Michael als Vorbild

Predigt über Judas 1‑10 zum Michaelisfest

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Nur zweimal wird der Name des Erzengels Michael im Neuen Testament erwähnt: einmal in einem Text in der Offenbarung des Johannes, den wir heute als Epistel­lesung gehört haben; zum anderen im Judasbrief, in unserem Predigt­text.

Der Judasbrief ist wohl die am wenigsten bekannte Schrift des Neuen Testaments. Schon der Name des Verfassers befremdet die meisten, denn sie müssen un­willkürlich an Judas Iskariot denken, der Jesus verriet. Aber der Judas, der diesen Brief hier geschrieben hat, ist jemand anderes. Er nennt sich „ein Knecht Jesu Christi und Bruder des Jakobus“. Mit Jakobus meint er den leiblichen Bruder Jesu, der die Jerusalemer Urgemeinde leitete und der den Jakobus­brief geschrieben hat. Wenn aber dieser Jakobus der Bruder des Judas ist, dann muss auch Judas ein leiblicher Bruder von Jesus gewesen sein! In der Tat, so ist es. Im Matthäus-Evangelium lesen wir von Jesus: „Heißt nicht seine Mutter Maria und seine Brüder Jakobus und Josef und Simon und Judas?“ (Matth. 13,55) Freilich: Aus lauter Bescheiden­heit und Demut nennt sich Judas in seinem Brief nicht „ein Bruder Jesu Christi“, sondern „ein Knecht Jesu Christi und Bruder des Jakobus“. Judas will die leibliche Bruder­schaft zu Jesus nicht an die große Glocke hängen, denn sie ist nicht ent­scheidend für ihn. Ent­scheidend ist, dass Jesus auch ihn erlöst hat von der Knecht­schaft der Sünde und dass er diesem Jesus nun in der christ­lichen Gemeinde dienen darf. Er hat durch Jesus viel Barmherzig­keit, Frieden und Liebe erfahren wie die anderen Gläubigen auch, darum ruft er den Empfängern seines Briefes gleich am Anfang das Segenswort zu: „Gott gebe euch viel Barmherzig­keit und Frieden und Liebe!“ Dieses Wort gilt auch euch, liebe Brüder und Schwestern. Auch ihr seid aus der Knecht­schaft der Sünde erlöst und berufen, dem Herrn Jesus Christus zu dienen.

Dieser Dienst, dieses Leben als Knecht und Jünger des Herrn, ist ein Leben im Kampf. Was Paulus einmal seinem geistlichen Sohn Timotheus geschrieben hat, das gilt für alle Christen: „Kämpfe den guten Kampf des Glaubens!“ (1. Tim. 6,12). Auch Judas erwähnt das, wenn er schreibt: „Ich hielt es für nötig, euch in meinem Brief zu ermahnen, dass ihr für den Glauben kämpft, der ein für alle Mal den Heiligen überliefert ist.“ Da können wir heraus­hören, dass schon damals die frohe Botschaft des Evangeliums gefährdet war durch falsche Lehren und böse Einflüsse in der Kirche. So waren die Christen gefordert, die von den Aposteln über­lieferte Lehre des Herrn zu ver­teidigen. Das ist heute nicht anders: Auch heute wird im Namen Jesu und unter dem Anschein des Christen­tums viel Unsinn verbreitet, das klare Evangelium vom Sünder­heiland Jesus Christus aber wird verdunkelt oder verwässert.

Für solch geistlichen Kampf ist uns der Erzengel Michael ein Vorbild. Er kämpft auf Gottes Seite gegen den Teufel, und alle Engel Gottes kämpfen mit ihm. Das ist ein großer Trost für uns. So erkennen wir nämlich auch: Wir brauchen nicht Einzel­kämpfer zu sein, wir brauchen auch nicht an der kleinen Kraft unserer Gemeinde und Kirche zu verzagen, können wir doch gewiss sein: Michael und alle Engel Gottes kämpfen mit gewaltiger Macht für uns, beschützen unsern Glauben und verteidigen das Evangelium. Nur so war es möglich, dass Gottes Kirche trotz viel Unglaube, Irrlehre und Sünde in ihrer langen Geschichte immer noch nicht unter­gegangen ist. Auf der ganzen Welt wird heute das Evangelium gepredigt; auch wir dürfen es ungehindert bekennen und danach leben. Sogar die gräulichen Missbrauchs­fälle im Raum der Kirche sowie die ver­heerenden Irrungen der modernen Theologie können Gottes Kirche nicht kaputt machen. Ja, Michael kämpft mit uns und für uns den guten Kampf des Glaubens.

Judas hatte erleben müssen, wie sich damals in der Kirche besonders freche Irrlehrer breit machten; man nennt sie heute „Gnostiker“. Sie traten in einer Weise auf, als ob sie die Weisheit mit Löffeln gegessen hatten. Sie verdammten alles im Himmel und auf Erden, was nicht ihrer per­sönlichen Meinung entsprach. Dabei verachteten sie selbst vieles aus Gottes Geboten und aus der Apostel­lehre. Unter „christ­licher Freiheit“ verstanden sie ein zügelloses Leben – nicht zuletzt auch im sexuellen Bereich. Kurz: Sie waren hochmütig und fürchteten weder Gott noch Engel noch Menschen. Judas kommt am Abschluss unseres Abschnitts zu dem Urteil: „Sie lästern alles, wovon sie nichts verstehen; was sie aber von Natur aus kennen wie die un­vernünftigen Tiere, daran verderben sie.“

Diese Gnostiker sind der aktuelle Anlass und zugleich gewisser­maßen die dunkle Folie, auf deren Hintergrund Judas die Gläubigen zum guten Kampf des Glaubens mahnt. Er führt dabei auch allerlei Vorbilder aus alter Zeit an, schlechte wie gute. Er tut es in einer ganz höflichen und demütigen Weise; er möchte seine Leser keineswegs von oben herab belehren. Er schreibt: „Ich will euch aber erinnern, obwohl ihr dies alles schon wisst….“

Unter diesen Beispielen des Judas findet sich auch aus­drücklich der Erzengel Michael. Wir tun gut daran, heute, am Michaelis-Fest, dieses Beispiel besonders zu betrachten. Judas schreibt: „Als aber Michael, der Erzengel, mit dem Teufel stritt und mit ihm rechtete um den Leichnam des Mose, wagte er nicht, über ihn ein Verdammungs­urteil zu sprechen, sondern sprach: Der Herr strafe dich!“ Freilich ergibt sich folgende Schwierig­keit: Die Geschichte von Michaels Kampf um den Leichnam des Mose war zwar dem Judas und seinen damaligen Lesern wohl bekannt, wir Heutigen kennen sie aber nicht. Sie findet sich weder in der Bibel noch sonst in irgendeiner alten Schrift. Aber wir müssen diese Geschichte auch gar nicht kennen, um zu verstehen, wie der Erzengel Michael uns da zum Vorbild geworden ist. Es genügt zu erkennen, dass er sich wieder einmal im Kampf gegen den Teufel befand, seinen Mitengel, der Gott den Gehorsam auf­gekündigt hatte. Wir lesen von Satan und den bösen Geistern, die ihm folgen: „Die Engel, die ihren himmlischen Rang nicht bewahrten, sondern ihre Behausung verließen, hat Gott für das Gericht des großen Tages fest­gehalten mit ewigen Banden in der Finster­nis.“ Das weiß natürlich auch Michael, und er hätte darum Satan in dem besagten Kampf mit Recht in Grund und Boden verfluchen können. Hat er aber nicht. Er war sich bewusst: Fluchen und in die Hölle verdammen steht mir nicht zu; das liegt allein bei Gott. Dem allein wollte er die Ehre geben, dem allein wollte er sich demütig unter­ordnen. Darum schreibt Judas über den Erzengel: „Er wagte es nicht, über ihn ein Verdammungs­urteil zu fällen, sondern sprach: Der Herr strafe dich!“

So ist uns Michael nicht nur im geistlichen Kampf ein Vorbild, sondern auch in seiner Demut, in seiner Unter­ordnung unter den All­mächtigen. Wenn schon der ranghöchste Engel darauf verzichtet, den Teufel zu verfluchen, um wieviel mehr sollten wir darauf verzichten, andere Menschen zu verfluchen! Wir sind ja Sünder, Michael ist es nicht. Wir sind ganz auf Gottes Gnade angewiesen – ebenso wie der größte Lump, der je über das Angesicht dieser Erde gegangen ist. Und ebenso wie uns hat Gott auch ihn lieb! Wie könnten wir es da wagen, über andere zu lästern, sie als minder­wertig hin­zustellen oder sie als hoffnungs­lose Fälle ab­zustempeln? Wenn schon Michael nicht den Teufel verdammte, sondern das Urteil Gott überließ, um wieviel mehr sollten wir auf eine Ver­urteilung anderer Menschen verzichten.

Gott hat uns un­verdienter­maßen viel Barmherzig­keit, Frieden und Liebe geschenkt durch seinen ein­geborenen Sohn. Gott steht uns bei im Glaubens­kampf und in allen Schwierig­keiten unseres Lebens durch Michael und seine mächtigen Engel. Gott ruft uns auf, dass wir ihm nach dem Vorbild dieser Himmels­boten ganz treu und ergeben sind, dass wir uns ganz seinem Wort unterordnen und das Urteil unseres eigenen Verstands hintenan stellen. Freilich: Wenn uns das gelingen soll, dann müssen wir zuerst gegen uns selbst kämpfen, gegen die Sünde in uns, die so gern andere niedermacht und selbst groß heraus­kommen will. Ja, gegen diese Sünde müssen wir kämpfen, indem wir sie immer wieder reumütig vor Gott bringen und uns durch Jesus von ihr frei­sprechen lassen. Wenn das aber geschieht, dann stehen wir rein und heilig da vor Gott wie die Engel. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2010.

Autor: Pastor Matthias Krieser

SOLI DEO GLORIA!

PREDIGTKASTEN

►  Startseite

►  Impressum