Ein Gleichnis für Gottes Geduld

Predigt über Matthäus 13,24‑30.36‑43 zum 5. Sonntag nach Epiphanias

Mit dem Himmelreich ist es so: Ein Mensch säte guten Samen auf sein Ackerland. Während die anderen schliefen, kam sein Feind, säte Lolch mitten zwischen den Weizen und verschwand wieder. Als die Halme sprossen und Frucht ansetzten, da wurde auch der Lolch sichtbar. Die Knechte des Hausherrn kamen und sagten ihm: Herr, hast du nicht guten Samen auf dein Ackerland gesät? Woher kommt denn der Lolch? Er erwiderte ihnen: Ein Feind hat das gemacht. Da sagten ihm die Knechte: Willst du denn nun, dass wir hinausgehen und ausjäten? Er sprach: Nein, sonst würdet ihr mit dem Lolch auch den Weizen heraus­ziehen. Lasst beides bis zur Ernte wachsen! Dann werde ich den Erntearbeitern sagen: Sammelt zuerst den Lolch und bündelt ihn zum Verbrennen, den Weizen aber tragt in meiner Scheune zusammen!

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Genau genommen heißt die Pflanze „Taumel­lolch“ oder „Tollkorn“, auf griechisch „zizanion“, mit botanischem Namen „lolium temu­lentum“. Es handelt sich um eine giftige Grasart, die in Palästina auf Weizen­feldern vorkommt. Die Halme wachsen 60 bis 70 Zentimeter hoch und sind äußerlich von den Weizen­pflanzen kaum zu unter­scheiden. Martin Luther hat einfach „Unkraut“ übersetzt, denn er wollte ja Worte wählen, die allgemein bekannt sind. So kommt es, dass wir diese Geschichte als „Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen“ kennen.

Martin Luther hat dieses Gleichnis aber nicht nur übersetzt, sondern er hat auch mehrmals darüber gepredigt. In seiner Predigt von 1534 hat er eine Frage an­geschnitten, die auch mich im Zusammen­hang mit diesem Gleichnis immer wieder beschäftigt hat. Luther fragte, „ob die Kirche ihre Macht gebrauchen und die, die in öffent­lichen Ärgernissen leben, aus der Kirche aus­schließen möge“. Also: Ist die Kirchen­zucht bzw. der Auschluss offen­sichtlicher und un­belehrbarer Sünder aus der Kirche mit diesem Gleichnis vereinbar oder nicht? Würde ein Ausschluss nicht bedeuten, den Lolch bzw. das Unkraut vor der Ernte ausreißen zu wollen? Ich kenne etliche Pastoren, die das so sehen und die daher niemals zu einem Restanten sagen würden: Jetzt ist Schluss, du gehörst nicht mehr zu uns!

Allerdings will ich diese Frage zunächst einmal zurück­stellen. Gleichnisse sind nämlich keine „Koch­rezepte“ oder Gebrauchs­anweisungen für pfarr­amtliche Ent­scheidungen. Mit seinen Gleich­nissen will der Herr uns vielmehr die Augen öffenen über Gott und sein Reich. Das geht beim Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen auch ziemlich gut, weil Jesus seinen Jüngern später eine Verständnis­hilfe für dieses Gleichnise gegeben hat. Er hat ihnen erklärt, was was ist in dem Gleichnis.

Bei dieser Erklärung fällt mir zunächst auf, dass Jesus nicht erklärt hat, wer denn diese über­eifrigen Knechte sind, die den Lolch sofort ausjäten wollten. Er hat nicht gesagt: „Die Knechte sind die Gemeinde­ältesten, die am liebsten all diejenigen aus der Gemeinde aus­schließen würden, die sich un­christlich benehmen.“ Nur jene Knechte, die zum Schluss die Ernte einbringen, hat Jesus identifi­ziert: Es sind die Engel, die beim Jüngsten Gericht sozusagen als Gerichts­diener und Urteils­vollstrecker auftreten. Ferner hat Jesus gesagt, dass der Acker die Welt ist. Lolch und Weizen sind ver­schiedene Menschen; die Weizen­menschen wurden von Jesus selbst ausgesät, die Lolch-Menschen vom Teufel. Der Herr und Besitzer des Feldes ist selbst­verständlich der Vater im Himmel. Die Ernte ist der Jüngste Tag, die Verbrennung der Lolch-Bündel ist die ewige Verdammnis, die Scheune für den Weizen aber ist die ewige Seligkeit.

Was lehrt Jesus mit dieser Geschichte nun über den himmlischen Vater und sein Reich? Er lehrt, dass es aus Gottes Perspektive zwei Sorten Menschen gibt: erstens Menschen, die zu seinem Reich gehören und am Jüngsten Tag in die Seligkeit eingehen, zweitens Menschen, die in der Verdammnis enden. Die einen sind vom Menschen­sohn durch die Wieder­geburt zum ewigen Leben neu geschaffen worden, die anderen hat der alt böse Feind durch Unglaube abspenstig gemacht. Solange die Menschen in der Zeit der Welt heran­reifen, kann man beide Gruppen ebenso schlecht unter­scheiden, wie man Lolch von Weizen unter­scheiden kann. Beide Gruppen tragen Schafpelze, auch wenn die einen inwendig Wölfe sind und die anderen Lämmer. Selbst dem frömmsten Menschen kann man nicht an der Nasenspitze ansehen, ob er einmal in den Himmel kommen wird, ebensowenig wie man es dem größten Schuft ansehen kann, ob er sich noch rechtzeitig bekehrt. Daher verzichtet Gott darauf, die Abtrünnigen durch menschliche Straf­kommandos ausrotten zu lassen. Das könnte nämlich nur schief gehen; die Kinder des Reichs würden garantiert mit darunter leiden. Wo immer man versucht hat, Ungläubige zu erschlagen und Ketzer zu verbrennen, da sind Fehlurteile nicht aus­geblieben. Zur Zeit des Alten Testaments war es noch anders gewesen; da hatte Gott als Gesetzgeber den Israeliten hin­sichtlich von Götzen­dienern auf­getragen: „Du sollst den Mann oder die Frau, die eine solche Übeltat begangen haben, hinaus­führen zu deinem Tor und sollst sie zu Tode steinigen… Die Hand der Zeugen soll die erste sein, ihn zu töten, und danach die Hand des ganzen Volks, dass du das Böse aus deiner Mitte wegtust“ (5. Mose 17,5.7). Auch hin­sichtlich der Übertretung anderer Gebote verfügte das Mose-Gesetz: „Du sollst das Böse aus deiner Mitte wegtun.“ Nun aber, für die Zeit von Gottes neuem Bund, gilt: Du sollst das Böse in deiner Mitte stehen lassen! Der Lolch, der mitten unter den Weizen gesät wurde, soll nicht aus der Mitte der Kinder des Reichs weggetan werden. Die Kinder des Reichs sollen die Bösen auf dem Ackerland der Welt ertragen, sie sollen also keine Kreuzzüge unternehmen und keine Ketzer verbrennen. Vielmehr sollen sie sich am himmlischen Vater ein Beispiel nehmen, denn „er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte“ (Matth. 5,45), über Weizen und Lolch.

Da ist sie, die Erkenntnis über Gott und sein neues Reich, die Jesus uns mit diesem Gleichnis lehrt: Gott hat sein Strafgericht über die Menschen ausgesetzt! Wohl­bemerkt, nicht aufgehoben, sondern nur ausgesetzt: Am Jüngsten Tag wird sein Zorn die Kinder des Bösen treffen. Aber bis es so weit ist, lässt er über alle seine Güte walten und hat viel Geduld – eine Geduld, die er freilich auch von seinen Kindern erwartet. An dieser Geduld erkennen wir Gottes Liebe, denn diese Geduld ist Evangeliums-Geduld. Gottes Wort verkündigt uns an vielen Stellen, dass diese Geduld unsere Chance zur Umkehr ist. Der Apostel Petrus lehrte: „Der Herr hat Geduld mit euch und will nicht, dass jemand verloren werde, sondern dass jedermann zur Buße finde“ (2. Petrus 3,9). Der Apostel Paulus fragte: „Weißt du nicht, dass dich Gottes Güte zur Buße leitet?“ (Römer 2,4). Denn Weizen und Lolch sind ja nur aus Gottes Ewigkeits­perspektive schon von vornherein Weizen und Lolch; in unserer Zeitlich­keit sind alle beide einfach Menschen, die zur Buße aufgerufen sind. So haben wir überhaupt keinen Grund uns zu brüsten und zu sagen: Wir sind der Weizen, die anderen sind der Lolch, sondern wir wollen einfach die Gelegenheit zur Buße ergreifen und die anderen dazu auffordern, dasselbe zu tun! Wir können froh sein, dass Gott so viel Geduld mit uns hat und dass er so barmherzig ist – wir dürfen unseren Sündenmüll vor ihm abladen, und er entsorgt ihn fach­männisch, für Zeit und Ewigkeit! Dass wir einen so großartig geduldigen Gott haben und dass sein Reich uns mit Christus und dem neuen Bund offen steht, das ist das Wichtigste, was uns Jesus mit dem Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen sagen will.

So, jetzt komme ich auf Luthers und meine Frage zurück, „ob die Kirche ihre Macht gebrauchen und die, die in öffentlichen Ärgernissen leben, aus der Kirche aus­schließen möge“? Diese Frage lässt sich nun eindeutig be­antworten. Die Kirche darf niemanden vom „Ackerland“ dieser Erde entfernen, das ist ganz klar. Auch dürfen wir uns nicht einbilden, dass wir innerhalb der Kirche per Ausschluss-Verfahren eine unkraut­freie Zone schaffen können, eine ideale Gemeinde der Heiligen; vielmehr müssen wir mit dem achten Artikel des Augsburger Bekennt­nisses nüchtern erkennen, dass der Kirche „in diesem Leben viele Heuchler und Böse beigemischt sind“. Das entbindet uns freilich nicht von der Pflicht, unermüdlich zur Buße aufzurufen. Wenn ein Gemeinde­pastor die Restanten in Ruhe lässt, um selber seine Ruhe zu haben oder um keine Unruhe in die Gemeinde zu bringen, dann wird er seinem Schlüssel­amt nicht gerecht. Zum Schlüssel­amt gehört es auch dazu, dem Un­bußfertigen die Sünde zu behalten – nicht um ihn zu ärgern oder um die Gemeinde zu säubern, sondern um ihn desto nach­drücklicher zur Buße zu rufen! Der Binde­schlüssel aber bedeutet faktisch den Ausschluss aus der Gemeinde, die Ex­kommuni­kation, nämlich die Ver­weigerung des Löse­schlüssels und der Sakraments­gemein­schaft. Martin Luther hat das als „kleine Bann“ bezeichnet, und er hat in seiner Predigt über das Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen seine Frage selbst so be­antwortet: „Der Kirche ist solche Macht, die Sünder in den Bann zu tun oder aus­zuschließen, in diesem Evangelium nicht benommen. Denn der Herr redet von einem solchen Ausreißen, das mit dem Schwert geschieht, da man den Bösen das Leben nimmt. Nun aber führt die Kirche oder das Predigtamt das Schwert nicht; sondern was es tut, das tuts allein mit dem Wort. Darum, obgleich die Sünder gebannt und aus der Kirche aus­geschlossen werden, so nimmt sie doch die Kirche wieder an, wenn sie sich bekehren und Gnade begehren.“ Genau darum geht es, darauf zielt der Ausschluss aus der Gemeinde ab: dass ein Sünder durch Gottes Langmut und Güte doch am Ende zur Buße finden möge!

Liebe Brüder und Schwestern in Christus, ich gestehe, dass ich mich manchmal furchtbar ärgere über Ungläubige und Falsch­gläubige und Lästerer und Laue und Spötter und Sünder. Aber eigentlich bin ich doch froh, dass der Herr selbst mir hier durch dieses Gleichnis Gelassen­heit verordnet: „Geduld, lasst alles zusammen bis zur Ernte wachsen!“ Ich brauche nur das Wort zu predigen in Gesetz und Evangelium, ich brauche nur Binde­schlüssel und Löse­schlüssel sachgerecht anzuwenden, ich brauche nur zur Buße zu mahnen und Gottes gütige Geduld zu preisen! Ansonsten kann ich gelassen Gottes großem Erntetag entgegen­sehen und mich auf sein himmlisches Scheunen­fest freuen, wo dann der Weizen zusammen­getragen wird. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2010.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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