Auf Gottes Tun kommt es an

Predigt über Josua 24,1‑25 zum Reformationstag

Liebe Brüder und Schwesern in Christus!

Wenn einer jung ist und Gott kennen­gelernt hat, dann möchte er mit ganzem Eifer Gott dienen. Ich weiß selbst noch, wie mich als Schüler besonders die praktischen Lebens­anweisungen der Bibel inter­essierten. Ich habe mir damals syste­matisch in ein grünes Schulheft ge­schrieben, welche Lebens­anweisungen in den Briefen des Neuen Testaments stehen. Ich war damals der Meinung, wenn man sich nur mit festem Willem vornimmt, nach Gottes Willen zu leben, dann muss das auch gelingen und dann kann der Segen nicht ausbleiben.

Martin Luther war 21 Jahre alt, als er beschloss, ein Mönch zu werden. Als Mönch trachtete er mit größtem Eifer danach, Gott zu dienen und seine Gebote bis ins kleinste Detail zu erfüllen. Auf diese Weise meinte er, Gottes Wohlgefallen zu erlangen und der Hölle zu entrinnen.

Als Josua in Sichem zum Volk Israel sprach, waren ebenfalls sehr viele junge Menschen dabei, und sie gelobten feierlich: „Wir wollen dem Herrn dienen!“ Woher wissen wir, dass es junge Leute waren – spricht doch die Bibel von „Ältesten“? Nun, es waren nur dem Amt und der Würde nach „Älteste“, nicht den Lebens­jahren nach, es waren „Oberste, Richter und Amtleute“. Von diesen Würden­trägern war kaum einer älter als 50 Jahre. Josua war der einzige alte Mann unter ihnen, denn alle Israeliten, die den Auszug aus Ägypten bewusst miterlebt hatten, waren in der Wüste gestorben. Nach vierzig Jahren Wüsten­wanderung hatten sie das Land Kanaan ein­genommen, das Gott ihnen verheißen hatte, und nun wurden sie sesshaft. Was wir im ersten Teil des Predigt­texts gehört haben, war Josuas Geschichts­stunde für die Jüngeren gewesen; er hatte ihnen alles berichet, was er selbst noch unter Mose miterlebt hatte. Nun galt es, diesem wunderbaren Gott treu zu bleiben, der sie bisher geführt hatte, und ihm zu dienen. Ja, das wollten die Ab­geordneten aus allen Stämmen Israels auch gern und eifrig tun: „Wir wollen dem Herrn dienen!“ Sie folgten dem Beispiel Josuas, der von sich selbst als erster gesagt hatte: „Ich und mein Haus wollen dem Herrn dienen!“

Wenn man älter wird, dann merkt man freilich, dass es gar nicht so einfach ist, Gott zu dienen. Ja, man macht sogar die Erfahrung, dass es unmöglich ist, Gott ganz so zu dienen, wie er das fordert. Diese Erfahrung des Scheiterns hat auch Martin Luther als Mönch machen müssen. Zwar hat er gebetet und gefastet wie kaum ein anderer, hat willig die schmutzig­sten Arbeiten übernommen, und doch merkte er, wie er immer noch unrein war, vor allem in seinen Gedanken. Er merkte, dass er immer noch kein reines Herz hatte, trotz aller Willens­anstrengung nicht. Diese Erfahrung wird jeder Christ machen, der sich ernsthaft um Gottes Willen bemüht und der ehrlich mit sich selbst ist. Er wird merken: Ich schaffe es nicht, auch beim besten Willen nicht, ich scheitere, ich bleibe ein Sünder. Nichts anderes hat der alte, erfahrene Josua den jüngeren Israeliten beim Landtag zu Sichem gesagt, ganz nüchtern, ja, geradezu er­nüchternd: „Ihr könnt dem Herrn nicht dienen, denn er ist ein heiliger Gott, ein eifernder Gott.“

Was kann da helfen, wenn man diese Erfahrung macht? Manche hängen einfach die Messlatte niedriger und biegen sich Gottes Gebote so zurecht, bis sie sie bequem halten können. Das ist der phari­säische Ausweg: Man tut so, als sei man doch ganz in Ordnung, als könnte Gott doch ganz zufrieden sein. Aber Gott verachtet solche Heuchelei. Andere geben auf und wollen nichts mehr mit Gott zu tun haben. Oder sie gehen unter in ihrer Ver­zweiflung; so war es bei Judas Iskariot, nachdem er Jesus verraten hatte. Auch das ist keine Lösung, auch das ist nicht im Sinne Gottes. Die dritte Möglich­keit: Man nimmt das eigene Tun gar nicht mehr so wichtig, jedenfalls nicht, wenn es darum geht, Gott zu gefallen, und man besinnt sich darauf, was Gott selbst tut! Das ist der einzige Ausweg, der Gott gefällt, und für diesen Ausweg ist Gottes Sohn Jesus Christus in die Welt gekommen. Es war Martin Luthers großes reforma­torisches Schlüssel­erlebnis, dass er diesen Ausweg fand. Beim Studium der Heiligen Schrift ging ihm auf, was Gerechtig­keit in der Bibel eigentlich bedeutet, und zwar im Licht des Evangeliums von Jesus Christus: Gerechtig­keit bedeutet nicht, dass ein Mensch alles richtig macht, sondern dass Gott selbst in Christus alles richtig macht und diese seine Gerechtig­keit allen Menschen schenkt, die ihre Sünden bereuen und an Jesus glauben. Die Gerechtig­keit kommt nicht durch unser eigenes Tun, dann müssten wir früher oder später nämlich daran ver­zweifeln, sondern sie kommt als ein Gnaden­geschenk durch Jesus Christus, und der Glaube packt dieses Geschenk aus!

Als Martin Luther das für sich erkannt hatte, sah er plötzlich die ganze Theologie in einem neuen Licht (es war freilich das alte Licht, das bereits die Apostel verkündet hatten, das Licht Jesus Christus), aber Luther hatte dieses Licht für sich und die mittel­alterliche Kirche neu entdeckt. Er sah ganz klar den gefähr­lichen Irrweg, auf dem sich die Kirche seiner Zeit befand: Gerechtig­keit wurde von den Menschen ein­gefordert, und es wurde ihnen weis­gemacht, sie könnten diese Gerechtig­keit durch eigene Kraft erwerben, oder wenigstens durch ihr Geld, im Ablass­handel nämlich. Dagegen wandte sich Luther am 31. Ok­tober 1517 mit seinen 95 Thesen. Darin verurteilte er es, sein Vertrauen auf Ablass­handel oder jede Form mensch­licher Selbst­erlösung zu setzen; stattdessen stellte er fest – so steht es in der 63. These – : „Der wahre Schatz der Kirche ist das aller­heiligste Evangelium von der Herrlich­keit und Gnade Gottes.

Im alten Testament ist dieses Evangelium bereits voraus­gesagt und angekündigt worden, sodass auch den Menschen vor Christus die richtige Richtung angegeben wurde. Erinnern wir uns daran, dass Josua vor der ent­scheidenden Frage den jungen Israeliten eine aus­führliche Geschichts­stunde gehalten hatte. Wenn man sich die genau anschaut, dann geht einem auf, dass sie von vorn bis hinten allein von Gottes Tun und Verdiensten redet, nicht von mensch­lichem Tun und mensch­lichen Ver­diensten. Ja, er lässt sogar Gott im Originalton zu Wort kommen. Da heißt es unter anderem: „Ich führte eure Väter aus Ägypten… Ich habe euch gebracht ins Land der Amoriter… Ich sandte Angst und Schrecken vor euch her… Ich habe euch ein Land gegeben, um das ihr euch nicht gemüht habt.“

Freilich: Der Bund, den Josua mit den Israeliten dann erneut schloss, ist der alte Bund vom Sinai, der Gesetzes­bund, der Gottes Segen abhängig macht vom Gehorsam der Menschen. Darum musste Josua auch ganz hart sagen: „Gott ist ein eifernder Gott, der eure Über­tretungen und Sünden nicht vergeben wird.“ Wie gesagt, das gilt für den Alten Bund, das gilt für Gottes Gesetz. Es ist noch heute wichtig, dass wir es zur Kenntnis nehmen in seiner ganzen Schärfe – aber nur, damit wir unsere Ausweg­losigkeit erkennen, unser Scheitern am Gesetz und die schreck­liche Strafe, die darauf steht. Das Gesetz, sagt das Neue Testament, ist unser „Zucht­meister“ (Gal. 3,24) auf Christus hin, unser „Trainer“, würden wir heute sagen, der uns un­barmherzig quält und anstachelt und immer noch nicht zufrieden ist. Nur wenn wir den alten Bund und das Gesetz in seiner ganzen Schärfe erkennen und ernst nehmen, werden wir bei Gott wirklich um Hilfe und Erbarmen schreien, werden wir unsere Sünden wirklich bereuen und dann auch ermessen können, wieviel Jesus für uns getan hat, als er uns erlöste.

Ja, das ist eine ganz wichtige Erkenntnis Martin Luthers und der Refor­mation, das ist das Herz luthe­rischer Theologie: Dass wir beides ernst nehmen, sowohl das Gesetz als auch das Evangelium, aber beides auch recht auseinander­halten. Mit Gottes Gesetz erkennen wir, wie jämmerlich wir versagen. Selbst wenn wir uns noch so viel Mühe geben, wir schaffen es nicht, so zu leben, wie der heilige und eifernde Gott es fordert. Wir verzweifeln an uns selbst – und werfen uns damit ganz in Gottes Arme, in sein liebendes Erbarmen, das uns im Evangelium von Jesus Christus begegnet. Der hat wirklich alles getan, um uns zu erlösen; kein bisschen können oder müssen wir selbst hinzutun. Wenn es darum geht, vor Gott gerecht und selig zu werden, dann kommt alles auf Gottes Tun an – das ist der Kern der reforma­torischen Erkenntnis. Den gilt es fest­zuhalten und auch heute gegen viele Widerstände zu verteiden, denn auch heute macht sich wieder die Meinung breit, es käme doch auf unser mensch­liches Tun an – auch in der Kirche. Nein, wir sind Bettler, wir können nichts tun für unsere Erlösung, wir können nur im Glauben erfassen, was Christus für uns getan hat.

Was bedeutet das nun für unser christ­liches Leben? Sollen wir den jungen Leuten sagen: „Es hat keinen Zweck, eifrig Gott dienen zu wollen, ihr schafft das ja sowieso nicht?“ Ganz so ist es nicht. Zwar können wir Gott nicht so dienen, dass wir dadurch gerecht werden, aber wir können ihm so dienen, dass wir unseren Mitmenschen dienen. Das möchte Gott, darüber freut er sich: Wenn andere sich über uns freuen können, wenn wir ihnen helfen können. Wie gesagt, damit erlösen wir uns nicht, aber damit können wir Gott danken für seine Erlösung und etwas von seiner Liebe weiter­geben. Und auch das ist eine wichtige Erkenntnis Martin Luthers in der Refor­mation: Nicht Fasten und lange Gebete, nicht aufwändige Gottes­dienste und Rituale freuen Gott am meisten, sondern das freut ihn am meisten, wenn wir einander lieb haben und Gutes tun. Darum hat Luther am 31. Ok­tober 1517 unter anderem auch dies auf­geschrieben; es steht in der 44. These: „Dem Armen zu geben und dem Bedürftigen zu leihen ist besser, als Ablass zu kaufen.“ Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2008.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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