Liebe Brüder und Schwestern in Christus!
Eine Bande von Menschenräubern und Schutzgelderpressern überfällt die Stadt Sodom. Sie entführt Lot, den Neffen Abrahams, zusammen mit seiner Frau, seinen Töchtern und vielen anderen Bewohnern des Ortes. Die Gefangenen werden in einem Lager im Norden Palästinas zusammengetrieben; sie sollen in die Sklaverei verkauft werden. Da erfährt Abraham von dem Verbrechen, stellt schnell eine schlagkräftige Truppe zusammen und kann die Gefangenen befreien. Im Tal Schawe feiert er zusammen mit den Befreiten und mit dem König von Sodom seinen Sieg – davon berichtet unser Predigttext. Und da geschieht es, dass eine der geheimnisvollsten Gestalten der ganzen Bibel in Erscheinung tritt: Melchisedek, der König und Priester von Salem.
Man kann das Alte Testament ein Bilderbuch von Gottes Reich nennen, denn an den Geschichten des Alten Testaments wird vieles deutlich, was das Neue Testament dann ohne Bild als Gottes gute Nachricht verkündigt. Der Apostel Paulus hat einmal geschrieben, dass all diese alten Geschichten aus Israel „uns zum Vorbild“ geschehen sind (1. Kor. 10,6). Das gilt auch für Abrahams Begegnung mit dem geheimnisvollen Melchisedek. Dabei bildet sich im König und Priester Melchisedek unser König und Hoherpriester Jesus Christus ab; Abraham aber bildet uns Christen ab, denn das Neue Testament nennt ihn wiederholt den Vaters des Glaubens und ein Vorbild im Gehorsam und in der Treue zu Gott. So wird die Begegnung zwischen Melchisedek und Abraham zu einem Gleichnis für unser Verhältnis zu Jesus. Sehen wir uns die Begegnung unter diesem Blickwinkel jetzt genauer an.
Da heißt es: „Melchisedek, der König von Salem, trug Brot und Wein heraus.“ Wo heraus trug er es? Aus seiner Stadt Salem – das ist der alte Name für Jerusalem. Melchisedek diente Abraham, er speiste und tränkte ihn. Er war kein Priester, der Opfergaben beanspruchte, sondern er war ein Priester, der selbst Opfergaben brachte – Brot und Wein. Seht, so ein Priester ist Jesus auch. Er kam vom Himmel herab, um uns zu dienen. Er beansprucht keine Opfergaben, sondern er bringt uns Opfergaben. Die Opfergabe ist eigentlich er selbst, das Brot des Lebens. Mit seinem Sühnopfer am Kreuz hat er sich selbst für unsere Schuld dahingegeben – das geschah vor den Toren Jerusalems. Im Brot und Wein des Heiligen Abendmahls schenkt er uns sich selbst – in Jerusalem hat er dieses Sakrament für die ganze Christenheit eingesetzt. Jesus speist und tränkt uns unter Brot und Wein mit seinem Leib und Blut – so dient und stärkt er uns, wie Melchisedek damals mit Brot und Wein aus Salem dem Abraham diente und ihn stärkte.
Damals segnete Melchisedek auch den Abraham im Namen des Schöpfers und lobte den Höchsten, der dem Abraham Sieg verliehen hatte. Ebenso hat Jesus uns in der Taufe gesegnet und neu geschaffen als Kinder Gottes. Er hat uns damit den Sieg geschenkt über den Teufel, der uns nun nicht mehr durch die Sünde in den Tod reißen kann. Und auch Jesus hat seinen Vater im Himmel gelobt und ihm gedankt, als er das Heilige Abendmahl einsetzte; ja, eigentlich war sein ganzes Lebenswerk auf Erden ein einziges Gotteslob.
Abraham ist bei dem allen der Empfangende, der Beschenkte. So ist das ja auch mit unserem Christsein: Es ist ein Empfangen und Beschenkt-Werden von Jesus Christus mit den Gnadengaben Gottes. Der christliche Glaube ist seinem Wesen nach grundsätzlich passiv: Er empfängt. Aber er bleibt nicht passiv, sondern er bringt Frucht. Auch dies zeigt sich an Abrahams Begegnung mit Melchisedek, denn im letzten Satz unseres Predigttextes lesen wir: „Abram gab ihm den Zehnten von allem.“ Abraham schenkte Melchisedek zehn Prozent seines gesamten Besitzes – nicht anstandshalber und gezwungenermaßen, sondern aus Dank, aus Freude, aus Ehrerbietung. So soll auch unser Leben ein Dankopfer für Jesus sein. Wir tun gut daran, wenn wir dem Beispiel Abrahams folgen und freiwillig etwas abgeben von unserm Besitz für Jesus Christus und seinen Leib, die Kirche – aus Dank, aus Freude, aus Ehrerbietung. Das mögen zehn Prozent sein von unserem Einkommen oder auch mehr oder auch weniger, je nachdem, wie man es sich in seinem Herzen vornimmt.
Damit führt uns der Predigttext zum Thema Gemeindefinanzen, das ja heute auf unserer Gemeindeversammlung noch eine Rolle spielen wird. An Abraham sehen wir eine von zwei Seiten dieses Themas, denn Gemeindefinanzen haben immer eine geistliche Seite und eine weltliche Seite; und wir tun gut daran, wenn wir das Thema nicht einseitig behandeln. Bei der weltlichen Seite der Gemeindefinanzen schauen wir vor allem auf die Ausgaben: Da ist Geld nötig, um die Gebäude zu erhalten, um das Pfarrergehalt zu finanzieren und um allerlei entstehende Kosten zu bewältigen. Bei der weltlichen Seite schauen wir also auf unseren Bedarf, und da werden die Gemeindeglieder nicht anders um finanzielle Mithilfe gebeten als die Mitglieder in einem Verein. Bei der geistlichen Seite der Gemeindefinanzen schauen wir vor allem auf die Einnahmen: Es sind zum größten Teil Dankopfergaben nach dem Vorbild Abrahams – Gemeindebeiträge, Spenden und Kollektengelder. Anders als in einem Verein stellen wir beglückt fest: das sind Glaubensgelder, Glaubensfrüchte – aus Dank, Freude und Ehrerbietung für den Herrn Jesus Christus und seine Kirche geopfert! Und mit diesen Gaben haben wir die Möglichkeit, Gottesdienste zu feiern, Gottes Wort zu predigen und auch Menschen über den Bereich unserer Gemeinde hinaus am Evangelium teilhaben zu lassen. Da darf es gern auch noch etwas mehr sein, ja viel mehr sogar – es geht ja bei den Gemeindefinanzen nicht um einen begrenzten Bedarf, sondern um unendliche Möglichkeiten, die wir haben, um in die Ausbreitung des Gottesreiches zu investieren. Darum lasst uns das Thema nicht einseitig betrachten, sondern neben der Bedarfsseite die Möglichkeitsseite nicht übersehen – nach dem Vorbild Abrahams, der dem Melchisedek den Zehnten gegeben hat. Amen.
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