Der König kommt durchs Tor

Predigt über Psalm 24,7‑10 zum 1. Advent

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Es gibt ver­schiedene Methoden, eine Toröffnung zu schließen. Man kann Torflügel mit Scharnieren verwenden wie bei einem Schuppen, man kann Schiebe­türen einbauen, und es gibt auch Tore zum Hochziehen wie bei vielen Garagen­toren. Diese drei Möglich­keiten gab es im Prinzip auch schon in alter Zeit, zum Beispiel bei Burgtoren oder Stadttoren. Wer gern Burgen besichtigt, der kennt das und hat im Burg-Eingang sicher schon mal die steinernen Führungen gesehen, in denen ein schweres Eichentor nach oben gezogen wurde. Solche Hochzieh-Tore hatten den Vorteil, dass sie bei Gefahr blitz­schnell herunter­sausen konnten und die Öffnung zuverlässig ver­schlossen. Auch bei Stadttoren in biblischer Zeit hat es solche Hochzieh-Tore gegeben, ebenso wie Torflügel.

„Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch, dass der König der Ehren einziehe!“, so heißt es in dem adventlichen Psalmwort, das wir jetzt bedenken wollen. Wir stellen uns vor, wir leben in einer alten Stadt, von dicken Mauern um­schlossen: Die Stadttore sind verriegelt, denn es ist Krieg; der König und sein Heer liegen im Kampf mit feindlichen Mächten. Da kommt ein Bote angerannt, atemlos, und ruft: „Macht die Stadttore auf! Der König kehrt zurück! Er hat die Feinde besiegt! Bereitet ihm einen ehrenvollen Empfang! Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch, dass der König der Ehren einziehe!“ Da werden die Hochzieh-Tore hoch­gezogen, da schwingen die Stadt­torflügel weit auf, und der siegreiche König hält Einzug. Alles jubelt ihm zu: „Hoch lebe der König der Ehren!“ Aber da steht mitten in der Menge ein Kind mit großen Augen. Es versteht nicht, was hier vor sich geht, und fragt seine Mutter: „Wer ist denn der König der Ehren?“, und die Mutter antwortet: „Es ist der Herr, stark und mächtig, der Herr, mächtig im Streit.“ Ein alter, schwer­höriger Mann hat immer noch nicht mit­bekommen, wer da in die Stadt einzieht, und man schreit es ihm nochmals zu: „Es ist der Herr der Heer­scharen, er ist der König der Ehren!“ – „Herr der Heer­scharen“, auf hebräisch „Herr Zebaoth“, so heißt es in dem Lied der Bibel, das wir als den 24. Psalm kennen und das diese Geschichte vom siegreich heim­kehrenden König erzählt, und zwar als Bild für Gottes Einzug bei uns Menschen. Da sind wir beim Thema Advent: Gottes Kommen, Gottes Einzug bei uns Menschen. Das Bild selbst ist klar, das Bild vom siegreichen König, der durch die weit geöffneten Stadttore einzieht bei seinem jubelnden Volk, aber was wird damit über Gott gesagt? Welche Ankunft, welcher Einzug Gottes ist damit gemeint? In der Adventszeit bedenken wir das Kommen Gottes zu uns Menschen ja in viel­fältiger Weise. Auf drei davon möchte ich euch jetzt von dieser Geschichte und diesem Psalmwort her besonders hinweisen: 1. Gott kommt aus der Dunkelheit ins Licht; 2. Gott kommt aus der Vergangen­heit in die Gegenwart; 3. Gott kommt vom Allgemeinen ins Per­sönliche.

Erstens: Gott kommt aus der Dunkelheit ins Licht. Gott ist uns von Natur aus verborgen. Fast alle Menschen ahnen, dass es einen Schöpfer gibt, irgendein höheres Wesen, und mühen sich auf vielerlei Weise ihm zu nahen, aber er entzieht sich allen Bemühungen, ihn zu verstehen, er ist für unseren Verstand unfassbar. Gott bleibt im Dunkel, und dunkel ist sein Ratschluss. Warum nur lässt er soviel Leid zu in der Welt und in meinem eigenen Leben? Warum nur straft er die Sünde so hart und so grausam? (Das ganze Alte Testament gibt davon Zeugnis.) Warum lässt er seinem Widersacher, dem Teufel, noch so viel Spielraum? Warum mutet er seiner Christen­heit auf Erden soviel Kreuz und Armut zu? Es gibt zwar Erklärungs­ansätze, aber bis ins Tiefste reichende vernünftige Antworten auf diese Fragen gibt es nicht. „Der Herr hat gesagt, er wolle im Dunkel wohnen“, so sprach Gottes Geist durch Salomo (2. Chronik 6,1). Martin Luther nannte den grausam strafenden Gott einen „deus abscondi­tus“, einen „ver­borgenen Gott“. Und doch hat sich Gott selbst aufgemacht, das Dunkel zu verlassen und ins Licht zu treten, wo Menschen ihn sehen können. „Gott will im Dunkel wohnen und hat es doch erhellt“, so singen wir in einem Advents­lied. Gott hat sich selbst ein mensch­liches Gesicht gegeben, ist Mensch geworden in seinem Sohn Jesus Christus. Auf Jesus sollen wir schauen, dann sehen wir Gott. Von ihm sollen wir lernen, und wir lernen von Gott. Ihm sollen wir vertrauen, und wir vertrauen Gott. Er, Jesus Christus, ist der König der Ehren, der bei den Seinen trium­phierend einzieht. Gewiss, er kommt aus dem Dunkel, aus dem Ver­borgenen. Welche Kämpfe er aus­gefochten hat mit seinen Feinden in Welten außerhalb unserer Welt, und wie sein Sieg geschah, als er nieder­gefahren ist zur Hölle, darüber macht die Bibel nur dunkle An­deutungen. Aber hell strahlt das Licht seines Evangeliums bei uns. Er zieht bei uns ein, und wir erkennen an ihm: Gott ist gnädig und barmherzig, Gott hat uns über alle Maßen lieb, Gott vergibt die Schuld, Gott heilt, Gott schenkt neues Leben, Gott schenkt ewiges Leben. Darum, liebe Brüder und Schwestern, wollen wir uns nicht begnügen mit einen dunklen, ver­schleierten Gottesbild. Wir wollen uns nicht begnügen mit der ver­schwommenen Vorstellung eines höheren Wesens. Nein, „macht die Tore weit und die Türen in der Welt hoch!“ Lasst Gott zu euch kommen in der hellen Gestalt seines Sohnes, den „König der Ehren“, unsern Heiland. Lasst uns nicht an irgendeinen Gott glauben, sondern an Jesus Christus, der alle unsere Feinde besiegt hat und der nun bei uns ist! Sagt nicht einfach: „Ich glaube an Gott“, sondern lernt Jesus Christus kennen!

Zweitens: Gott kommt aus der Vergangen­heit in die Gegenwart. Stadt­mauern, Könige, von der Schlacht siegreich heim­kehrende Heere, das sind Bilder der Vergangen­heit. Wer sie im Hinblick auf Gottes Kommen verstehen will, der muss in die Vergangen­heit reisen und vor allem das Alte Testament kennen­lernen. Aber Gott kommt vom Alten zum Neuen, vom alten Bund mit dem leiblichen Volk Israel zum neuen Bund mit dem Gottesvolk aus allen Völkern. Viele Christen wundern sich und sind mitunter auch bestürzt darüber, dass im Alten Testament soviel von Kampf und Krieg die Rede ist. Damit will Gott uns deutlich machen, dass wir als Volk Gottes immer in einer Kampf­situation stehen. Im Alten Testament waren es die Ägypter, die Philister und die Babylonier, die gegen Israel kämpften. Im Neuen Testament weist Gott uns durch den Apostel Paulus darauf hin, dass wir nicht mit Fleisch und Blut zu kämpfen haben, sondern mit un­sichtbaren Mächten, mit dem Teufel, mit Anfechtung, mit Versuchung, mit Lauheit oder mit Ver­zweiflung. Aber Gott macht uns im Alten wie auch im Neuen Testament vielfach darauf aufmerksam, dass eigentlich nicht wir die Kämpfenden sind, sondern er selbst, der Herr Zebaoth, der Herr der himmlischen Heer­scharen, der für uns kämpft und der für uns siegt, ja, eigentlich schon gesiegt hat, auch wenn die Feinde noch immer lautstark toben. Daraus folgt: „Macht die Tore weit, und die Türen in der Welt hoch, dass der König der Ehren einziehe!“ Denn er ist „der Herr, stark und mächtig, der Herr, mächtig im Streit“. Wenn der bei uns einzieht, dann sind alle Schlachten schon gewonnen, dann brauchen wir uns nicht um den Sieg zu sorgen.

Drittens: Gott kommt vom Allgemeinen ins Per­sönliche. Wir Lutheraner haben die große Freude der klaren, un­verfälschten Lehre des Evan­geliums, gegründet auf nichts anderem als auf Gottes Wort in der Heiligen Schrift. Aber wir stehen dabei in der Gefahr, dass wir's beim Haben dieser Lehre bewenden lassen. Wir bleiben beim Allgemeinen stehen, beim Konfirmanden­wissen, und tun es womöglich als pietistisch oder evangelikal ab, wenn jemand sagt, man müsse Jesus ins Herz hinein­lassen. Genau das ist es aber, was ich meine, wenn ich sage: Gott kommt vom Allgemeinen ins Per­sönliche. Er möchte nicht nur, dass wir etwas über ihn wissen, sondern er möchte, das wir mit ihm leben. Er möchte, dass wir ihm im Alltag vertrauen, ihm alle Sorgen im Gebet sagen, ihn auch an unseren Freuden und am ganzen Leben teilhaben lassen. Taufe, Abendmahl und Sünden­vergebung sind nicht nur große Themen luthe­rischer Lehre, sondern es sind vor allem Ereignisse in unserem per­sönlichen Leben, wo Gott durch seinen Sohn Jesus Christus und durch den Heiligen Geist direkt in unser Herz einkehrt; wir können ihn durch Wort und Sakrament hören, spüren, sehen und schmecken. „Machet die Tore und weit und die Türen in der Welt hoch!“ Ja, macht die Herzens­türen weit auf für den König der Ehren! Unser Bild vom heim­kehrenden Feldherrn müssen wir uns doch so vorstellen: Der König zieht nicht nur durch die Tore und Straßen der Stadt und lässt sich so allgemein bejubeln, sondern er klopft an jede Tür und will bei jedem persönlich zu Gast sein. Advent, das heißt: Gott kommt auch heute wieder zu mir. Und wahrhaft adventlich ist das beliebteste Tischgebet: „Komm, Herr Jesu, sei du unser Gast…“ Ja, komm, sitz bei uns am Tisch, sei uns nah im Leben – das willst du ja, und das brauchen wir auch nötiger als alles andere.

„Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch, dass der König der Ehren einziehe.“ Jawohl, er soll auf vielfache Weise einziehen! Lassen wir uns unsere dunklen Vor­stellungen von Gott durch den Ehrenkönig Jesus Christus erhellen, der als Licht in die Welt gekommen ist! Heißen wir ihn in unserer Gegenwart willkommen, den Gott von alters her, den Schöpfer der Welt, den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs! Vertrauen wir seinem neuen Bund mit uns! Heißen wir ihn auch als per­sönlichen Gast in unserem Herzen willkommen und leben wird tagtäglich im Bewusst­sein, dass er bei uns ist! Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2007.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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