Liebe Brüder und Schwestern in Christus!
Habt ihr gute Vorsätze zum Jahreswechsel? Ich hatte einen, der hat sich aber schon wieder zerschlagen. Ich wollte den Stromanbieter wechseln. Mir lag das Angebot eines neuen Stromanbieters vor, und der Vorteil war klar zu ersehen: Ich würde im Jahr 70 Euro sparen, vielleicht sogar 100. Allerdings erwies sich dann alles komplizierter als gedacht. Es kamen noch billigere Stromanbieter ins Bild; allerdings mussten dabei die Unterschiede in den Geschäftsbedingungen genau bedacht werden – Vertragslaufzeit, Grundgebühren, Abschlagsintervalle, Vorkasse und dergleichen. Weil ich in der Advents- und Weihnachtszeit vorwiegend andere Dinge im Kopf hatte als Strom, ließ ich die Sache schleifen und versäumte auf diese Weise den Kündigungstermin bei meinem alten Stromanbieter. Jetzt bleibt erstmal alles beim Alten. Vielleicht ist das gar nicht schlecht, vielleicht aber doch; man weiß das nie so genau in der heutigen Geschäftswelt. Sicher könnt ihr ähnliche Geschichten erzählen, vielleicht im Blick auf Telefonanbieter oder Gasanbieter oder Staubsauger-Vertreter. Unzählige werbende Stimmen wehen uns andauernd um den Kopf und vesprechen uns die erstaunlichsten Vorteile und den größten Nutzen. Unser Herz ist hin- und hergerissen, wir sind verlockt und misstrauisch zugleich. Unser Herz treibt unter all den werbenden Stimmen dahin wie ein Blatt im Wind.
Nun sind das ja eigentlich Lappalien. Es gibt andere Stimmen, die unser Leben viel direkter betreffen. Viele Stimmen wollen uns zum Beispiel Wege zeigen, wie wir gesünder leben können an Leib uns Seele. Da will uns jemand die neuste Diät aufschwatzen. Da werden Medikamente mit geheimnisvollen natürlichen Heilkräften angeboten oder Armbänder mit wunderwirkender Magnetkraft. Psychologen und gute Freunde geben Tipps, wie man unbeschwerter durchs Leben spazieren kann. Politische Schlagwörter wehen uns um die Ohren wie „Mindestlohn“ oder „garantierte Kinderbetreuung“; es fällt uns schwer, alles richtig einzuordnen und zu erkennen, was denn nun wirklich von Vorteil wäre. Sekten machen Heilsangebote, Religionen konkurrieren miteinander – wer hat recht, wer hat die Wahrheit? Auch im Bereich des christlichen Glaubens und der christlichen Kirche sind wir vielen verschiedenen Stimmen ausgesetzt, die alle ihre Vorteile anpreisen und zu sich einladen. Hat der Papst recht oder die mehrheitsfähige Theologie des 20. Jahrhunderts? Liegt die Wahrheit mehr bei den Pfingstlern oder bei den Evangelikalen oder den Lutheranern? Sind wir gut beraten, an Jahrhunderte alten Gottesdienstformen festzuhalten, oder wäre es nicht besser, zeitgemäße Formen zu verwenden? Und welches Konzept für Evangelisation und Gemeindewachstum ist denn wohl das richtige? Selbst wer sich nur auf die Bibel verlässt, ist unter Umständen verwirrt, weil er auch in ihr scheinbar ganz verschiedene Stimmen findet: Da sind zum Beispiel einerseits die Speise- und Opfervorschriften des Alten Testaments, die manchmal spitzfindig bis in die Einzelheiten gehen, und da ist andererseits die große Freiheit der Gotteskinder, wo nur die Liebe zählt. Da ist einerseits von Gottes Zorn die Rede, von grausamen Kriegen und Strafgerichten, andererseits aber von Gottes abgrundtiefer Liebe zu allen Menschen. Was gilt? Was zählt? Welchen Stimmen sollen wir folgen? Unser Herz treibt unter all diesen Stimmen dahin wie ein Blatt im Wind.
„Es ist ein köstlich Ding, dass das Herz fest werde“, heißt es in unserem Bibelwort. Wie aber kann ein Blatt fest werden, das im Wirbelwind hin und her getrieben wird? Es kann nur fest werden, wenn etwas Gewichtiges darauf gelegt wird, eine Art Briefbeschwerer, ein Herz-Beschwerer sozusagen. Und nun die gute Nachricht: Diesen köstlichen Herz-Beschwerer gibt es; er wird in unserem Gotteswort auch ausdrücklich benannt: „Es ist ein köstlich Ding, dass das Herz fest werde, welches geschieht durch Gnade.“ Gottes Gnade ist es, was das Herz fest macht. Gott lässt Gnade vor Recht ergehen, das erfahren wir durch seinen Sohn Jesus Christus. Sein Evangelium, die Frohe Botschaft von unserer Rettung allein aus Gnade allein durch Glauben, die macht unser Herz gewiss und fest in all den Winden und Stimmen, die es umhertreiben wollen.
So ist das Wort von Gottes Gnade in Jesus Christus der Schlüssel zum Verständnis der Heiligen Schrift. Wer die Bibel in ihrem Gesamtzeugnis kennenlernt, der merkt, dass Gottes Zorn über unsere Sünde zwar sehr groß ist, seine vergebende Gnade ist aber noch größer und überwindet den Zorn. Wer die Bibel in ihrem Gesamtzeugnis kennenlernt, der merkt, dass viele Einzelvorschriften des Alten Testaments nur vorläufigen Charakter hatten bis zum Kommen des Erlösers; sie haben lediglich mitgeholfen, sein Kommen vorzubereiten. Darum haben viele Einzelvorschriften des Mose-Gesetzes keine Bedeutung mehr für uns; unser Bibeltext sagt ganz ausdrücklich: Die Speisegebote haben keinen Nutzen. Die Botschaft von Gottes Gnade in Jesus Christus ist der Hauptartikel der christlichen Lehre; alles andere in der christlichen Lehre bezieht sich darauf oder ist davon abgeleitet – dies ist auch das sachgemäße Zeugnis der lutherischen Bekenntnisschriften. Der 7. Artikel der Augsburger Konfession stellt klar, dass für die wahre Einheit der Kirche keine Übereinstimmung in äußeren Zeremonien nötig ist, sondern allein die Übereinstimmung in der Evangeliumsverkündigung und im Gebrauch der Sakramente. Da wird das Herz fest unter allen Stimmen im Raum der Kirchen und der Christenheit; da lernen wir die Spreu vom Weizen trennen: Wo Gottes Gnade im Mittelpunkt steht, wo das Kreuz Christi gepredigt wird, wo Sünde klar beim Namen genannt und dann auch vergeben wird, wo Taufe und Abendmahl als wirkkräftige göttliche Gnadengaben angesehen und gebraucht werden, da ist die Kirche Jesu Christi, gleich ob sie sich nun lutherisch nennt oder nicht. Wo dagegen Christus zur Randfigur wird, wo seine Gottheit und sein Erlösungswerk angezweifelt werden, wo menschliche Frömmigkeit und menschliches Handeln im Mittelpunkt stehen anstelle von Gottes Gnadengaben, da wehen fremde Lehren durchs Land,wie es schon immer der Fall war und wie es bis zum Jüngsten Tag bleiben wird. Darum ist die Mahnung unseres Bibelworts stets aktuell: „Lasst euch nicht durch mancherlei fremde Lehre umtreiben!“ Wie gesagt, das geht nur, wenn wir Gottes Gnade vertrauen und mit Jesus leben; dann wird unser Herz fest und kann nicht mehr hin- und her getrieben werden.
Gottes Gnade hilft uns auch, mit all den anderen Stimmen umzugehen, die außerhalb von Kirche und Christenheit auf uns einstürmen. Es ist zwar nicht so, dass Gottes Wort und Gottes Geist uns Antwort geben würden auf alle Lebensfragen bis hin zu der Frage, welchen Stromanbieter wir denn bevorzugen sollten. Aber all diese Stimmen werden uns dann nicht mehr beunruhigen und nicht mehr so stark umtreiben, denn das Herz ruht ja geborgen unter Gottes Gnade. Wir können gelassen sein, in Ruhe unsere Entscheidungen treffen, manches auch unentschieden lassen. Selbst wenn wir uns falsch entscheiden, selbst wenn wir Fehler machen, wissen wir: damit ist Gottes Liebe nicht in Frage gestellt; auch dürfen wir ja immer wieder neu anfangen, wenn Dinge falsch gelaufen sind. Ja, die Gnade Gottes ist ein ganz köstlicher Herz-Beschwerer, ein ganz wertvoller Gegenstand, wie aus lauter Gold und Edelsteinen gefertigt! Wer so einen Schatz besitzt, der hat es nicht nötig, sich um die Lappalien dieser Welt zu zersorgen.
Kurz: Wenn wir denn von guten Vorsätzen zum Jahreswechsel reden, dann sollte es vor allem der eine Vorsatz sein: Dass wir uns stets an Gottes Gnade erinnern, unter ihr geborgen wissen und nicht vergessen, dass sie das größte Gewicht in unserem Leben hat. Alle Winde, die dann kommen und unser Herz umtreiben mögen, ob in Kirche oder Welt, alle diese Winde können uns dann nichts anhaben. Sie mögen am Herzen rütteln und zerren, aber sie können es nicht mehr umhertreiben wie ein verloren gegangenes Blatt. „Lasst uns nicht durch mancherlei und fremde Lehre umtreiben, denn es ist ein köstlich Ding, dass das Herz fest werde, welches geschieht durch Gnade.“ Amen.
PREDIGTKASTEN |