Liebe Brüder und Schwestern in Christus!
Im Neuen Testament gibt es eine Reihe von Hinweisen dafür, dass das Verhältnis der beiden Apostel Petrus und Paulus nicht ganz spannungsfrei war. Auch die letzten Sätze des 2. Petrusbriefes, die wir eben gehört haben, lassen zwischen den Zeilen erkennen, dass Petrus sich mit den theologischen Aussagen der Paulusbriefe schwer getan hat. Trotzdem stellt Petrus sich voll hinter die Theologie des Paulus und bescheinigt ihm göttliche Weisheit; nur warnt er vor Missverständnissen und Verfälschungen des Evangeliums aufgrund der teilweise schwer verständlichen Worte seines Mit-Apostels.
Lasst mich diese beiden Apostel jetzt einmal als Symbolfiguren der Ökumene ansehen, genauer: als Symbolfiguren der beiden großen christlichen Glaubensrichtungen katholisch und evangelisch. Petrus ist dann die Symbolfigur der römisch-katholischen Kirche: Jesus hat ihn und sein Christus-Bekenntnis als fundamentalen „Fels“ der Kirche bezeichnet; er hat ihm als ersten das Schlüsselamt anvertraut und ihm als einzigem unter den Aposteln ausdrücklich das Hirtenamt aufgetragen. Schlüsselamt und Hirtenamt, also Beichte und kirchliches Lehramt, gehören bis heute zu den hervorstechenden Merkmalen der römisch-katholischen Kirche. Paulus dagegen ist die Symbolfigur der evangelischen Kirche: Kein anderer Apostel hat so ausführlich die Rechtfertigung des Sünders ohne Werke, allein aus Gnade durch Glauben, als Hauptartikel der christlichen Lehre hervorgehoben; kein anderer Apostel hat so entschieden wie er die christliche Freiheit betont. Beides, die Rechtfertigungslehre und die Freiheit des Christenmenschen, sind bis heute charakteristische Merkmale der evangelischen Glaubenslehre.
Wenn wir uns heute, am Tag der Apostel Petrus und Paulus, auf beider Zeugnis des Evangeliums besinnen, dann wollen wir beide gemeinsam als Symbolfiguren der Ökumene betrachten – also als Symbolfiguren der wahren Einheit der christlichen Kirche. Die eine Kirche Jesu Christi ist ja gegründet auf dem Zeugnis aller Apostel einschließlich Petrus und Paulus, weil alle Apostel vom Herrn der Kirche beauftragt sowie gesandt worden sind und weil sie alle durch den Heiligen Geist zur Verkündigung des Evangeliums bevollmächtigt sowie befähigt wurden. So ist für die eine wahre Kirche, gleich ob man sie katholisch oder evangelisch etikettiert, alle Apostellehre von Bedeutung, sowohl das Charakteristische des Petrus als auch das Charakteristische des Paulus: Beichte und Hirtenamt, Rechtfertigungslehre und christliche Freiheit. Richtig verstanden schließt sich das ja auch keineswegs gegenseitig aus.
Nun lässt sich allerdings nicht übersehen, dass es doch einige Gegensätze in der Lehre gibt – einerseits zwischen offizieller römisch-katholischer Lehre und offizieller evangelischer Lehre, andererseits auch innerhalb der evangelischen Kirchen und sogar innerhalb des römischen Katholizismus. Es wäre allerdings falsch, dies einfach tatenlos hinzunehmen und einander widersprechende Lehren hart nebeneinander stehen zu lassen. Petrus und Paulus haben es anders gemacht: Sie haben sich bei der Ausübung ihres apostolischen Amtes immer wieder leidenschaftlich dafür eingesetzt, dass irrige Lehren kein Hausrecht in der einen christlichen Kirche erhalten. So hat Petrus hier geschrieben: „Hütet euch, dass ihr nicht durch Irrtum verführt werdet und fallt aus eurem festen Stand!“ Und als Petrus selbst einmal in einer schwachen Stunde durch sein Verhalten die Freiheit des Evangeliums verleugnet hatte, da hat Paulus ihn öffentlich zurechtgewiesen; wir können darüber im Galaterbrief lesen (Gal. 2,11‑14). Es geht in der Kirche ja letztlich nicht um die Person des Petrus und um die Person des Paulus, sondern es geht um den Gottessohn Jesus Christus und sein Evangelium.
Lasst uns also in rechter Ökumene an dem einen Glauben der einen Christenheit festhalten, wie er durch Petrus und Paulus und die anderen Apostel in der Bibel bezeugt ist! Und lasst uns durch fleißiges Schriftstudium, ökumenische Gespräche, Gebet und Einübung in die Nachfolge beherzigen, was Petrus den Christen am Ende dieses Briefes auftrug: „Wachset in der Gnade und Erkenntnis unseres Herrn und Heilands Jesus Christus. Ihm sei Ehre jetzt und für ewige Zeiten! Amen.“
PREDIGTKASTEN |