Wir sind die Stadt, wir sind die Braut

Predigt über Offenbarung 21,9‑14 zum Ewigkeitssonntag

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Bilder sind in der heutigen Zeit sehr wichtig; un­bebilderte Schrift­stücke erscheinen den meisten Menschen langweilig und öde. Wir leben in einer Zeit der Bilder, sowohl der bewegten wie der unbewegten. Jeden Tag sind wir von unzähligen Bildern umgeben und können uns kaum das Leben in früheren Zeiten vorstellen, als ein Bild noch etwas ganz Besonderes war. Und doch haben die Menschen schon damals Botschaften besser verstanden, wenn sie von Bildern begleitet waren. Weil es aber mühsam war, Bilder zu malen oder gar zu drucken, hat man früher oft mit Worten Bilder gemalt: Man hat anschaulich erzählt und be­schrieben.

Gott weiß, dass wir Menschen Bilder mögen und dass bebilderte Botschaften viel besser bei uns ankommen als unbebilderte. Darum hat er seinen Boten, den Propheten und Aposteln, immer wieder Bilder gezeigt, und die haben diese Bilder dann mit Worten nachgemalt. Sie haben die ihnen an­vertrauten Bild­botschaften gepredigt und auf­geschrieben. In besonderer Weise hat Gott seinem Boten Johannes Bild­botschaften gezeigt, und der hat diese Bilder dann im Buch der Offenbarung nieder­geschrieben. So begegnen uns auch im heutigen Predigttext Bilder, die Johannes in einer Vision von Gott gezeigt bekam. Das geschah zu einer Zeit, als es die junge christliche Kirche besonders schwer hatte. Sie wurde von außen verfolgte und an­gefeindet; von innen aber war sie durch ein­geschlichene Betrüger und Irrlehrer gefährdet. Johannes selbst war im Zuge der Christen­verfolgung auf die griechische Insel Patmos verbannt worden. Eben dort schickte Gott ihm an einem Sonntag die wunderbaren Visionen, die wir noch heute im letzten Buch der Bibel finden. Ihre Bilder sind nicht leicht zu ent­schlüsseln; man muss schon in der Heiligen Schrift und besonders im Alten Testament zu Hause sein, um sie zu verstehen. Aber wenn man sie ent­schlüsselt, dann gelangt man zu herrlichen Trost- und Freuden­botschaften, die Gott besonders für an­gefochtene Christen in schwerer Zeit bereit hat.

Gehen wir also daran, die Bilder unseres Predigt­textes zu ent­schlüsseln!

Ein Engel Gottes führt Johannes im Geiste auf einen hohen Berg. Der hohe Berg bedeutet: Wir sollen einen Überblick bekommen über das, was wichtig ist in unserem Leben. Solange wir mittendrin stehen im Getümmel unserer Alltagssorgen, haben wir keinen Überblick, und die Sorgen können erdrückend werden. Der Engel kündigt Johannes an, er werde ihm nun die Braut des Lammes zeigen. Mit dem Lamm ist Jesus Christus gemeint, das Lamm Gottes. Zu alttestamentlicher Zeit wurden Lämmer als Sündopfer ge­schlachtet, und Jesus hat sich selbst am Kreuz für die Sünden aller Zeiten auf­geopfert. Und wie das Blut der Passalämmer den Hebräern in der Nacht vor dem Auszug aus Ägypten das Leben rettete, so schenkt uns das Blut des Gottes­lammes Jesus ewiges Leben. Die Braut des Lammes ist Gottes Volk, das ist die Christen­heit, das sind wir. Braut und Bräutigam sind nach altem Verständnis durch ein Ehe­versprechen miteinander verbunden, auch wenn die Hochzeit noch nicht statt­gefunden hat; dieses Ehe­versprechen ist die Verlobung, das gegen­seitige Geloben von Treue. So hat Jesus uns die Treue gelobt mit dem neuen Bund, den er mit seinem Blut besiegelt hat. Er hat ver­sprochen, dass alle, die an ihn glauben, ewig leben werden, er hat uns dies feierlich gelobt mit unserer Taufe. Auch wir sollen und wollen ihm im Glauben treu bleiben, so wie es im Tauf­bekenntnis heißt: „Ich ergebe mich dir, du dreieiniger Gott, Vater, Sohn und Heiliger Geist, im Glauben und Gehorsam dir treu zu sein bis an mein Ende.“ So sind wir als Gottesvolk des neuen Bundes die Braut des Lammes, mit einem verlobungs­gleichen Bund verbunden.

Und dann sieht Johannes das Bild der Braut aus dem Himmel schweben. Das Herab­schweben bedeutet ent­schlüsselt: Hier zeigt Gott etwas, das man auf Erden nicht sehen kann, das man auch mit mensch­lichem Verstand und mensch­licher Wissen­schaft nicht ergründen kann; hier zeigt Gott ein Geheimnis des Glaubens. Und wie sieht sie nun aus, die Braut? Herrlich, hell glänzend, klar wie Kristall, funkelnd wie ein Edelstein – und doch ganz anders, als wir es erwarten würden. Denn die Braut sieht nicht aus wie eine schöne junge Frau, sondern die Braut erscheint im Bild einer Stadt, der heiligen Stadt Jerusalem nämlich. Für die Zeit­genossen des Johannes war das gar nicht so verwunder­lich, denn wenn man an eine Stadt dachte, dann dachte man nicht an Bauwerke, nicht an Straßen und Häuser, sondern man dachte zuerst an die Menschen, die dort wohnten. Eine Stadt war ein Volk, und die Stadt Jerusalem war die Hauptstadt von Gottes Volk. Wenn also nun die Braut des Lammes das Gottesvolk des neuen Bundes ist, dann kann dieses Gottesvolk ebensogut im Bild der Stadt Jerusalem erscheinen.

Achten wir nun darauf, wie die Stadt in dieser Vision ausgesehen hat und wie Johannes sie beschreibt. Zuerst heißt es von ihr: Sie hatte die Herrlich­keit Gottes. Das ist ohne Bild geredet, das ist die wunderbare Botschaft des Evangeliums von Jesus Christus: Wir, die Christen­heit, das Volk Gottes, haben die Herrlich­keit Gottes! Wir sind heilig und göttlich, wir sind Priester und Könige in Gottes Reich! Wir sind es nicht aus uns selbst heraus, denn aus uns selbst heraus sind wir nach Gottes Maßstab nur arme, elende Sünder. Wir haben nur deshalb die Herrlich­keit Gottes, weil Jesus Christus uns erlöst hat, gerettet hat, heilig gemacht hat, herrlich gemacht hat.! Vergesst das nur niemals, ihr lieben Mit­christen, vergesst es vor allem dann nicht, wenn euer Glaube angefochten wird, wenn ihr unter vielen Alltags­sorgen unter­zugehen droht, oder wenn ihr von euren Mitmenschen Unfreundlich­keit, Spott, Verachtung oder gar Feindschaft erfahren müsst! Bei Gott im Himmel gilt: Ihr habt die Herrlich­keit Gottes – vergesst es nur nicht!

Was wird noch über die Stadt gesagt? Es ist da von einer großen und hohen Mauer die Rede, einer Stadtmauer. Stadtmauern wurden gebaut, um die Bürger vor Überfällen zu schützen, vor Räuber­banden zum Beispiel oder vor feindlichen Soldaten. Ent­schlüsselt bedeutet die hohe und große Stadtmauer also: Gottes Volk ist sicher! Viele wollen uns Christen etwas anhaben, uns berauben, uns schaden und unseren Glauben abtöten, allen voran der Teufel. Aber in der heiligen Stadt sind wir sicher und geborgen. Da erkennen wir auch nebenbei gleich, wie schön und wichtig es ist, dass wir Christen zusammen­halten und uns nicht in der Ver­einzelung aufreiben. Es ist gut, wenn wir enge Gemein­schaft haben, so wie die Menschen in den Städten damals dicht gedrängt zusammen wohnten, in enger Nachbar­schaft.

Eine Stadtmauer bedeutet aber auch, dass man nicht ohne weiteres überall in die Stadt hinein­gelangen kann, man soll und kann sie nur durch die Tore betreten. So ist das auch mit Gottes Reich. Gott hat Johannes zwöf Stadttore bei diesem Bild von Jerusalem gezeigt. Bei einem qua­dratischen Grundriss befinden sich an jeder Seite der Stadt drei Tore. Ent­schlüsselt bedeutet das: Gottes Reich ist von allen Himmels­richtungen gut zugänglich, von Osten, von Westen, von Norden und von Süden. Das Gottesvolk des neuen Bundes lebt nicht in einem bestimmten Gebiet der Erde, sondern es strömt von allen Himmels­richtungen in Gottes Reich zusammen. Alle Völker sind eingeladen und zu allen Völkern ist die Kirche gesandt, um Menschen durch Taufen und Verkündigen zu Jüngern Jesu zu machen. In Gottes Reich wird niemand wegen seiner Rasse oder Herkunft diskrimi­niert. Freilich muss man durch ein Tor hinein­gehen, anders kommt man nicht herein. Auf den Toren sah Johannes nun Gottesboten wie Wachposten stehen – die Übersetzung „Engel“ trifft hier wahr­scheinlich nicht ganz zu, denn es sind menschliche Gottesboten gemeint, diejenigen nämlich, die die frohe Botschaft ver­kündigen. Durchs Tor gehen heißt ihrer Predigt zu glauben, und das bedeutet auch: Buße tun, die Sünden bekennen und die Vergebung der Sünden durch Jesus Christus annehmen. So gleichen die Boten über den Toren Türhütern, sie haben die Schlüssel zum Auf- und Zu­schließen, sie üben das Schlüssel­amt aus. Sie sollen im Namen Gottes Sünden vergeben und damit Einlass gewähren in Gottes Reich; sie sollen aber auch denen, die nicht zur Buße bereit sind und die nicht glauben, das Eingangstor ver­schließen, die Sünden behalten. Auf den Grund­steinen der Tore aber stehen die Namen der zwölf Apostel. Sie haben als Augenzeugen den Tod und die Auf­erstehung Jesu bezeugt, sie haben als Erste den Auftrag bekommen, das Evangelium unter alle Völker zu tragen. Ihr Zeugnis ist im Neuen Testament auf­geschrieben. Ihre Lehre, die Apostel­lehre, muss Maßstab und Grundlage für alle christliche Ver­kündigung sein. Die Apostel­lehre ist das Fundament zu den Eingangs­toren in Gottes Reich. Wer zu Gott finden will, soll nicht meinen, er müsse nur irgendwie religiös sein und an irgendetwas glauben, was er für gut und fromm hält, sondern er muss auf die Apostel­lehre hören, auf die Verkündi­gung, die der Heiligen Schrift entspricht, und ihr vertrauen wie Gott selbst. Diese Apostel­lehre ist zugleich auch die Grundlage für das, was die Gottesboten auf der Mauer verkündigen und wie sie das Schlüssel­amt verwalten.

Liebe Brüder und Schwestern in Christus, nun haben wir die Bilder unseres Predigt­texts ent­schlüsselt. Die Botschaft ist klar. Sie lautet: Tritt ein in Gottes Volk und Reich, indem du den Worten der Apostel­lehre Glauben schenkst, der biblischen Botschaft von Jesus Christus! Lebe dort in Gemein­schaft mit den anderen Christen und freue dich an dem Glanz und der Herrlich­keit, die Gott dir in dieser Gemein­schaft schenkt – auch wenn diese Herrlich­keit unseren irdischen Augen verborgen ist und die Gemeinde Jesu unter viel Schwach­heit, Kreuz, Trübsal und Anfechtung leben muss! Vergiss dabei nicht, dass du von hohen und starken Mauern umgeben bist, sodass der Teufel keine Chance bei dir hat – solange du in der heiligen Stadt bleibst, in Gottes Volk! Wir erkennen dabei, dass dieses Bild keine Vertröstung auf ein fernes Jenseits ist, sondern dass es die gegen­wärtige Herrlich­keit von Gottes Reich abbildet. Freilich ist die noch verhüllt: Es ist gleichsam Verlobungs­zeit; die Hochzeit hat noch nicht statt­gefunden. Aber dieses Bild weckt in uns zugleich die Vorfreude auf den Glanz der ewigen Seligkeit, die in Gottes herrlicher Zukunft auf uns wartet. Der Unterschied zu heute ist der, dass dann die Herrlich­keit von Gottes Volk nicht mehr verhüllt sein wird und dass alles in der Welt, was uns jetzt noch die Freude daran trüben will, dann wegfallen wird. Aber auch wenn wir Gottes Herrlich­keit eigentlich noch nicht mit unseren Augen sehen – etwas von dieser Herrlich­keit können wir doch schon jetzt sehen, ein Stück vom Himmel schon jetzt erleben: Das sind die Mit­christen, die Brüder und Schwestern, die Mitbürger des heiligen Jerusalems, die Menschen in Gottes Volk. Blickt um euch, und ihr seht einige davon hier sitzen! Das ist ein Grund, warum wir nicht jeder für sich allein zu Hause den Sonntag begehen, sondern gemeinsam Gottes­dienst feiern: damit wir jetzt schon etwas vom Himmel sehen können, nämlich Menschen, die ihn einmal bevölkern werden. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2007.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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