Wovon das Herz fest wird

Predigt über Hebräer 13,9 zum Altjahrsabend

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Habt ihr gute Vorsätze zum Jahres­wechsel? Ich hatte einen, der hat sich aber schon wieder zer­schlagen. Ich wollte den Strom­anbieter wechseln. Mir lag das Angebot eines neuen Strom­anbieters vor, und der Vorteil war klar zu ersehen: Ich würde im Jahr 70 Euro sparen, vielleicht sogar 100. Allerdings erwies sich dann alles kompli­zierter als gedacht. Es kamen noch billigere Strom­anbieter ins Bild; allerdings mussten dabei die Unter­schiede in den Geschäfts­bedingungen genau bedacht werden – Vertrags­laufzeit, Grund­gebühren, Abschlags­intervalle, Vorkasse und der­gleichen. Weil ich in der Advents- und Weihnachts­zeit vorwiegend andere Dinge im Kopf hatte als Strom, ließ ich die Sache schleifen und versäumte auf diese Weise den Kündigungs­termin bei meinem alten Strom­anbieter. Jetzt bleibt erstmal alles beim Alten. Vielleicht ist das gar nicht schlecht, vielleicht aber doch; man weiß das nie so genau in der heutigen Geschäfts­welt. Sicher könnt ihr ähnliche Geschichten erzählen, vielleicht im Blick auf Telefon­anbieter oder Gasanbieter oder Staubsauger-Vertreter. Unzählige werbende Stimmen wehen uns andauernd um den Kopf und vesprechen uns die erstaun­lichsten Vorteile und den größten Nutzen. Unser Herz ist hin- und her­gerissen, wir sind verlockt und miss­trauisch zugleich. Unser Herz treibt unter all den werbenden Stimmen dahin wie ein Blatt im Wind.

Nun sind das ja eigentlich Lappalien. Es gibt andere Stimmen, die unser Leben viel direkter betreffen. Viele Stimmen wollen uns zum Beispiel Wege zeigen, wie wir gesünder leben können an Leib uns Seele. Da will uns jemand die neuste Diät auf­schwatzen. Da werden Medikamente mit geheimnis­vollen natürlichen Heilkräften angeboten oder Armbänder mit wunder­wirkender Magnet­kraft. Psychologen und gute Freunde geben Tipps, wie man un­beschwerter durchs Leben spazieren kann. Politische Schlag­wörter wehen uns um die Ohren wie „Mindest­lohn“ oder „garan­tierte Kinder­betreuung“; es fällt uns schwer, alles richtig einzuordnen und zu erkennen, was denn nun wirklich von Vorteil wäre. Sekten machen Heils­angebote, Religionen kon­kurrieren miteinander – wer hat recht, wer hat die Wahrheit? Auch im Bereich des christ­lichen Glaubens und der christ­lichen Kirche sind wir vielen ver­schiedenen Stimmen ausgesetzt, die alle ihre Vorteile anpreisen und zu sich einladen. Hat der Papst recht oder die mehrheits­fähige Theologie des 20. Jahr­hunderts? Liegt die Wahrheit mehr bei den Pfingstlern oder bei den Evangeli­kalen oder den Luthe­ranern? Sind wir gut beraten, an Jahr­hunderte alten Gottes­dienstformen fest­zuhalten, oder wäre es nicht besser, zeitgemäße Formen zu verwenden? Und welches Konzept für Evangeli­sation und Gemeinde­wachstum ist denn wohl das richtige? Selbst wer sich nur auf die Bibel verlässt, ist unter Umständen verwirrt, weil er auch in ihr scheinbar ganz ver­schiedene Stimmen findet: Da sind zum Beispiel einerseits die Speise- und Opfer­vorschriften des Alten Testaments, die manchmal spitzfindig bis in die Einzel­heiten gehen, und da ist anderer­seits die große Freiheit der Gottes­kinder, wo nur die Liebe zählt. Da ist einerseits von Gottes Zorn die Rede, von grausamen Kriegen und Straf­gerichten, anderer­seits aber von Gottes abgrund­tiefer Liebe zu allen Menschen. Was gilt? Was zählt? Welchen Stimmen sollen wir folgen? Unser Herz treibt unter all diesen Stimmen dahin wie ein Blatt im Wind.

„Es ist ein köstlich Ding, dass das Herz fest werde“, heißt es in unserem Bibelwort. Wie aber kann ein Blatt fest werden, das im Wirbelwind hin und her getrieben wird? Es kann nur fest werden, wenn etwas Gewichtiges darauf gelegt wird, eine Art Brief­beschwerer, ein Herz-Beschwerer sozusagen. Und nun die gute Nachricht: Diesen köstlichen Herz-Beschwerer gibt es; er wird in unserem Gotteswort auch aus­drücklich benannt: „Es ist ein köstlich Ding, dass das Herz fest werde, welches geschieht durch Gnade.“ Gottes Gnade ist es, was das Herz fest macht. Gott lässt Gnade vor Recht ergehen, das erfahren wir durch seinen Sohn Jesus Christus. Sein Evangelium, die Frohe Botschaft von unserer Rettung allein aus Gnade allein durch Glauben, die macht unser Herz gewiss und fest in all den Winden und Stimmen, die es umher­treiben wollen.

So ist das Wort von Gottes Gnade in Jesus Christus der Schlüssel zum Verständnis der Heiligen Schrift. Wer die Bibel in ihrem Gesamt­zeugnis kennen­lernt, der merkt, dass Gottes Zorn über unsere Sünde zwar sehr groß ist, seine vergebende Gnade ist aber noch größer und überwindet den Zorn. Wer die Bibel in ihrem Gesamt­zeugnis kennen­lernt, der merkt, dass viele Einzel­vorschriften des Alten Testaments nur vorläufigen Charakter hatten bis zum Kommen des Erlösers; sie haben lediglich mit­geholfen, sein Kommen vor­zubereiten. Darum haben viele Einzel­vorschriften des Mose-Gesetzes keine Bedeutung mehr für uns; unser Bibeltext sagt ganz aus­drücklich: Die Speise­gebote haben keinen Nutzen. Die Botschaft von Gottes Gnade in Jesus Christus ist der Haupt­artikel der christ­lichen Lehre; alles andere in der christ­lichen Lehre bezieht sich darauf oder ist davon abgeleitet – dies ist auch das sachgemäße Zeugnis der luthe­rischen Bekenntnis­schriften. Der 7. Artikel der Augsburger Konfession stellt klar, dass für die wahre Einheit der Kirche keine Überein­stimmung in äußeren Zeremonien nötig ist, sondern allein die Überein­stimmung in der Evangeliums­verkündigung und im Gebrauch der Sakramente. Da wird das Herz fest unter allen Stimmen im Raum der Kirchen und der Christen­heit; da lernen wir die Spreu vom Weizen trennen: Wo Gottes Gnade im Mittelpunkt steht, wo das Kreuz Christi gepredigt wird, wo Sünde klar beim Namen genannt und dann auch vergeben wird, wo Taufe und Abendmahl als wirk­kräftige göttliche Gnadengaben angesehen und gebraucht werden, da ist die Kirche Jesu Christi, gleich ob sie sich nun lutherisch nennt oder nicht. Wo dagegen Christus zur Randfigur wird, wo seine Gottheit und sein Erlösungs­werk an­gezweifelt werden, wo menschliche Frömmigkeit und mensch­liches Handeln im Mittelpunkt stehen anstelle von Gottes Gnaden­gaben, da wehen fremde Lehren durchs Land,wie es schon immer der Fall war und wie es bis zum Jüngsten Tag bleiben wird. Darum ist die Mahnung unseres Bibelworts stets aktuell: „Lasst euch nicht durch mancherlei fremde Lehre umtreiben!“ Wie gesagt, das geht nur, wenn wir Gottes Gnade vertrauen und mit Jesus leben; dann wird unser Herz fest und kann nicht mehr hin- und her getrieben werden.

Gottes Gnade hilft uns auch, mit all den anderen Stimmen umzugehen, die außerhalb von Kirche und Christen­heit auf uns einstürmen. Es ist zwar nicht so, dass Gottes Wort und Gottes Geist uns Antwort geben würden auf alle Lebens­fragen bis hin zu der Frage, welchen Strom­anbieter wir denn bevorzugen sollten. Aber all diese Stimmen werden uns dann nicht mehr beunruhigen und nicht mehr so stark umtreiben, denn das Herz ruht ja geborgen unter Gottes Gnade. Wir können gelassen sein, in Ruhe unsere Ent­scheidungen treffen, manches auch un­entschieden lassen. Selbst wenn wir uns falsch ent­scheiden, selbst wenn wir Fehler machen, wissen wir: damit ist Gottes Liebe nicht in Frage gestellt; auch dürfen wir ja immer wieder neu anfangen, wenn Dinge falsch gelaufen sind. Ja, die Gnade Gottes ist ein ganz köstlicher Herz-Beschwerer, ein ganz wertvoller Gegenstand, wie aus lauter Gold und Edelsteinen gefertigt! Wer so einen Schatz besitzt, der hat es nicht nötig, sich um die Lappalien dieser Welt zu zersorgen.

Kurz: Wenn wir denn von guten Vorsätzen zum Jahres­wechsel reden, dann sollte es vor allem der eine Vorsatz sein: Dass wir uns stets an Gottes Gnade erinnern, unter ihr geborgen wissen und nicht vergessen, dass sie das größte Gewicht in unserem Leben hat. Alle Winde, die dann kommen und unser Herz umtreiben mögen, ob in Kirche oder Welt, alle diese Winde können uns dann nichts anhaben. Sie mögen am Herzen rütteln und zerren, aber sie können es nicht mehr umher­treiben wie ein verloren gegangenes Blatt. „Lasst uns nicht durch mancherlei und fremde Lehre umtreiben, denn es ist ein köstlich Ding, dass das Herz fest werde, welches geschieht durch Gnade.“ Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2007.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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