Gottesbegegnung in schweren Zeiten

Predigt über 1. Könige 19,9‑13a zum Sonntag Okuli

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Neulich saß ich mit mehreren Personen in einem Café. Eine ältere Dame am Tisch war un­schlüssig, ob sie die angebotene Gulasch­suppe mit oder ohne Sahnehaube bestellen sollte. Schließlich entschied sie sich für die Sahnehaube mit den Worten: „Na dann wollen wir mal richtig sündigen!“ Ich meinte skeptisch: „Wie geht das denn – richtig sündigen? Entweder man macht etwas richtig oder man sündigt.“ Darauf wusste die Frau nichts zu erwidern. Sie wusste nämlich nicht, was sündigen eigentlich ist, so wie die Mehrzahl unserer Mitbürger es nicht mehr wissen. Viele meinen, „sündigen“ bezeichne ein Nachgeben zu kleinen Schwächen, durchaus harmlos, durchaus ver­zeihlich, eigentlich mehr humorvoll so genannt. Nur noch wenige wissen, dass Sünde etwas ganz Schreck­liches ist und dass man lieber keine Witze darüber machen sollte. Nur noch wenige wissen, dass mit Sünde der ent­setzliche Riss zwischen Schöpfer und Geschöpf gemeint ist, ein tod­bringendes Verderben, das den Himmel verschließt und den Abgrund der Hölle öffnet. Und ebenso wissen auch nur noch wenige, was dieses tod­bringende Verderben überwindet, was den Riss heilt, was die Hölle besiegt und den Himmel auf­schließt: das Blut Jesu Christi und sein Tod am Kreuz.

Wir Christen, die wir das wissen und glauben, leben in schweren Zeiten: Die Mehrheit weiß von unserem Glauben nichts mehr und will davon auch nichts wissen. Christen sind einsam am Arbeits­platz, wenn die Kollegen keine Christen sind; Christen sind einsam in der Nachbar­schaft, wenn die Nachbarn keine Christen sind; Christen sind einsam in der Schule, wenn die Mitschüler keine Christen sind. Alles Beten und Bekennen scheint nicht zu helfen; das Christentum ist im Abendland auf dem Rückzug, und eine andere Religion hat sich aus­gebreitet: die Religion der Gesundheit, der Schönheit, des Reichtums und des Erfolgs. Wie oft hört man: „Hauptsache gesund!“ und wie selten: „Hauptsache selig!“ Die Christen nehmen ab an Zahl, Kirchen werden ge­schlossen, Gemeinden gehen ein, Pfarr­stellen werden gestrichen – das erfahren wir auch in unserer Kirche. Die Kenntnis der Bibel und der christ­lichen Grund­wahrheiten hat er­schreckend abgenommen. Selbst viele engagierte Kirchen­mitglieder wissen nichts mehr vom Schrecken der Sünde und von seiner Überwindung durch Christus. Von vielen deutschen Kanzeln wird diese Kern­botschaft des Evangeliums ja auch nicht mehr gepredigt. Ja, wir leben in schweren Zeiten, und es kommt vor, dass unser Glaube dadurch angefochten wird. Darum sehnen wir uns nach Ver­gewisserung im Glauben und nach Gott, nach Gottes Eingreifen und nach Begegnung mit ihm.

Damit sind wir dem Propheten Elia und seiner Zeit sehr nahe. Sein Volk Israel hatte dem wahren Gott den Rücken gekehrt und war dem Baalskult verfallen. Wie heute die Religion der Gesundheit, der Schönheit, des Reichtums und des Erfolgs vor­herrscht, so herrschte damals die Religion des Götzen Baal vor. Auch Elia war mit seiner Glaubens­treue einsam geworden; viele um ihn her waren abgefallen. Elia hatte erfahren, wie all sein Verkündigungs­eifer und alle Mühen nichts halfen, die rechte Gottes­furcht im Lande wieder zurück­zugewinnen, es wurde im Gegenteil alles immer schlimmer. Obendrein hatte seine größte persönliche Feindin, die Königin Isebel, bei sich geschworen, dass sie ihn umbringen werde wegen seines Kampfes gegen den Baalskult. So klagte Elia Gott sein Leid und betete: „Ich habe geeifert für den Herrn, den Gott Zebaoth; denn Israel hat deinen Bund verlassen und deine Altäre zerbrochen und deine Propheten mit dem Schwert getötet, und ich bin allein übrig geblieben, und sie trachten danach, dass sie mir mein Leben nehmen.“ Dabei war Elia keineswegs selbst­gerecht; schon einmal hatte er gebetet, wenig zuvor, müde und resigniert: „Es ist genug, so nimm nun, Herr, meine Seele; ich bin nicht besser als meine Väter“ (1. Könige 19,4).

Nun haben wir es ja eigentlich doch besser als Elia. Elia war auf der Flucht vor mächtigen Leuten, die ihn umbringen wollten; uns trachtet keiner nach dem Leben. Elia war mutter­seelen­allein – er hatte sich in einer Höhle am Berg Sinai versteckt und konnte mit keinem Menschen über seinen Kummer reden; wir haben unsere schöne Gemein­schaft in den Gottes­diensten und auch bei anderen Gemeinde­veranstal­tungen, wo wir im Glauben gestärkt werden durch die Gemein­schaft unter Gottes Wort. Aber was uns und Elia verbindet, das ist die Anfechtung des Glaubens angesichts einer gottlos geworden Umwelt sowie auch die Sehnsucht nach einer auf­richtenden Begegnung mit Gott zur Ver­gewisserung des Glaubens.

Elia befand sich am Berg Sinai. Es ist der Berg der Gottes­offenbarung, wo Gott einst seinen Bund mit dem Volk Israel besiegelte. Hier war Gott dem Mose begegnet im Feuer des brennenden Busches und hatte ihn zu seinem Boten gemacht. Mit großen Macht­erweisen hatte Gott Moses Mission unterstützt und den Auszug der versklavten Israeliten aus Ägyten erzwungen. Mit einem starken Wind hatte er das Schilfmeer geteilt, sodass das Volk hindurch­ziehen und den hinterher­jagenden Feinden entkommen konnte. Diesem ganzen Volk hatte Gott sich dann persönlich mit lauter Stimme offenbart und ihnen die Zehn Gebote gegeben. Das war wieder am Berg Sinai geschehen; dabei hatte es ein Erdbeben und andere gewaltige Natur­erscheinun­gen gegeben. An diesen Berg Sinai führte Gott nun den verzagten Propheten Elia. Würde er sich ihm hier persönlich zeigen wie einst Mose? Würde er Elias Glauben stärken mit großen Macht­erweisen, mit Feuer wie beim brennenden Busch, mit Wind wie bei der Teilung des Schilf­meers, mit einem Erdbeben wie bei der Ver­kündigung der Zehn Gebote?

Ja, Gott wollte dem Elia begegnen und kündigte es ihm an. Er begegnet ihm – aber ganz anders, als der erwartete, ganz anders, als es einst bei Mose und den Israelit war. Zwar kam ein großer starker Wind wie damals am Schilfmeer, ein un­heimlicher Sturm, bei dem sogar Felsbrocken vom Berg polterten, aber Elia spürte: In diesem Sturm begegnet mir Gott nicht. Dann geschah ein Erdbeben wie bei Gottes Bundes­schluss mit Israel, aber wieder spürte Elia: In diesem Erdbeben begegnet mir Gott nicht. Dann fegte auch noch ein Feuer über den Berg, sodass alles Dornen­gestrüpp hell brannte wie der Dornbusch bei Moses Berufung, aber wieder spürte Elia: In diesem Feuer begegnet mir Gott nicht. Ja, wie wollte ihm Gott denn dann begegnen? Da geschah ein stilles, sanftes Sausen, ein angenehmes Lüftchen, ein er­frischender Wind, und da spürte Elia: Jetzt begegnet mir Gott. Und er verließ seine Höhle, in die er sich bis dahin verkrochen hatte, und trat Gott entgegen. Da redete Gott mit ihm und schickte ihn wieder unter die Menschen. Gott hatte noch ein paar Aufträge für ihn, die er vollenden sollte, ehe Elia in Gottes ewige Herrlich­keit eingehen konnte.

Warum ist Gott dem Elia nicht mit Sturm, Erdbeben und Feuer begegnet, sondern mit einem sanften Sausen? Darum, weil er Elia etwas lehren wollte, und ebenso auch uns. Die großen und er­schreckenden Natur­gewalten gingen immer mit Gottes Gesetz einher und waren Zeichen für seinen Zorn über die Sünde. Am Sinai hatte Gott das Gesetz gegeben, das allen Gehorsamen gutes Leben versprach, allen Sündern aber Strafe und Tod. Nun zeigt Gott durch das sanfte Sausen, dass sein Zorn und sein Gesetz nicht das letzte Wort haben. Das sanfte Sausen ist Zeichen für Gottes Liebe und Barmherzig­keit, für seine milde und vergebende Vatergüte; letztlich ist nur darin Gott zu finden. Und letztlich will er damit die Gott­losig­keit der Welt überwinden. Das sanfte Sausen steht für das Evangelium, für Gottes neuen Bund in seinem Sohn Jesus Christus, den er alle Propheten vorhersehen ließ – auch Elia durch das sanfte Sausen. Das sanfte Sausen steht auch für den Heiligen Geist, denn in den Sprachen Bibel, auf Hebräisch und Griechisch, heißt das Wort für „Geist“ wörtlich übersetzt „Wind­hauch“. Und da lernen wir an diesem Gotteswort, wie Gott uns noch heute begegnen will: Nicht mit Zorngericht und Tod, sondern mit vergebender Liebe und Barmherzig­keit, die durch seinen Sohn Jesus Christus offenbar geworden ist und die wir durch den Heiligen Geist in Wort und Sakrament erfahren dürfen.

Ja, hier ist heute unser Berg Sinai, hier begegnet uns heute Gott mit dem sanften Sausen seines Geistes: Im Gottesdienst, wo wir die Sünden vergeben bekommen, wo von der Gnade des neuen Bundes gepredigt wird und wo der Herr uns im Heiligen Mahl leiblich begegnet unter Brot und Wein. Hier finden wir Trost, hier finden wir Glaubens­vergewisse­rung inmitten einer gottlos gewordenen Umwelt. Und hier sendet uns Gott zu unseren Mit­menschen, denn wir sollen sie nicht verachten, sondern – trotz allem – lieben, wie Gott die Welt durch seinen Sohn geliebt hat. Wir sollen uns nicht in die Höhle unserer Resignation zurück­ziehen, auch nicht in die Höhle einer nur für uns selbst gelebten Frömmig­keit, sondern wir sollen auf Gottes Geheiß aus unseren Höhlen heraus­treten – ebenso wie Elia das sollte. Wir sollen uns von ihm senden lassen, um das zu tun, was Gott uns als Christen­menschen in der Welt aufgetragen hat, gerade in diesem Land, gerade in dieser Zeit. Und wir tun gut daran, dass wir ihm mit Ehrfurcht begegnen, vor ihm aufstehen oder vor ihm nieder­knien, die Hände falten, die Augen schließen, die Alltags­gedanken und Alltags­gespräche draußen vor der Kirche lassen – so wie Elia ehrfürchtig sein Gesicht verhüllte mit seinem Mantel bei der Gottes­begegnung. Ja, in diesem Geist wollen wir uns ihm nahen, wenn er uns jetzt nahe ist in seinem Wort und wenn er uns gleich ganz nahe sein wird im Sakrament des Altars. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2008.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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