Das Wichtigste im Leben

Predigt über 5. Mose 6,4‑9 zum 1. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Die Menge wartete auf den alten Mann. Gleich würde er auf den erhöhten Platz vor ihnen treten und zu ihnen sprechen. Von Gott würde er reden und von seinen Geboten und davon, wie dieser Gott vor vierzig Jahren seinen Bund geschlossen hatte mit dem Volk Israel. Die Ältesten in der Menge waren damals noch Kinder gewesen am Berg Sinai. Sie hatten nur eine ver­schwommene Erinnerung daran, wie Mose, damals noch stark und rüstig, die Steintafeln mit den Geboten von Gott über­brachte. Die meisten kannten das alles sowieso nur vom Hörensagen. Ihr Alltag war das Nomaden­leben in der Wüste, das Umher­ziehen, die Suche nach Wasser und Essen, das Zusammen­halten der Viehherden, die Gemein­schaft und die Auseinander­setzungen mit den Verwandten und Nachbarn, mit denen sie Zelt an Zelt wohnten. Aber das sollte sich ja nun alles bald ändern. Der Jordan war ganz in der Nähe, und hinter dem Jordan wartete das herrliche Land auf sie, das Gott ihnen versprochen hatte zu geben. Endlich würden sie sesshaft werden, feste Häuser bauen, Obstbäume anpflanzen, Getreide ernten und ein leichteres Leben haben.

Jetzt trat der alte Mose vor das Volk, brachte mit einer Hand­bewegung das Gemurmel zum Schweigen und begann seine Rede: „Höre, Israel!“, rief er mit lauter Stimme. Die ganze Aufmerksam­keit der Menge richtet sich auf ihn. Und wie Mose es bei den meisten seiner Predigten zu tun pflegte, sagte er das Wichtigste gleich zu Anfang. Er sagte: „Der Herr ist unser Gott, der Herr allein. Und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieb haben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft.“ Ja, das war das Wichtigste, das erste und oberste Gebot, der Anfang aller anderen Gebote: Nur den Herrn sollten sie zum Gott haben, nichts und niemand sollte ihnen sonst wichtiger werden. Um jede Art von Götzen­dienst sollten sie einen weiten Bogen machen. Keine anderen Götter sollten sie haben, denn der Herr war ihr Gott, er allein. Ihn sollten sie lieben wie keinen anderen, nicht einmal sich selbst. Von ganzem Herzen und von ganzer Seele sollten sie ihn lieben, er sollte ihr König sein, er sollte auf dem Thron ihres Lebens sitzen. Und diese Liebe sollte nicht nur ein starkes Gefühl sein, sondern sie sollte sich im Tun und Verhalten äußern: „Mit aller Kraft“ sollten sie ihn lieben; mit aller Anstrengung ihres Willens und ihres Körpers sollten sie ihm dienen und seine Gebote halten.

Was Mose den Kindern Israels im Namen Gottes ein­geschärft hatte, das galt nicht nur damals. Es galt auch für ihre Nachkommen. Und es gilt auch für solche Kinder Israels, die gar nicht leiblich von diesem Volk abstammen, sondern die durch Jesus Christus aus allen Völkern hinzu­gesammelt wurden zu dem einen Gottesvolk. Es gilt allen, die durch die Taufe zu Gottes Kindern gemacht wurden. „Ihr seid das heilige Volk“, heißt es in der Bibel (1. Petrus 2,9). Ja, wir, die wir Jesus Christus nachfolgen, sind das Israel des neuen Bundes, das heilige Gottesvolk. Darum gilt dieses erste und oberste Gebot auch für uns: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieb haben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit aller deiner Kraft.“ Jesus selbst hat dieses Gebot für seine Jünger als größtes Gebot bestätigt und ein anderes ihm gleich­gestellt: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“

Darum, liebe Gemeinde, ist die Predigt des Mose eine Predigt für dich, auch wenn sie schon über 3000 Jahre alt ist. Du bist an­gesprochen, du sollst aufmerken, wenn es heißt: „Höre Israel!“ Auf dem Chefsessel deines Lebens soll niemand anders sitzen, nur Gott der Herr. Was er mit seinem Geboten verfügt und bestimmt hat, soll dir oberstes Gesetz sein. Nichts und niemanden sollst du lieber haben, nichts und niemand soll dir wichtiger sein als er, auch du selbst nicht und dein eigener Wille. „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieb haben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit aller deiner Kraft.“

Nun fragst du dich vielleicht: Was bedeutet das denn für mein Alltags­leben und meine Alltags­sorgen? Was bedeutet das, wenn ich einkaufen gehe oder zum Arzt, wenn das Geld knapp wird, wenn ich mich über jemanden geärgert habe oder wenn ich meine Freizeit gestalte? Du hast deine Alltags­sorgen und ‑freuden ebenso wie die Kinder Israels damals am Jordan, die sich mit Nomaden­zelten, Viehherden und der Trink­wasser­versorgung abmühten. Was bedeutet das, Mose, dieses oberste, große und sehr grund­sätzliche Gebot, für unseren Alltag? Und was bedeutet das, Jesus Christus, für uns heute, im 21. Jahrhundert in Deutsch­land?

Schon Mose hat damals eine Antwort gegeben, gleich im Anschluss an das große Gebotswort. Er hat gesagt: „Du sollst diese Worte binden zum Zeichen auf deine Hand, und sie sollen dir ein Merkzeichen zwischen deinen Augen sein, und du sollst sie schreiben auf die Pfosten deines Hauses und an die Tore.“ Die Juden haben das später wörtlich genommen; sie haben Gottes Gebote auf Zettel ge­schrieben, diese in kleine Kapseln getan und die dann mit Bändern am Handgelenk fest­gebunden oder an der Stirn; auch haben sie sie an ihren Türpfosten befestigt. Aber so hat Mose das gar nicht gemeint; er hat hier bildlich gepredigt, und wir müssen uns überlegen, was denn damit wohl gemeint ist.

Gottes Gebote als Zeichen auf die Hand gebunden, das bedeutet: Die Hand soll nur das tun, was Gott gefällt. Da haben wir eine ganz praktische und alltags­taugliche Anweisung. Achte nur darauf, was deine Hand tut: Welche anderen Hände schüttelt sie, und welche nicht? Wem zeigt sie womöglich einen Vogel oder den Stinke­finger? Wen streichelt sie, wem droht sie, wen schlägt sie womöglich? Und was nimmt sich diese Hand? Nimmt sie vielleicht etwas, was ihr gar nicht zusteht, was ihr garnicht gehört? Und was schafft diese Hand? Hilft sie anderen? Packt sie zu, wo Hilfe nötig ist? Leistet sie gute Arbeit, wo das von ihr gefordert ist? Was schreibt sie? Was macht sie am Computer? Welche Internet­seiten ruft sie auf? Achte darauf, was deine Hand tut, dann wirst du schon merken, ob Gott und seine Gebote das Wichtigste in deinem Leben sind oder nicht.

Und Gottes Gebote als Merkzeichen zwischen den Augen, das bedeutet: Die Augen sollen nur das anschauen, was Gott gefällt. Das lässt sich auch auf die Ohren beziehen und auf jede sinnliche Wahr­nehmung. Was sehen deine Augen an, was sehen sie gern, und wo schauen sie weg? Welche Bilder lieben sie? Auf welche Prospekte und Schau­fenster­auslagen blicken sie begehrlich, auf welches fremde Eigentum blicken sie neidisch? Wen strahlen deine Augen liebevoll an, wen funklen sie zornig an, an wem schauen sie vorbei? Und was lesen deine Augen? Welche Bücher, welche Zeit­schriften, welche Werbung? Sehen deine Augen auch täglich in die auf­geschlagene Bibel, oder nur gelegent­lich, oder überhaupt nicht?

Und Gottes Gebot, an den Türrahmen deiner Wohnung ge­schrieben, das bedeutet: Hier bei dir zu Hause soll es so zugehen, wie es Gott gefällt. Gerechtig­keit und Friede sollen hier wohnen, Liebe und Vergebungs­bereit­schaft. Hier soll fröhlich Gott gelobt werden, hier soll fleißig dem Nächsten gedient werden, hier sollen auch Gäste herzlich willkommen sein und sich wohlfühlen. Der Teufel aber soll hier nicht 'reinkommen, der soll hier nichts in Unordnung bringen. Alkohol­sucht, Nikotin­sucht und andere Süchte sollen hier kein Hausrecht haben, ebensowenig wie Streit, Unzucht und andere Sünden. Gott soll der Hausherr in unseren Wohnungen sein, der Chef, der König, und man soll es der Wohnung anmerken, dass er hier herrscht – bis hin zu den Bildern und Postern an den Wänden. Nichts soll es hier geben, was ihm missfällt.

Und dann gehört noch etwas Wichtiges dazu. Im Bild hätte Mose es so beschreiben können: Du sollst diese Worte als Merkzeichen an deinen Mund binden. Er hat es nicht so formuliert, aber der Sache nach hat er auch das gesagt, sogar vor den anderen Gesichts­punkten der Alltags­bedeutung. Er hat gesagt: „Du sollst Gottes Wort deinen Kindern einschärfen und davon reden, wenn du in deinem Haus sitzt oder unterwegs bist, wenn du dich niederlegst oder auf­stehst.“Du sollst mit anderen über Gott reden und sagen, dass er das Wichtigste im Leben ist und dass seine Gebote oberstes Gesetz sind und dass er uns durch Jesus erlöst hat. Denn das ist nicht nur Aufgabe der Pastoren und einiger besonders eifriger Christen, sondern das erwartet Gott von uns allen. Sage es deinen Kindern, auch deinen Enkel­kindern und Paten­kindern, sage es ihnen immer wieder, in ganz normalen Alltags­situationen. Denn es ist ein großer Jammer, wenn Christen ihren Glauben stumm vor sich hin leben und meinen, das sei ihre Privat­sache. Es ist ein großer Jammer, wenn Eltern und Großeltern den nächsten Gene­rationen nicht deutlich machen, was das Wichtigste im Leben ist, oder besser, wer der Wichtigste im Leben ist. Und es ist ein großer Jammer, wenn sie den nächsten Gene­rationen nicht im Alltag vorleben, was das bedeutet. Ver­schweigen wir es also nicht, sondern reden wir ganz selbst­verständlich und unbefangen darüber, und verschaffen wir uns dazu Gehör: „Höre, Israel, der Herr ist unser Gott, der Herr allein.“

Gottes Worte und Gebote sollen Merkzeichen sein an deinem Mund, deiner Hand, deinen Augen und deinen Türrahmen; Gott soll das Sagen haben bis hinein in deinen Alltag. Ist das so bei dir? Wenn du jetzt ohne Ein­schränkung mit Ja antwortest, bist du wahr­scheinlich nicht ganz ehrlich mit dir selbst. „Wenn wir sagen, wir haben keine Sünde, so betrügen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns“, ruft uns der Apostel Johannes ins Gedächtnis (1. Joh. 1,8). Aber Gott sei Dank kennen wir ja nun nicht nur Mose und sein Gesetz, sondern vor allem Jesus Christus, der uns nicht nur Gottes Gesetz eingeschäft hat, sondern der uns heraus­hilft, wenn wir merken, dass wir diesem Gesetz noch lange nicht gerecht werden. Er hat es an unserer Statt vollkommen erfüllt und er hat die Strafe für unsere Schuld schon getragen. Darum können wir vor Gott und den Menschen ganz ehrlich bekennen, dass wir angesichts dieser gewaltigen „Höre-Israel“-Predigt versagt haben, und Gott um Vergebung bitten. Und wir können weiter sagen: Es ist noch nicht so bei mir, dass Gottes Gesetz Mund und Hand und Augen und Wohnung vollständig regiert; aber es soll so werden mit Gottes Hilfe und durch die Gnade des Herrn Jesus Christus. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2008.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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