Geführt oder verführt?

Predigt über Matthäus 4,1-11 zum Sonntag Invokavit

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

„Lassen Sie sich kulinarisch verführen!“, so wirbt ein Restaurant in Fürstenwalde. Dieses Wort will uns an einen schön gedeckten Tisch führen mit herrlich duftenden, leckeren Speisen. Wer wollte sich nicht gern an so einen Tisch führen lassen? Aber nun heißt es im Werbespruch merkwüdigerweise: „Lassen Sie sich kulinarisch verführen!“ Wieso verführen? „Verführen“ bedeutet doch „in die Irre führen“, „auf falsche Wege führen“! Sollte die Zunge in diesem Restaurant sich einen schlechten Geschmack angewöhnen? Sollten die Speisen schwer verdaulich sein? Oder ist es dort einfach nur unverschämt teuer? Und wieso wird damit ausdrücklich geworben, dass man in diesem Restaurant „verführt“ wird?

Der Werbespruch offenbart ein grundsätzliches Problem unserer Zeit. Das Problem nämlich, dass viele Menschen nicht mehr zwischen führen und verführen unterscheiden können. Nicht nur im kulinarischen, sondern auch im sexuellen Bereich wird heute mit dem Wort „verführen“ gespielt. Da erscheint Verführung dann plötzlich als etwas Verlockendes und Begehrenswertes; man verharmlost die Gefahr, sieht nicht mehr die drohenden Abwege. Schließlich ist es im Stimmengewirr unserer Zeit dann kaum noch möglich zu unterscheiden, welche Stimmen uns gut führen und welche auf Irrwege – Stimmen der Werbung, Stimmen von Politikern, Stimmen von Freunden, Stimmen von Berühmtheiten, Stimmen von Experten, Stimmen von Ärzten, Stimmen von allerlei merkwürdigen Heilslehren… Ja, welche Stimmen führen uns denn gut? Und welche Stimmen führen uns auf den Holzweg, oder gar ins Verderben?

Als wir kleine Kinder waren, da war alles noch einfacher, da wurden wir von der Stimme unserer Eltern geführt. Da wussten wir: Was der Vater sagt, das ist gut und richtig – auch wenn uns das nicht immer gepasst hat. Wenn wir jetzt erwachsen sind, haben wir keine so offensichtliche Führung mehr, wir müssen uns im Gewirr der vielen und oft widersprüchlichen Stimmen zurechtfinden. Trotzdem haben wir Führung nötig. Es ist eine Illusion zu meinen, der moderne Mensch könne frei und unabhängig in reiner Selbstbestimmung leben. Keiner von uns ist so klug und weitblickend, dass er von selbst den richtigen Weg erkennen kann, schon gar nicht bis hin zum Ende seines Lebens und darüber hinaus. Die Frage ist nur: Wie können wir im Stimmengewirr um uns herum unterscheiden, welche Stimmen uns langfristig gut führen und welche uns verführen?

Das heutige Evangelium kann hier weiterhelfen. Da geht es nämlich ums Geführt-Werden; da geht es um führende und verführende Stimmen. An Jesus selbst können wir hier lernen, an seinem Vorbild. Denn wie alle Menschen steckte Jesus mitten drin im Stimmengewirr seiner Zeit und musste sich zurechtfinden. „Er war versucht in allem wie wir“, lesen wir im Hebräerbrief (Hebr. 4,15).

An der Geschichte von Jesu Versuchung lernen wir zunächst, dass es im Grunde genommen nur zwei Stimmen gibt, die hinter dem Stimmengewirr stecken: Gottes Stimme und des Teufels Stimme; die gut führende Stimme des Vaters im Himmel und die verführende Stimme seines Widersachers. „Jesus wurde vom Geist in die Wüste geführt“, so heißt es gleich am Anfang unserer Evangeliumslesung. Gott selbst führte seinen Sohn in diese Zeit der Vorbereitung, diese Zeit des Betens und Fastens, bevor sein öffentliches Wirken begann. Aber da trat dann auch gleich der Widersacher auf den Plan, sprach Jesus an, führte ihn nach Jerusalem, führte ihn auf einen sehr hohen Berg und versuchte, ihn auf den Weg des Verderbens zu führen. Lasst uns jetzt genau besehen, wie der Teufel das gemacht hat, und lasst uns von Jesus lernen, was wir dem entgegensetzen können.

Wie gesagt, der himmlische Vater selbst hat Jesus durch den Geist in die Wüste geführt und bereitet ihn dort unter Fasten auf seinen Dienst vor. Dieses Fasten fügt Jesus körperliche Schmerzen zu, so wie es jedem Menschen körperliche Schmerzen zugefügt hätte. Auch gibt es in der Wüste keine schnelle Möglichkeit, den quälenden Hunger zu stillen; da ist kein Dorf weit und breit, kein Geschäft und kein Gasthaus. Hier nun setzt die erste Versuchung des Teufels an. Er sagt: „Mach dir doch aus den Steinen Brot, Jesus! Nutze deine besonderen Fähigkeiten für dich selbst, zu deinem eigenen Vorteil! Hilf dir selbst, vertraue deiner eigenen Kraft!“ Ja, so verführt der Teufel noch heute. „Suche deinen eigenen Vorteil“, sagt er, und: „Hilf dir selbst mit eigener Kraft – notfalls auch gegen Gottes Willen, gegen sein Wort!“ Einigen sagt der Teufel: „Wenn du mit deinem Geld nicht hinkommst, dann nimm es anderen weg, oder der Allgemeinheit – mit Schwarzarbeit zum Beispiel!“ Anderen sagt er: „Mach dich doch nicht kaputt mit Beten und Bibellesen und mit dem Kirchgang am Sonntag. Ruhe dich aus, zerstreue dich, amüsiere dich gut, nimms nicht zu ernst mit dem Glauben!“ So will der Teufel uns von Gott und seinen Geboten wegführen und verspricht dabei eine Sattheit, die nicht lange vorhält. Jesus antwortet ihm: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht.“ Es ist ein Bibelwort aus dem Alten Testament, mit dem Jesus hier dem Teufel antwortet. Jesus sagt damit zweierlei: Einmal, dass es wichtiger ist, Gottes Wort zu halten, als satt zu werden. Schließlich ist Gott der Herr, nicht mein Bauch! Er sagt damit aber auch, dass er seinem himmlischen Vater vertraut; der wird ihm schon zur rechten Zeit wieder zu essen geben. Die Bibel ist voll von Zusagen, dass Gott uns mit allem versorgt, was wir benötigen. Wir brauchen uns nicht gegen Gottes Gebot mit Gewalt irgend etwas zu nehmen, wir können es auch gar nicht. Vielmehr sollen wir uns ganz auf Gott verlassen und ihn für uns sorgen lassen. Das gilt übrigens nicht nur für das tägliche Brot, sondern vor allem für das ewige Leben: Wir können uns nicht selbst erlösen, sondern wir können uns das ewige Leben nur von Gott schenken lassen. Auch hier leben wir von Gottes Wort, das uns zur Himmelsspeise wird und ewig leben lässt. Es ist eine Verführung des Teufels zu meinen, man könne sich die Seligkeit verdienen.

Der Teufel ist ein kluger Bursche und geht bei seiner zweiten Versuchung noch raffinierter vor. Er hat gemerkt, dass Jesus dem Vater im Himmel und dessen Wort ganz und gar vertraut. Darum versucht er nun, Jesus mit seinem Gottvertrauen zu verführen. Er führt ihn an einen ganz heiligen Ort, nämlich in den Jerusalemer Tempel. Der ist auf einem steilen Felsen erbaut, auf dem Berg Zion. An einer Stelle gibt es da eine steinerne Brüstung, wo es nahezu senkrecht in die Tief geht. Dort will der Teufel Jesus mit seinem Gottvertrauen verführen. Er ist so raffiniert, dass er dabei sogar die Bibel zitiert. Er sagt: „Bist du Gottes Sohn, so wirf dich hinab; denn es steht geschrieben: Er wird seinen Engeln deinetwegen Befehl geben; und sie werden dich auf den Händen tragen, damit du deinen Fuß nicht an einen Stein stößt.“ So versucht es der Teufel auch bei dir und bei mir und bei allen, denen es Ernst mit dem Glauben ist: Er versucht es auf die fromme Tour! Da sagt er dem Einen: „Du brauchst dich nicht gesund zu ernähren oder aufs Rauchen zu verzichten, Gott wird dich schon nicht krank werden lassen!“ Und zum anderen sagt er: „Warum gehst du mit deinem Geld so sparsam um? Gib's doch ruhig mit vollen Händen aus, Gott wird dir schon wieder neues zukommen lassen!“ Und zu einem dritten: „Umweltschutz ist nur was für Kleingläubige; Gott wird schon wieder alles ins Lot bringen mit unserer Welt!“ Ja, das klingt sehr fromm, und da ist ja auch überall ein Körnchen Wahrheit dran – wirklich, eine raffinierte Verführung! Jesus durchschaut den Widersacher sofort und entgegnet ihm: „Wiederum steht auch geschrieben: Du sollst den Herrn, deinen Gott nicht versuchen!“ Wieder besinnt sich Jesus auf die Stimme seines Vaters, die ihn richtig führt. Wir sollen Gott nicht versuchen, wir sollen nicht leichtsinnig sein, oder mit anderen Worten: Wir sollen die Verantwortung ernst nehmen, die Gott uns für uns selbst und für unsere Umwelt gegeben hat. Wir lernen von Jesus hier zugleich, dass es nicht angeht, irgendwelche Bibelzitate aus ihrem Zusammenhang zu reißen und damit irgendetwas zu begründen; wir müssen uns schon die Mühe machen, Gottes Wort mit Sinn und Verstand auszulegen, im großen Zusammenhang der ganzen Bibel. Wenn wir uns in dieser Weise um Gottes Wort mühen, dann werden wir immer klarer Gottes Stimme hören und von ihr geführt werden.

Ein letztes Mal versucht der Teufel, Jesus vom Weg des Heils abzubringen. Das ist ja sein Ziel: Menschen von Gottes Heilsweg wegzulocken. Wenn ihm das bei Jesus gelungen wäre, dann hätte er zugleich dessen Rettungswerk für alle Menschen zunichte gemacht. Darum zieht der Teufel jetzt alle Register, führt Jesus auf einen hohen Berg, lässt ihn dort alle Herrlichkeit der Welt erblicken und sagt: „Das alles will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest!“ Hast du nicht auch schon einmal diese Stimme gehört? Die Stimme, die sagt: Wieviel Spaß könntest du im Leben haben, wenn dir Gott egal wäre? Da lockt die ganze Welt, scheinbar die Fülle des Lebens! Was für eine Herrlichkeit! Schönheit und Reichtum, Lachen und Lichterglanz, Ruhm und Erfolg, Macht und Ehre, Genuss und Zerstreuung! Wie leicht lassen sich Menschen dazu verführen, zuerst nach solchem Glück zu streben! Wie armselig und traurig erscheint es dagegen, vor Gott in die Knie zu gehen und zu sagen: „Sei mir Sünder gnädig!“ Und doch: Wer nicht vor Gott in die Knie geht, der geht vor dem Teufel in die Knie. Wer nicht auf Gottes Stimme achtet, der wird von der Stimme des Teufels verführt. Wem die Herrlichkeit dieser Welt am wichtigsten ist, der verliert die Herrlichkeit jener Welt. Auch die dritte Versuchung Satans durchschaut Jesus. Er lässt sich nicht verführen, sondern bleibt der Führung seines himmlischen Vaters gehorsam. So schnauzt er den Versucher an: „Weg mit dir, Satan! Denn es steht geschrieben: Du sollst anbeten den Herrn, deinen Gott, und ihm allein dienen.“ Wieder stellt er der verführenden Stimme das klare Wort Gottes gegenüber. Und er macht energisch deutlich, dass er mit dem Teufel nicht diskutieren will: „Weg mit dir Satan; hau ab!“ Unendlich dankbar können wir Jesus sein, dass er die Verführung des Teufels abgewehrt hat und den Weg des Gehorsams bis zum Ziel weitergegangen ist – den Weg, der uns die ewige Seligkeit gebracht hat.

So wollen auch wir dem Teufel eine deutliche Absage erteilen, wann immer wir aus dem Stimmengewirr unserer Zeit seine Verführung heraushören, und sprechen: „Weg mit dir Satan; hau ab!“ Wir wollen den Weg des Heils gehen, auf dem Gott uns führt, und wollen uns ganz seiner Führung anvertrauen, wie ein kleines Kind ganz selbstverständlich der Führung seiner Eltern vertraut. Dem Teufel entsagen und sich Gott ergeben – so tun es die Menschen, die in der Taufe Gottes Kinder werden, und so können wir es immer wieder tun. Lasst es uns auch jetzt gemeinsam mit den Worten des Taufbunds tun: „Ich entsage dem Teufel und all seinem Werk und Wesen und ergebe mich dir, du dreieiniger Gott, Vater, Sohn und Heiliger Geist, im Glauben und Gehorsam dir treu zu sein bis an mein Ende. Amen.“

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2009.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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