Wiedergeboren

Predigt über 1. Petrus 1,3‑9 zum Sonntag Quasimodogeniti

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Seid ihr wiedergeboren? Wiedergeborene Christen? Ich weiß, so eine Frage erwartet ihr nicht in einer lutherischen Kirche von der Kanzel herab. Es ist eher eine Frage, die man sich unter Christen anderer Prägung stellt, und man meint damit ungefähr dies: Bist du ein richtiger, ernsthafter Christ, entschieden für Jesus und bibeltreu, nicht so lau wie die meisten anderen im Land? Stellt man diese Frage allerdings Lutheranern, die einen guten Konfirmandenunterricht gehabt haben, dann werden sie antworten: Natürlich bin ich wiedergeboren, ich bin doch getauft!

Mit der heutigen Epistellesung betrachten wir eine der wenigen Bibelstellen, in denen der Begriff der Wiedergeburt vorkommt. Der heutige Sonntag trägt den Namen „Quasimodogeniti“, das heißt: „wie neugeborene Kinder“. Was liegt da näher, als den Begriff der Wiedergeburt einmal unter die Lupe zu nehmen und ihn von der Bibel her besser verstehen zu lernen?

Da lassen wir zunächst die Vorsilbe „wieder-“ weg und konzentrieren uns auf das Wort „geboren“. Wir denken dabei natürlich sogleich an „Geburt“ und „gebären“, wir denken an werdende Mütter und Kreißsäle. Damit werden wir dem biblischen Wort für „geboren“ freilich nicht gerecht, denn für den natürlichen, körperlichen Aspekt der Geburt verwendet die Bibel ein anderes Wort. Das Wort, das in „wiedergeboren“ steckt, bedeutet eher ganz allgemein „hervorgebracht“; es lenkt den Blick eher auf den Vater als auf die Mutter. Darum wird dieser Begriff auch manchmal mit „zeugen“ übersetzt, zum Beispiel in biblischen Geschlechtsregistern: „Abraham zeugte Isaak, Isaak zeugte Jakob, Jakob zeugte Juda und seine Brüder…“, heißt es unter anderem (Matth. 1,2). Auch hier ist nicht so sehr der geschlechtliche Akt der Zeugung im Blick, sondern vor allem die Vaterschaft. Wir müssen uns da ganz in die biblische Familienanschauung hineinversetzen: Wenn ein Mann sich eine Frau nahm, wurde sie dadurch ein Mitglied seiner eigenen Familie. Die Nachkommen aus dieser Ehe waren dann ebenfalls Nachkommen für diese Familie, und sie erbten auch in dieser Familie – es sei denn, dass sie als weibliche Nachkommen durch Heirat Mitglieder von anderen Familien wurden. „Geboren“ im biblischen Sinn bedeutet somit, dass ein Mensch als Nachkomme eines bestimmten Vaters das Licht der Welt erblickte und damit zugleich Mitglied einer bestimmten Familie war.

Gott hat alle Menschen geschaffen; er hat also alle „hervorgebracht“. Darum nennen wir ihn auch den „Vater im Himmel“. Durch die Sünde hat sich der Mensch freilich vom himmlischen Vater losgesagt und dessen Familie verlassen. Aber der himmlische Vater ist barmherzig und hat seine Kinder immer noch lieb. Durch Jesus Christus hat er alles daran gesetzt, die verlorenen Söhne und Töchter zurückzugewinnen für seine Familie. Er hat es getan, indem er Jesus alle menschliche Schuld sühnen ließ und die Frucht dieser Erlösung uns Menschen durch sein Wort zuspricht. In der Bibel wird uns das so vor Augen geführt, dass der himmlische Vater uns für einen Neuanfang gewissermaßen noch einmal erschafft, dass er uns erneut hervorbringt, dass er uns abermals zeugt, dass er uns wiedergeboren werden lässt. Mit dem Apostel Petrus können wir daher jubelnd ausrufen: „Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns nach seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat!“ Im selben Kapitel schreibt Petrus auch: „Ihr seid wiedergeboren nicht aus vergänglichem, sondern aus unvergänglichem Samen, nämlich aus dem lebendigen Wort Gottes, das da bleibt“ (1. Petrus 1,23). Der Apostel Johannes schreibt in der Vorrede seines Evangeliums: „Wie viele Christus aufnahmen, denen gab er Macht, Gottes Kinder zu werden…, die nicht aus dem Blut noch aus dem Willen des Fleisches noch aus dem Willen eines Mannes, sondern von Gott geboren sind“ (Joh. 1,12‑13). Und der Apostel Jakobus schreibt: „Gott hat uns geboren nach seinem Willen durch das Wort der Wahrheit“ (Jak. 1,18). Wir halten fest: Die Wiedergeburt ist ein geistliches Schöpfungshandeln des himmlischen Vaters; der Mensch kann von sich aus nichts dazu beitragen; er wird einfach geboren. Gott wirkt die Wiedergeburt durch sein Wort. Die Wiedergeburt macht einen Menschen erneut zu einem Kind und Erben von Gottes Familie, von Gottes Reich – ein Zustand, den der Mensch zuvor selbst durch seine Sünde kaputt gemacht hatte. Das alles geschieht durch das Erlösungswerk von Jesus, das sich durch seine Auferstehung von den Toten als mächtig und kräftig erwiesen hat. „Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns nach seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten…“

Weil die Wiedergeburt durch Gottes Wort geschieht, setzt sie damit ein, dass die gute Nachricht von Jesus Christus ins Leben eines Menschen tritt. Das kann bei einer Predigt geschehen, das kann beim Bibellesen geschehen, das kann durch das Zeugnis eines christlichen Freundes geschehen. Wenn diese Gute Nachricht auf fruchtbaren Boden fällt, dann kommt der Mensch zum Glauben und lässt sich taufen. Die Taufe ist nichts anderes als eine besondere Form von Gottes Wort; Gott verkündigt einem Menschen durch die Taufe: Deine Sünden sind jetzt abgewaschen; darum beginnt ein neues Leben für dich durch Jesus Christus. Jesus wollte, dass die Taufe am Anfang eines Christenlebens steht. Er hat verfügt: „Macht zu Jüngern alle Völker, indem er sie tauft und (dann) alles halten lehrt, was ich euch befohlen habe“ (Matth. 28,19‑20). Die Apostelgeschichte des Lukas enthält viele Beispiele dafür, wie Menschen, die vom Evangeliumswort angerührt wurden, sich sogleich taufen ließen. Auch ihre Angehörigen ließen sie oftmals gleich mit taufen, darunter auch kleine Kinder, denn sie wollten natürlich, dass sie durch Gottes Wort ebenfalls wiedergeboren werden. So kann man generell sagen, dass Gottes Wiedergeburt mit der Taufe ihren Anfang nimmt. Der Apostel Paulus nennt die Taufe darum ein „Bad der Wiedergeburt“ und bezeugt, dass Gott durch diese heilige Waschung Menschen selig macht (Titus 3,5). Jesus selbst sprach davon, dass ein Mensch neu geboren werden muss „aus Wasser und Geist“, um in Gottes Reich zu kommen (Joh. 3,3.5).

Weil die Taufe am Anfang eines Christenlebens steht, ist sie der Anfang der Wiedergeburt. Das heißt aber nicht, dass die Wiedergeburt mit der Taufe in einem Augenblick abgeschlossen und erledigt ist. Ebensowenig lässt sich die Wiedergeburt an einem anderen Zeitpunkt im Menschenleben festmachen. Niemand kann sagen: Zu dem Datum und um diese Zeit hat Gott mich wiedergeboren. Manche können freilich einen Zeitpunkt angeben, zu dem ihnen das zum ersten Mal richtig bewusst geworden ist; aber die Hauptsache bei der Wiedergeburt ist ja nicht, dass einem Menschen das bewusst wird, sondern die Hauptsache ist, dass er neues Leben in Gottes Reich hat. Weil Gott die Wiedergeburt durch das Wort des Evangeliums wirkt, müssen wir sagen: Die Wiedergeburt geht weiter, solange ein Mensch unter Gottes Wort lebt. Und weil wir lebenslang Jünger sind, weil wir lebenslang Gottes Wort hören und lernen sollen, darum ist die Wiedergeburt ein lebenslanger Prozess. Die natürliche Entstehung eines Menschen kann uns dafür als Gleichnis dienen: die Zeugung, das Heranreifen des Menschen im Mutterleib und die Geburt bilden ja auch einen längeren Prozess. Dass die Wiedergeburt ein lebenslanger Prozess ist, wird auch in unserem Bibelwort aus dem 1. Petrusbrief deutlich: Der Apostel stellt die Wiedergeburt als eine lebendige Hoffnung auf die ewige Seligkeit dar, die sich erst am Jüngsten Tag vollends verwirklichen wird. Er schreibt: „Gott hat uns wiedergeboren zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten, zu einem unvergänglichen und unbefleckten und unverwelklichen Erbe, das aufbewahrt wird im Himmel für euch, die ihr aus Gottes Macht durch den Glauben bewahrt werdet zur Seligkeit, die bereitet ist, dass sie offenbar werde zu der letzten Zeit.“ Und ein paar Verse weiter: „Ihr werdet euch aber freuen mit unaussprechlicher und herrlicher Freude, wenn ihr das Ziel eures Glaubens erlangt, nämlich der Seelen Seligkeit.“ So kommt es, dass Jesus selbst das Wort „Wiedergeburt“ für die Auferstehung der Toten am Jüngsten Tag verwendet hat (Matth. 19,28). Am Jüngsten Tag kommt die Wiedergeburt ans Ziel, die in der Taufe angefangen hat. Christsein in dieser Welt ist gewissermaßen eine Reise, ein Unterwegssein hin zum herrlichen Ziel, ein Werden, ein Prozess der Wiedergeburt. Martin Luther hat es einmal treffend in folgende Worte gekleidet: „Das christliche Leben ist nicht Frommsein, sondern ein Frommwerden; nicht Gesundsein, sondern ein Gesundwerden; nicht Sein, sondern Werden; nicht Ruhe, sondern Übung. Wir sind es noch nicht, wir werden's aber. Es ist noch nicht getan und geschehen, es ist aber im Gang und Schwang. Es ist nicht das Ende, es ist aber der Weg. Es blüht und glänzt noch nicht alles, es bessert sich aber alles.“ Und unser lutherisches Bekenntnis lehrt: „Die verdorbene menschliche Natur muss und kann allein durch des Heiligen Geistes Wiedergeburt und Erneuerung geheilt werden, was jedoch in diesem Leben nur angefangen, aber erst in jenem Leben vollkommen sein wird“ (SD I,14).

Das zu wissen ist ungeheuer tröstlich. Wenn ich mich als Christ beim Sündigen ertappe, dann brauch ich nicht zu denken: Jetzt ist alles aus, jetzt habe ich meine Wiedergeburt verspielt!, sondern dann darf ich Buße tun und in die Taufgnade zurückkriechen. Wenn mich schwere Glaubenszweifel plagen oder wenn mich großes Leid niederdrückt, dann brauche ich nicht verzweifelt auszurufen: Jetzt hat Gott mich im Stich gelassen!, sondern dann weiß ich: Ich bin ja noch unterwegs, Gott arbeitet an mir mit dem großen Werk der Wiedergeburt, und da gehören die Anfechtungen und das Leid dazu, damit mein Glaube sich bewährt und stärker aus solchen Prüfungen hervorgeht. In derselben Weise tröstet auch der Apostel Petrus die Christen in unserem Bibelabschnitt. Er schreibt: „Ihr werdet euch freuen, die ihr jetzt eine kleine Zeit, wenn es sein soll, traurig seid in mancherlei Anfechtungen, damit euer Glaube als echt und viel kostbarer befunden werde als das vergängliche Gold, das durchs Feuer geläutert wird, zu Lob, Preis und Ehre, wenn offenbart wird Jesus Christus.“ Wenn verunreinigtes Gold stark erhitzt wird, dann kann man es im flüssigen Zustand leicht von allen fremden Stoffen trennen; diesen Vorgang nennt man „läutern“. So, sagt die Bibel hier und an anderen Stellen, läutert Gott den Glauben durch die Hitze mancher Leiden und Anfechtungen. Wir sollten nicht überrascht sein, wenn wir das am eigenen Leibe erleben.

Liebe Brüder und Schwestern in Christus, ich komme zur Anfangsfrage zurück: Seid ihr wiedergeboren? Und ich gebe mit euch und für euch folgende Antwort: Gott arbeitet gerade daran. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2010.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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