Zeit und Ewigkeit

Predigt über Prediger 3,1‑14 zum 24. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Dieser Abschnitt aus dem Buch des Predigers Salomo hat zu allen Zeiten die Menschen fasziniert. Für den ehemaligen US-Präsidenten Richard Nixon wurde das Buch des Predigers sogar zum Lieblings­buch der Bibel. Und der berühmte Pop-Sänger Pete Seeger machte im Jahre 1950 aus diesem Bibeltext einen Song, der auch heute noch immer wieder mal im Radio zu hören ist: „Turn! Turn! Turn! To everything there is a sesason…“ – „Alles hat seine Zeit“. In diesen Worten begegnet uns scheinbar eine ganz einfache Wahrheit, ein Patent­rezept für gelingendes Leben: Man sollte alles zur rechten Zeit tun. Wer im Herbst Sommer­blumen sät und im Frühjahr Pflanzen ausreißt, macht was verkehrt. In Fürsten­walde war in den siebziger Jahren die richtige Zeit gewesen, Platten­bauten zu errichten, weil man viele Wohnungen brauchte; jetzt ist die Zeit gekommen, wo man Platten­bauten abreißt, damit nicht so viele Wohnungen leer stehen. Für unsere Gemeinde ist in dieser Woche die Zeit zum Kirchweih­jubiläum-Feiern, noch nicht die Zeit zum Weihnachten-Feiern. „Alles hat seine Zeit“ – ja, scheinbar eine einfache, ein­leuchtende Wahrheit, eine Anweisung für gelingendes Leben.

Nun gehören diese Worte allerdings nicht nur zu den faszi­nierendsten Abschnitten der Bibel, sondern auch zu denen, die meistens falsch verstanden werden. Denn der alte, weise König Salomo hat sie keineswegs als Patent­rezept auf­geschrieben, sondern vielmehr als Be­obachtung. Er hat ja auch ge­schrieben: „Töten hat seine Zeit, heilen hat seine Zeit“ – wollte er wirklich, dass Menschen zu bestimmten Zeiten andere töten? Er hat ge­schrieben: „Suchen hat seine Zeit, verlieren hat seine Zeit“ – fand er es wirklich gut, zu bestimmten Zeiten etwas zu verliern? Er hat ge­schrieben: „Lieben hat seine Zeit, hassen hat seine Zeit“ – meinte er wirklich, zu bestimmten Zeiten ist Hass das angemessene Verhalten? So richtig es ist, dass man sich bei allem Tun fragen sollte, wann die richtige Zeit dafür gekommen ist – das ist nicht die eigentliche Aussage dieses Abschnitts. Wie gesagt: Es ist keine Anweisung, sondern eine Be­obachtung. Die Beobachtung nämlich, dass das Tun und Ergehen der Menschen in Gegensätzen geschieht, die sich im Laufe der Zeit aufheben oder auslöschen: Da wird einer geboren und stirbt dann wieder; er ist dann wieder ebenso weg, wie er vorher noch nicht da war. Da wird ein Garten an­gepflanzt; dem nächsten gefällt er nicht, und er reißt ihn wieder aus; die ganze Mühe war vergebens. Da wird ein Haus gebaut und irgendwann wieder abgerissen; man sieht nichts mehr von dem Bauwerk. Da gewinnt jemand an einem Tag Geld, an einem anderen Tag verliert er wieder Geld, und aufs Ganze gesehen hat er keinen Gewinn. Salomo fasst diese Be­obachtungen in eine allgemeine Schluss­folgerung zusammen und schreibt: „Man mühe sich ab, wie man will, so hat man keinen Gewinn davon. Ich sah die Arbeit, die Gott den Menschen gegeben hat, dass sie sich damit plagen.“

Nun, das kennen wir doch: Da backt eine Frau eine Kuchen zum Geburtstag, stellt ihn auf den Tisch, die Gäste langen zu, haben ihn im Nu vertilgt, und von der Arbeit der Frau ist nichts mehr zu sehen. Da gewinnt eine Fußball­mannschaft und jubelt, aber am nächsten Wochenende verliert sie wieder und ist nieder­geschlagen. Da jätet jemand Unkraut, und es wächst wieder nach. Da fegt jemand die Blätter von der Straße, und am nächsten Tag ist alles wieder voll. Da räumt jemand auf, und nächste Woche ist alles wieder un­ordentlich. Der Mensch kommt nicht voran, er gleicht dem Sisyphus, der immer wieder neu versucht, einen großen Stein auf den Berg zu rollen, aber der Stein rutscht kurz vor dem Gipfel immer wieder ab und rollt ins Tal. Der Mensch geht drei Schritte vor und dann wieder drei Schritte zurück; er kommt nicht weiter. „Man mühe sich ab, wie man will, so hat man keinen Gewinn davon.“ Es gibt keinen Fortschritt für die Menschheit, jedenfalls keinen echten. Sicher, wir haben heute Handys, die hatte Salomo noch nicht, aber über die Handys läuft derselbe Klatsch und Tratsch, dasselbe belanglose Gerede, das es auch schon vor dreitausend Jahren gab. Sicher, die Menschheit weiß heute, wie es auf der Oberfläche des Mars und auf dem Grund des Meeres aussieht, aber sie hat es bis heute nicht geschafft, alle Menschen satt zu kriegen. Sicher, die Welt ist kleiner geworden durch Flugzeuge und weltweite wirtschaft­liche Ver­flechtungen, die Völker sind einander näher gekommen, aber doch werden immer noch schreck­liche Kriege geführt, wie vor dreitausend Jahren. Nein, eigentlich gibt es keinen Fort­schritt, in den ent­scheidenden Fragen tritt der Mensch nach wie vor auf der Stelle. „Man mühe sich ab, wie man will, so hat man keinen Gewinn davon.“

Warum hat Salomo das auf­geschrieben? Warum steht es in der Bibel? Es muss doch mehr sein als die resignierte Erkenntnis eines alten, lebens­satten Mannes! Ja, das ist es auch. Denn Salomo schrieb weiter: „Gott hat alles schön gemacht zu seiner Zeit; auch hat er die Ewigkeit in ihr Herz gelegt; nur dass der Mensch nicht ergründen kann das Werk, das Gott tut, weder Anfang noch Ende.“ Und dann folgt auf diese Erkenntnis doch noch eine Anweisung, die wir beherzigen sollen und die uns im Leben weiter­hilft. Das heißt, eigentlich sind es zwei An­weisungen: Die eine betrifft die Zeit, in der Gott alles schön gemacht hat, und die andere die Ewigkeit, die Gott uns als Sehnsucht ins Herz gelegt hat.

Die erste der beiden Anweisungen lautet: „Da merkte ich, dass es nichts Besseres dabei gibt als fröhlich sein und sich gütlich tun in seinem Leben. Denn ein Mensch, der isst und trinkt und hat guten Mut bei all seinem Mühen, das ist eine Gabe Gottes.“ Also, lieber Mensch, lass dir das vom weisen Salomo und vom All­mächtigen selbst gesagt sein: Genieße dein Leben und freue dich an allem Schönen! Grüble nicht über den Sinne nach, warum dies und das geschieht, warum dir dies und jenes zustößt, das kannst du mit deinem kleinen Verstand sowie nicht ergründen! Sei auch nicht zu ehrgeizig: Meine nicht, dass du Fort­schritte machen und etwas Großes schaffen musst, etwas, das Bestand hat, denn Bestand hat sowieso nichts in dieser Welt. Du kannst nichts für die Ewigkeit schaffen, du lebst in der Zeit, und die Zeit hat die un­ausweich­liche Eigenschaft zu vergehen. Es bleibt nichts in der Zeit, und du selbst bleibst auch nicht in der Zeit. Nimm deinen Weg durch die Zeit einfach hin wie eine schöne Reise, die Gott dir schenkt; lass dich überraschen von allem, was dir auf dieser Reise begegnet; ertrage das Unangenehme und Schwere mit Gelassen­heit und Gott­vertrauen.

Die zweite der beiden Anweisungen lautet: „Ich merkte, dass alles, was Gott tut, das besteht für ewig; man kann nichts dazutun noch wegtun. Das alles tut Gott, dass man sich vor ihm fürchten soll.“ Gottes Tun ist nicht der Vergänglich­keit unterworfen wie mensch­liches Tun. Und das bedeutet doch: Bei Gott gibt es Fort­schritt. Bei Gott reifen Dinge für die Ewigkeit heran. Gott hat einen Plan für die Welt und für uns Menschen, und er verfolgt diesen Plan seit den Tagen der Schöpfung; er kommt mit seinem Plan ans Ziel, wenn die Zeit dieser Welt zuende geht. Ja, die Zeit selbst ist ja auch nur ein Geschöpf Gottes mit begrenztem Einfluss. Während wir hier in der Zeitlich­keit vor uns hinleben, ohne wirklich etwas mit Bestand zu erreichen, baut Gott sein ewiges Reich. Das können wir nicht verstehen, das können wir nicht beweisen, das können wir uns nur von Gottes Wort sagen lassen und glauben. Ja, das sollen wir auch glauben, das erwartet Gott von uns. Und wir sollen Gott dafür fürchten. Wir sollen ihn ganz ernst nehmen, ihn ehren und anbeten als Schöpfer.

Und das bedeutet doch auch: Wir sollen ihm vertrauen! Für uns und unseren Verstand hat alles seine Zeit, ist alles zeitlich begrenzt; wir treten auf der Stelle. Aber wir vertrauen darauf, dass bei Gott alles voran­schreitet. Und vor allem: Wir vertrauen darauf, dass Gott uns aus unserer Zeitlich­keit erlöst und uns Anteil gibt an seiner Ewigkeit. Salomo schrieb: „Geboren werden hat seine Zeit, sterben hat seine Zeit“, aber Jesus schenkte uns die Wieder­geburt zum ewigen Leben, die Taufe. Wer Jesus vertraut, wird heraus­gerissen aus dem Jammer der Zeitlich­keit, die auch von Hass und Tod geprägt ist, und hinein­genommen in Gottes Ewigkeit, wo die Liebe herrscht. Wie das geschieht? Begreifen können wir es nicht mit unserem Verstand, der ist zu zeitlich, von dieser Welt und der Sünde be­einflusst. Aber im Glauben wollen wir es festhalten und es ganz ernst nehmen, was Gott uns von seinem ewigen Tun offenbart hat. Wie schrieb doch Salomo? „Gott hat den Menschen die Ewigkeit ins Herz gelegt; nur dass der Mensch nicht ergründen kann das Werk, das Gott tut, weder Anfang noch Ende… Ich merkte, dass alles, was Gott tut, das besteht für ewig; man kann nichts dazutun noch wegtun. Das alles tut Gott, dass man sich vor ihm fürchten soll.“ Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2008.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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