Wir haben es gut

Predigt über Psalm 84,6‑8 zum Sonntag Lätare

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

„Selig sind, die da geistlich arm sind; denn ihrer ist das Himmel­reich. Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden. Selig sind die Sanft­mütigen; denn sie werden das Erdreich be­sitzen…“ – die meisten von uns kennen sie, die Selig­preisungen unseres Herrn Jesus Christus aus der Berg­predigt. Was vielen aber nicht bewusst ist, das ist die Tatsache, dass es in der Bibel insgesamt über 80 Selig­preisungen gibt, jeweils etwa 40 im Alten und 40 im Neuen Testament. Drei von ihnen stehen im 84. Psalm, den wir heute teilweise als Introitus gesungen haben. Und eine davon leitet unseren Predigttext ein: „Selig sind, die dich für ihre Stärke halten und von Herzen dir nach­wandeln.“ Oder wie Luther übersetzte: „Wohl den Menschen, die dich für ihre Stärke halten und von Herzen dir nach­wandeln.“ Genau das bedeutet eine Selig­preisung: Den Menschen, die da beschrieben werden, geht es wohl; sie haben es gut. „Selig sind…“ wird in anderen Bibel­übersetzun­gen daher auch übersetzt mit „glücklich sind…“, „Grund zur Freude haben…“, „gut drauf sind…“. All das gilt denjenigen, die Gott für ihre Stärke halten und die ihm von Herzen nachwandeln – so verkündet es Gottes Wort im 84. Psalm.

Wir sind gemeint mit dieser Selig­preisung. Denn als Christen glauben wir ja an den all­mächtigen dreieinigen Gott und folgen seinem Sohn Jesus Christus nach. Wir Christen sind Menschen, die Gott für ihre Stärke halten und die ihm von Herzen nachwandeln (ja, hoffentlich von ganzem Herzen und nicht halbherzig, denn nur dann machen wir ernst mit unserem Bekenntnis, dass er unser Herr ist). Gott preist uns mit diesem Psalmwort selig und ruft uns zu: Ihr habt es gut! Ihr könnt euch freuen! Wohl euch! Selig seid ihr! Wie auch der ganze Psalm diejenigen selig preist, die in Gottes Haus wohnen, das heißt, die zu seinem Haushalt gehören, Bürger seines ewigen Reiches sind – und das sind wir ja durch Jesus Christus, seinen Sohn.

Und warum haben wir es gut? Weil Gott wirklich unsere Stärke ist. Wir haben es gut, weil wir den Richtigen für unsere Stärke halten. Wer sich auf seine Freunde verlässt oder auf seine Regierung, auf seine Gesundheit oder sein Bankkonto, auf seine Schlauheit oder seine Rechts­schutz­versiche­rung, der kann dabei Ent­täuschungen erleben. Er wird früher oder später merken, dass all diese durchaus sinnvollen Stützen ihm nicht ein rundum glückliches und sorgen­freies Leben garantieren können. Rundum gut haben wir es nur dann, wenn wir den für unsere Stärke halten, der in jeder Beziehung unsere Stärke ist, den all­mächtigen Gott nämlich, der uns durch seinen Sohn Jesus Christus erlöst hat.

Freilich lauert bei dieser Selig­preisung die Gefahr eines Miss­verständnis­ses. Viele erwarten jetzt nämlich, dass der so gepriesene Christ mit seinem starken Gott ein sorgen­freies und mit Wohlstand gesegnetes Leben hat. Und dann ist die Ent­täuschung groß, wenn Probleme kommen, Leiden und Miss­erfolge; wenn Krankheit oder Armut sich einstellen. Wer dem Miss­verständnis erliegt, selig gepriesene Christen hätten nie irgend­welche Schwierig­keiten, der kann schwere Glaubens­zweifel kriegen. Denn jeder Christ kennt Tage, an denen alles schief läuft. Jeder Christ wird mal krank und hat mal Schmerzen. Jeder Christ erlebt Ent­täuschungen und Sorgen. Jeder Christ muss mal trauern und weinen, und zwar nicht weniger als andere Menschen. Da stellt sich die Frage: Wo bleibt dann die ver­sprochene Seligkeit? Wo bleibt Gottes Kraft, auf die er sich verlässt?

Wer sich mit dem Psalmwort be­schäftigt, der findet Gottes Antwort darin. Die Antwort ist in einem Bild versteckt, in einem Gleichnis. „Wohl den Menschen, die von Herzen dir nach­wandeln“ – da wird das Bild eingeführt: Das Christen­leben ist eine Reise auf den Spuren des Herrn Jesus Christus, ein Weg der Nachfolge, ein Weg hinter ihm her. Und dieser Weg führt zunächst einmal durch ein „dürres Tal“, wie es im Psalm weiter heißt. Mit dem „dürren Tal“ ist ein Wadi gemeint, ein aus­getrocknetes Flussbett, wie es derer viele im Süden des Heiligen Landes gibt. In der heißen, regenarmen Jahres­hälfte besteht so ein Wadi nur aus Sand, kein bisschen Wasser ist darin zu finden, und ent­sprechend wächst und blüht auch kaum etwas in der Nähe. Durch so ein Wadi führt unsere Lebens­reise, unser Weg hinter Jesus her, jedenfalls strecken­weise. Es ist eine Nachfolge unter dem Kreuz, ein Leidensweg, wie Christus ihn selber gegangen ist und wie er ihn seinen Jüngern vorher­gesagt hat. Selig sind wir auf diesem Weg deshalb, weil wir eine berechtigte Hoffnung auf Hilfe haben, denn die Hilfe hat Gott uns ver­sprochen. Im Psalmwort heißt es: „Wenn sie durchs dürre Tal ziehen, wird es ihnen zum Quell­grund.“ Das heißt: Wenn wir in diesem aus­getrockneten Tal durstig aber hoffnungs­froh entlang­ziehen, dann wird unsere Hoffnung nicht enttäuscht, sondern wir finden zur rechten Zeit Wasser. So gewiss, wie nach dem trockenen Sommer die nasse Jahreszeit mit dem sogenannten Frühregen beginnt, so gewiss wird auf den Durst­strecken der Lebensreise Gott in Aktion treten und den Durstigen mit frischem Wasser laben; das Flussbett wird sich zur rechten Zeit wieder mit Wasser füllen, damit kann man fest rechnen. „Wenn sie durchs dürre Tal ziehen, wird es ihnen zum Quellgrund, und Frühregen hüllt es in Segen.“ So wandern wir Christen auf unserer Lebensreise durch die Zeit in der Nachfolge des Herrn, erfahren Kreuz und Leid und darauf wieder Hilfe und Freude von Gott, so wie die Menschen im Heiligen Land den Wechsel der Jahres­zeiten als Wechsel von Dürre und Regen erfahren. Wie der landwirt­schaftlich bestimmte Mensch zu Jesu Zeiten von Regenzeit zu Regenzeit lebte, so lebt der Christ von einer Stärkung Gottes zur nächsten und begegnet auf diese Weise dem lebendigen Gott. Wir lesen im Psalm: „Sie gehen von einer Kraft zur andern und schauen den wahren Gott in Zion.“

Wir merken: Selig sind wir als Christen nicht deshalb, weil wir Kraft haben, sondern weil wir Kraft kriegen von Gott, immer wieder. Selig sind wir, wenn wir Gott für unsere Stärke halten, wenn wir also darauf hoffen, dass in aller Not und in allem Leid zur rechten Zeit seine Stärkung kommen wird. Es ist nicht so, dass Gott uns am Anfang unseres Christen­lebens mit aller Kraft und allem Reichtum aus­gestattet hat, die wir für unsere Lebensreise brauchen – sozusagen mit einem großen Rucksack voll, aus dem wir uns dann nach Bedarf immer reichlich bedienen könnten. Nein, Gott schickt uns mit leichtem Gepäck auf die Reise und mutet uns auch schon mal zu, dass der Magen knurrt und die Zunge am Gaumen klebt. Aber zur rechten Zeit ist er dann immer da und stärkt uns wieder; darauf können wir uns verlassen. Wenn es nicht so wäre, würden wir gar nicht merken, dass alle Kraft und Hilfe von ihm kommt. Wir würden auch nicht mehr darum flehen und beten, sondern würden den Segen für selbst­verständlich erachten. Ja, wir würden uns womöglich einbilden, dass wir aus uns selbst heraus stark und tüchtig sind, das Leben zu meistern. Darum, liebe Gemeinde, sind wir gerade darin selig, dass wir Leidens­zeiten erfahren, denn die lehren beten und auf Gott hoffen, und die schenken uns dann auch die Erfahrung, dass Gott zur rechten Zeit heraus­hilft.

Ja, wir ziehen durchs dürre Tal und haben es gut, weil Gott es uns immer wieder in einen Quellgrund verwandelt. Wir gehen von einer Kraftquelle zur andern, so wie ein Marathon­läufer, der darauf vertraut, dass nach der nächsten Etappe wieder ein Tisch mit Er­frischungen bereit steht, an dem er sich im Vorüber­gehen laben kann. Diesen Tisch will Gott dir auch hier im Gottes­dienst decken durch sein Wort und durch das Heilige Abendmahl; so stärkt er dich für die nächste Etappe. Auf diese Weise wandern wir durchs Leben, im Vertrauen auf Gott, in der Erfahrung seiner Kraft und Hilfe, in der Begegnung des lebendigen Gottes, in der Nachfolge Jesu – bis hin zu dem herrlichen Ziel, wohin Jesus uns voraus­gegangen ist. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2008.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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