Was Jesus von seinen Jüngern erwartet

Predigt über Lukas 9,57-62 zum Sonntag Okuli

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Wenn ich ein Werbefachmann wäre, dann würde ich denken, Jesus hat da etwas falsch gemacht. Er stößt ja die Leute direkt vor den Kopf, die da seine Jünger werden könnten! Als Werbefachmann würde ich Jesus raten: Betone doch nicht so sehr, wie schwer das Jüngerleben ist und worauf ein Jünger alles verzichten muss. Stell doch lieber die Vorteile groß heraus. Sage den Menschen, dass sie ewig leben werden, wenn sie dir nachfolgen. Male ihnen die Freuden des Himmels aus: keine Schmerzen, keine Tränen, keine Enttäuschungen, kein Altwerden, Seligkeit pur! Mache ihnen klar, dass sie bereits jetzt große Vorteile aus der Nachfolge ziehen können: Sie kommen in eine tolle, herzliche Gemeinschaft. Sie können sicher sein, dass der Vater im Himmel immer auf ihrer Seite ist. Sie können auf Heilung von Leib und Seele hoffen. Und im Nu werden sie heilig durch hundertprozentige Sündenvergebung. Das, Jesus, müsstest du den Interessierten sagen, dann würden sie in Scharen deine Jünger werden! Wer Menschen für sich gewinnen will, muss die Vorteile herausstreichen und die Nachteile am besten erstmal verschweigen. Ja, das würde ich Jesus als Werbefachmann sagen.

Nun bin ich aber kein Werbefachmann, sondern ein Jünger Jesu und Prediger des Evangeliums. Da steht es mir nicht zu, Jesus gute Ratschläge zu geben, sondern da steht es mir zu, genau hinzuhören und zu beachten, was Jesus zu sagen hat. Und da muss ich zur Kenntnis nehmen, dass von einem Jünger Jesu eben Schweres erwartet wird.

Da sagte Jesus also einem Interessenten, der ihm nachfolgen wollte: „Die Füchse haben Gruben und die Vögel unter dem Himmel haben Nester; aber der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege.“ Obdachlos war Jesus, und er erwartete von seinen Jüngern dasselbe: Dass sie notfalls mit ihm unter freiem Himmel übernachten, wenn sie kein passendes Quartier finden. Nun können wir das freilich nicht direkt auf die heutige Jesus-Nachfolge übertragen. Indirekt aber schon. Wer ein Jünger Jesu sein will, der darf sich auch heute nicht in sein gemütliches Nest zurückziehen, in sein trautes Heim, und sich die böse Welt draußen den Buckel herunterrutschen lassen. Nein, Jesus will, dass wir uns unter die Menschen mischen, Kontakt mit ihnen suchen und dabei Zeugen seines Evangeliums sind – in Wort und Tat. Salz der Erde sollen Jünger sein und Licht der Welt; und dabei darf der Leuchter nicht unter einem Eimer versteckt werden (Matth. 5,13-16). Es gilt, liebevoll auf die Mitmenschen zuzugehen, auch wenn sie einem manchmal schrecklich auf die Nerven gehen und nicht gerade sympathisch sind. Das ist zuweilen unbequem – vielleicht so unbequem wie eine Nacht unter freiem Himmel.

Aber es kommt noch härter: Da will einer zwar Jesus nachfolgen, aber er will zuerst noch an der Beerdigungsfeier für seinen Vater teilnehmen. Dafür müsste doch eigentlich jeder Verständnis haben. Aber Jesus schockt uns hier, indem er kein Verständnis zeigt. Er sagt diesem Mann: „Lass die Toten ihre Toten begraben; du aber geh hin und verkündige das Reich Gottes!“ Andere sollen den toten Vater begraben, der Sohn nicht! Andere, die nicht bei Jesus die Quelle des Lebens suchen und darum geistlich tot sind, auch wenn sie noch leiblich leben. Der Zeugendienst für Jesus duldet keinen Aufschub, keine Verzögerung; wenn Jesus ruft, muss man alles andere stehen und liegen lassen. Für einen Jünger ist Jesus der oberste Herr, seine Anweisungen haben oberste Priorität. „Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes“, so hat Jesus seine Jünger ein anderes Mal gelehrt (Matth. 6,33). Das gilt bis heute: Für einen Jünger Jesu darf nichts wichtiger sein als den Willen des Herrn zu tun. Weder die Familie noch das Geldverdienen noch die ehrenamtliche Tätigkeit im Verein noch die Schule noch sonst irgendwas. Und wenn wir Menschen kirchlich beerdigen, dann tun wir es gerade eben aus dem Grund, weil wir bei dieser Gelegenheit das Evangelium verkündigen wollen, wie Jesus es geboten hat – das Evangelium vom Sohn Gottes, der den Tod besiegt hat. Eine Beerdigung, wo nicht Jesus Christus im Mittelpunkt steht, sondern der Verstorbene, ist keine christliche Beerdigung; da kann man als Jünger Jesu ruhig wegbleiben, da gibt es Wichtigeres zu tun.

Und dann kommt am Schluss noch das Härteste: Da will sich einer nur eben von seinen Angehörigen verabschieden, ehe er mit Jesus auf Reisen geht. Das müsste man ihm doch wirklich zubilligen; es wäre doch sehr unhöflich, ohne Abschied loszuziehen! Aber wieder schockt Jesus mit seiner Antwort: „Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes.“ Oder, wie die Volxbibel das Wort überträgt: „Wer beim Fahren nach hinten guckt, landet am Baum.“ Jesus-Nachfolge ist nichts für Traditionalisten, nichts für Ewig-Gestrige, nichts für Leute, die noch nicht flügge geworden sind und an Mutters Rockzipfel hängen. Nicht, dass Jesus grundsätzlich etwas gegen das Verabschieden hat. Aber er merkte bei diesem Mann, dass er noch zu sehr an seiner Familie hängt, um wirklich für die Nachfolge frei zu sein. Jesus hat grundsätzlich auch nichts gegen die Familie, aber auch hier fordert er, dass die Prioritäten stimmen müssen: Jesus muss wichtiger sein als die Familie, Gottes Reich muss wichtiger sein als das Elternhaus. Denn die glückliche Kindheit ist Vergangenheit, die Eltern verlassen uns. Ja, früher oder später müssen wir uns von allen Verwandten und lieben Menschen in dieser Welt trennen. Die Zukunft aber gehört Gottes Reich, und das eröffnet uns Jesus mit seinem Evangelium.

Diese Worte Jesu sind so schockierend und anstößig, dass mancher Bibelausleger gemeint hat, man müsse sie etwas entschärfen; so radikal können sie doch nicht gemeint sein. Da meint ein Ausleger, der Vater des zweiten Kandidaten sei wohl noch gar nicht gestorben; der Mann wolle erst noch den Tod seines Vaters zu Hause abwarten, ihn dann beerdigen und dann Jesus nachfolgen. Oder da meint ein Ausleger, die Familie des dritten Kandidaten muss wohl weit weg wohnen, sodass die Verabschiedung eine weite Reise nötig machen würde. Aber wie man es auch dreht und wendet: Jesu Anforderungen an einen Jünger sind und bleiben schockierend radikal. Manche Christen meinen daher, nur ganz wenige besondere Christen würden Jünger Jesu werden, die anderen leben ihr normales Leben weiter und glauben einfach an ihn. Aber Jesus hat deutlich gesagt, dass alle Völker durch Taufen und Lehren seine Jünger werden sollen: „Gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker“, so beginnt der Missionsbefehl (Matth. 28,19). Wie man es auch dreht und wendet: Wir alle, die wir getauft sind und an Jesus glauben, sind seine Jünger und sollen auch so leben. Wir alle sind als seine Zeugen gerufen; wir alle sollen ihn wichtiger nehmen als alles andere, auch als unsere Familie und unser eigenes Wohlbefinden. Ja, so hat es Jesus gesagt und so meint er es, da gibt es nichts zu deuteln.

Aber nun sei eine Frage erlaubt, die uns an den Ausgangspunkt unserer Betrachtungen zurückführt: Warum streicht Jesus hier die Härten und die Radikalität des Jünger-Seins heraus und wirbt nicht mit den enormen Vorteilen? Warum vewirft Jesus hier ganz offensichtlich jegliche Werbe-Psychologie? Die Antwort ist schnell gefunden. Wir finden sie, wenn wir noch eine andere Frage stellen: Wie glaubwürdig ist denn die Werbung, die uns überall begegnet? Halten denn die Produkte all das, was die Werbeslogans versprechen? Sind wir nach dem Kauf eines beworbenen Artikels immer so vollständig zufrieden, wie es uns zuvor eingeredet wurde? Mitnichten. Wir alle wissen es: Werbung ist nicht ehrlich. Werbung übertreibt beim Herausstreichen der Vorteile und verschweigt konsequent alle Nachteile. Wenn Jesus nun beim Ruf in die Nachfolge auf Werbestrategie verzichtet, dann zeigt er uns damit: Auf meine Worte könnt ihr euch verlassen. Ich verschweige euch nicht das Unangenehme und Schwere am Jünger-Sein, im Gegenteil, ich mache es euch gleich zu Anfang überdeutlich klar. Ich bin die Wahrheit und ich sage die Wahrheit.

Liebe Gemeinde, so sind diese schwierigen Jesus-Worte über die Nachfolge letztlich eine Glaubensstärkung für uns. Sie zeigen uns, dass Jesus ganz offen und ehrlich mit uns redet, dass er uns nichts vormacht. Und weil das so ist, dürfen wir vollstes Vertrauen zu ihm haben sowie die allergewisseste Hoffnung, dass uns auch der verheißene Segen der Nachfolge nicht enttäuschen wird. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2009.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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