Warten auf dem Bräutigam

Predigt über Matthäus 25,1‑13 zum Ewigkeitssonntag

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

„Er wird nicht lang verziehen“, so haben wir eben aus dem Choral „Ermuntert euch, ihr Frommen“ gesungen. Von Christus, dem Bräutigam, ist die Rede. Das Gleichnis von den zehn Jungfrauen, das Jesus erzählt hat, sagt genau das Gegenteil: Der Bräutigam verzieht lange, er lässt lange auf sich warten. Und damit stehen wir vor einem Problem, das die Christen­heit immer bewegt hat: Wann kommt er denn endlich sichtbar wieder, der Herr Jesus Christus, und holt uns zu sich in den Himmel?

Einigen Christen ist es freilich ziemlich egal, wann Jesus wieder­kommt. Sie leben fröhlich auf dieser Welt und hoffen vielleicht sogar im Stillen, dass der Jüngste Tag nicht so bald kommt. Andere aber sehnen sich nach dem Himmel, möchten ein Leben voller Krankheit und Kummer bald hinter sich lassen. Die ersten Christen waren beseelt von dem Gedanken, dass Christus in aller­kürzester Zeit wieder­kommt. Manche von ihnen gaben ihren Beruf auf und verkauften ihren gesamten Besitz, weil sie meinten, sie würden das alles nicht mehr brauchen. Nun, diese sogenannte „Nah­erwartung“ hat sich zer­schlagen; nach zweitausend Jahren ist Jesus immer noch nicht wieder­gekommen. Dass er „bald“ wiederkommt und „nicht lange verzieht“, das kann man nach mensch­lichen Zeit­maßstäben nicht mehr behaupten, nur noch nach göttlichen Zeit­maßstäben, wo tausend Jahre wie ein Tag sind (Ps. 90,4). Oder man kann es im Hinblick darauf behaupten, dass jeder Mensch an seinem Todestag ja direkt an der Schwelle des Jüngsten Tages steht; kein Christ muss die ganzen 2000 Jahre Kirchen­geschichte persönlich durchleben, sondern immer nur ein kleines Stück davon.

Aber wie man es auch wendet: Manchem Christen wird die Zeit auf Erden doch ziemlich lang, vor allem, wenn es darum geht, in Glaube und Hoffnung am Herrn Jesus Christus fest­zuhalten. Da gibt es im Laufe des Christen­lebens viele Einflüsse, die den kindlichen Glauben kaputt machen wollen und Zweifel säen. Jesus wusste das schon von Anfang an, er hat es voraus­gesehen. Und genau aus diesem Grund hat er das Gleichnis von den zehn Jungfrauen erzählt und von dem Bräutigam, der so unerwartet lange auf sich warten ließ. Er schloss die Geschichte mit der Manung: „Darum wacht! Denn ihr wisst weder Tag noch Stunde.“

Um die Geschichte verstehen zu können, müssen wir uns auf uralte Traditionen des Hochzeit­feierns besinnen. Früher waren Hochzeiten ganz anders als heute in Deutsch­land. Damals war die Heirat eine Angelegen­heit, bei der zwei Groß­familien miteinander in Beziehung traten. Außerdem war die Hochzeit zugleich der feierliche Umzug der Braut von ihrem Elternhaus zum Wohnort des Bräutigams und seiner Groß­familie. Das ist noch heute bei manchen Völkern so; ich selbst habe es im südlichen Afrika mehrfach erlebt. Die traditio­nelle Hochzeits­feier beginnt damit, dass der Bräutigam mit seinen Freunden und gleich­altrigen Verwandten zum Wohnort der Braut kommt, um sie von dort abzuholen. Der erste Teil der Hochzeits­feier findet also bei der Braut statt, der zweite Teil dann beim Bräutigam. Bevor der Bräutigam bei der Braut eintrifft, wird die Braut herrlich gekleidet und geschmückt. Ihre Freundinnen und gleich­altrige Mädchen aus der Ver­wandtschaft sind bei ihr; das sind die „Jung­frauen“, die sogenannten „Braut­jungfern“. Weil die Mädchen zu Jesu Zeiten normaler­weise recht jung heirateten, müssen wir uns eine aufgeregte, fröhlich kichernde Schar von Teenagern vorstellen. Sie freuen sich riesig auf die bevor­stehende Hochzeits­feier. Aber zunächst heißt es warten – auf den Bräutigam und sein Gefolge. Der kommt noch lange nicht. Im Falle des Gleich­nisses, das Jesus erzählt, trifft er erst um Mitternacht bei der Braut ein. Ist das nicht merkwürdig? Ist das nicht unhöflich? Warum hat man die ganze Hochzeits­feier nicht besser geplant?

Diese Fragen sind typisch deutsche Fragen. Wenn ich wieder an afri­kanische Hochzeiten zurück­denke, dann kommt mir das sehr vertraut vor, eigentlich ganz normal: Eine Hochzeits­feier fängt meistens später an, als man denkt. Die afri­kanischen Hochzeiten, an denen ich selbst teil­genommen habe, fingen alle etwa ein bis drei Stunden später an als geplant. Da könnte man viele einzelne Gründe nennen, die das Ganze verzögern; aber eigentlich sind den Teilnehmern die Gründe ziemlich egal. Ja, normaler­weise macht ihnen das Warten gar nichts aus: Man ist zusammen, man ist festlich gestimmt, man freut sich auf die bevor­stehende Hochzeit, man kann mit diesem und jenem in Ruhe sprechen. So fanden sicher auch Jesus und seine Jünger es ziemlich normal, dass bei einer bevor­stehenden Hochzeit der Bräutigam erst stark verspätet bei der Braut eintrifft. Der Braut und ihrer auf­geregten, fröhliche kichernden Schar von Jungfrauen macht das nichts aus. Vorfreude ist eine schöne Freude, und wenn sie noch ein wenig länger anhält, kann das nur recht sein.

Aber die Braut­jungfern beschließen nach längerem Warten, dem Bräutigams­zug ein bisschen entgegen­zugehen. Es dämmert schon; mit Mondlicht ist diese Nacht nicht zu rechnen; Taschen­lampen gab es damals noch nicht; so nehmen sie Fackeln mit, um sich im Dunkeln zurecht­zufinden: kleine Öllampen, die auf Stäben montiert sind. Wie ein Laternenzug machen sich die Mädchen auf den Weg. Fünf von den zehn Teenagern sind so klug und voraus­schauend, dass sie wissen: So ein Bräutigams­zug kann ziemlich lange auf sich warten lassen; es kann möglicher­weise noch Stunden dauern. Weil in kleinen Öllampen nicht viel Öl drin ist, nehmen sie sich Tonkrüge mit Reserveöl mit – für alle Fälle. Die fünf anderen, die nicht so klug und voraus­schauend sind, ziehen nur mit ihren Fackeln los. Hätten die anderen, die Klugen, ihnen nicht einen Tipp geben können? Ja, das hätten sie machen können. Und ich bin sicher: Das haben sie auch gemacht. Aber ihr Tipp wird als unnötig und pessi­mistisch abgewiesen: „So lange wid's bestimmt nicht dauern!“ Nun, wir wissen: Es hat doch so lange gedauert, bis Mitter­nacht. So lange, dass die lustigen Teenager erst etwas ruhiger werden, sich dann am Wegesrand nieder­setzen und ihre Fackeln in den Sand stecken, schließlich ein­schlafen. Und dann kommen die Vorboten der Bräutigams-Gesell­schaft und rufen: „Auf, ihr Schlaf­mützen! Jetzt geht's los! Jetzt kommt der Bräutigam! Wolltet ihr ihm nicht entgegen­laufen?“ Die Mädchen wachen auf – und sehen, dass ihre Öllampen fast leer­gebrannt sind; die Dochte glimmen nur noch. Schnell füllen die fünf Klugen mit ihrem Reserveöl nach. Für die anderen reicht es nicht – sollen die doch zusehen, wo sie jetzt noch Öl her­bekommen. Die Klugen jedenfalls treffen singend und tanzend mit der Schar des Bräutigams zusammen und begleiten ihn zum Haus der Braut. Da wird die Tür verriegelt und eine herrliche Hochzeit gefeiert. Die anderen fünf verpassen die ganze Freude, kommen zu spät, sind aus­gesperrt. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.

Wenn wir uns das Gleichnis von den zehn Jungfrauen so vor Augen führen, auf dem Hintergrund der damaligen Hochzeits­tradition, dann können wir ganz leicht fest­stellen, was Jesus uns damit sagen will. Er sagt uns: Wundert euch nicht, wenn der Jüngste Tag viel später kommt, als ihr denkt! Rechnet viel mehr damit, stellt euch darauf ein! Genießt so lange eure Gemein­schaft, genießt die Vorfreude, wartet auf mich! Ich komme schon noch!

Und weiter sagt er uns – das ist noch wichtiger – : Bleibt wach! Und das bedeutet in der Bildsprache der Bibel: Bleibt dran am Glauben! Haltet euer Glaubens­licht am Brennen! Seid dabei voraus­schauend und klug – euer Glaube soll kein Strohfeuer sein, sondern eine dauerhafte Glut, die bis ans Ende eurer Tage leuchet. Haltet euer Glaubens­licht am Brennen, und bildet euch dabei nicht ein, dass das allein mit gutem Willen klappt. Der Glaube ist keine Frage des guten Willens, sondern der Glaube ist eine Gabe des Heiligen Geistes. Das Glaubens­licht kann nur dann weiter­brennen, wenn der Heilige Geist ihm Brennstoff gibt, Glaubensöl gewisser­maßen. Dieses Glaubensöl ist aber nichts anderes als das Evangelium von Jesus Christus, seine Frohe Botschaft. Wenn wir von seiner Liebe hören, von seinem Opfer am Kreuz, von seiner Auf­erstehung und seiner Königs­herrschaft, dann brennt der Glaube weiter. Wir müssen immer wieder nachfüllen, wir müssen immer wieder neu davon hören. Das Glaubens­licht erhält auch Brennstoff, wenn uns in der Beichte die Sünden vergeben werden und wenn wir im Heiligen Abendmahl den Leib und das Blut Christi empfangen. Klug und voraus­schauend handelt der Christ, der sich angewöhnt, stets frisches Öl in sein Glaubens­lämpchen nach­zufüllen, sonntags im Gottes­dienst sowie auch in täglichen Andachten. Ich kenne genug Beispiele von nicht so klugen Christen, die es nicht für nötig halten, ihrem Glauben immer wieder Brennstoff zuzuführen, sondern die selbst­gefällig sagen: „Ich habe meinen Glauben!“ Und wenn ich dann nachfrage, was das denn für ein Glaube ist, dann stoße ich allzuoft nur auf Finsternis. Lassen wir uns also von Gott mit Glaubensöl versorgen, lassen wir unser Glaubens­licht brennen, und leben wir weiter in der herrlichen Vorfreude auf Gottes Hochzeits­fest im Himmel! Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2009.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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