Das Wesen der Umkehr

Predigt über Apostelgeschichte 9,1‑19 zum 12. Sonntag nach Trinitatis und zum Tag der Bekehrung des Apostels Paulus

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Manchmal macht ein einziger Buchstabe einen gewaltigen Unter­schied. So ist das beim Apostel Paulus: Vor seiner Bekehrung hieß er „Saulus“, nach seiner Bekehrung „Paulus“. Von diesem Ereignis ist die deutsche Redensart abgeleitet: „vom Saulus zum Paulus werden“; man verwendet sie, wenn ein Mensch plötzlich radikal seine Überzeugung ändert. In der Tat, plötzlich und radikal geschah die Umkehr des Saulus, so können wir es bei Lukas nachlesen. Seither haben unzählige Menschen in ähnlicher Weise ihre Bekehrung zu Christus erlebt: Es traf sie wie ein Blitz mitten in ein gottloses Leben hinein, und plötzlich waren sie Christen, Jünger Jesu. Aber nicht jede Bekehrung verläuft so spekta­kulär: Bei manchen entwickelt sich der Glaube erst allmählich in einem Prozess, der Jahre dauern kann. Wir können das wieder mit zwei Wörtern be­schreiben, bei denen ein einziger Buchstabe den Unterschied macht: Manche erfahren ihre Bekehrung als Revolution, als radikalen per­sönlichen Umsturz also, andere als Evolution, als allmählich Ent­wicklung.

Aber egal wie du zu Christus gekommen bist, ob durch eine re­volutionäre oder eine evolutio­näre Bekehrung: Bedenke, dass die Sache der Umkehr damit noch nicht ab­geschlossen ist! Was bei Paulus mit seinem Bekehrungs­erlebnis begonnen hat, das hat sich Zeit seines Lebens fortgesetzt im fort­dauernden Kampf gegen die Sünde, in steter Erfahrung von Gottes Vergebung, in immer wieder neuer Hinwendung zu Christus und in geistlichem Wachstum; kurz: in einer andauernden Haltung der Buße. Ja, so war das bei Paulus, und so ist das bei allen Christen. Martin Luther hat in seinen 95 Thesen zu Recht hervor­gehoben, dass das ganze Christen­leben eine beständige Buße sein soll. Ihrem Wesen nach ist solche lebenslange Buße nichts anderes als die Bekehrung des Paulus und jede andere Bekehrung; es geschieht grund­sätzlich dasselbe – wenn auch meistens nicht so spekta­kulär. Was das im Einzelnen bedeutet, das können wir daher am Beispiel der Bekehrung des Saulus erkennen, der später Paulus hieß.

Saulus war ein energischer Mann gewesen, ja mehr noch, ein jähzorniger Mensch. Wir lesen am Anfang des Berichts seiner Bekehrung: „Saulus schnaubte noch mit Drohen und Morden gegen die Jünger des Herrn.“ Er glühte vor Eifer im Werk der Christen­verfolgung! Mitten in der Durch­führung einer neuen Verfolgungs­aktion aber trat Christus dazwischen, dämpfte seinen Jähzorn und krempelte seine ganze Person um; aus dem jähzornigen Saulus wurde ein sanft­mütiger Paulus. „Paulus“ bedeutet „der Geringe“. Nicht, dass Paulus fortan seinen energischen Charakter unter­drücken musste; es war vielmehr so, dass Christus seinen energischen Charakter läuterte, reinigte, heiligte und in den Dienst der frohen Botschaft des Evangeliums stellte. Wir wissen, dass Paulus auch nach seiner Bekehrung energisch und eifrig war; er hat diese natürlichen Charakter­eigenschaf­ten durchaus gebrauchen können beim Missions­dienst. Aber er war nun kein wut­schnauben­der Fanatiker mehr, sondern ein fröhlicher und gelassener Bekenner des Glaubens.

Seht, so will Jesus auch uns verändern in der steten Umkehr des Christen­lebens. Wir brauchen unsere natürlichen Charakter­eigenschaf­ten nicht zu verleugnen oder zu unter­drücken, aber Christus reinigt sie und stellt sie in den Dienst eines christ­lichen Lebens­wandels. Wir bekennen, wo wir jähzornig gewesen sind oder faul oder klein­gläubig oder un­diszipli­niert, und wir lassen uns dann von Christus zeigen, wie wir unsere Gaben und Kräfte konstruktiv einsetzen können.

Jesus trat wie ein Blitz aus heiterem Himmeln in das Leben des Saulus, und das im wahrsten Sinne des Wortes. Wir lesen: „Es umleuchtete ihn plötzlich ein Licht vom Himmel; und er fiel auf die Erde.“ Dann redete Jesus ihn an, und es kam zu dem Gespräch zwischen Jesus und Paulus, in dem Jesus sich ihm bekannt machte und ihm Weisungen für die nächsten Schritte gab. Saulus musste fest­stellen, dass ihn die helle Erscheinung des Herrn zunächst blind gemacht hatte. Es war übrigens kein Zufall, dass Jesus mit einem grell blendenden Lichtblitz erschienen war, und auch kein drama­tischer Effekt, wie man ihn heute in Kinofilmen gern sieht. Vielmehr hatte der Lichtblitz eine Botschaft – wie bei Gott ja alles eine Botschaft hat, einen tieferen Sinn: Jesus ist das Licht der Welt, er ist rein und heilig. Jesus bringt Erkenntnis der Wahrheit, so wie ein Licht in der Nacht die Umgebung erhellt. Jesus erleuchtet im Glauben, erleuchtet zum ewigen Heil. Der Sünder freilich wird von diesem Licht zunächst geblendet; es erschreckt ihn; er erkennt in diesem grellen Licht zunächst nur seine eigene erbärmliche Lage und Gottes wohl­verdienten Zorn. Erst wenn der Heilige Geist ihm richtig die Augen öffnet, dann kann er klar sehen, dass mit dem Licht Jesu auch Heil und Leben zu ihm kommen. So geschah es bei Paulus, als er wenig später wieder sehend wurde und sich taufen ließ. Wir merken: Umkehr ist ihrem Wesen nach Erleuchtung und Blinden­heilung.

Seht, so will Jesus auch uns immer wieder neu erleuchten in der steten Umkehr des Christen­lebens. Wir hören und lesen Gottes Wort, und es trifft uns wie ein großes Licht. Gottes Wort trifft uns als Gesetz und Evangelium. Das Gesetz lässt uns immer wieder unsere Erbärmlich­keit erkennen: Wir merken, dass wir noch lange nicht so sind, wie Gott uns haben will. Das Evangelium aber, die frohe Botschaft von der Erlösung durch Jesus, öffnet uns die Augen für Gottes Gnade und Barmherzig­keit. Wir machen immer wieder neu die beglückende Erfahrung: Das Licht Christi rettet uns, es macht unser Leben hell und froh. Dass wir dieses Licht aber mit Glaubens­augen sehen können, das ist das Wunder des Heiligen Geistes.

Drei Tage lang konnte Saulus nicht sehen. Er fastete in diesen Tagen, und er betete. Sein Gespräch mit Jesus riss nicht ab. Auch mit diesen drei Tagen verhält es sich so, dass bei Gott alles eine Botschaft hat. Jesus selbst war ja an drei Tagen tot gewesen; nach seinem Sterben am Kreuz ist er am dritten Tag wieder auf­erstanden von den Toten. Tod und Auf­erstehung Jesu, Sterben und neues Leben zeigen sich in der Dreizahl der Tage. Nebenbei: Wir merken, dass auch die Blitz­bekehrung des Paulus keine An­gelegenheit eines einzigen Augenblicks war, sondern dass das Kommen Jesu in sein Leben die Bekehrung als einen mehrtätigen Prozess eingeleitet hat; erst mit der Taufe kam dieser Prozess zu einem Abschluss. Wir erkennen, dass Umkehr ihrem Wesen nach nicht nur eine Blinden­heilung, sondern sogar eine Toten­auf­erweckung ist! Gott handelt an einem Menschen, Gott tut ein Wunder!

Auch die stete Umkehr in unserem Christen­leben gleicht einer Toten­auf­erweckung. Martin Luther hat es treffend im 4. Haupt­stück seines Kleinen Katechismus' formuliert, in der 4. Tauf­frage: „Es bedeutet, dass der alte Adam in uns durch tägliche Reue und Buße soll ersäuft werden und sterben mit allen Sünden und bösen Lüsten; und wiederum täglich heraus­kommen und auferstehen ein neuer Mensch, der in Gerechtig­keit und Reinheit vor Gott ewiglich lebe.“ Christsein bedeutet tägliche Umkehr, ein tägliches Sterben des Sünders in uns, ein tägliches Auferstehen des Gottes­kindes, zu dem Christus uns durch sein Sterben und Auferstehen gemacht hat.

Es liegt in der Natur der Sache, dass Umkehr etwas sehr Persön­liches ist. Jeder steht da für sich selbst vor Christus; man kann sich nicht stell­vertretend für andere Menschen bekehren, und man kann auch nicht durch die Bekehrung eines anderen gerettet werden. Die Geschichte der Bekehrung des Paulus ist eine Geschichte von Paulus und Jesus; alle anderen Personen in ihr sind nur Rand­figuren. Von den Weg­gefährten des Paulus erfahren wir, dass sie kaum etwas mitbekommen haben von dem, was da eigentlich geschah; sie wunderten sich nur und führten dann den erblindeten Paulus an der Hand in die Stadt Damaskus. Bedeutender ist da schon Hananias, der Christ in Damaskus, der Paulus die Hände auflegte und ihn dann taufte. Er wurde zu einem geistlichen Geburts­helfer, zu einem Werkzeug Gottes bei der Bekehrung des Paulus. Gott hatte ihn dazu ausersehen, obwohl er sich sträubte und überhaupt keine Lust hatte, dem bisherigen grausamen Christen­verfolger persönlich zu begegnen. Aber als Gottes Handlanger spielte letztlich auch er nur eine Nebenrolle; Haupt­personen sind und bleiben allein Jesus und Paulus.

So ist auch unsere stete Umkehr im Christen­leben etwas sehr Persön­liches. Natürlich lege ich sie dir ans Herz als dein Pastor, ich predige darüber und versuche dabei, dich für Jesus zu gewinnen. Aber letztlich bin ich nur ein Hananias, ein Handlanger, ein Werkzeug Gottes; ich kann nichts erzwingen; die eigentliche Umkehr kann nur verborgen in deinem Herzen geschehen. Wichtig ist dabei, dass Jesus mit dir persönlich redet, dass du auf ihn hörst, dass du dir etwas von ihm sagen lässt, dass du ihm antwortest, dass du ihm vertraust. Auch wenn du laut das Beichtgebet mit­sprichst, weißt nur du und weiß nur Jesus, ob du es ernst meinst mit dem Bekenntnis deiner Sünden. Und wenn dir Jesus dann durch den Pastor deine Sünden vergibt, so bist ganz persönlich du auf­gefordert, dies im Glauben anzunehmen und danach erneut mit einem gott­gefälligen Leben anzufangen.

Am Ende der Bekehrung des Paulus stand die Taufe. Sie ist das Zeichen der Umkehr, das Zeichen der Wende, von Jesus selbst eingesetzt und geboten, wenn ein Mensch sein Jünger wird. Zugleich hat Jesus ver­sprochen, dass durch dieses Bad der Wieder­geburt seine Erlösungs­tat dem Menschen zugeeignet wird – durch die Taufe kommt ein Mensch in Gottes Reich hinein, so wird er selig. Paulus hat das nicht nur am Anfang seines Jünger­lebens am eigenen Leib erfahren, sondern er hat in seinen Briefen auch immer wieder die Taufe entprechend gerühmt. An die Römer hat er zum Beispiel ge­schrieben: „So sind wir ja mit Christus begraben durch die Taufe in den Tod, damit, wie Christus auferweckt ist von den Toten durch die Herrlich­keit des Vaters, auch wir in einem neuen Leben wandeln“ (Römer 6,4).

Aber die Taufe markiert nicht einfach nur den Punkt der Bekehrung, sondern sie setzt einen Doppel­punkt: Unsere stete Umkehr im Christen­leben bedeutet, dass wir immer wieder in die Taufgnade zurück­kriechen und aus ihrer Kraft leben. Wie Jesus uns persönlich in der Taufe begegnet ist und mit seinem Sterben und Auferstehen hindurch­gerissen hat durch den Tod der Sünde zum ewigen Leben, so will er ständig in unserem Leben gegenwärtig sein und uns ständig erneuern, uns ständig hinwachsen lassen auf die ewige Seligkeit. Wie mit unserer Taufe das helle Licht des Evangeliums aufgegangen ist über uns, so soll es immer wieder neu Tag werden, so soll immer wieder neu die Dunkelheit der Sünde vertrieben werden in unserem Leben. Und wie Gott uns durch Handlanger des Evangeliums getauft hat, so will er uns auch in Predigt, Beichte und Heiligem Abendmahl immer wieder neu durch seine Boten das Evangelium nahe­bringen. Das alles aber, damit der Herr Jesus Christus zu uns kommt und mit uns spricht und bei uns bleibt für alle Ewigkeit. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2010.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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