Diagnose und Therapie

Predigt über Offenbarung 3,1‑5 zum 2. Advent

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Manche Menschen sind so schwer krank, dass es fraglich erscheint, ob sie wieder gesund werden. Der Mediziner sagt: Ihr Zustand ist kritisch. Das bedeutet: Ihr Leben steht auf der Kippe. Die Krankheit ist so ernst oder es sind so viele Organe und Lebens­funktionen betroffen, dass der baldige Tod zu befürchten ist; es kann aber auch noch eine Wende zur Besserung eintreten. Manche Patienten im kritischen Zustand liegen im Krankenhaus auf der Intensiv­station, teilweise sogar im künstlichen Koma. Anderen Menschen sieht man nicht an, dass ihr Leben auf der Kippe steht, Krebs­kranken zum Beispiel, wenn die Krankheit noch nicht im Endstadium ist. Wenn ein Arzt diagnosti­ziert, dass der Zustand eines Patienten kritisch ist, und wenn er ein guter Arzt ist, dann wird er mit allen thera­peutischen Mitteln um das Leben des Patienten kämpfen, denn ein Menschen­leben ist äußerst wertvoll.

Äußerst wertvoll – und dennoch gibt es etwas, das noch wertvoller ist als ein Menschen­leben: das Heil unserer Seelen. Wichtiger als das leibliche Leben ist es, im Leben und Sterben zu Gott zu gehören, am Jüngsten Tag in seinem Gericht zu bestehen und dann in den Himmel zu kommen. Es gibt nichts Erstrebens­werteres als den Himmel, die ewige Seligkeit bei Gott. Und es gibt nichts Furcht­bareres als die Hölle, den Ort der endgültigen Strafe und Gottes­ferne. Wer durch Jesus zu Gott gehört, den nennt die Bibel lebendig – lebendig im geistlichen Sinn. Wer aber nicht zu Gott gehört, den nennt die Bibel tot – geistlich tot. Das geistliche Leben ist wertvoller als das leibliche Leben; der geistliche Tod ist schreck­licher als der leibliche Tod.

In unserem Predigttext geht es um Leben und Tod – um geistliches Leben und geistlichen Tod. Jesus Christus selbst ließ diese Botschaft für die Gemeinde in Sardes auf­schreiben (das war eine von den sieben christ­lichen Gemeinden, denen die sogenannten sieben Send­schreiben der Offenbarung des Johannes zuerst galten). Der Zustand der Gemeinde in Sardes war kritisch; sie war geistlich schwer krank; sie war dem geistlichen Tod nahe. Dabei sah man ihr das nicht an; nach außen hin machte sie den Eindruck einer lebendigen Gemeinde. Jesus urteilte: „Du hast den Namen, dass du lebst, und bist tot“ – scheinbar lebendig und doch praktisch schon tot, wie ein hoffnungs­los Krebs­kranker. „Du hast den Namen, dass du lebst, und bist tot“ – was bedeutet das für eine christliche Gemeinde? Es bedeutet: Sie wird für eine lebendige Gemeinde gehalten, weil viele Ver­anstaltun­gen und Aktivitäten in ihr laufen, aber alle Betriebsam­keit läuft nur zum eigenen Vergnügen oder um damit vor anderen zu glänzen, nicht aus Liebe zum Herrn und aus Liebe zu den Mitmenschen – besonders zu denen, die Hilfe nötig haben. Sie hat viele Mitglieder, die Kirche und Christentum an sich gut finden, die aber im persön­lichen Leben nicht danach fragen, was der Herr Jesus Christus von ihnen erwartet. Sie hat schöne Gebäude und ver­anstaltet feierliche Gottes­dienste, aber ein großer Teil der Gemeinde­glieder lässt sich kaum blicken. Sie hat Mitglieder, die die Kirche zwar finanziell unter­stützen und auch ab und zu mal vorbei­schauen, die sich aber nicht um Gottes Gebote kümmern; sie leben gesetzlos, rücksichts­los und lieblos. Sie „besudeln ihre Kleider“, heißt es in unserem Predigt­text, sie machen die schönen weißen Kleider der Gerechtig­keit Christi, die ihnen mit der Taufe geschenkt wurden, fahrlässig schmutzig mit ihren Sünden. Und die so leben, sind nicht wenige, und sie werden immer mehr; die Krankheit des Abfalls greift um sich; immer mehr Gemeinde­glieder ziehen sich innerlich und äußerlich aus der christ­lichen Gemeinde zurück; sie fragen nicht mehr nach dem Leib Christi; sie sind geistlich krank, vielleicht auch schon geistlich tot. Nur ein kleiner Rest Getreuer ist noch übrig, „die ihre Kleider nicht besudelt haben“, wie es in dem Brief an Sardes heißt. So eine Gemeinde ist in einem kritischen Zustand, auch wenn sie äußerlich noch aktiv und lebendig erscheint. Sie steht auf der Kippe, und wenn nicht bald eine Wende zum Besseren eintritt, wird sie sterben, wird sie aufhören zu existieren. Unsere evangelisch-lutherische Gemeinde in Fürsten­walde ist so eine Gemeinde; wir können Christi Offen­barungs-Send­schreiben an Sardes direkt auf uns beziehen.

Solltest du, lieber Mitchrist, diese Diagnose auch auf dich persönlich beziehen? Ist dein persön­licher Glaube auch in einem kritischen Zustand? Besudelst du dein weißes Kleid der Gerechtig­keit Christi achtlos mit Sünden? Prüfe dich: Hast du den Herrn Jesus Christus lieb – lieber als alles andere? Hast du deine Mitmenschen lieb – ebenso lieb wie dich selbst? Bist du auf dem Rückzug aus der Gemeinde – innerlich, vielleicht auch äußerlich? Erscheinen dir Gottes Wort und das Heilige Abendmahl nichts­sagend, langweilig, ent­behrlich? Du musst das selbst wissen, du musst dich selbst prüfen, um fest­zustellen, ob du auf der Kippe stehst oder nicht. Ich kann dir nur sagen: Diese Selbst­prüfung ist kein frommes Hobby, denn es geht hier ja um Leben und Tod. Es steht etwas noch Wichtigeres auf dem Spiel als dein leibliches Leben in dieser Welt: Es steht die ewige Seligkeit auf dem Spiel. Jesus warnt: „Wenn du nicht wachen wirst, werde ich kommen wie ein Dieb, und du wirst nicht wissen, zu welcher Stunde ich über dich kommen werde.“ Wenn dein Leben in dieser Welt zu Ende ist, und du gehörst nicht zu Jesus, dann wird dir dann das Wert­vollste, was es gibt, weggenommen werden, das ewige Leben mit Gott.

Lieber Mitchrist, wenn ich dir das mit Gottes Wort so deutlich vorhalte, dann handle ich als Seelsorger wie ein Arzt. Mein Amt als Pastor gebietet es, eine ehrliche Diagnose zu stellen. Jesus selbst erwartet es von mir. Sein Send­schreiben an die Gemeinde Sardes hat er bewusst an den „Engel der Gemeinde“ geschickt; damit ist in diesem Fall kein Himmelsbote gemeint, sondern ein mensch­licher Bote, nämliche der Evangeliums­bote, den Gott beauftragt hat, in dieser Gemeinde sein Wort vollmächtig zu verkünden. Damit ist also das Hirtenamt gemeit, das Amt des Pastors, das ich in dieser Gemeinde hier ausübe. Nach Christi Willen und Befehl bin ich der bevoll­mächtigte Evangeliums­bote der evangelisch-luthe­rischen Gemeinde in Fürsten­walde, oder, wenn ihr so wollt, der „Engel der Gemeinde in Fürsten­walde“. In dieser Eigenschaft soll ich freilich nicht nur zu einer ehrlichen Diagnose im Licht von Gottes Gesetz beitragen, sondern auch und vor allem zu einer hilfreichen Therapie durch die Kraft seiner frohen Botschaft de Evan­geliums. Wenn ich ein guter Seelsorger sein will, dann muss ich wie ein guter Arzt um das Leben des Patienten kämpfen, muss sorgfältig sein in der Diagnose jedes einzelnen Organs und des ganzen Organismus', und sorgfältig auch in der Therapie.

Was ist nun die Therapie? Auch über die Therapie für Sardes und für andere kritisch kranke Gemeinden steht etwas in Jesu Brief. Da heißt es zunächst: „Werde wach!“ Mit „wach“ meint Jesus immer die Wachheit des Glaubens. „Werde wach“, das heißt: Schenke Jesus aufs neue dein Vertrauen! Mach ernst damit, dass er dabei ist in deinem Leben, jeden Tag, jede Stunde! Glaube ihm, dass er dich beschützen wird, dass er dich gut führen wird! Halte auch in schweren Zeiten am Vertrauen fest, in Krankheit, in Angst, in Trauer, in Stress, in wirtschaft­licher Not und was sonst alles auf dich einstürmen mag! Vertraue Jesus, dass er dich auf dem richtigen Weg in den Himmel führt! Vertraue ihm auch, wo er seinen Jüngern Anweisungen und Richtlinien fürs Leben mitgegeben hat; glaube daran, dass die gut und richtig sind, und halte dich daran! Freilich kannst du dir diese Wachheit des Glaubens nicht einreden. Wer krampfhaft mit eigener Willens­kraft zu glauben versucht, bei dem wird der Glaube zum Krampf. Es geht nämlich nur anders. Jesus sagte: „So denke nun daran, wie du empfangen und gehört hast, und halte es fest und tue Buße!“ Es geht also nur so: Wir müssen uns immer wieder neu besinnen auf das, was wir von Anfang an „empfangen und gehört“ haben, auf das Wort Gottes, auf die Apostel­lehre, auf die Worte und Geschichten der Heiligen Schrift. Wir müssen uns immer wieder neu besinnen auf unsere Taufe, wo uns das strahlend weiße Kleid der Gerechtig­keit Chrsiti angelegt wurde und wo wir als Gottes­kinder angenommen wurden. Und beim Heiligen Abendmahl müssen wir uns darauf besinnen, dass Christus seinen Leib und sein Blut uns zugut in den Tod dahin­gegeben hat – den Leib und das Blut, die wir im Sakrament empfangen. Er selbst hat ja geboten: „Solches tut zu meinem Gedächt­nis.“ Das eigentlich ist Buße, das ist die Umkehr, die Jesus von uns erwartet, das ist die Therapie, die vor dem sicheren geistlichen Tod rettet: dass wir uns auf Gottes Wort besinnen, auf die heilende Kraft des Evan­geliums, die auch in den Sakramenten steckt, und dass wir davon reichlich Gebrauch machen.

Diese Therapie gilt nicht nur für jeden einzelnen glaubens­kranken Christen, sie gilt auch gemeinschaft­lich für jede Gemeinde, die auf der Kippe steht zwischen geistlichem Leben und geistlichem Tod. Wobei Jesus noch zusätzlich den Rat gibt: „Stärke das andre, das sterben will.“ Es darf uns nicht egal sein, was aus den Gemeinde­gliedern wird, die sich innerlich und äußerlich von unserer Gemein­schaft zurück­ziehen. Wir müssen um sie kämpfen, so wie ein guter Arzt um das Leben eines kritschen Patienten kämpft. Das ist meine Aufgabe als Pastor, das ist auch Aufgabe der Kirchen­vorsteher, und grund­sätzlich kann dabei jedes Gemeinde­glied mithelfen, denn Jesus sagt ja der ganzen Gemeinde: „Stärke das andre, das sterben will.“ Freilich können wir nicht erzwingen, dass jemand umkehrt und zu lebendiger Gemeinde­gliedschaft zurück­findet; wenn wirklich nicht das kleinste Fünkchen geistlichen Lebens mehr wahr­zunehmen ist, müssen wir so ehrlich sein und den Tod fest­stellen. Kein Arzt kann erzwingen, dass ein Patient überlebt – aber er kann alles, was in seiner Macht steht, daran setzen. Und das heißt in unserem Fall: Wir wollen uns in unserer Gemeinde gegenseitig immer wieder vor Augen führen, worum es hier eigentlich geht und was auf dem Spiel steht, wollen damit zugleich an Christus erinnern, an seine Liebe und an sein Evangelium, also an die einzig wirksame Therapie.

Ja, liebe Gemeinde, es geht hier nicht um ein frommes Hobby oder um die Befriedi­gung irgend­welcher religiösen Bedürf­nisse, die einige haben und andere eben nicht. Es geht um Leben und Tod, um geistliches Leben und geistlichen Tod, um Himmel und Hölle, um ewige Seligkeit und ewige Verdammnis. Lasst uns Gott bitten, dass wir die Krise überwinden – jeder seine persönliche Glaubens­krise, sowie auch die Krise unserer Gemeinde, sowie auch die Krise, in der die ganze Christen­heit in unserem Land gegenwärtig steckt. Wir können es mutig und zuversicht­lich tun, wenn wir dabei die herrliche Verheißung unseres Herrn Jesus Christus vor Augen haben: „Wer überwindet, der soll mit weißen Kleidern angetan werden, und ich werde seinen Namen nicht austilgen aus dem Buch des Lebens, und ich will seinen Namen bekennen vor meinem Vater und vor seinen Engeln.“ Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2007.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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