Gottes Art zu erziehen

Predigt über den Philemon­brief

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Der Inhalt des Philemon-Briefs ist ganz privater Natur; man würde ihn heute als „ver­traulich“ bezeichnen: Paulus rät seinem wohl­habenden Glaubens­bruder Philemon, wie er mit dem entlaufenen Sklaven Onesiums umgehen soll. Onesimus war von Philemon ausgerissen und zu Paulus gekommen. Durch das Glaubens­zeugnis des Paulus war Onesimus dann ein Christ geworden. Nun schickte Paulus Onesimus zu Philemon zurück – zusammen mit den sehr persön­lichen Ratschlägen dieses Briefes. Allerdings haben die Christen der ersten Generation nicht viel Getue um Vertraulich­keit gemacht; sie lebten nach der Devise: Die Wahrheit braucht das Licht nicht zu scheuen! Darum hat Paulus diesen Brief nicht nur an Philemon persönlich adressiert, sondern auch an die Christin Aphia und den Christen Archippus sowie an die ganze Gemeinde, die sich in Philemons Villa zu treffen pflegte. Der Heilige Geist hat dafür gesorgt, dass wir diesen wunderbaren Brief heute in der Bibel finden können und wissen dürfen, dass Gott selbst uns durch ihn etwas lehren will.

Freilich können wir in diesem Brief keine ge­sellschafts­politische Richtlinie zur Sklaven­haltung kennen­lernen. Das Evangelium von Jesus Christus ist ja kein ge­sellschafts­politisches Patent­rezept, sondern die frohe Botschaft zur radikalen Erneuerung sündhafter Menschen. Gott will mit seinem Wort nicht gesellschaft­liche Situationen ändern, sondern Menschen­herzen! Derart verwandelte Menschen werden sich dann in ihrer jeweiligen gesellschaft­lichen Situation gott­gefällig und liebevoll verhalten – als Herr oder als Sklave, als Arbeitgeber oder als Arbeit­nehmer, als Regierender oder als einfacher Bürger, als Verkäufer oder als Käufer, als Lehrer oder als Schüler. Versteht mich nicht falsch: Ich finde es gut, dass die Sklaverei heute abgeschafft ist. Aber als es sie noch gab, da galt: Wenn sich Herr und Sklave als Glaubens­geschwister liebten und achteten, dann wurde die ganze Problematik der Sklaverei bedeutungs­los. Darum geht es im Philemon­brief: um Herr und Sklave als Glaubens­geschwister.

Aber es geht noch um viel mehr. Es geht unter anderem auch darum, wie Gott erzieht. Sowohl der entlaufene Sklave Onesimus als auch sein Herr Philemon bekamen in der schwierigen Situation, in der sie sich befanden, ein paar wunderbare Lektionen von Gott erteilt durch den Apostel Paulus. An diesen Lektionen können wir grund­sätzlich erkennen, wie Gott auch uns Heutige erziehen will. Drei Erziehungs­arten sind es, die wir dem Philemon­brief entnehmen können: Gottes Erziehung durch Worte, Gottes Erziehung durch Ereignisse und Gottes Erziehung durch Vorbilder.

Da ist erstens Gottes Erziehung durch Worte. Das ist auf den ersten Blick banal: Natürlich erzieht Gott durch Worte – er gebietet etwas mit seinen Geboten, und wir Menschen sollen gehorchen. Gehorchen hängt mit „horchen“, also mit „hören“ zusammen, und das Gehörte sind nun mal Worte. Wenn das aber alles wäre, was sich zu Gottes Erziehung durch Worte sagen ließe, dann hätte der Philemon­brief ganz kurz ausfallen können. Paulus hätte dem Philemon einfach schreiben können: „Onesimus ist jetzt Christ geworden, darum gebiete ich dir im Namen Gottes, ihn künftig wie einen Glaubens­bruder zu behandeln.“ Stattdessen schrieb Paulus: „Ich möchte nicht von meiner Vollmacht Gebrauch machen. Ich könnte dir unter Berufung auf Christus befehlen, was du tun sollst; aber um der Liebe Raum zu geben, bitte ich dich nur.“ Dieses herzliche, liebevolle Bitten durchzieht den ganzen Brief. Da merken wir: Der Ton macht die Musik! Befohlen wird von oben nach unten, aber gebeten wird auf gleicher Stufe in einer liebevollen Beziehung. Seht, so erzieht Gott: Er hat uns Menschen nicht einfach nur seine Gebote von oben herab befohlen, sondern er ist durch Jesus auf unsere menschliche Stufe herab­gekommen. Er möchte nicht einfach nur, dass wir ihm gehorchen, sondern er möchte uns für eine liebevolle Beziehung mit ihm gewinnen. So hat er uns in Jesus seine ganze Liebe und Barmherzig­keit gezeigt. Durch ihn bittet er uns und lädt uns ein: Kehrt um, lasst euch versöhnen, kommt her zu mir! Ja, so erzieht Gott mit Worten: durch freund­liches Locken und Einladen, durch liebevolles Nachgehen und Werben – auch wenn er alles Recht der Welt hat, fordernd und befehlend auf­zutreten.

Ja, Gott erzieht uns durch Worte – einerseits durch mahnende Gesetzes­worte, vor allem aber durch liebevolle Evangeliums­worte. Er möchte unseren Gehorsam nicht erzwingen, sondern er möchte unsere Herzen gewinnen, dass sie ganz nahe bei seinem Herzen sind. So hat er einst den Philemon gewonnen, so hat er auch den Onesimus gewonnen. Paulus schrieb: „Ich habe ihn zum Glauben geführt.“ Wie hat er das gemacht? Natürlich durch die Predigt des Evan­geliums, durch die Ver­kündigung der Liebe Christi, durch das Wort vom Kreuz! Und auch getauft wird er ihn haben in der Kraft desselben Wortes. Ja, Gottes erziehendes Wort hat große Kraft – solche Kraft würden sich manchmal Eltern und Lehrer für ihre erziehe­rischen Worte wünschen! Gottes Wort verändert und erneuert Menschen­herzen. So wurde aus dem auf­sässigen, nichts­nutzigen und untreuen Knecht Onesimus ein Christ – liebevoll und dienstbereit für Gott und seine Mit­menschen. Paulus schrieb dem Philemon: „Früher hattest du an ihm nur einen Nichtsnutz, aber jetzt kann er dir und mir nützlich sein.“ Dieselbe Kraft hat Gottes Wort noch heute, und wir tun gut daran, uns von ihr umgestalten zu lassen. Wir bekennen in der Beichte unsere Nichts­nutzigkeit und erfahren durch Gottes Wort, dass er uns trotzdem liebt. Dasselbe erfahren wir im Heiligen Abendmahl, in der Predigt, im Segen und beim Bibellesen. Dass Gott uns durch sein Wort umgestaltet und erneuert, ist die wichtigste und beste Erziehung, die wir in unserem Leben kriegen können.

Zweitens zeigt der Philemon­brief, dass Gott uns durch Ereignisse erzieht. Von was für Ereignissen ist denn da eigentlich die Rede? Es sind nicht gerade erfreuliche Ereignisse. Da ist also Onesimus seinem Herrn davon­gelaufen; das war nicht richtig. Philemon wird sich aufgeregt haben: Was fällt dem Bengel bloß ein! Aber ganz ohne Grund flieht niemand. Onesimus wird sich über seinen Herrn vielleicht geärgert haben. Vielleicht hat der ihn hart angefasst, und Onesimus hat gestöhnt: Hier halte ich es nicht mehr aus! Aber auch das harte Anfassen wird nicht ganz ohne Grund gewesen sein – wir haben ja schon gehört, dass Onesimus ein ziemlicher Nichtsnutz war. Ebenso hatte es im Leben des Paulus unangenehme Ereignisse gegeben. Er schrieb, dass er im Gefängnis sitzt. Böse Menschen hatten ihm einen Knüppel zwischen die Beine geworfen bei seinem Missions­dienst. Sie hassten ihn und seine Ver­kündigung, und darum hatten sie ihn bei den römischen Behörden an­geschwärzt. Warum hat Gott das zugelassen, dass sein fleißigster Apostel lahmgelegt wurde? Was sollen diese Ereignisse, die doch allesamt auf menschliche Bosheit zurück­gehen? Soll das Gottes Erziehung sein? Ja, Gott erzieht auch, indem er böses Tun von Menschen in seinen guten Plan einbezieht. Nicht, dass Gott das Böse will; aber wenn es denn geschieht, dann kann Gott etwas Gutes daraus machen. So hat Gott dem Paulus im Gefängnis Zeit und Ruhe geschenkt, um auf den Heiligen Geist zu hören und wunderbare Briefe zu verfassen; Durch sie kommt noch heute Gottes Wort zu uns. Und so hat Gott den Onesimus auf seiner Flucht geradewegs in die Arme des Paulus getrieben; dort fand er zum Glauben an Jesus. Und so hat Gott all die un­erfreulichen und sündhaften Ereignisse zu etwas Gutem gefügt: Onesimus wird Christ, Philemon bekommt statt eines störrischen Sklaven einen dienst­bereiten Bruder in Christus zurück, und die Christen­heit erhält mit dem Philemon­brief ein wunderbares Zeugnis über Wege der göttlichen Liebe.

Wir können an un­erfreulichen Ereignissen im Rückblick oftmals erkennen, wie lieb Gott uns hat und wie er aus menschlich Bösem göttlich Gutes macht. Viele Leute stöhnen über ein schweres Schicksal; ihr Leben verläuft ganz anders, als sie es einmal erhofft hatten. „Warum mutet Gott mir das zu?“, fragen sie dann, „Warum schickt er mir so Schweres zu tragen?“ Es ist dabei richtig erkannt, dass alles, was uns passiert, uns von Gott zugemutet und geschickt wird; darum nennen wir es ja auch „Schick­sal“, also „das von Gott Ge­schickte“. Bei der Warum-Frage stoßen wir freilich oft auf menschliche Ursachen, auf Bosheit und Sünde, die uns vieles Schlechte einbrocken. Wenn wir uns von Gott erziehen lassen wollen, dann sollten wir deshalb nich so viel „warum?“ fragen, sondern lieber „wozu?“: Wozu schickt mir Gott dies und das, wozu mutet er mir das zu, was ist sein Weg, sein Plan mit mir? Es kann dann eine ganze Weile dauern, aber irgendwann werden wir auch für die schwierigen Seiten unseres Lebens das erkennen, was wir mit dem Philemon­brief erkennen: Gott nimmt das Schlechte und macht etwas Gutes daraus! Am allerbesten erkennen wir das an unserm Herrn Jesus Christus selbst: Menschliche Bosheit brachte ihn ans Kreuz, aber gerade so hat er die ganze Welt erlöst. Gottes Erziehung durch Ereignisse ist Kreuzes­erziehung.

Drittens können wir im Philemon­brief Gottes Erziehung durch Vorbilder erkennen. Paulus schrieb allgemein von der vorbild­lichen Liebe des Philemon, mit der dieser andere Christen erfreute; wir wissen freilich nicht, was für Taten damit gemeint sind. Aber auch an Paulus selbst sehen wir in diesem Brief ein Vorbild. Er schrieb nämlich dem Philemon: „Wenn dich Onesimus geschädigt hat oder dir etwas schuldet, dann rechne es mir an!“ Vielleicht hat Onesimus ja auf ein paar Schafe nicht richtig aufgepasst; sie sind ihm verloren gegangen, und er ist aus Angst vor der Strafe geflohen. Oder vielleicht hat er ein wertvolles Tongefäß kaputt gemacht. Egal, was es war, Paulus ist bereit, dem Philemon jeden ent­standenen Vermögens­schaden aus eigener Tasche zu ersetzen. Er möchte nicht, dass ein bitterer Geschmack zwischen Philemon und Onesimus bestehen bleibt oder ein Schuld­gefühl. Paulus tut das aus Liebe zu den beiden Mit­christen; niemand ver­pflichtete ihn zu solcher Groß­herzigkeit, niemand hätte es auch nur von ihm erwarten können.

Ja, solche Vorbilder der Liebe bleiben uns im Gedächtnis haften – viel mehr als tausend Worte und hundert Ereignisse! Und bestimmt haben auch euch solche Vorbilder in eurem Christsein stark geprägt; bei mir war es jedenfalls so. Das größte Vorbild der Liebe aber ist wieder unser Herr selbst, der sich bis hin zum Tod am Kreuz erniedrigt hat, um uns zu erlösen. So hat er uns zu Gottes Kindern gemacht – und zu seinen Jüngern. Jünger aber sind Nachfolger, Nachahmer der Liebe Christi. Jünger sind Menschen, die un­verdienter­weise zu Gott gehören und die nun nach und nach lernen, sich ent­sprechend zu verhalten. Jünger sind also noch in der Ausbildung, Jünger werden noch erzogen. Gott erzieht uns durch sein Wort, durch Ereignisse und durch Vorbilder. Welche Fort­schritte machen wir unter dieser Erziehung? Zensuren gibt Gott nicht, und wir brauchen auch unter­einander keine Vergleiche an­zustellen. Das Wichtigste ist, dass wir im Glauben unter seiner Gnade bleiben. Ja, vor allem dazu erziehe uns Gott, vor allem das schenke er uns, wie es im Schlusssatz des Philemon­briefes heißt: „Jesus Christus, unser Herr, bewahre euch in seiner Gnade!“ Amen.

Bibelzitate aus „Die Gute Nachricht –Die Bibel in heutigem Deutsch“

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2010.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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