Himmelfahrt und Hermeneutik

Predigt über Lukas 24,44‑53 zum Himmelfahrtstag

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Was verbindet Himmelfahrt und Hermeneutik? Es ist nicht nur der Anfangsbuchstabe H, es ist auch die heutige Evangeliums­lesung. Dieser letzte Abschnitt im Lukas-Evangelium handelt nämlich sowohl von der Hermeneutik als auch von der Himmelfahrt des Herrn, in dieser Reihen­folge. Lasst uns beides jetzt auch in dieser Reihen­folge bedenken.

Also erstens: die Hermeneutik! Was ist das überhaupt? Es ist die Lehre vom Verstehen. Wenn wir in der Kirche von Hermeneutik reden, dann geht es dabei um das Verstehen der Bibel. Alle Pfarrer unserer Kirche haben vor einer Woche ziemlich aus­führlich darüber geredet, und zwar auf dem All­gemeinen Pfarr­konvent. Heraus­gekommen ist dabei, dass wir ein­stimmig ein sogenanntes Hermeneutik-Papier verab­schiedet haben, ein Grundlagen­papier zum Verstehen der Bibel, also eine Art Gebrauchs­anweisung für die Auslegung von Gottes Wort. Auf dieses Hermeneutik-Papier möchte ich mich jetzt beziehen, wenn ich den ersten Teil unseres heutigen Evangeliums auslege – wie gesagt: den Teil über Hermeneutik.

Nach der Auferstehung ist Jesus seinen Jüngern mehrfach erschienen und hat mit ihnen geredet. Lukas berichtet: „Er öffnete ihnen das Verständnis, sodass sie die Schrift verstanden.“ Er unter­richtete sie also in Hermeneutik; er hat mit ihnen Bibel­stunden gehalten. Und was er seinen Jüngern da in den vierzig Tagen zwischen Ostern und Himmelfahrt beibrachte, das ist auch noch für uns heutige Jünger wichtig für das Verstehen der Bibel.

Jesus redet da einmal ganz allgemein von der „Schrift“, und er redet dann speziell von drei Haupt­teilen des Alten Testaments, nämlich dem Mose-Gesetz, den Propheten und den Psalmen. Da lernen wir: Die Bibel besteht zwar aus mehreren Teilen und aus vielen Büchern, von ver­schiedenen Personen zu ver­schiedenen Zeiten auf­geschrieben. Aber doch ist das alles zusammen eine wunderbare Einheit, die eine „heilige Schrift“, das Wort des lebendigen Gottes. Denn Gott hat durch seinen Heiligen Geist die Gedanken, Münder und Schreib­geräte der menschlichen Autoren so gelenkt, dass durch ihre Worte Gottes unfehlbare Wahrheit und Gottes heiliger Wille zum Ausdruck kommen. Es heißt dazu im Hermeneutik-Papier unserer Kirche: „Die Biblische Hermeneutik leitet dazu an, die Schrift in der Gewissheit auszulegen, dass das, was sie sagt und wirkt, Wahrheit und Wirklich­keit ist und nicht trügt.“ Und an anderer Stelle: „Die hier vorgelegte lutherische Hermeneutik betreibt eine Schrift­auslegung, die das Ganze des biblischen Kanons in den Blick nimmt.“ Noch einmal: Die vielen Bücher der Bibel sind die eine Heilige Schrift. Man darf sie nicht auseinander reißen. Man darf sich auch nicht beliebig irgendwelche Worte heraus­picken wie Rosinen aus einem Kuchen. Wer die Bibel richtig auslegen will, muss das Ganze von Gottes Wort im Blick haben und jede einzelne Stelle mithilfe ihres großen Zusammen­hangs verstehen lernen.

Aber nun lehrte Jesus seine Jünger zwischen Ostern und Himmelfahrt noch einen weiteren herme­neutischen Grundsatz. Er sagte ihnen: „Es muss alles erfüllt werden, was von mir geschrieben steht im Gesetz des Mose, in den Propheten und in den Psalmen.“ Und weiter: „So steht's geschrieben, dass Christus leiden wird und auf­erstehen von den Toten am dritten Tage.“ Damit sagt Jesus, dass die ganze Heilige Schrift von ihm handelt, von Christus. Auch das Alte Testament kann man nur dann richtig verstehen, wenn man es auf Jesus Christus bezieht. Der Apostel Paulus hat das so ausgedrückt: „Auf alle Gottes­verheißungen ist in Christus das Ja“ (2. Kor. 1,20). Direkt oder indirekt hat alles in der Bibel mit Christus zu tun: Gottes Gesetz, das uns unsere Sünde zeigt; Gottes Weg mit dem Volk Israel, durch den er das Kommen seines Sohnes vorbereitet hat; schließlich die Weis­sagungen der Propheten, die das Kommen des Erlösers und Gottes neuen Bund ankündigten. Im Hermeneutik­papier unserer Kirche heißt es darum: „Die Biblische Hermeneutik leitet insbesondere dazu an, die Schrift in ihrem eigenen Wort­laut so auszulegen, dass Christus als ihr Herr und König erkannt ist.“

Ein drittes lehrte Jesus noch vom rechten Verständnis der Bibel, bevor er gen Himmel fuhr. Er sagte: „Es steht geschrieben, dass gepredigt wird im Namen Christi Buße zur Vergebung der Sünden unter allen Völkern…. Seid dafür Zeugen.“ Die eine Heilige Schrift handelt von dem einen Herrn und König Jesus Christus, der durch sein einmaliges Opfer am Kreuz allen Völkern die Vergebung der Sünden ermöglicht hat. Die frohe Botschaft von der Sünden­vergebung, genannt „Evangelium“, ist das Ziel von Gottes Wort und darum auch das Ziel aller christ­lichen Verkündigung. Gott hat den Jüngern die Heilige Schrift nicht nur gegeben, damit sie selbst darin studieren und im Glauben stark werden, sondern er hat sie ihnen auch gegeben, damit sie mit dieser frohen Botschaft hinaus­gehen in die Welt und die Menschen zur Buße rufen. Dieser Auftrag des Herrn ist bis heute geblieben und sollte von uns allen ernst genommen werden, wenn wir die Bibel richtig verstehen wollen. Dabei ist die Buße nichts Finsteres und Trauriges. Buße im biblischen Sinne bedeutet, dass ein Mensch bereit wird, sein sünden­verkorkstes Leben von Gott umkrempeln zu lassen, damit es heil wird, neu wird, ewig wird. Im Hermeneutik-Papier heißt es, dass Biblische Hermeneutik immer „im Kontext der Kirche zu allen Zeiten und an allen Orten geschieht. Auslegung der Heiligen Schrift vollzieht sich daher in der Absicht und mit dem Anspruch, den Glauben der einen, heiligen, christlichen, aposto­lischen Kirche zum Ausdruck zu bringen.“

Schließlich hat Jesus seinen Jüngern in diesem Zusammen­hang noch verheißen: „Siehe, ich will auf euch herab­senden, was mein Vater verheißen hat.“ Gemeint ist der Heilige Geist. Durch den Heiligen Geist ist die Bibel geschrieben worden, und ohne den Heiligen Geist kann sie nicht richtig verstanden werden. Darum gehört die Bitte um den Heiligen Geist zum Bibel­lesen dazu. Im Hermeneutik­papier heißt es darum: „Sach­gemäß ist ein Verständnis biblischer Texte, das den Ausleger über die Schrift zu Christus führt, und zwar im Zusammen­hang mit der Christenheit, mit ihren Glaubens­bekenntnis, ihrem Gebet und Gottesdienst. Darum beten wir um den Beistand des Heiligen Geistes, der durch die Propheten und Apostel geredet hat, wenn wir die Schrift lesen und auslegen wollen.“

Soweit Jesu Lehre zum Thema Hermeneutik, wie wir sie im heutigen Evangelium finden. Und nun zum zweiten „H“, zum Thema Himmelfahrt. Am Ende unseres heutigen Evangeliums lesen wir: „Jesus führte sie hinaus bis nach Betanien und hob die Hände auf und segnete sie. Und es geschah, als er sie segnete, schied er von ihnen und fuhr auf gen Himmel.“

Die Himmelfahrt des Herrn bildet den krönenden Abschluss der nach­österlichen Zeit, in der Jesus seine Jünger lehrte und sie zum rechten Verständnis von Gottes Wort anleitete. Nach der Auf­erweckung Jesu ist die Himmelfahrt das zweite große Zeichen Gottes, mit dem er bezeugt und besiegelt hat: Dieser Jesus von Nazareth ist mein lieber Sohn. Durch seinen Tod können alle Menschen Vergebung der Sünden finden. Durch ihn, und nur durch ihn, können Menschen zu Gott finden. Er sitzt zur Rechten Gottes; das heißt: Ihm ist alle Macht gegeben im Himmel und auf Erden.

Damit besiegelt die Himmelfahrt Jesu auch seine eigene herme­neutische Lehre: Christus ist nicht nur Lehrer und Ausleger der Heiligen Schrift, sondern er ist zugleich selbst Herr und König der Schrift, Mitte der Schrift und Schlüssel zur Schrift. Das galt für die Jünger damals und das gilt für uns heute: Die Himmelfahrt bezeugt, dass Gottes Wort nicht trügt, sondern dass das Evangelium von Jesus wahr und verlässlich ist.

Nun haben wir hier im Lukas-Evangelium nur die Kurz­fassung der Himmelfahfts­geschichte. Die ausführliche Fassung steht in der Apostel­geschichte; wir haben sie vorhin als Epistel-Lesung gehört. In dieser Kurz­fassung erfahren wir nichts über die Wolke, die Jesus vor den Augen der Jünger verbarg, und auch nichts von den Engeln, die fragen, warum die Jünger denn hier herumstehen und nach oben gaffen. Dafür wird in dieser Kurz­fassung etwas anderes betont, etwas ganz Wichtiges: „Er hob die Hände auf und segnete sie.“ Und das heißt doch: Er ließ seine Jünger nicht im Stich. Auch wenn er vom Zeitpunkt der Himmelfahrt an nicht mehr sichtbar bei ihnen war, so blieb er doch mit seinem Segen und mit seinem Frieden bei ihnen. Das ist bis heute so geblieben. Der Herr und König Jesus Christus, der zur Rechten des Vaters sitzt und alles regiert, der ist mit seinem Segen und mit seinem Frieden jetzt hier bei uns. Und wenn ich am Ende des Gottes­dienstes die Hände ausbreite und den Segen über euch spreche, und wenn das an unzähligen anderen Orten unzählige andere Pastoren ebenso tun, dann ist es eigentlich kein anderer als der auf­erstandene und gen Himmel gefahrene Herr Jesus Christus, der da seine Hände ausbreitet und segnet.

Falls dir die ganze Himmelfahrts­geschichte merkwürdig und rätselhaft vorkommt, dann halte doch wenigstens dieses Eine für dich fest: dass der Herr Jesus Christus die Hände über dir ausbreitet und dich segnet. Dich so segnet, dass du für immer zu ihm gehören darfst. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2009.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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