schild­kröte: Wir dürfen stille sein, hoffen, im Glauben wachen, beten – und dabei Gottes Stärke erfahren. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2010.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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