Nach vorn schauen

Predigt über Matthäus 26,17‑19 zum Aschermittwoch

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Für viele Menschen ist der Ascher­mittwoch ein trauriger Schluss­punkt nach einer fröhlichen Zeit, der Karnevals­zeit nämlich. Am Ascher­mittwoch ist alles vorbei – das aus­gelassene Treiben der Narren, das Über-die-Stränge-Schlagen, die feucht-fröhlichen Tage und Nächte. Für uns Christen dagegen ist der Ascher­mittwoch ein Anfang: der Anfang einer heiligen Zeit, der 40-tägigen Fastenzeit, der Passions­zeit, der Vor­bereitungs­zeit auf Ostern. Wir Christen schauen nach vorn auf die sieben Wochen, in denen uns das Leiden und Sterben unsers Herrn besonders bewusst werden soll – dazu dienen ja auch unsere Passions­andachten, die wir in den kommenden Wochen halten werden. Wir schauen aber auch über diese Zeit hinaus nach vorn, wenn wir uns in diesen Wochen auf Ostern vor­bereiten, das Fest der Auf­erstehung unsers Herrn, das größte Fest der Christen­heit.

Auch Jesus und seine Jünger haben sich auf die Feste ihrer Zeit vor­bereitet. Zum Passafest, dem höchsten Fest in Israel, waren sie nach Jerusalem gepilgert wie viele andere Juden. Dieses Fest wurde auch „Fest der un­gesäuerten Brote“ genannt, denn sieben Tage lang wurden nur Brote ohne Sauerteig gegessen – das bedeutet: in Eile gebackene Brote. Mit dem Passafest und den un­gesäuerten Broten gedachten sie des Auszugs der Kinder Israel aus Ägypten, aus der Sklaverei. Und wie die Israeliten damals in der Nacht vor dem Auszug ungesäuerte Brote zu sich nahmen und Lammbraten mit bitteren Kräuter und Wein, so feierten die Juden jedes Jahr nach Gottes Willen das Passafest – wenn möglich in Jerusalem, wo der Tempel stand. So hatte sich auch Jesus mit seinen Jünger in die heilige Stadt aufgemacht.

Die Schwierig­keit bestand nun darin, einen passenden Raum für die Feier zu finden. Wir können uns das vorstellen: Wenn Massen von Juden zum Passafest nach Jerusalem strömen, dann werden die Festsäle knapp. So fragten die Jünger ihren Meister sorgenvoll: „Wo willst du, dass wir dir das Passalamm bereiten?“ Jesus schickte sie zu einem bestimmten Mann, von dem er im Voraus wusste, dass dort noch ein Raum zum Feiern zu haben ist. Die Evan­gelisten Markus und Lukas berichten ergänzend, dass die Jünger einer Person mit Wasserkrug folgen sollten, dann würden sie den richtigen Gastgeber schon finden; aber hier im Matthäus-Evangelium wird das nicht erwähnt. Jedenfalls fanden die Jünger alles so, wie Jesus es ihnen vorher­gesagt hatte. Sie konnten dann alles zum Passafest vorbereiten – Jesu letztem Passafest auf Erden in der Nacht, als er verraten wurde, einen Tag vor seinem Tod. Sie konnten jenes Passafest vor­bereiten, bei dem der Herr ihnen dann das Heilige Abendmahl stiftete.

Wenn wir uns diese kurze Begebenheit im Matthäus-Evangelium ansehen, dann stoßen wir auf einen Satz, der aus dem Rahmen fällt. Es ist ein Satz, der zu der kurz ge­schilderten Begebenheit des Raum-Findens eigentlich gar keinen Bezug hat. Es ist ein Satz, den auch nur der Evangelist Matthäus überliefert hat; bei den anderen Evange­listen ist er nicht zu finden. Es ist der Anfang der Worte, die die Jünger dem Besitzer des festlichen Raums im Namen Jesu ausrichten sollten. Der Satz lautet: „Der Meister lässt dir sagen: Meine Zeit ist nahe.“

„Meine Zeit ist nahe“ – warum hat Jesus diese Worte ausrichten lassen? Jesus bat um einen Raum für sich und seine Jünger, um das Passafest zu feiern. Diese gemeinsame Feier war ihm sehr wichtig, und diese Wichtigkeit hat er durch seine Jünger begründen lassen. Mit dem Satz „Meine Zeit ist nahe“ zeigte Jesus, dass die Wichtigkeit und Bedeutung dieses Festes für ihn nicht in erster Linie in der Vergangen­heit lag, sondern in der Zukunft. Er ließ also nicht zur Begründung ausrichten: Wir brauchen den Raum, damit wir angemessen des Auszugs aus Ägypten gedenken können, oder damit wir die Passa­tradition bei uns am Leben erhalten wie schon viele Gene­rationen vor uns, sonder er sagte: „Wir brauchen den Raum, weil meine Zeit nahe ist.“ Jesus brauchte den Raum im Blick auf die Zukunft. Er brauchte diesen Raum, um seine Jünger auf das Kommende vor­zubereiten, auf seine Zeit – die Zeit des Leidens, die Zeit des Sterbens, die Zeit des Auf­erstehens. Jesus brauchte diesen Raum, um für all Jünger aller Zeiten das Abendmahl zu stiften im Blick auf seine Zeit, sein Erlösungs­werk. „Meine Zeit ist nahe“ – in diese Worte kleidete Jesus, was ihm an diesem Tag besonders am Herzen lag: die Erlösung der ganzen Menschheit, die unmittelbar vor ihm lag.

Voraus­schauen, auf das Wesentliche sehen, die Erlösung in den Blick nehmen, das ist unsers Herrn Art. Ja, das ist Gottes Art seit alters her. Schon als die Israeliten ihr erstes Passafest feierten, noch in Ägypten, da schauten sie voraus auf ihre Erlösung, die Befreiung aus der Knecht­schaft; das ungesäuerte Brot war Zeichen für den eiligen Aufbruch. Als Jesus begann zu predigen, rief er den Menschen zu: „Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbei­kommen“ (Matth. 4,17). Gottes Herrschaft stand unmittelbar bevor, darauf sollten sich die Menschen einstellen. Ihr altes Leben aber und die Knecht­schaft der Sünde sollten sie hinter sich lassen. Einem, der sein Jünger werden wollte, sagte Jesus: „Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes“ (Lukas 9,62). Voraus­schauend soll ein Jünger leben, auf die Zukunft aus­gerichtet, auf das nahe Gottesreich in der Herrschaft Jesu Christi. Und in der Vor­bereitung des letzten Passamahls mit den Jüngern war dann auch kein Hauch wehmütigen Rückblicks, keine bloße Tradition, keine Nostalgie, sondern der klare Blick voraus in die Zukunft, der klare Blick auf das bevor­stehende Erlösungs­werk: „Meine Zeit ist nahe.“

So, liebe Gemeinde, wollen wir den Ascher­mittwoch begehen. So wollen wir auch durch die Passions­zeit schreiten. Es geht uns ja nicht darum, irgend­welche verstaubten Traditionen am Leben zu erhalten. Es geht uns nicht darum, aus Prinzip konservativ zu sein. Als Christen sind wir voraus­schauende Leute. Wir nehmen die vor uns liegende Passions­zeit in den Blick und wollen sie so begehen, dass Christus und sein Heil dabei im Mittelpunkt stehen. Und wenn wir diesen Tag und diese Zeit in Buße begehen, vielleicht auch mit Fasten als Zeichen der Buße, dann nicht, weil wir uns rück­blickend so viel mit unseren Sünden be­schäftigen wollen. Nein, Buße ist genau das Gegenteil: Wir wollen uns lösen von den Sünden der Vergangen­heit und wollen künftig ein neues Leben führen ohne Sünde. Weil uns das freililch aus eigener Kraft nicht gelingt, nehmen wir Gottes Hilfe in Anspruch und lassen uns durch seinen Sohn Jesus Christus erlösen. Wie Gott einst die Israeliten aus der ägyptischen Sklaverei in die Freiheit führte, so führt er uns durch die Buße aus der Knecht­schaft der Sünde in die Freiheit der Gottes­kinder. Wir blicken nach vorn und können aufatmen. Wir blicken nach von und sehen da schon die Osterzeit vor uns liegen; wir sehen nach Leiden und Sterben die Herrlich­keit der Auf­erstehung auf uns zukommen. Und wir blicken noch weiter – erleuchtet im Glauben durch unsern Herrn Jesus Christus: Wir blicken auf das Ende der alten Welt und den Anfang der neuen. Wir erwarten den wieder­kommenden Jesus, wenn er kommen wird, die Menschen zu richten und die Seinen zur vollendeten Seligkeit zu führen. „Meine Zeit ist nahe“, sagte Jesus damals seinen Jüngern. „Meine Zeit ist nahe“, sagt er uns auch heute. Und wir blicken nach vorn, auch in dieser Passions­zeit, dem nahenden Herrn entgegen und unserer Erlösung. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2008.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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