Beten und Buße tun auf Tod und Leben

Predigt über Ester 4,15‑17 zum Buß- und Bettag

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

In den letzten Monaten wurde in der Öffentlich­keit viel über jene Menschen diskutiert, die zwar in Deutschland leben, aber aus dem Ausland stammen. Da gibt es zum Beispiel viele Mitbürger mit sogenanntem Migrations­hintergrund. Sie haben fremde Lebens­gewohnheiten und hängen teilweise nicht­christlichen Religionen an. Zum Glück sind diejenigen Deutschen in der Minderheit, die sie hassen und die sie am liebsten allesamt abschieben würden. Eine Mehrheit befürwortet ihr Hierbleiben – voraus­gesetzt, dass die Migranten zur Integration bereit sind, dass sie also den Willen haben, die deutsche Sprache zu lernen und sich nach den hier geltenden Grundwerten zu richten.

Probleme des Migranten­tums und der Integration sind keineswegs etwas Neues; sie sind vielmehr uralt. Es gab sie bereits in einer der ältesten Kulturen der Welt, in Persien nämlich. Richten wir unseren Blick auf die persische Stadt Susa. Dort lebten vor zweieinhalb­tausend Jahren jüdische Migranten unter den alt­eingesesse­nen Persern. Viele Perser schätzten sie trotz ihrer fremden Kultur und ihrer fremden Religion, aber einige hassten sie aus tiefstem Herzen. Zu ihnen gehörte Haman, ein hoher Beamter am Hof des persischen Königs Xerxes. Der König hatte so großes Vertrauen zu Haman, dass er ihn zum Kanzler über sein ganzes Reich machte. Dieser Haman hasste, wie gesagt, die Juden, die zu tausenden in der Residenz­stadt Susa wohnten. Sein Hass hatte einen ganz einfachen Grund: Er hatte beobachtet, dass ein Mann am Eingangstor zum Palast­bezirk nicht vor ihm nieder­kniete, wie es von allen erwartet wurde. Schnell fand er heraus, dass dieser Mann ein Jude war, dass die Juden nur an einen Gott glaubten und dass sie nur vor diesem ihren Gott in die Knie gingen; anderen Göttern und mächtigen Menschen ließen sie diese Ehre nicht zuteil werden. Hamans Ehrgefühl war durch dieses Verhalten des Migranten so verletzt, dass er sich vornahm, alle Juden im persischen Reich aus­zurotten. Wir sehen, auch Juden-Pogrome sind keine Erfindung des 20. Jahr­hunderts, sondern haben leider eine jahrtausende­alte Tradition. Haman überredete König Xerxes, den Völkermord an den Juden gesetzlich anzuordnen. Er erwähnte dabei auch die große Menge Geld, die dem König aus dem beschlag­nahmten Vermögen der Juden zufallen würde. Das Unheil über die jüdische Minderheit in Persien schien un­aufhaltbar. Als das Gesetz bekannt wurde, hob ein großes Jammern und Klagen in Gottes aus­erwähltem Volk an.

Aber nun kommt ein noch mächtigerer König ins Bild: der Schöpfer der Welt. Obwohl Gott im gesamten Buch Ester kein einziges Mal aus­drücklich erwähnt wird, ist er doch eigentlich die Hauptperson der Handlung. Wir erfahren, wie Gott die Rettung der Juden schon seit langem vorbereitet hatte – sogar schon lange, bevor Haman überhaupt Kanzler wurde. Wir erfahren, dass der unbeugsame Jude am Palasttor Mordechai hieß und eine atem­beraubend schöne Pflege­tochter hatte; die hieß Ester. Wir erfahren, dass König Xerxes nach der Scheidung von seiner Hauptfrau Ester zur neuen Königin machte – ohne zu wissen, dass sie eine Jüdin war. Und wir erfahren auch, dass Esters Pflegevater eine Ver­schwörung gegen König Xerxes aufdeckte und deshalb lobend in den Akten der Palastwache erwähnt wurde. Man könnte meinen, dass es aufgrund dieser Tatsachen ein Leichtes gewesen sein muss, den König von seinem geplanten Judenmord abzubringen und diesem Volk künftig mit großem Wohlwollen zu begegnen – aber so einfach war die Rettung der persischen Juden dann doch nicht. Auf was für abenteuer­lich ver­schlugenen Wegen Gott sein Volk schließlich rettete, ist in den zehn Kapiteln des Esterbuchs äußerst spannend be­schrieben. Mit dem Predigttext richte ich unser Augenmerk jetzt lediglich auf ein einzelnes Ereignis in diesem Krimi, nämlich auf den Buß- und Bettag der Juden.

Um dieses Ereignis zu verstehen, müssen wir uns zunächst in die merkwürdige Welt eines antiken Großkönigs hineindenken. Xerxes hatte wie alle Könige seiner Zeit einen großen Harem, also einen separaten und gut bewachten Palast, in dem die Königin sowie auch alle Nebenfrauen lebten. Wenn der König Lust hatte, mit einer dieser Frauen zusammen zu sein, ließ er sie in seinen eigenen Palast holen; danach schickte er sie in den Harem zurück. Es war den Frauen bei Todesstrafe verboten, un­aufgefordert beim König zu erscheinen, ganz egal, was für ein Anliegen sie hatten. Wenn eine Frau es dennoch wagte, konnte sie nur darauf hoffen, dass der König Gnade vor Recht ergehen ließ und sie entgegen dem geltenden Gesetz anhörte. Jetzt ahnen wir, auf welche gefährliche Mission Ester geschickt wurde: Sie sollte eigen­mächtig vor Xerxes treten und ihn um Verschonung für das jüdische Volk bitten. Als das Völkermord-Gesetz des Königs bekannt wurde, bedrängte ihr Pflegevater sie, dass sie dieses Wagnis unbedingt eingehen muss. Ja, sie musste ihr Leben wagen, weil es für alle Juden im persischen Reich um Leben und Tod ging! Aber Ester und ihr Pflegevater und alle Juden wussten dabei: Das Gelingen dieser Mission hängt nicht vom Zufall ab und auch nicht von der Gunst irgend­welcher launischen Götter, sondern die Sache ist bei Gott dem Herrn in den besten Händen. Darum war es nur natürlich, dass sie diesen einen wahren Gott inständig anflehten, dass er helfen und Esters gewagtes Vorhaben zum Erfolg führen möchte. Ester selbst bat darum, nicht nur einen, sondern gleich drei Buß- und Bettage anzusetzen, um dieser Bitte vor Gott Nachdruck zu verleihen. Ester ließ ihrem Pflegevater ausrichten: „Versammle alle Juden, die in Susa sind, und fastet für mich, dass ihr nicht esst und trinkt drei Tage lang, weder Tag noch Nacht. Auch ich und meine Dienerinnen wollen so fasten. Und dann will ich zum König hineingehen entgegen dem Gesetz. Komme ich um, so komme ich um.“

Das Wörtchen „fasten“ zeigt uns, dass es sich um Buß- und Bettage handelte. Beim Fasten trugen die Menschen Trauerkleidung und ver­zichteten auf leckeres Essen, um Gott zu zeigen, dass sie über ihre Sünden traurig sind. Zugleich baten sie Gott darum, ihnen doch ihre Schuld nicht zornig zu vergelten, sondern barmherzig zu sein und helfen. Die Trauer­kleider und das Fasten sind dabei also gar nicht das Ent­scheidende, es sind nur äußere Zeichen für Buße und Gebet. So stand denn auch das Beten im Mittelpunkt der drei Buß- und Bettage der Juden in Susa. In den sogenannten Apokryphen, den späteren Ergänzungs­schriften zum Alten Testament, finden wir den Wortlaut der Gebete, die Ester und ihr Pflegevater an diesen Buß- und Bettagen gesprochen haben. Von der Zeit danach heißt es dann in diesen apokryphen „Stücken zu Ester“: „Am dritten Tag zog sie die Bußkleider aus und legte ihren königlichen Schmuck an.“ Gestärkt vom Buße-Tun und Beten, trat Ester vor den König. Mit Klugheit, Geduld und Charme konnte sie den Völkermord verhindern und bewirken, dass der Rassist Haman bestraft wird.

Wir springen nun zurück in unsere Zeit, zu unserem heutigen Buß- und Bettag. Haben wir ihn überhaupt nötig? Wir sind ja keine verhasste Minderheit in unserem Land, sondern wir zählen zu den Alt­eingesesse­nen. Uns droht keine Lebens­gefahr: Die Todesstrafe ist in unserem Staat längst ab­geschafft, und für die Absicherung des Lebens wird heute mehr getan als in früheren Jahr­hunderten. Aus welchem Grund sollten wir noch an einem besonderen Tag zum Buße-Tun und Beten für unser Volk festhalten? Sollte man ihn nicht lieber still­schweigend einschlafen lassen, jetzt, wo er sowieso kein gesetz­licher Feiertag mehr ist in fast allen Bundes­ländern?

Liebe Gemeinde, das ist keineswegs meine Ansicht. Vielmehr hat unser Volk auch heute noch allen Grund, sich wenigstens einmal im Jahr gemeinsam vor Gott zu demütigen, Sünden zu bekennen und um Hilfe zu bitten. Und wenn in unserer multi­kulturellen Gesell­schaft schon nicht alle Mitbürger dafür gewonnen werden können, dann sollten wenigstens alle Christen den Buß- und Bettag ernst nehmen. Denn näher betrachtet, steht auch in unserem Volk das Leben von vielen tausend Menschen auf dem Spiel – ebenso wie damals, zu Esters Zeit.

So werden Jahr für Jahr in unserem Land über hundert­tausend Kinder getötet, noch ehe sie überhaupt das Licht der Welt erblicken. Viele Deutsche sind sich gar nicht bewusst, dass das von unserem Grundgesetz her eigentlich nicht erlaubt ist. Aber wenn eine werdende Mutter innerhalb einer bestimmten Frist eine Beratungs­stelle aufsucht und dann ent­scheidet, dass sie das Kind nicht haben will, kann sie es töten lassen, ohne bestraft zu werden; meistens werden ihr sogar die Kosten dafür erstattet. So haben wir allen Grund, in uns zu gehen und Buße zu tun. Wir müssen vor Gott bekennen, dass wir unsere Stimme gegen dieses Unrecht viel zu leise oder vielleicht auch überhaupt nicht erhoben haben, ja, dass es uns vielleicht sogar gleich­gültig war. Und wir wollen Gott bitten, dass er eingreift und hilft. Möchte doch Gott den Mächtigen und den Meinungs­machern in unserm Land die Einsicht schenken, dass auch schon die kleinsten und hilf­losesten Menschen in unserer Gesell­schaft ein Recht auf Leben haben.

Noch in einer anderen Hinsicht geht es in unserem Land um Tod und Leben, um geistlichen Tod und geistliches Leben nämlich. Geistlicher Tod bedeutet Trennung von Gott, Unglaube, unvergebene Schuld, und am Ende die Verdammnis der Hölle. Geistlicher Tod ist das Schlimmste, was einem Menschen passieren kann – und gerade der droht so vielen unserer Mitbürger, weil sie Jesus nicht kennen. Geistliches Leben dagegen bedeutet Vergebung der Sünden, Gemeinschaft mit Gott, ein neues Herz, Liebe und un­auslösch­liche Freude, dazu schließlich ewiges Leben im Himmel. Auch hier müssen wir vor Gott bekennen, dass wir die Menschen um uns herum zu wenig zu diesem herrlichen geistlichen Leben eingeladen haben; wir haben ihnen zu wenig von Jesus gesagt und zu wenig von Gottes Liebe vorgelebt. Wir wollen Gott bitten, dass er auch in dieser Hinsicht eingreift und hilft. Möchte Gott doch eine Erweckung schicken, seinen Heiligen Geist, der die Menschen aus dem Schlaf der Sicherheit reißt und sie auf den Weg des ewigen Lebens bringt!

Beten und Buße tun auf Leben und Tod – das war damals die richtige Ent­scheidung der bedrohten jüdischen Minderheit in Persien. Sie haben ihre Bußtage nicht vergeblich gehalten, sondern Gott hat sie erettet – wenn auch auf merkwürdig ver­schlugenen Wegen. Beten und Buße tun auf Leben und Tod – dazu haben wir auch in unserer Zeit reichlich Anlass. Lasst es uns tun in der Zuversicht, dass Gott auch uns erhören und vielen das Leben bewahren wird – hier zeitlich und dort ewiglich. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2010.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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