Wo wohnt Gott?

Predigt über Psalm 84,2‑3a zum Kirchweihfest

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Wenn Fremde unsere schöne Kirche be­sichtigen, deren 124. Geburtstag wir heute feiern, dann staunen sie über den festlich ge­stalteten, hohen Raum. Manchmal sind Personen darunter, die selten oder nie einen Gottes­dienst besuchen, zum Beispiel Kinder, deren Eltern keine Christen sind. Auch diese Kinder spüren: das ist kein gewöhn­liches Haus, das ist keine gewöhnliche Wohnung für irgend­welche Menschen. Und wenn sie dann hören, dass man eine Kirche auch Gotteshaus nennt, dann kommen sie schnell auf den Gedanken: Hier in der Kirche wohnt Gott!

Ja, stimmt das denn? Wohnt Gott hier in der Kirche? Und wenn ja, wo wohnt er dann noch? Vielleicht kennt ihr die berühmte Geschichte von dem Rabbi, der zu einem Kind sagte: „Ich gebe dir einen Gulden, wenn du mir sagen kannst, wo Gott wohnt.“ Darauf antwortete das Kind: „Und ich gebe dir einen Gulden, wenn du mir sagen kannst, wo Gott nicht wohnt.“ Klar, so ist das: Gott wohnt überall. Er wohnt in seiner gesamten Schöpfung und zugleich auch in dem Bereich, der außerhalb der Schöpfung liegt und den wir „Himmel“ nennen. Gott ist überall zu Hause; Gottes Haus ist überall.

Liebe Brüder und Schwestern, dieses Wissen ist tröstlich. Wenn Gott überall wohnt, dann ist es eigentlich egal, wo ich selbst gerade bin, dann weiß ich an jedem Ort: Gott ist schon da, er ist nahe bei mir. Auch wenn ein Mensch seine Heimat verlassen muss, wenn er vertrieben wird wie viele Menschen nach dem Zweiten Weltkrieg und wie auch heute noch viele Menschen in anderen Teilen der Erde, ein Christ weiß es: Gott ist schon da, wo ich hingehe. Auch wenn ein Mensch aufgrund seines Berufes wegziehen muss oder wenn ihm der Weg in die Fremde gewiesen wird, etwa im Missions­dienst, dann weiß er: Gott ist schon da.

Und dennoch brauchen wir immer wieder die Vergewisse­rung, dass Gott da ist. Wir brauchen Orte, von denen wir nicht nur einfach wissen, dass Gott da ist, sondern wo wir das spüren können, wo wir das gezeigt bekommen, wo etwas von Gott erkennbar wird, wo er uns begegnet. Das können Orte in der Natur sein: der Wald mit seinem Frieden, eine erhabene Gebirgs­landschaft oder ein Sonnen­untergang über dem Meer – da offenbart die Schöpfung etwas von der Größe des Schöpfers. Das können auch Mitmenschen sein, in deren Leben sich zeigt, dass Gott in ihren Herzen wohnt: Ihr Verhalten ist von Freundlich­keit und Güte geprägt, sie trösten, sie ermuntern, und sie helfen un­aufdring­lich, ohne viel Lärm.

Besonders sind es aber die Orte, von denen Gott selbst gesagt hat: „Da könnt ihr mich finden, da will ich euch begegnen!“ In der Zeit, bevor Jesus kam, war der Tempel solch ein Ort. Gott selbst nannte ihn „die Stätte, wo mein Name wohnt“. Im mittleren Gebäude des Tempels, dem Heiligtum, gab es einen ab­getrennten Raum, das sogenannte Aller­heiligste. Dort stand die Bundeslade, ein vergoldeter Holzkasten, in dem die steinernen Gesetzes­tafeln lagen; darauf ein Deckel mit zwei goldenen Engels­figuren, „Gnaden­thron“ genannt. Das war der Platz, wo Gott im Volk Israel seinen Wohnsitz hatte, und das ganze heilige Gebäude hieß „Gottes Wohnung“. Wer in die Nähe des Tempels kam und Gottes Wort vertraute, der wusste: Von hier aus segnet Gott sein Volk, hier begegnet er uns, hier können wir ihm auch danken mit unseren Opfern. Darum kamen die frommen Israeliten stets gern zum Tempel, denn hier wussten sie nicht nur, dass Gott nahe ist, sondern hier konnten sie es auf vielfältige Weise auch erfahren. Und darum jubelten sie und sangen mit dem 84. Psalm: „Wie lieb sind mir deine Wohnungen, Herr Zebaoth!“ Freilich durften sie nicht in das Heiligtum hinein­gehen, das durften nur die Priester. Die anderen Israeliten mussten in den ab­gegrenzten Bereichen in der Nähe des Heiligtums bleiben, in den Vorhöfen des Tempels – aber das machte ihnen nichts aus, sie sehnten sich einfach nach der Nähe von Gottes Wohnung, und sangen darum weiter: „Meine Seele verlangt und sehnt sich nach den Vorhöfen des Herrn.“

Als Christus in die Welt kam, da hat er deutlich gemacht, dass er selbst nun der Tempel ist – Gottes Wohnung, wo Gottes Gegenwart für die Menschen erfahrbar wird. Und er hat uns das Versprechen hinter­lassen, dass sich daran auch mit seiner Himmelfahrt grund­sätzlich nichts ändert. Er hat zum Beispiel ver­sprochen: „Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen“ (Matth. 18,20). Er hat zugesagt, durch den Heiligen Geist gegenwärtig zu sein, wo immer sein Wort verkündigt wird. Nicht zuletzt hat er auch das Heilige Abendmahl eingesetzt, wo er unter Brot und Wein leiblich zugegen ist. Wenn wir also fragen: „Wo wohnt Gott?“ und wenn wir dabei wissen wollen, wo er uns begegnet, hilft und heilt, dann können wir für die Zeit des neuen Bundes antworten: Überall da, wo sich Menschen im Namen Jesu versammeln, wohnt Gott. Überall da, wo sein Wort gepredigt wird, wohnt Gott. Überall da, wo Christen das Heilige Abendmahl feiern, wohnt Gott. Wir haben mit Blick auf Jesus allen Grund, uns zu freuen und mit dem 84. Psalm zu jubeln: „Wie lieb sind mir deine Wohnungen, Herr Zebaoth! Meine Seele verlangt und sehnt sich nach den Vorhöfen des Herrn.“

Gott wohnt überall, aber im christ­lichen Gottes­dienst wohnt er in der Weise, dass wir das erfahren können – hören, sehen und schmecken. Im christ­lichen Gottes­dienst begegnet Gott uns, da hilft er uns, da heilt er uns, da tröstet er uns, da stärkt er uns den Glauben, da macht er uns tüchtig zum guten Leben. Grund­sätzlich ist dabei un­erheblich, in was für einem Gebäude der Gottes­dienst stattfindet oder ob er überhaupt in einem Gebäude statt­findet. Gern erinnere ich mich an die Gottes­dienste zurück, die ich in Afrika bei den Busch­männern unter freiem Himmel gefeiert habe. Da war der Sand der Kalahari-Wüste, vermischt mit dem Kot von Ziegen und Hunden, um uns herum die Busch­savanne. Eine umgedrehte Wasch­schüssel aus Plastik diente uns als Altar. Aber da war Gottes Haus, da wohnte Gott, da war Christus gegenwärtig in seinem Wort und im Heiligen Sakrament des Altars, und die Freude war groß, die echte Psalm-Freude: „Wie lieb sind mir deine Wohnungen, Herr Zebaoth! Meine Seele verlangt und sehnt sich nach den Vorhöfen des Herrn.“

Dennoch, liebe Gemeinde, wollen wir es nicht gering schätzen, dass wir hier ein Gebäude zum Gottes­dienst­feiern haben, ein besonders schönes noch dazu. Wir können sehr dankbar sein, dass unsere Bekenntnis-Vorfahren im 19. Jahrhundert nicht aufgegeben haben, ein geeignetes Kirch­grundstück zu finden, wiewohl sich ihnen dabei unzählige Schwierig­keiten in den Weg stellten. Wir können sehr dankbar sein, dass sie nicht zu stolz waren, in ganz Deutschland und auch im Ausland Spenden zu erbitten, um die Geldmittel zusammen­zubekommen für dieses prächtige Gotteshaus. Wir können sehr dankbar sein, dass sie es ohne zu sparen schön und solide gebaut haben. Sie haben dabei auch schon an uns gedacht, die kommenden Gene­rationen der Gemeinde, und ihre Sorge war ganz darauf gerichtet, dass das Evangelium von Jesus Christus in dieser Kirche auch diesen kommenden Gene­rationen un­verfälscht weiter­verkündigt würde gemäß dem Bekenntnis der luthe­rischen Kirche. Wir sollten uns von ihnen eine Scheibe abschneiden und alles daran setzen, dass dieses Gotteshaus und das hier verkündigte un­verfälschte Evangelium auch zukünftigen Gene­rationen erhalten bleiben, damit auch sie hier dem lebendigen Gott begegnen können und ihn preisen: „Wie lieb sind mir deine Wohnungen, Herr Zebaoth! Meine Seele verlangt und sehnt sich nach den Vorhöfen des Herrn.“

Nach den Vorhöfen – wir erinnern uns: In das Tempel­heiligtum durften nur die Priester hinein­gehen, die Gemeinde musste draußen bleiben, in den Vorhöfen. Nun ist das mit unserer Kirche anders: Wir dürfen alle hinein­gehen, und das ist nicht nur im Hinblick auf Regen und Kälte gut so. Und doch ist auch das Innere dieser Kirche in gewisser Hinsicht nur ein Vorhof. Wir leben ja noch nicht im Schauen Gottes, sondern noch im Glauben. Wir sehen in Gottes Wohnung Gottes Angesicht noch nicht, und wir sind auch sonst von mancherlei Zweifeln und An­fechtungen geplagt, ob denn Gott wirklich da ist, ob er denn wirklich nah ist, ob er denn wirklich heilt und hilft. Aber wir gehen auf das Ziel zu, wo er sich uns in seiner ganzen Herrlich­keit zeigen wird; daran denken wir jetzt besonders am Ende des Kirchen­jahres. Insofern ist unser Gotteshaus, jedes Kirch­gebäude und ganz allgemein der christliche Gottes­dienst nur ein Vorhof für das große Heiligtum des himmlischen Hauses, wo Christus seinen Jüngern Wohnungen bereit hält, wie er versprochen hat. Und insofern ist unser Psalmwort auch ein Lied der Vorfreude auf den Himmel: „Wie lieb sind mir deine Wohnungen, Herr Zebaoth!“ Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2007.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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