Durch Gottes Hand gerettet

Predigt über 1. Mose 19,1‑16 zum Vorletzten Sonntag des Kirchenjahres

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Die Geschichte von Sodom und Gomorra ist gut bekannt, auch bei solchen Menschen, die die Bibel eher nicht kennen. Sodom und Gomorra, diese beiden Städte in Kanaan, sind zu Parade­beispielen geworden für laster­haftes Leben und abgrund­tiefe Bosheit. Trotzdem drängen sich bei dieser Geschichte einige Fragen auf – teilweise einfach aus Interesse gestellt, distan­ziert, auf die Vergangen­heit gerichtet, teilweise aber auch die heutige Zeit und uns selbst betreffend, unter die Haut gehend.

Frage eins: Warum hat Gott so etwas getan? Warum hat er viele tausend Menschen auf so schreck­liche Weise umkommen lassen – mit Feuer, das vom Himmel regnete? Die Antwort darauf gibt uns Gottes Wort gleich an mehreren Stellen, und sie ist auch offen­sichtlich: Es geschah als Strafe für die Schlechtig­keit dieser Menschen. Die Leute waren so böse, dass sie dieses schreck­liche Ende verdient hatten – und zwar alle ohne Ausnahme, Junge und Alte gleicher­maßen. Sie wollten zwei harmlose, friedlich durch­reisende Fremde überfallen, lustvoll verprügeln, ausrauben, vielleicht sogar töten. Sie wussten: Kein Richter würde sie dafür zur Rechen­schaft ziehen; auch waren die Fremden von weit her gekommen, so würde sich kein Mensch darum kümmern, was aus ihnen geworden war. Als Lot, ihr Gastgeber, sie beschützen wollte, da richtete sich die Wut der Leute gegen ihn: Sie verachteten ihn, weil er kein Alt­eingesesse­ner war; er war ein Ausländer, ein Migrant, und der sollte bei ihnen nichts zu sagen haben. Auch die beiden Verlobten von Lots Töchtern waren nicht besser: Als Lot sie vor dem bevor­stehenden Untergang warnte und sie zur Flucht überreden wollte, da lachten sie ihn nur aus. Gottes Gericht und Gottes Warnungen bedeuteten ihnen nichts; sie glaubten nicht an Gott, sondern nur an ihre Götzen. Noch vieles andere Schlechte taten die Leute von Sodom und Gomorra, greuliche Dinge, mit denen sie aneinander und an Gott im Himmel schuldig wurden. Mit Feuer vom Himmel voll­streckte Gott sein gerechtes Urteil über diese Schurken – das ist die Antwort auf die Frage, warum Gott das getan hat.

Frage zwei: Warum hat Gott Lot und seine Angehörigen gerettet? Hat er es getan, weil es so gute Menschen waren, liebevoll, rücksichts­voll, fromm und gottes­fürchtig? Zugegeben, Lot war besser als die Heiden in seiner Nachbar­schaft. Er als Einziger begegnete den durch­reisenden Fremden auf dem Marktplatz mit Gast­freund­schaft; hartnäckig überredete er sie, als Gäste bei ihm über Nacht zu bleiben. Das tat er bestimmt auch in dem Wissen, dass es nachts auf den Straßen von Sodom viel zu gefährlich für Ausländer war. Er bewirtete die Leute, er meinte es gut mit ihnen. Und er vertraute dem einen wahren Gott, dem auch sein Onkel Abraham diente. Als sich heraus­stellte, dass die beiden Fremden Boten des lebendigen Gottes waren, die ihn warnen und ihm zur Flucht verhelfen wollten, da nahm er Gottes Warnung aus ihrem Mund ernst. Aber das ist erst die eine Seite des Lot, es gibt noch eine andere. Als Lot sich wegen zu großer Viehherden von Abraham trennen musste, da wählte er sehr egoistisch die fruchtbare Gegend beim Jordan und überließ seinem Onkel das karge Bergland. Ihm war dabei nicht so wichtig, dass seine Familie dafür unter den bösen und gottlosen Kanaanitern in Sodom wohnen musste. Überhaupt scheint die Liebe zu seinen Töchtern und sein Ver­antwortungs­bewusstsein für sie nicht besonders ausgeprägt gewesen zu sein; jedenfalls waren ihm die beiden fremden Gäste wichtiger als seine eigenen Töchter. Als die Menschen aus Sodom forderten, ihnen die beiden Männer aus­zuliefern, da bot Lot ihnen doch tatsächlich ersatzweise an, ihnen seine Töchter zur Ver­gewaltigung zu überlassen. Wir merken: Das Bild vom guten, frommen Lot lässt sich nicht ungetrübt aufrecht erhalten, und es erscheint zumindest fraglich, ob er denn in Gottes Augen so gut und gerecht gewesen ist, dass Gott ihn aus diesem Grund gerettet hat. Wir lassen darum die zweite Frage, warum Gott den Lot gerettet hat, zunächst offen, kommen aber zum Schluss noch einmal auf sie zurück.

Frage drei: Hat Gott in unserer Zeit Grund für ebensolches Straf­gericht? Die bösen Menschen von Sodom und Gomorra lebten vor etwa 4000 Jahren. Aber ist es nicht merkwürdig: Trotz allem Fortschritt in vier Jahr­tausenden auf den Gebieten der Technik, der Kultur und der Zivili­sation gibt es auch heute immer noch böse Menschen. Menschen, die einfach Lust haben, anderen weh zu tun, andere zu berauben, oder einfach sinnlos kaputt zu machen, was andere mühevoll hergestellt oder erworben haben. Fast täglich kann man in der Zeitung davon lesen, was böse Menschen alles anrichten. Aber sind das nicht extreme Ausnahmen? Ist nicht die große Mehrheit der Menschen heute gut, oder wenigstens besser als die Bewohner von Sodom und Gomorra? Ober­flächlich mag das so erscheinen. Aber wenn man hinter die Kulissen sieht, dann erschrickt man, wie auch heutzutage die Bosheit weit verbreitet ist unter den Menschen. Wie die aller­meisten habgierig das größte Stück vom Kuchen an sich bringen wollen, und wenn es ihnen nicht gelingt, wie sie dann diejenigen beneiden und be­schimpfen, denen es gelingt. Wie Menschen sich zum Zeit­vertreib brutale Filme ansehen und sich an brutalen Video­spielen ergötzen – da kommt die pure Lust am Leid der anderen durch, auch wenn diese anderen nur in der Fantasie existieren. Wie der Ausländer­haß auch heute noch verbreitet ist, obwohl unsere Welt doch so viel kleiner geworden ist durch Reise- und Kommu­nikations­möglich­keiten, wie man den Migranten und Asyl­bewerbern missgönnt, dass sie in Deutschland Arbeit finden und dass ihnen mit dem deutschen Sozial­system geholfen wird. Wie sexuelle Aus­schweifungen aller Art nicht nur prakti­ziert, sondern öffentlich propagiert werden. Wie der Staat mit seinen Gesetzen sich solchen schlimmen Tendenzen anpasst, wie er un­verbindliche Partner­schaften und homsexuelle Partner­schaften fast wie Ehen anerkennt (obwohl Gott doch die lebenslange Ehe für Mann und Frau geschaffen hat). Wie das Kaufen und Verkaufen an Sonntagen in immer größerem Maße um sich greift. Wie der Gesetzgeber es schließlich ungestraft lässt und sogar finanziell unter­stützt, dass Mütter ihre ungeborenen Kinder in Abtreibungs­kliniken umbringen lassen. Wie in den Bereichen, wo der Staat mit seinen Gesetzen noch eine gute Ordnung aufrecht zu erhalten versucht, sich Menschen schamlos über die Staats­gesetze hinweg­setzen und meinen, man müsste sie nur dann einhalten, wenn die Gefahr besteht, erwischt und bestraft zu werden. Wie schließlich Gottes Wort, Gottes Gesetz, Gottes Warnungen in den Wind geschlagen werden; wie man es gleich­gültig verachtet oder sich darüber lustig macht. All das zeigt uns: Unsere Gesell­schaft ist eigentlich nicht besser als die Einwohner­schaft von Sodom und Gomorra damals, auch wenn alles unter dem Anschein der Anständig­keit abläuft. Wir müssen Frage drei also mit einem klaren Ja be­antworten: Gott hat heute ebenso Grund für ein Straf­gericht wie damals in Sodom. Und er hat auch heute noch die Macht, es aus­zuführen, er gibt uns immer wieder Kostproben davon: Wir hören von Großfeuern, Wirbel­stürmen, Erdbeben und Flut­katastro­phen. Gott hätte allen Grund, die Menschheit vom Erdboden wegzufegen, wie er Sodom und Gomorra damals gänzlich ausgetilgt hat; er wäre nicht ungerecht dabei. Aber seit Jesus in die Welt gekommen ist, übt Gott Geduld und gibt den Menschen die Chance, sich zu bessern – bis zu dem einen Tag in der Welt­geschichte, den er als seinen großen Gerichtstag vorgesehen hat, den letzten Tag, den Jüngsten Tag, an dem die Welt mit großem Krachen zergehen und wie im Feuer zer­schmelzen wird und an dem sich jeder Mensch mit Zittern und Zagen vor dem Welten­richter wieder­finden wird.

Das führt uns direkt zur vierten Frage – einer Frage, die uns unmittelbar persönlich betrifft und die unter die Haut geht. Frage vier also: Was wird aus mir werden in Gottes Gericht? Bleibt Gottes Zorn über mir und der ewige Tod, so wie Gottes Gericht die Menschen von Sodom und Gomorra in den Tod gerissen hat? Oder rettet mich Gott vor seinem letzten Straf­gericht, so wie er Lot und seine Töchter gerettet hat? Was wird aus mir? Mancher Mensch versucht sich einzureden, er sei ja viel besser als die anderen Menschen seiner Zeit. Mancher Mensch meint, er sei der gute Lot inmitten der bösen Sodomer. Diese Hoffnung steht freilich auf tönernen Füßen. Wir haben bei Frage zwei gesehen, dass Lot keineswegs nur fromm gewesen war, sondern ein äußerst zwie­spältiger Charakter. Ebenso zwiespältig sieht es in jedem von uns aus. Sicher, wir geben uns immer wieder Mühe, gut zu sein, fromm, liebens­würdig, hilfsbereit und gast­freundlich. Wir beten den einen wahren Gott an und nehmen sein Wort ernst – alles richtig. Und doch kennen wir leider allzugut auch die dunklen Ecken unserer Seele, wo es nicht besser aussieht als in Sodom und Gomorra. Wir kennen die Habgier und lassen uns immer wieder dazu hinreißen, sie auch durch­zusetzen. Wir kennen diese un­erklärliche Lust und Neugier am Bösen, am Leid, an Unfällen und Kata­strophen. Wir kennen schmutzige Fantasien. Wir ertappen uns dabei, dass wir andere Menschen verachten oder ihnen eins auswischen wollen. Wir haben Vorbehalte gegen Fremde. Wir sind faul und träge, wenn es darum geht, Gottes Wort fleißig zu studieren und wirklich ganz ernst zu nehmen. Ja, wir sind nicht frei von Sodom und Gomorra. Und so müssen wir ehrlich erkennen: Wir haben von uns aus nichts vor­zuweisen, was uns vor Gott freispricht und uns die Gewissheit gibt, dass wir seinem Straf­gericht entrinnen werden. Aber jetzt wollen wir noch einmal genau hinschauen auf Gottes Wort und sehen, wie Lot gerettet wurde. Da heißt es: „Als nun die Morgenröte aufging, drängten die Engel Lot zur Eile und sprachen: Mach dich auf, nimm deine Frau und deine beiden Töchter, die hier sind, damit du nicht auch umkommst in der Missetat dieser Stadt. Als er aber zögerte, ergriffen die Männer ihn und seine Frau und seine beiden Töchter bei der Hand, weil der Herr ihn verschonen wollte, und führten ihn hinaus und ließen ihn erst draußen vor der Stadt wieder los.“ Weil der Herr ihn verschonen wollte, darum ergriff er ihn durch die Hand seiner Engel und führte ihn heraus aus dem Verderben. Weil der Herr ihn verschonen wollte – es steht nicht da, warum er ihn verschonen wollte, es steht nur da, dass er es wollte. Sehen wir auf Lot selbst, dann müssen wir stark bezweifeln, dass er von sich aus der Rettung würdig gewesen war. Und sehen wir auf uns selbst, dann müssen wir ebenfalls stark bezweifeln, dass wir der Rettung aus Gottes letztem Gericht würdig sind. Aber da kommt die gute Nachricht zu uns: Weil der Herr ihn verschonen wollte… Weil der Herr uns verschonen will, darum reißt er uns heraus aus seinem Gericht. Darum hat er seinen ein­geborenen Sohn Jesus Christus in die Welt geschickt, damit durch ihn die Menschen gerettet werden vor dem letzten Zornes­gericht und damit sie ewiges Leben finden. Gott will nicht, dass der Sünder stirbt, sondern dass er sich bekehrt und lebt. Schluss also mit der Grübelei darüber, ob wir Rettung verdient haben oder nicht, denn solches Grübeln macht uns entweder eingebildet oder ver­zweifelt. Freuen wir uns einfach über Gottes gnädigen Ratschluss, den er uns in seinem Sohn offenbart hat: Er will uns verschonen! Und wenn wir noch zögern in Kleinmut und Glaubens­zweifeln, dann packt er uns mit seiner starken Hand, dann ergreift Jesus selbst uns mit seinem Heiligen Geist und führt uns heraus aus dem Sünden­verderben, rettet uns und bringt uns zum ewigen Leben. Wir selbst brauchen nichts anderes zu tun als uns retten zu lassen. Dass wir uns also nur nicht von seiner Hand losreißen, uns umdrehen, und einem Leben in den Sünden dieser Welt nach­trauern! Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2007.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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