Ist Ehrgeiz gut oder schlecht?

Predigt über Markus 10,35-45 zum Sonntag Judika

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Wenn jemand mit herausragenden Leistungen berühmt werden will, dann braucht er neben Begabung und Fleiß auch Ehrgeiz. Ein Sportler muss den Ehrgeiz haben, besser zu sein als die anderen, sonst kann er nicht gewinnen. Ein Künstler sehnt sich nach Applaus und Bewunderung. Ein Politiker strebt nach Einfluss und Macht; er muss sich behaupten und gegen andere durchsetzen.

Liebe Gemeinde, ich möchte heute über den Ehrgeiz predigen. Dabei denke ich nicht nur an den Ehrgeiz von herausragenden Persönlichkeiten, sondern auch an alltägliche Menschen, an uns, an mich. Und ich stelle die Frage: Ist Ehrgeiz gut oder schlecht? Ist er eine Tugend oder eine Sünde? Sollte man nach ihm streben oder ihn bekämpfen?

Das Wort „Ehrgeiz“ hat eigentlich nichts mit „Geiz“ im heutigen Verständnis zu tun. Der „Geiz“ in „Ehrgeiz“ hat die alte Bedeutung von „Gier“. „Ehr-Gier“, „Ehrsucht“, das ist mit „Ehrgeiz“ gemeint. Und da sind wir schon mitten in der Geschichte des heutigen Evangeliums, denn es ist eine Geschichte von der Ehrsucht.

Zwei Brüderpaare gehörten zu den zwölf Jüngern Jesu, alle vier ehemalige Fischer. Simon Petrus und Andreas war das eine Brüderpaar, Jakobus und Johannes das andere. Jakobus und Johannes waren Söhne eines gewissen Zebedäus. Sie wurden „Donnersöhne“ genannt wegen ihres aufbrausenden Temperaments. Genau diese beiden packte also der Ehrgeiz. Das geschah kurz nach Jesu Leidensankündigungen und kurz nachdem Jesus allen zwölf Jüngern eine wundervolle Verheißung gegeben hatte. Er hatte ihnen gesagt: „Ihr, die ihr mir nachgefolgt seid, werdet bei der Wiedergeburt, wenn der Menschensohn sitzen wird auf dem Thron seiner Herrlichkeit, auch sitzen auf zwölf Thronen…“ (Matth. 19,28). Jakobus und Johannes war das nicht genug. So wie ehrgeizige Sportler wollten sie auf den vordersten Plätzen landen, vor den übrigen Aposteln. So wie ehrgeizige Künstler wollten sie zusammen mit Jesus am meisten bewundert und geehrt werden. So wie ehrgeizige Politiker wollten sie den größten Einfluss ausüben auf ihren König Jesus Christus, wollten seine bedeutendsten Minister und engsten Vertrauten sein. Darum baten die beiden ihren Meister: „Gib uns, dass wir sitzen einer zu deiner Rechten und einer zu deiner Linken in deiner Herrlichkeit.“ Ist das nun gut oder schlecht, dieser Ehrgeiz?

Für einen Sportler, einen Künstler oder einen Politiker mag solcher Ehrgeiz gut und hilfreich sein, im Reich Gottes aber hat er nichts zu suchen. Wer den Ehrgeiz hat, in Gottes Reich Karriere zu machen und zu hohen Ehren zu kommen, der hat noch nicht begriffen, was im Reich Gottes zählt. Darum erwiderte Jesus den beiden ehrgeizigen Brüdern: „Ihr wisst nicht, was ihr bittet.“ Und dann wies er auf das hin, was im Reich Gottes wirklich zählt. Er tat es mit der Frage: „Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke, und getauft werden mit der Taufe, mit der ich getauft werde?“ Er meinte damit den bitteren Kelch des Leidens, von dem er sich Garten Gethsemane wünschte, er würde an ihm vorübergehen, und er meinte die Feuertaufe des Kreuzestodes. Er meinte sein Opfer, seine Selbsthingabe, seinen Heilandsdienst an den Menschen. „Könnt ihr das auch, und wollt ihr das?“, so fragte der die Zebedäus-Söhne. Und als sie bejahten – wohl ohne wirklich zu ermessen, was das bedeutete – ‚ da sagte er ihnen voraus: „Ihr werdet auch den Kelch trinken, den ich trinke, und getauft werden mit der Taufe, mit der ich getauft werde.“ Damit prophezeite er ein Apostelleben unter Verfolgung, Anfeindung und viel Leid; ein Leben in der Aufopferung für die Verkündigung des Evangeliums; und so ist es ja dann für die beiden auch wirklich gekommen. Ja, das zählt im Reich Gottes: der Dienst, die Aufopferung und das Kreuz. Jeder Ehrgeiz ist da fehl am Platz. Überlegenheit, Bewunderung und Macht – darum soll ein Jünger Jesu sich nicht kümmern, danach soll er nicht streben. Das passt nicht zur Haltung der Demut, die Jesus selbst vorgelebt hat und die das Gegenteil von Ehrgeiz ist. Jesus sagte von sich: „Der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und sein Leben gebe als Lösegeld für viele.“

Mir ist letzte Woch ein sehr altes Buch in die Hände gefallen, geschrieben im 17. Jahrhundert, gedruckt im 18. Jahrhundert. Es ist das berühmte Werk des Theologen Johann Arndt „Sechs Bücher vom wahren Christentum“. Arndt schreibt im 21. Kapitel „Von der Kraft und edlen Tugend der Demut“. Dieses Kapitel ist mit einem schönen Stich illustriert, auf dem eine Landschaft abgebildet ist: im Hintergrund hohe, kahle Berge; im Vordergrund ein reifes Weizenfeld. Unter dem Stich steht: „Je niedriger, je völler.“ Das Bild ist ein Gleichnis und illustriert Arndts Gedanken zur Demut: Wer hochmütig ist, dessen Leben bleibt kahl und unfruchtbar wie das Gebirge. Jedenfalls ist das im Reich Gottes so, denn den lieben Gott kann niemand beeindrucken durch ehrgeizige Leistungen auf den Gebieten Sport, Kunst, Politik oder auch Wissenschaft. Wer aber demütig ist, wer nicht hoch von sich denkt, wer das Niedrige und Geringe angreift, wer Knecht sein und dienen will, der gleicht der fruchtbaren Niederung, dem Tal mit dem Kornfeld. Und gerade der bringt Frucht für das Reich Gottes. Da fällt uns gleich das Evangelium vom letzten Sonntag ein mit seinem Wochenspruch: „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, so bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, so bringt es viel Frucht“ (Joh. 12,24). Demütig sein heißt: Bereit sein zu dienen, sich aufzuopfern, das Kreuz zu tragen und dabei scheinbar unterzugehen. Jesus hat es als Meister und Vorbild vorgemacht. Sein Opfer hat über die Maßen viel Frucht gebracht, nämlich die Erlösung aller Menschen, auch deine Erlösung, auch meine Erlösung. Solche Haltung der Demut zählt in Gottes Augen, der Ehrgeiz aber hat in seinem Reich nichts zu suchen.

Bedeutet das denn, dass uns Christen alle Ehre entgeht, dass wir nichts Schönes haben, auf das wir uns freuen können, sondern nur das Kreuz und den aufopfernden Dienst? Nein, so ist es nicht. Kommen wir zurück zur Geschichte mit den Zebedäus-Söhnen. Jesus hatte ihnen ja schon mit den anderen Jüngern verheißen, dass sie einst in der Herrlichkeit auf Thronen sitzen werden. Das hat Gott ihnen versprochen und das wird er auch halten; darauf können sie sich freuen. Von den beiden besonderen Thronen rechts und links neben dem erhöhten Jesus aber hat er gesagt: „Das wird denen zuteil, für die es bestimmt ist.“ Wer mit jüdischer Redeweise und Jesu Worten vertraut ist, der weiß sofort, was hinter dieser unpersönlichen Formulierung steckt: Das Tun des himmlischen Vaters steckt dahinter. Also mit anderen Worten: Der Vater im Himmel bestimmt, wer rechts und links neben Jesus sitzen darf. Genau wie der Vater im Himmel bestimmt hat, dass die zwölf Apostel auf zwölf Thronen sitzen werden. Und genau wie er seinen Sohn nach der Passion von den Toten auferweckt und ihm alle Macht im Himmel und auf Erden gegeben hat. Und genau wie Gott uns in der Taufe zu Königen und Priestern gemacht hat, zu Erben des Himmelreichs.

Und jetzt merken wir, worum es im Himmelreich geht: Es geht nicht darum, dass wir ehrgeizig irgendwelchen Lohn und irgendwelche Ehre anstreben; Lohn und Ehre im Himmelreich werden vielmehr vom Vater im Himmel verschenkt, so wie es ihm gefällt. Es ist nicht etwas, was man beanspruchen oder sich erarbeiten kann, sondern es ist Gnadenlohn und Erbe. Nun aber gefällt es Gott, das Demütige und Niedrige zu erhöhen, das Schwache, das Leidende. Er stellt damit die Weltordnung auf den Kopf und zeigt, dass bei ihm ganz andere Maßstäbe gelten als unter den Menschen. So hat es Jesus dann auch allen Jüngern erklärt, sowohl den beiden Zebedäus-Söhnen als auch den zehn anderen Jüngern, als sie sich über die beiden ärgerten. Er sagte ihnen allen: „Ihr wisst, die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an. Aber so ist es unter euch nicht; sondern wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein; und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein.“ Jesus selbst, unser Meister, hat es es uns so vorgelebt. Er hat uns damit gezeigt, dass Ehrgeiz in Gottes Reich nichts zu suchen hat – es sei denn der Ehrgeiz, der Demütigste von allen zu werden und jedermann aufopferungsvoll zu dienen. Der Demütige aber ist der Glaubende, der es vertrauensvoll dem himmlischen Vater überlässt, wann und wie er ihn erhöht. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2009.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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