Geheiligt oder von Gott verlassen?

Predigt über Psalm 22,2‑9 zum Karfreitag

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Ohne Gott ist der Mensch ein Wurm in der Erde, ein Blatt am Baum, ein Tropfen im Meer, ein Staubkorn im Weltall, ein Nichts. Ohne Gott ist all unser Tun und Leiden sinnlos. Darum: Willst du den Sinn deines Lebens finden, dann darfst du nicht zuerst nach dir selbst fragen, sondern du musst zuerst nach Gott fragen. Nur wenn du Gott erkannt hast, kannst du den Sinn deines Lebens erkennen, dazu auch den christ­lichen Glauben und die Botschaft des Kar­freitags.

Wir haben eben den Anfang des 22. Psalms gehört, den Anfang des großen Leidens­psalms Christi. Inmitten all der Leiden, die dieser Psalm beschreibt, findest du Antwort auf die Frage nach Gott. Du findest sie, wenn du mit dem Psalmwort anbetend bekennst: „Mein Gott, du bist heilig.“ Ja, Gott ist heilig – über alles erhaben, un­geschaffen, zeitlos, von Ewigkeit zu Ewigkeit, all­gegen­wärtig, allmächtig, Herr und König aller Dinge, unfassbar in seiner Macht und Größe. Gott allein ist heilig, Gott allein ist göttlich, und nichts hat Bestand losgelöst von ihm. Wenn du das erkennst, dann findest du den Sinn deines Lebens in der Beziehung zu Gott. Denn du bist von diesem heiligen Gott geschaffen allein zu dem Zweck, dass dein Dasein ihn lobt und ehrt. Wenn es heißt, dass dieser heilige Gott „über den Lobgesängen Israels“ thront, dann ist damit am Beispiel von Gottes altem Bundesvolk ausgesagt, was für alle Menschen gilt: Unser Dasein sei ein einziger Lobgesang für den heiligen Gott. Wenn du am Morgen aufstehst und in einen neuen Tag gehst, dann soll alles, was du dir für diesen Tag vornimmst, Gott ehren. Und wenn du am Abend darüber nachdenkst, was du am zurück­liegenden Tag alles geredet hast, dann sollten es nur solche Worte sein, die den heiligen Gott preisen – seien es Danklieder oder seien es Worte, die deinem Mitmenschen genützt haben. Aber nicht nur dein Reden und Tun soll Gott ehren, sondern auch die Art und Weise, wie du dich in Leidens­zeiten verhältst. Wieder nennt der Psalm Gottes altes Bundesvolk als Vorbild, die hebräischen „Väter“, die unter dem Frondienst in Ägypten zu leiden hatten. Von ihnen heißt es: „Zu dir schrien sie und wurden erettet, sie hofften auf dich und wurden nicht zu­schanden.“ Wenn du in Leidens­zeiten zu Gott schreist und dabei hoffst, dass er dir hilft, dann gibst du ihm die Ehre, die ihm gebührt. Die Menschen in alten Zeiten wussten, wie man einen König ehrt: Man ehrt ihn, indem man ihn lobt und indem man sich von ihm Hilfe in der Not erhofft. So sollst du den König aller Könige ehren, den heiligen Gott: indem du ihn mit deinem ganzen Leben lobst und dich in der Not vertrauens­voll an ihn um Hilfe wendest. Wenn du das tust, dann erfüllst du damit deinen Lebenssinn. Wenn du das tust, dann erfüllst du die Vaterunser­bitte: „Geheiligt werde dein Name.“ Wenn du das tust, dann hast du Gemein­schaft mit dem heiligen Gott, dann hast du teil an seiner Heiligkeit, dann wirst du selbst heilig. Heilige sind Menschen, die zum heiligen Gott gehören, weil sie ihn ehren und damit ihren Lebenssinn erfüllen.

Nun aber prüfe dich: Lebst du in dieser Weise heilig? Lebst du so, dass du in allem Gottes Ehre suchst? Ist es nicht vielmehr so, dass du deine eigene Ehre suchst, dass du vor allem deine eigenen Wünsche und Ziel­vorstellun­gen im Leben durchsetzen willst? Lebst du so, dass alle deine Wort direkt oder indirekt Gott preisen? Ist es nicht nicht vielmehr so, dass du viel lieber Menschen preist, die dir wichtig sind, am aller­liebsten aber dich selbst? Ist es nicht so, dass du selbst dich in deinem Reden groß heraus­stellst? Und lebst du so, dass du in Leidens­zeiten Hilfe zuallererst von Gott erbittest und erhoffst? Ist es nicht vielmehr so, dass dir andere Hilfs­angebote viel verläss­licher vorkommen, seien es Fachleute oder seien es moderne Heils­rezepte? Ist es nicht auch oft so, dass du dir einbildest, du könntest oder müsstest dir zuallererst selbst helfen? Wenn du dich so prüfst, dann merkst du, dass du deinen Lebenssinn verfehlst. Du lebst nicht heilig. Du ehrst den heiligen Gott nicht so, wie er von dir geehrt sein will. Du sonderst dich von ihm ab und gehst damit an deiner Bestimmung vorbei. Du verfehlst die Quelle des Lebens und holst dir dabei den Tod. Diese Absonderung von Gott ist es, was die Bibel Sünde nennt: Sünde ist deine selbst ver­schuldete Absonderung vom heiligen Gott. Sünde ist der Graben, der dich von Gott trennt und damit von dem Leben, das der Schöpfer für dich vorgesehen hat. Gott hat dich zu seinem Ebenbild geschaffen, aber um der Sünde willen bist du nicht mehr sein mensch­liches Ebenbild, sondern nur noch ein tod­geweihter Wurm. Wenn dir das bewusst wird, dann hast du Grund, mit unserem Psalmwort zu klagen: „Ich bin ein Wurm und kein Mensch.“ Ja, das ist das Schicksal der in Sünde gefallenen Menschheit. Und auch wenn der religiöse Mensch noch sehr versucht, den Graben der Sünde zu überwinden und zu Gott zurück­zufinden, es ist vergeblich. Wenn du von dir aus die Sünde überwinden und zu Gott zurück gelangen willst, dann wirst du erfahren, dass diese Mühe vergeblich ist. Es wird dir so gehen, wie es im Psalm heißt: „Ich schreie, aber meine Hilfe ist ferne. Mein Gott, des Tages rufe ich, doch antwortest du nicht, und es Nachts, doch finde ich keine Ruhe.“ Und angesichts von all dem Leid in der Welt, allem Krieg, allem Krebs, allem Terror, allem Tod, und angesichts dessen, dass Gott dies alles trotz mensch­licher Gebete geschehen lässt, höhnt und dröhnt uns der Spott des Atheismus in den Ohren, wie auch schon der Psalm zu sagen weiß: „Alle, die mich sehen, verspotten mich, sperren das Maul auf schütteln den Kopf: Er klage es Herrn, der helfe ihm heraus und rette ihn, hat er Gefallen an ihm.“ Auch diese Erfahrung ver­geblicher Hilferufe zu Gott, auch diese Erfahrung von Leid und Tod infolge von Sünde hat Gottes altes Bundesvolk in besonderem Maße machen müssen, beispiel­haft für alle Menschen.

Nun aber hat der heilige Gott die gefallene Welt so lieb, dass er sie nicht in diesem Elend stecken lassen möchte. Er könnte es wohl, es täte seiner Heiligkeit keinen Abbruch, wenn er uns einfach fallen ließe, wenn er sich andere Kreaturen zu seines Namens Ehre wählte oder schüfe, wenn er den Steinen Münder gäbe, ihn zu loben. Aber nein, gerade uns Menschen hat er lieb, gerade dich hat er lieb. Und darum möchte er dich zurück­gewinnen für den wahren Lebenssinn. Und darum will er, dass du kein Wurm bleibst, sondern zur Herrlich­keit des Gottes­ebenbilds zurück­findest. Und darum hat er einen Weg gefunden, dich aufs Neue heilig zu machen, dir aufs Neue Anteil zu geben an seiner Heiligkeit. Und darum hat er den Graben der Sünde überbrückt, hat die garstige Absonderung überwunden, hat den Tod besiegt und dir den Weg zu sich neu er­schlossen, den Weg zur Quelle des Lebens. Das hat er durch seinen Sohn Jesus Christus getan. Das hat er am Karfreitag getan. Das hat er am Kreuz getan.

Und wie hat Jesus das getan? Er hat deine Absonderung von Gott überwunden, indem er sie selbst auf sich nahm. Er selbst, der Sohn des heiligen Gottes, hat die bittere Qual der Unheilig­keit geschmeckt, damit du wieder heilig wirst. Dies kommt zum Ausdruck in dem un­geheuer­lichen Schmerzens­schrei Jesu am Kreuz, der in dem Psalmwort voraus­gesagt ist: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Da hat sich der himmlische Vater in der Tat für eine kleine Zeit von seinem eigenen göttlichen Sohn zurück­gezogen, da war er fern von ihm. Und so gilt das Elend des sündigen Menschen, das Elend des von Gott ab­gesonderten Geschöpfs hier dem Erlöser in seiner Not: „Ich schreie, aber meine Hilfe ist ferne.“ Für eine kleine Zeit verbirgt Jesus seine göttliche Heiligkeit, für eine kleine Zeit verliert er die menschliche Gottes­ebenbildlich­keit, sodass von ihm gilt: „Ich bin ein Wurm und kein Mensch.“ Dazu ertönt der Spottchor der Un­gläubigen, die nicht wahrhaben, dass sich hier vor ihren Augen die größte Rettungs­aktion der Welt­geschichte ereignet. Darum heißt es: „Ich bin ein Spott der Leute und verachtet vom Volke. Alle, die mich sehen, verspotten mich, sperren das Maul auf und schütteln den Kopf: Er klage es dem Herrn, der helfe ihm heraus und rette ihn, hat er Gefallen an ihm.“ Und indem Jesus so stirbt und die ganze Gott­verlassen­heit der gefallenen Menschheit schmeckt, wird sein Kreuz zu einer sehr merk­würdigen und zugleich wunderbaren Brücke über den Graben der Sünde.

Nun bist du eingeladen, diese Brücke zu benutzen. Du bist eingeladen, Jesus und seinem Opfer für dich zu vertrauen. Du bist eingeladen, zurück­zufinden zur Gemein­schaft mit dem heiligen Gott und damit zu deiner eigenen Heiligkeit. Du bist eingeladen, den Sinn des Lebens wieder­zufinden. Du bist eingeladen, zur Ehre Gottes zu leben, versöhnt durch das Kreuz seines Sohnes. Du bist eingeladen, ihm Lob und Dank zu sagen für seine Gnade und Barmherzig­keit. Du bist eingeladen, über die Brücke des Kreuzes all deine Not und all deine Sorgen zu Gott zu bringen, ihn im Namen Jesu vertrauens­voll um Hilfe zu bitten. Das geht freilich nur, wenn du's ganz tust; mit ganzem Herzen, mit Leib und Seele. Das geht nur, wenn du einem Leben ohne Gott eine klare Absage erteilst. Das geht nur, wenn dir nichts wichtiger ist als die Gemein­schaft mit dem heiligen Gott. Das geht nur, wenn du dich erneuern lässt, wenn du dich von Jesus zurück­verwandeln lässt von einem sterblichen Wurm zu einem Menschen nach Gottes Ebenbild, der ewig leben soll. Das geht nur, wenn du deine ganze Sünden­schuld Gott vor die Füße wirfst und dich dann über die Brücke des Kreuzes zur Gemein­schaft mit dem heiligen Gott zurück­führen lässt. Genau das aber geschieht jetzt in der Beichte. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2008.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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