Kadosch!

Predigt über 3. Mose 19,1‑4.11‑18 zum 21. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Schon öfters habe ich in meinen Predigten gesagt, was „heilig“ bedeutet, nämlich „zu Gott gehörig“. Diese Erklärung gibt allerdings nicht die volle Tiefe des Wortsinns wieder. Wir merken das, wenn wir uns den wichtigsten Satz aus unserem Predigttext vor Augen führen, wo Gott seinem Volk sagt: „Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig.“ Wenn Gott selbst heilig ist und wenn heilig einfach nur „zu Gott gehörig“ hieße, dann würde dieser Satz ja die Binsen­weisheit ausdrücken, dass Gott zu sich selbst gehört! Das Wort „heilig“ muss also noch mehr bedeuten.

Wir wollen uns jetzt einmal ausführlich und eine ganze Predigt lang mit dem Wort „heilig“ be­schäftigen. Es ist nicht einfach irgendein frommes Wort, sondern in diesem Wort liegt das ganze Geheimnis begründet, das Gott uns Menschen offenbart hat. Geheimnis­voll ist bereits die Herkunft dieses Wortes. Machen wir uns klar, dass es hier eigentlich um ein hebräisches Wort geht; das Wort „heilig“ ist ja nur die deutsche Über­setzung. „Kadosch“ lautet dieses Wort auf hebräisch – das klingt viel größer und erhabener! Während wir beim deutschen Wort „heilig“ heraus­hören, dass es von „heilen“ und „Heil“ herkommt, kann man das Wort „kadosch“ nicht von irgendetwas anderem herleiten. Es war schon immer ein Wort, das auf geheimnis­volle Weise Gott ins Bewusstsein rief; die Bibel verwendet es nur für Gott und für Dinge, die mit Gott in Beziehung stehen. Gott ist „kadosch“, und alles, was mit ihm Gemein­schaft hat, ist ebenfalls „kadosch“. „Ihr sollt kadosch sein, denn ich bin kadosch“, ließ Gott sein aus­erwähltes Volk Israel durch Mose wissen. „Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig“, so deutete der Apostel Petrus diesen Satz auf die Christen­heit (1. Petrus 1,16). „Ihr sollt vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist“, so lehrte Jesus seine Jünger (Matth. 5,48). Gott ist heilig, vollkommen, vollendet, göttlich, gut, richtig, rein – all das steckt in diesem erhabenen und geheimnis­vollen Wort „kadosch“ drin. Aber es ist nicht so, dass Gott diesem „Kadosch“ als einem absoluten Heiligkeits­maßstab unterworfen wäre. Nein, „kadosch“ bedeutet, dass Gott selbst den Maßstab für Heiligkeit setzt. Gott selbst bestimmt, was vollkommen, gut, richtig, rein und heilig ist. Es handelt sich um eine selbst­bestimmte innere Harmonie, eine innere Ordnung Gottes, die sich überträgt auf alles, was mit ihm im Einklang ist.

Am besten verstehen wir das Wort „kadosch“, wenn wir drei Sätze betrachten, die etwas über das Verhältnis Gottes zu uns Menschen sagen: 1. Wir sollen heilig sein. 2. Wir sind nicht heilig. 3. Gott macht uns heilig. In diesen drei Sätzen hängt die ganze Heils­geschichte Gottes mit der Menschheit. In diesen Sätzen begegnet uns Gottes ganzes Gesetz sowie auch das volle Evangelium, die frohe Botschaft von Jesus Christus.

Erstens: Wir sollen heilig sein. Wir sollen uns nach Gottes heiliger Ordnung richten, nach seinem „Kadosch“-Maßstab, den er setzt. Diese Ordnung hat Gott in die Schöpfung hinein­gelegt und später in seinem Gesetz aus­formuliert – nicht nur in den Zehn Geboten, sondern auf vielfache Weise, auch hier in dem Abschnitt des Mose-Gesetzes, den wir als Predigttext gehört haben. Da steht ge­schrieben: „Ein jeder fürchte seine Mutter und seinen Vater.“ Gott hat den Menschen als Mann und Frau geschaffen und hat sie für die Ehe bestimmt. In der ehelichen Liebe bildet sich etwas von Gottes Heiligkeit ab, nämlich Gottes Liebe zu uns Menschen. Gott hat Mann und Frau in der Schöpfung mit Fruchtbar­keit gesegnet; sie können Kinder zeugen, die dann Vater und Mutter ehren sollen. Im Vater wird die Autorität des himmlischen Vaters an­schaulich, in der Mutter Gottes bedinungs­lose Liebe. Zu lebens­langer Treue hat Gott Mann und Frau bestimmt, so wie Gott selbst uns immer treu bleibt. Das Ehren der Kinder wird sich dann im Laufe der Zeit wandeln vom kindlichen Gehorsam und Unter­ordnung hin zu einem für­sorgen­den Ehren der alten Eltern.

Weiter steht ge­schrieben: „Haltet meine Feiertage; ich bin der Herr, euer Gott.“ Da denken wir besonders an die Heiligung des siebenten Tages nach sechs Arbeits­tagen; auch das ist ein Stück Schöpfungs­ordnung, eine heilige Ordnung Gottes für uns Menschen. Gott selbst schuf die Welt in sechs Tagen und ruhte am siebenten Tag. Er tat es uns zum Vorbild, dass auch wir nach sechs Arbeits­tagen den siebenten Tag heilig halten. Da kommen wir dann zusammen, um sein Wort zu hören und ihn ge­meinschaft­lich zu loben. Zu Gottes Heiligkeit gehört auch, dass dieses Gotteslob unteilbar ist, dass wir also außer den einen wahren Gott niemanden und nichts vergöttern sollen. Es steht ge­schrieben: „Ihr sollt euch nicht zu den Götzen wenden und sollt euch keine gegossenen Götter machen; ich bin der Herr, euer Gott.“

Schließlich soll auch im Umgang mit all unseren Mitmenschen Gottes Heiligkeit sichtbar werden. Weil Gott die Liebe ist, darum gilt: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ Heilig leben bedeutet, den Mitmenschen zu achten – seinen Besitz, seine Ehre, seine körperliche Un­versehrt­heit und sein Leben. Von alledem handeln die weiteren Worte aus Gottes Heiligkeits-Gesetz. „Ihr sollt nicht stehlen noch lügen noch be­trügerisch handeln einer mit dem andern“, lesen wir da. Wie damals der Arbeitgeber seinen Tagelöhner noch am Abend des Arbeits­tages seinen Lohn zahlen sollte, so sollen auch wir pünktlich und zuverlässig unsere Rechnungen bezahlen und niemandem etwas schuldig bleiben; das Einhalten vertrag­licher Ver­pflichtun­gen sollte eine Ehrensache sein. Weil Gott vollkommen wahrhaftig ist, sollten auch wir offen und ehrlich mit unseren Mitmenschen umgehen. Wir sollten es ohne Ansehen der Person tun, also ganz gleich, ob wir es mit Vor­gesetzten oder Unter­gebenen zu tun haben, mit sym­pathischen oder unsym­pathischen Leuten, mit solchen, die uns schaden, oder solchen, die uns nichts anhaben können. Vor allem sollen wir nicht Wut oder Spott an Schwächeren auslassen. Die ganz Armen, die Kranken, die Be­hinder­ten, die Ausländer und die Menschen am Rand der Gesell­schaft sollen wir nicht gering schätzen, sondern sie ebenso achten, wie wir selbst von unserem Mitmenschen geachtet werden möchten. Gott selbst liebt ja jeden einzelnen Menschen ohne Vor­bedingung. Ja, von alledem handelt dieses Gotteswort. „Kadosch“ sollen wir sein, heilig – nach dem Maßstab und Vorbild Gottes selbst: vollkommen, gut, richtig und rein.

Zweitens: Wir sind aber nicht heilig. Ich merke das immer wieder und immer mehr, je älter ich werde: Es klappt nicht mit dem Kadosch-Sein; wir Menschen sind nicht so, wie wir sein sollen. Dabei ist doch gar nichts einzuwenden gegen Gottes gute Ordnung! Wenn alle so lebten, wie Gott es mit der Schöpfung geordnet hat und in seinem Wort gebietet, könnten alle Menschen herrlich und entspannt miteinander auskommen. Was wäre das für eine schöne Welt! Aber seltsamerweise machen wir uns das Leben selber schwer. Wir zerstören Gottes heilige Ordnung und machen ein Trümmerfeld aus seiner Schöpfung. Das ist die dunkle Macht der Sünde in uns. Sie macht uns unheilig, sie trennt uns von Gott. Es ist immer noch so, wie es schon bei den ersten Menschen war. Der Teufel verführte sie mit der ver­lockenden Aussicht: Wenn ihr von den verbotenen Früchten esst, dann werdet ihr sein wie Gott! Der Teufel ist ein raffi­nierter Bursche – merkt ihr, wie er mit Halb­wahrheiten arbeitet? Göttlich sollen wir ja wirklich sein, heilig, rein, vollkommen und gut, das gebietet Gott selbst ja. Aber wenn der Teufel sagt: „Ihr werdet sein wie Gott!“, dann meint er damit etwas anderes. Er möchte, dass wir autonom werden, dass wir uns selbst zu Göttern machen und selbst unsere eigenen Maßstäbe für gut und böse setzen. Das aber ist Revolution, das ist Aufstand gegen Gott, das ist die Wurzel der Sünde! Weil dieser böse Keim im Herzen aller Menschen ruht, darum klappt es nicht mit unserer Heiligkeit.

Mann und Frau sind in ihrer Partner­schaft sehr oft nicht ein Leben lang das Abbild von Gottes herzlicher Liebe, sondern sie streiten sich, wenn sie nicht gar vorzeitig auseinander­gehen. Minder­jährige Kinder sind ihren Eltern ungehorsam und geben ihnen freche Antworten; große Kinder ver­nachlässi­gen ihre alten Eltern. Gottes Feiertag wird von vielen nicht mehr geheiligt; die einen sehen ihn als einen ganz normalen Arbeitstag an, die anderen möchten ihn in selbst­bestimmter Freizeit­gestaltung verbringen. Unter den Menschen herrschen Lüge, Betrug, Krieg, Demüti­gungen, Ausbeutung und Ungerechtig­keit. Wenn man nur richtig die Augen aufmacht, erkennt man bei sich selbst und bei den anderen Menschen: Wir sind nicht „kadosch“, wir sind nicht vollkommen, gut, richtig, rein und heilig.

Aber verzagen wir nicht! Denn nun kommt drittens die gute Nachricht: Gott macht uns heilig. Gott weiß natürlich, dass wir es nicht schaffen, so heilig zu sein, wie er uns haben will, aber er hat uns dennoch lieb. So hat er einen Weg gefunden, uns trotz unserer Sünde zurück­zugewinnen für die Gemein­schaft mit ihm. Er hat seinen Sohn in die Welt geschickt, damit der stell­vertretend für alle Menschen die Forderung der Heiligkeit erfüllt. Er hat seinen Sohn geschickt, damit der für unsere Unheilig­keit am Kreuz büßt. Er hat uns den Weg gezeigt, wie wir trotz unserer Sünde Heilige werden können: durch die heilige Taufe nämlich. Er hat uns durch den Heiligen Geist mit seinem Evangelium geheiligt, hat uns den Glauben ins Herz gegeben und damit auf den Weg zum ewigen Leben gebracht. Auch wenn uns die Sünde noch quält, dürfen wir nun die Gewissheit haben, dass wir Heilige sind, geheiligt durch das Blut des Herrn Jesus Christus. Halten wir uns daran im Glauben fest, lassen wir Jesus ganz groß sein bei uns! Wir gehören ja nun zu ihm, haben Anteil an seiner Heiligkeit und durch ihn Anteil an der Heiligkeit unseres himmlischen Vaters. Ja, durch Jesus sind und werden wir kadosch, vollkommen, gut, richtig, rein und heilig. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2010.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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