Johannes im Gefängnis

Predigt über Matthäus 11,2‑10 zum 3. Advent

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Je älter man wird, desto mehr denkt man an frühere Zeiten zurück. Besonders Menschen, die allein sind und nicht mehr von allerlei Arbeiten beansprucht werden, erinnern sich oft an alte Zeiten, grübeln vielleicht sogar darüber nach. So wird es dem Johannes im Gefängnis ergangen sein, Johannes dem Täufer.

Johannes wird da an seine Eltern gedacht haben, an seinen Vater Zacharias und an seine Mutter Elisabeth. Wie traurig mussten sie sein, dass ihr einziges Kind nun im Kerker saß! Jahr­zehntelang hatten sie sich dieses Kind gewünscht und von Gott erbeten, bis Elisabeth im fort­geschritte­nen Alter dann schließlich schwanger wurde. Zacharias hatte es erst gar nicht glauben wollen, als ein Engel ihm dieses Wunder ankündigte, aber bald darauf konnte er dann doch seinen neu­geborenen Johannes in den Armen halten, stolz und fröhlich. Und da stimmte er dann einen pro­phetischen Lobgesang an, in dem er aufnahm, was der Engel ihm von diesem Knaben prophezeit hatte: „Und du, Kindlein, wirst ein Prophet des Höchsten heißen, denn du wirst dem Herrn vorangehen, dass du seinen Weg bereitest und Erkenntnis des Heils gebest seinem Volk in der Vergebung ihrer Sünden“ (Lukas 1,76‑77).

Ja, daran wird der erwachsene Johannes im Gefängnis wohl gedacht haben, denn seine Eltern hatten es ihm oft genug erzählt. So oft, dass er als junger Mann gar nicht mehr anders konnte als ein Prophet zu werden, ein Rufer des Herrn. Er verließ sein Elternhaus und lebte wie ein Aussteiger fernab von allem bürger­lichen Leben im Wüsten­gebiet zwischen Galiläa und Judäa. Seine Nahrung und seine Kleidung waren sehr einfach; sie bestanden aus dem, was die Natur um ihn herum hergab. Trotzdem kam Johannes mit vielen ver­schiedenen Menschen in Berührung. Viele wanderten nämlich durch seine Gegend, wenn sie von Galiläa in die Hauptstadt Jerusalem reisten und auch in entgegen­gesetzter Richtung. Da sprach Johannes sie an, predigte ihnen Gottes Wort, hielt ihnen ihre Sünden vor, rief sie zur Umkehr auf und ermahnte sie zu einem besseren Leben. Ja, das war sein göttlicher Auftrag, und davon war er auch überzeugt: Nur durch aufrichtige Reue und Buße können die Menschen sich recht vorbereiten auf Gottes lang ver­sprochenen Erlöser, der in aller­kürzester Zeit in Erscheinung treten würde. Diejenigen, die zur Buße bereit waren, taufte Johannes im Jordan – zum Zeichen dafür, dass Gott ihre Sünden abwaschen würde. Er würde es tun durch den kommenden Erlöser, durch das „Lamm Gottes, das die Sünden der Welt trägt“ (Joh. 1,29). Die Reisenden trugen die Kunde von Johannes nach Norden und Süden, nach Galiläa und Judäa, und bald wusste man im ganzen Land Bescheid über „Johannes den Täufer“, wie er genannt wurde.

Im Gefängnis erinnerte sich Johannes an all das, und er musste zugeben: Ja, Gott hat erfüllt, was er versprochen hat, er hat mich tatsächlich zum Weg­bereiter des Erlösers gemacht. Und er erinnerte sich auch an den Tag, wo Jesus aus Nazareth plötzlich vor ihm stand, damals noch gänzlich unbekannt. Er stand ganz einfach da unter den Menschen, die nun nicht mehr nur zufällig bei Johannes vorbei­kamen, sondern die gezielt in die Wüste reisten, um den berühmten Gottesmann einmal persönlich zu erleben. Als Jesus vor ihm stand, wusste Johannes sofort: Das ist er! Das ist der ver­sprochene Erlöser! Eine große Beklommen­heit erfasste ihn da. Darum erschien es ihm zunächst auch ganz unsinnig, dass er Jesus taufen sollte; er selbst hätte es viel nötiger gehabt, von Jesus getauft zu werden. Aber weil Jesus darauf bestand, taufte er ihn. Er sah den Heiligen Geist in Gestalt einer Taube auf ihn herabkommen und er hörte die Stimme des himmlischen Vaters: „Das ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohl­gefallen habe“ (Matth. 3,13‑17). Kein Zweifel: Jesus von Nazareth musste derjenige sein, dem er mit seiner Bußpredigt den Weg bereitet hatte in den Herzen so vieler Menschen.

Durch dieses Ereignis gestärkt, predigte Johannes weiter. Mit großem Ernst und Eifer rief er alle Menschen zur Buße auf: Männer und Frauen, Alte und Junge, Arme und Reiche. Auch vor den Aller­reichsten und Mächtigsten schreckte er nicht zurück. So kam es, dass er schließlich sogar dem König von Galiläa seine Sünden vorhielt. Es war Herodes Antipas, ein Sohn des Kinder­mörders Herodes. Herodes Antipas hatte einen ebenso schlechten Charakter wie sein Vater. Als er einmal seinen Bruder Philippus besucht hatte, hatte er sich in dessen Frau verliebt und sie kurzerhand seinem Bruder aus­gespannt. Diese Sünde hielt Johannes dem König Herodes vor. Er erinnerte ihn an das 6. Gebot: „Du sollst nicht ehebrechen“ und rief ihn zur Umkehr auf. Herodes aber wurde böse, nahm Johannes fest und warf ihn in seinen Kerker. So kam es, dass der große Prophet und Bußprediger im Gefängnis landete.

Als Johannes da saß, einsam und zur Untätigkeit verurteilt, da zog nun also sein bisheriges Leben wie ein Film an ihm vorbei. Er begann zu grübeln, und der Teufel nutzte diese Situation aus, um Zweifel zu säen. Hatte er sich vielleicht geirrt? War Jesus gar nicht der ver­sprochene Erlöser? Und wenn er es war, wieso befreite er ihn dann nicht aus dem Gefängnis? Sollte er nicht Frieden und Gerechtig­keit bringen? Und er selbst, Johannes, saß unschuldig im Gefängnis!

Ja, liebe Gemeinde, so kann es auch bei uns gehen: dass der Teufel eine schwache Stunde nutzt, um Zweifel bei uns zu säen. Und dann fragen wir uns: Hat Gott mich wirklich lieb? Hat er mich vielleicht vergessen? Gibt es ihn überhaupt? Stunden der Trübsal, Stunden der Einsamkeit, Stunden der grüble­rischen Erinnerung, das ist ein fruchtbarer Acker für die Saat des Zweifels.

Aber wo der Teufel angreift, da ist Jesus stärker und eilt zur Hilfe. Auch dem Johannes hat er geholfen – allerdings ganz anders, als der Täufer das erwartet hatte. Die Hilfe begann damit, dass Johannes Besuch bekam im Gefängnis. Seine treuesten Freunde kamen zu Besuch, seine Jünger, und vertrieben die Einsamkeit. Wie wohl muss es Johannes getan haben, mit ihnen zu reden und zu beten! Sicher haben sie ihm auch etwas Gutes zu essen mit­gebracht, denn die Gefängnis­kost wird sehr karg und schlecht gewesen sein. Diesen seinen Jüngern öffnete Johannes das Herz und redete mit ihnen auch über seine Zweifel. Das Gespräch mündete in seine Bitte: „Fragt Jesus auf den Kopf zu, ob er der ver­sprochene Erlöser ist, ich muss es genau wissen. Fragt ihn, ob Gottes Heilszeit mit ihm angebrochen ist oder ob wir auf jemand anders warten müssen.“

Getreulich führten die Jünger des Johannes den Auftrag ihres Meisters aus. Sie gingen zu Jesus und fragten ihn öffentlich vor seinen Jüngern und der ver­sammelten Volksmenge: „Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen andern warten?“ So direkt war Jesus vorher noch nicht gefragt worden. Alle hielten den Atem an, was er wohl darauf erwidern würde. Nun hätte Jesus schlicht antworten können: „Ja, ich bin's.“ Er ist ja wirklich der Christus, er ist ja der ver­sprochene Davidssohn, das verheißene Gotteslamm. Aber wie so oft antwortete Jesus auch auf diese Frage ganz anders, als alle es erwarteten. Er sagte nämlich weder ja noch nein. Stattdessen erinnerte er alle an ein Wort, das der Prophet Jesaja 750 Jahre zuvor geredet hatte. Er antwortete den Jüngern des Täufers: „Sagt Johannes, was ihr hört und seht: Blinde sehen, Lahme gehen, Aussätzige werden rein, Taube hören, Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium gepredigt.“ Mit solchen Worten hatte Jesaja seinerzeit das kommende Gottesreich des Messias voraus­gesagt. Nun konnte sich jeder überzeugen, dass sich diese Worte im Umkreis von Jesus erfüllten. Er tat ja Wunder, er heilte Blinde, Lahme, Aussätzige und Taube. Sogar Tote konnte er auf­erwecken. Und er hatte eine gute Botschaft für alle Armen und Elenden: Er machte ihnen klar, dass Gott sie nicht bestraft und verstoßen hat, wie es ihre Not vermuten ließ. Vielmehr hat Gott sie ebenso lieb wie alle anderen Menschen. Er will sie von Sünde und allem Elend befreien. Und dann sagte Jesus noch: „Selig ist, wer sich nicht an mir ärgert.“

Was Jesus hier den Johannes-Jüngern und dem ganzen Volk sagte, das ist für alle Christen auf­geschrieben worden, also auch für dich und für mich. Auch wir sollen nicht einfach nur dem Anspruch Jesu glauben, dass er der Christus ist, sondern wir sollen mit Gottes Wort erkennen, dass er die Ver­heißungen der alten Propheten wirklich erfüllt hat: Die Wunder Jesu und seine Evangeliums­predigt geben uns Brief und Siegel, dass er wirklich der ver­sprochene Messias ist. So überwindet Gott mit seinem Wort die Zweifel, die der Teufel auch bei uns sät. Dass wir es nur ja hören und annehmen! Dass wir nur ja keine Zweifel und Ausflüchte suchen, um vor dieser klaren Wahrheit zurück­zuweichen! Jesus sagte: „Selig ist, wer sich nicht an mir ärgert.“ Heute wie damals ärgern sich ja viele am Evangelium und wollen einfach nicht annehmen, dass es nur diesen einen einzigen Weg gibt, mit Gott ins Reine zu kommen: den Weg nämlich, Buße zu tun und Jesus nach­zufolgen. Denn ohne Jesus muss alles Suchen nach Gott vergeblich bleiben, so sehr Menschen sich auch bemühen. Wer Jesus ablehnt, der stolpert und fällt hin bei seiner Gottes­suche, der verfehlt seine Seligkeit. Noch einmal: Selig ist, wer sich nicht an Jesus ärgert.

Die Jünger des Johannes hatten genug gehört. Sie kehrten um und besuchten den Täufer erneut im Gefängnis. Sie brachten ihm die Antwort des Herrn. Sie erzählten ihm von seinen Wundertaten und seinen guten Worten für alle Menschen, besonders auch für die Armen und Ver­achteten. Da wurde Johannes froh. Gottes Wort besiegte seine Zweifel, und er fand wieder die alte Gewissheit: Ja, Jesus von Nazareth ist Gottes Erlöser, er und kein anderer, und ich durfte sein Wegbereiter sein.

Der Dienst­auftrag des Johannes war damit zu einem Ende gekommen. Gott brauchte ihn nicht mehr in dieser Welt. Und so nahm er ihn denn auch bald darauf zu sich: Wenig später wurde Johannes im Gefängnis enthauptet. Er wird auferstehen von den Toten am Jüngsten Tage, so wie Jesaja und Jesus es versprochen haben: „Tote stehen auf.“ Im Himmel werden wir Johannes kennen­lernen.

Solange uns Gott aber noch Zeit in dieser Welt schenkt, wollen wir es machen wie die Jünger des Johannes. Wir wollen hingehen und weiter­sagen, was wir von Jesus selbst und durch Gottes Wort erfahren haben und woran wir glauben: Jesus ist derjenige, durch den Gott alles heil macht. Er ist der Heiland, das Lamm Gottes, das die Sünden der ganzen Welt getragen hat. Sein Wort und seine Erlösung überwinden alle finsteren Machen­schaften des Teufels. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2008.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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