Blüte und Frucht

Predigt über Jesaja 57,15‑19 zum Sonntag Kantate

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Der Kirschbaum, von dem dieser Zweig stammt, lebt. Er blüht und wächst herrlich. Nach einigen Wochen darf man gute Frucht an ihm erwarten. Und das, obwohl der Regen ihn peitschte und die Sonne auf ihn herab­brannte. Ja, eigentlich gerade deswegen – der Schöpfer hat es in seiner Weisheit so ein­gerichtet.

Ein Kind wächst auf unter der Erziehung seiner Eltern. Das Kind findet es nicht immer angenehm zu hören: „Tu dies!“ oder „Lass das!“. Und es gefällt ihm überhaupt nicht, bestraft zu werden. In einem Alter, wenn das Kind fast kein Kind mehr ist, findet das Kind: „Die Eltern machen so ziemlich alles falsch, und ich muss darunter leiden.“ Das Kind leidet unter der Erziehung seiner Eltern wie der Kirschbaum­zweig unter dem peitschen­den Regen und der brennenden Sonne. Trotzdem wächst es zu einem lebens­tauglichen Erwachsenen heran – oder vielleicht gerade deshalb. Nur unter teilweise schmerz­licher Erziehung reift und entsteht ein Mensch, der Frucht bringen kann, für die Gesell­schaft seinen Beitrag leisten kann, lieben und helfen kann – so wie die Knospe am Kirschbaum unter Sonne und Regen zur Frucht reift. Das Kind wird später hinter der etwas nervigen Erziehung seiner Eltern ihre große Liebe erkennen. Es wird ihm klar werden, wie sie sich gesorgt und aufgeopfert haben, um ihm einen guten Start ins Leben zu er­möglichen.

Gott führte sein Volk, und er führt uns noch heute. Der Vater im Himmel erzieht seine Kinder. Das ist nicht immer angenehm. Das Volk Israel bekam Gottes Zorn mehr als einmal zu spüren in seiner bewegten Geschichte. Durch den Propheten Jesaja teilt er mit: „Ich war zornig über die Sünde ihrer Habgier und schlug sie, verbarg mich und zürnte. Sie gingen trotzdem treulos die Wege ihres Herzens; ihre Wege habe ich gesehen.“ Noch heute mutet der Vater im Himmel uns, seinen Kindern, manch peitschen­den Regen­schauer des Leids zu und manch glühende Hitze der Schmerzen. Da ist es gut zu erkennen, dass Gott uns auf diese Weise zum Leben tüchtig machen will. Er will, dass wir zu gutem Leben erblühen, dass wir reifen und zur rechten Zeit Frucht bringen wie der Kirschbaum. Denn viel größer als sein Zorn ist ja seine väterliche Liebe zu uns. Er sagt: „Ich will nicht immerdar hadern und nicht ewiglich zürnen.“ Er hat sich für uns auf­geopfert. Als er merkte, dass die Menschen seinen hohen An­forderungen für gelingendes Leben nicht gerecht wurden, da hat er diese An­forderungen in seinem Sohn Jesus Christus stell­vertretend für uns alle erfüllt. Der große und erhabene Gott im Himmel hat sich aus lauter Liebe zu uns herab­geneigt in die Tiefe, in den Schmutz der Sünde. Er sagt: „Ich wohne in der Höhe und im Heiligtum und bei denen, die zer­schlagenen und demütigen Geistes sind. Ich will erquicken den Geist der Ge­demütigten und das Herz der Zer­schlagenen.“

Ach, dass wir doch Gottes große Liebe erkennten hinter Schmerz und Leid und Zorn und Strafe, hinter seiner ganzen Erziehung! Er will uns „erquicken“ – das heißt: leben lassen, lebendig machen, quick­lebendig! Das Blut Jesu Christi und das Wasser der Taufe, das ist der Regen, der uns leben und wachsen lässt. Die frohe Botschaft von der Vergebung der Sünden ist die Gnaden­sonne, die uns anlacht, unter deren Strahlen wir wachsen und reifen. Gott will nicht den Tod des Sünders, sondern er will, dass wir leben. Darum hat er durch Jesus Frieden gestiftet zwischen uns und sich. Er sagt: „Friede, Friede denen in der Ferne und denen in der Nähe.“ Aus diesem Frieden kommt Leben, kommt Heilung unserer Schuld. Wer geheilt wird, der bleibt nicht nur vor dem Tod bewahrt, sondern der kann nach und nach immer aktiver am Leben teilnehmen. „Ich will sie heilen“, sagt Gott, „ich will sie leiten und ihnen wieder Trost geben, und denen, die da Leid tragen, will ich Frucht der Lippen schaffen.“

Ach, dass wir vor Gott doch nicht dauernd maulten und klagten wie lustlose Teenager! Sehen wir doch nicht nur vordergründig darauf, wie unangenehm das ist, was er uns manchmal zumutet, sondern erkennen wir dahinter seine unaussprechlich große Liebe, die uns am Leben erhält, die uns leitet, die uns wachsen und reifen lässt, die Frucht schafft zur rechten Zeit – wie der peitschende Regen und die brennende Sonne beim Kirschbaum! „Ich will Frucht der Lippen schaffen“, sagt Gott. Er will uns zeigen, dass wir keinen Grund haben, mit unseren Lippen zu klagen, uns zu beklagen oder gar zu verklagen; er will, dass unsere Lippen Lob- und Danklieder hervor­bringen. Und da sind wir beim Thema des Sonntags Kantate angekommen. Wer Gottes Vaterliebe und Jesu Erlösungs­tat kennen­gelernt hat, bei dem ist das Loblied Grundton des Lebens.

Dafür gibt es viele gute Vorbilder. Paul Gerhardt hat früh seine Eltern verloren und im Dreißig­jährigen Krieg unsägliches Leid durch­gemacht. Aber er sang: „Sollt ich meinem Gott nicht singen, sollt ich ihm nicht dankbar sein?“ Julie Hausmann wurde von ganz schlimmen Migräne-Anfällen heim­gesucht, und sie dichtete: „In dein Erbarmen hülle mein schwaches Herz und mach es gänzlich stille in Freud und Schmerz.“ Der Ire Joseph Scriven musste wenige Tage vor seiner geplanten Hochzeit erleben, wie seine Braut ver­unglückte und vor seinen Augen in einem Fluss ertrank. Er wanderte dann nach Kanada aus und hat ein Lied gedichtet, dass heute weltweit eines der meist­gesungenen geistlichen Lieder ist: „What a Friend we have in Jesus“ – „Welche ein Freund ist unser Jesus“. Dietrich Bonhoeffer saß Ende 1944 in Berlin im Gefängnis, von den Nazis fest­genommen, das Todesurteil vor Augen. Da schrieb er seinen Eltern und seiner Braut ein Gedicht, das später für viele zur Frucht der Lippen im Gotteslob geworden ist: „Von guten Mächten wunderbar geborgen erwarten wir getrost, was kommen mag.“

Wer Gott lobt, der hat erkannt, wie gut der himmlische Vater es mit uns meint, auch wenn seine Erziehung manchmal sehr hart und schmerzhaft ist. Wer das neue Lied von Gottes neuem Bund singt, der hat erkannt: Nicht Gottes Zorn hat das letzte Wort oder seine Sünden­strafe, auch wenn sie nur allzu berechtigt ist, sondern seine Barmherzig­keit und seine vergebende Gnade in Jesus Christus. Wer Gott loben lernen will, der halte sich das vor Augen, was Gott uns hier zusagt: „Ich will erquicken“, „ich will heilen“, „ich will Trost geben“, „ich will leiten“, „ich will Frucht der Lippen schaffen“ – „Friede, Friede denen in der Ferne und denen in der Nähe“. Ja, solche Frucht der Lippen möge auch aus unserem von Gott geschenkten Leben reifen: Loblieder, Dankgebete, auch Auf­munterung und Trost für unsere Mit­menschen, auch Bekenntnis und Zeugnis vor denen, die die Liebe des himmlischen Vaters noch nicht richtig kennen­gelernt haben. Und zur Frucht der Lippen mag sich dann auch die Frucht der Hände gesellen, wenn sie helfend zupacken, und die Frucht der Füße, wenn sie hingehen, wo Gott sie braucht. Durch Jesus hat Gott gemacht, dass unser Leben neu erblüht. Durch Jesus sorgt er auch dafür, dass dieses Leben reift und Frucht bringt. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2008.

Autor: Pastor Matthias Krieser

SOLI DEO GLORIA!

PREDIGTKASTEN

►  Startseite

►  Impressum