Gottes Reich

Predigt über Apostelgeschichte 1,3‑11 zum Himmelfahrtstag

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Was haben Frankreich und Österreich gemeinsam? Beide Staaten werden „Reich“ genannt. Das ist heute allerdings selten geworden, dass Staaten oder Staaten­bünde als „Reich“ bezeichnet werden. Ein „Deutsches Reich“ gibt es schon lange nicht mehr, und niemand käme auf den Gedanken, die EU als „Euro­päisches Reich“ zu bezeichnen. Auch „Polen­reich“ oder „Griechen­reich“ klänge irgendwie abwegig. Vielleicht liegt es daran, dass moderne Staaten nicht mehr wirklich „Reiche“ sind. Mit „Reich“ meinte man ja ur­sprünglich den Macht­bereich eines Königs oder eines Kaisers. In seinem Bereich konnte er ziemlich un­einge­schränkt walten, und alle mussten sich ihm unter­ordnen. So war es zu Jesu Zeiten im Römischen Reich gewesen, diesem Riesen-Macht­bereich des römischen Kaisers. Heutige Politiker haben keine vergleich­bare Macht, im Gegenteil, sie scheinen eher Getriebene zu sein zwischen Wählergunst und Wirtschaftszwängen; da ist es abwegig, von „Reichen“ zu sprechen.

Jesus redete in den vierzig Tagen zwischen Auf­erstehung und Himmelfahrt mit seinen Jüngern viel über Gottes Reich, auch „Himmel­reich“ genannt. Freilich brauchte er den Jüngern nicht zu erklären, wer die Macht in diesem größten aller Herrschafts­bereiche hatte: der Vater im Himmel natürlich, dem alles gehört und untersteht, was es gibt. Nein, vielmehr erklärte Jesus seinen Jüngern, dass der Vater im Himmel ihm, Jesus, die Macht in seinem Reich überträgt, und dass sich diesem Reich Gottes alle Mächtigen der Welt unterordnen müssen. Die Jünger sollten Botschafter dieses Reiches werden, sie sollten die Herrschaft Jesu ver­kündigen, ausgehend von Jerusalem bis in den letzten Winkel der Erde. Der Heilige Geist würde kommen und die Jünger als solche Botschafter des Reiches und als Zeugen Christi be­vollmächti­gen.

Die Jünger richteten in diesen Gesprächen eine Frage an den Auf­erstandenen, die uns vielleicht etwas merkwürdig vorkommt. Sie fragten Jesus: „Herr, wirst du in dieser Zeit wieder aufrichten das Reich für Israel?“ So ähnlich hatten sie auch schon früher gefragt, vor Jesu Tod und Auf­erstehung. Eigentlich wollten sie mit dieser Frage heraus­finden, wann denn endlich Gottes Herrschaft für alle sichtbar werden wird. Sie meinten ungefähr Folgendes: Herr, wann wird der Hohe Rat der Juden aufhören zu leugnen, dass du der ver­sprochene Erlöser bist? Wann wird König Herodes bekennen, dass du als König über alle Könige herrschst? Wann wird der römische Kaiser vor dir auf den Knien liegen? Wann werden die Herrscher aller Völker in langer Prozession vor dir erscheinen und dir huldigen, so wie unter­worfene Machthaber ihrem Besieger zu huldigen pflegen? Wird das bald geschehen? Wird das dann geschehen, wenn der Heilige Geist kommt, von dem du immer wieder geredet hast? „Herr, wirst du in dieser Zeit wieder aufrichten das Reich für Israel?“

Sehr menschlich ist solches Fragen. Wir fragen heute zwar nicht mehr so direkt, aber indirekt fragen wir doch: Herr, wie zeigt sich denn nun Gottes Reich, wie zeigt sich deine Herrschaft? Die allzeit schwächeln­de Kirche, das Erschlaffen des Glaubens um uns herum, die Ausbreitung des Islam, die Welt­herrschaft des Geldes – müsste Christus da nicht endlich ein Machtwort sprechen? Müsste er nicht endlich zeigen, wer wirklich der Herr im Hause ist? Herr, wann wirst du denn endlich dein Reich sichtbar machen für Israel und für die ganze Welt?

Die Antwort, die Jesus damals seinen Jüngern gegeben hat, die gilt auch jetzt noch. Er sagte: „Es gebührt euch nicht, Zeit oder Stunde zu wissen, die der Vater in seiner Macht bestimmt hat.“ Jesus sagt damit: Noch nicht! Noch ist die Zeit nicht da, wo meine Macht sichtbar wird! Jedenfalls nicht so, dass auch alle Ungläubigen sie erkennen und sich ihr unterordnen müssen! Die Gläubigen freilich, die Jünger, die erkennen schon vorher die Macht ihres Herrn. Darum heißt es von Jesus: „Er zeigte sich den Aposteln nach seinem Leiden durch viele Beweise als der Lebendige und ließ sich sehen unter ihnen vierzig Tage lang.“ Mehr als fünfhundert Menschen wurden in diesen vierzig Tagen zwischen Ostern und Himmelfahrt Augenzeugen des Auf­erstandenen; einige aßen und tranken sogar mit ihm. Dabei hat Jesus es gar nicht nötig gehabt, sich nach seinem Tod am Kreuz nochmals in mensch­licher Gestalt zu zeigen, er hätte ebensogut gleich in die himmlische Herrlich­keit auferstehen können, für irdische Augen unsichtbar. Aber er kannte die Glaubens­schwäche der Menschen, und darum hat er sich nach seiner Auf­erstehung deutlich sichtbar gezeigt und hat dabei die Apostel zu Augenzeugen gemacht. Ebenso hat er dann zu Pfingsten den Geist erfahrbar gemacht; der kam durch starken Wind und durch Feuer­flammen über den Köpfen der Apostel. Auch das wäre nicht nötig gewesen, denn der Geist wirkt ja normaler­weise unsichtbar. Aber Gott wollte durch dieses Zeugnis deutlich machen: Jetzt ist er da, der Geist, jetzt ist mein Versprechen in Erfüllung gegangen!

Ebenso verhält es sich mit der Himmelfahrt unseres Herrn. Da führte der auf­erstandene Herr also seine Jünger nach Betanien, wo er viele Male mit ihnen zusammen gewesen war, und segnete sie (Lukas 24,50). Dann wurde er vor ihren Augen empor­gehoben. Sie sahen ihm nach, bis eine Wolke ihn ihren Blicken entzog. Auch hier gilt: Es wäre nicht nötig gewesen; Jesus hatte keinen un­sichtbaren Fahrstuhl nötig, um in das ewige Reich seines Vaters zu gelangen. Jesus hätte auch einfach aufhören können, als Auf­erstandener vor seinen Jüngern zu erscheinen. Er hatte ihnen ja die Zusicherung gegeben, dass er durch den Geist bei ihnen bleiben wird, so lange die Erde steht. Aber er wollte ihnen mit der Himmelfahrt ein weiteres Zeichen geben und ihren Glauben stärken – ihren Glauben und auch unseren Glauben, die wir durch das Zeugnis der Apostel heute wieder von der wunderbaren Auffahrt unseres Herrn hören. Mit der Himmelfahrt hat Jesus gezeigt: Jetzt ist die Zeit vorbei, wo ich mit einem irdischen Menschen­leib bei euch zugegen bin; künftig werde ich euch im Geist nahe sein, unsichtbar. Und zugleich zeigte er durch seine Himmel­fahrt: Jetzt werde ich erhöht zum König über Gottes Reich. Jetzt macht der Vater im Himmel wahr, was er angekündigt hat: dass mir übertragen ist alle Macht im Himmel und auf Erden. Im Glaubens­bekenntnis sprechen wir diese Tatsache aus mit den Worten: „Sitzend zur Rechten Gottes, des all­mächtigen Vaters.“ Genau dies ist die Botschaft der Himmel­fahrt: Jesus übernimmt die Regierungs­geschäfte und alle Macht in Gottes Reich! Im Markus­evangelium wird Jesu Himmelfahrt daher so be­schrieben: „Er wurde aufgehoben gen Himmel und setzte sich zur Rechten Gottes“ (Markus 16,19). Durch die Himmelfahrt wird sinnen­fällig deutlich: Nun ist Jesus ganz oben, nun ist er der Höchste, der König über alle Könige und Herr über alle Herren! Sein Reich ist erhaben über alle Reiche der Welt!

„Sitzend zur Rechten Gottes, des all­mächtigen Vaters“ – ja, so bekennen wir und so glauben wir. Aber es ist immer noch ein Glaube gegen den Augen­schein, wie bei den Aposteln damals. Gottes Reich und die Herrschaft Christi ist noch nicht allen Menschen deutlich geworden. Der Tag, den der Vater dafür bestimmt hat, ist noch nicht gekommen. Dennoch haben die Apostel bei Jesu Himmelfahrt einen weiteren Hinweis auf diesen Tag bekommen, und auch wir haben ihn bekommen durch das Zeugnis der Apostel. Denn als sie da so in Betanien herumstehen und nach oben starren, wo eben noch Jesus zu sehen war, da werden sie plötzlich von zwei weiß­gekleideten Herren an­gesprochen, die un­vermittelt aufgetaucht sind. Die beiden Engel sagen ihnen: „Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und seht zum Himmel? Dieser Jesus, der von euch weg gen Himmel aufgenommen wurde, wird so wieder­kommen, wie ihr ihn habt gen Himmel fahren sehen.“ Da haben die die Jünger die Antwort auf ihre Frage: „Wirst du in dieser Zeit wieder aufrichten das Reich für Israel?“ Gottes Antwort durch die Engel besagt: Nicht in dieser Zeit, sondern erst, wenn Jesus sichtbar wieder­kommen wird mit den Wolken des Himmels; dann wird seine Herrschaft offenbar werden. Dann bricht der Tag an, den der Vater in seiner Macht bestimmt hat und dessen Datum kein Mensch kennt. Dann werden alle Menschen auf Erden sehen, dass Jesus der Herr aller Herren ist, und alle werden vor ihm nieder­fallen. Ja, an dem Tag, wenn Jesus wieder­kommt, wird Gott Reich sichtbar werden. Und es wird sich zeigen, dass es ein un­begrenztes Reich ist: ein Reich ohne räumliche Grenzen und auch ein Reich ohne zeitliche Grenzen, ein ewiges Reich. Das Römische Reich, das Deutsche Reich, Frankreich, Österreich und alle Reiche der Welt sind oder waren begrenzt in ihrer Ausdehnung, begrenzt in ihrer Macht, begrenzt in ihrer Finanz­kraft, begrenzt auch in ihrer Zeit, in der sie ein Stück Welt­geschichte mitprägen dürfen. Gottes Reich aber war schon immer da, wird ewig bestehen, hat keine Grenzen und ist auch unbegrenzt in seiner Macht. Wir sehen's noch nicht, wir sehen aber seine Zeichen, Evangeliums­predigt, Taufe und Abendmahl. Wir erkennen, dass Jesus sein Versprechen wahr gemacht hat und das Zeugnis der Apostel durch die Kraft des Heiligen Geistes von Jerusalem aus bis in die hintersten Winkel der Erde gelangt ist. Wir sehen Gottes Reich noch nicht in seiner vollen Herrlich­keit, wir glauben aber daran und trösten uns mit diesem Glauben – besonders auch in Zeiten, wo die Mächtigen den Problemen der Welt beinahe machtlos gegenüber stehen. Und wir loben unseren Vater im Himmel so, wie Jesus selbst es uns vor­gesprochen hat: „Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlich­keit in Ewigkeit. Amen.“

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2010.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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