Ein heiliger Tag

Predigt über Nehemia 8,1‑12 zum 14. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Heute ist ein heiliger Tag. Heute machen wir nach sechs Tagen Alltags­arbeit Pause und feiern Gottes­dienst. Heute fangen wir die neue Woche im Namen des Herrn Jesus Christus an, der am ersten Tag der Woche auf­erstanden ist von den Toten. Heute beherzigen wir Gottes Gebot: „Du sollst den Feiertag heiligen.“ Was heißt das aber – den Feiertag heiligen? Wie macht man das? Da holen wir uns Anleitung aus Gottes Wort, aus dem Alten Testament, und betrachten das Beispiel der Juden, wie es uns mit dem Predigttext vor Augen gestellt wird.

Die Juden waren zu jener Zeit aus der Babyloni­schen Gefangen­schaft zurück­gekehrt und lebten nun schon wieder viele Jahre in der Stadt Jerusalem und ihrer Umgebung. Von dem Ruinenfeld, das der babyloni­sche König Nebukad­nezar dort hinter­lassen hatte, war nicht mehr viel zu sehen. Die meisten Häuser waren aufgebaut, und auch der Tempel erstrahlte in neuem Glanz. Unter der klugen Führung des Statt­halters Nehemia war auch die Stadtmauer repariert worden. Der Hohe­priester Esra setzte sich dafür ein, dass die von Gott verordneten Feiertage eingehalten wurden und dass man sich auch sonst an Gottes Gesetze hielt. In dieser Zeit feierten die Juden am ersten Tag des Monats Tischri wieder einmal den Beginn eines neuen Jahres. Es war ein heiliger Tag am Beginn eines besonderen Monats: Mit diesem Monat begann nicht nur ein neues Jahr, sondern in diesem Monat wurde auch der große Versöhnungs­tag begangen und das fröhliche Laubhütten­fest gefeiert, das eine ganze Woche dauerte. So, wie wir mit dem Sonntag den Anfang einer neuen Woche heiligen, so haben die Juden damals mit dem Neumondfest des Tischri den Anfang dieses Festmonats und den Beginn eines neuen Jahres geheiligt.

Und nun sehen wir mal genau hin, wie sie das gemacht haben.

Das Volk versammelte sich und forderte den Hohen­priester Esra auf, er solle Gottes Wort holen, die Schrift­rolle mit Gottes Gesetz aus alter Zeit. Sie wollten nicht einfach nur ein nettes Fest feiern, sondern sie wollten vor allem Gottes Wort verstehen lernen, sie wollten danach leben lernen. Machen wir es doch genauso! Nutzen wir den Sonntag für Gottes Wort! Lasst uns gut zuhören im Gottes­dienst! Lasst uns auch zu Hause in der Bibel lesen! Lasst uns den Pastor fragen nach Gottes Wort! Lasst uns Erklärungen suchen für die Bibel­stellen, die wir nicht verstehen! Lasst uns nachfragen, wenn uns in der Predigt etwas nicht klar geworden ist! Wie ein Säugling nach der Muttermilch schreit, so soll ein Christ Verlangen haben nach Gottes Wort. Die Juden haben damals keine Ruhe gegeben, bis Esra die Schrift­rolle holte und daraus vorlas. Seht, so heiligt man den Feiertag.

Das Volk hatte den Ort für die gottes­dienstliche Versammlung gut vor­bereitet. Handwerker hatten ein hölzernes Podium gebaut, eine „Kanzel“, wie Luther übersetzte. Auf dieser Kanzel konnte Esra von allen gut gesehen und gehört werden, und auf dieser Kanzel hatte Gottes Wort auch buch­stäblich den heraus­ragenden Platz, der ihm zukommt. Vorbildlich ist, wie die Menschen auch in diesen äußerlichen Dingen darauf achteten, dass der Tag geheiligt wurde. Auch wir tun gut daran, unser Gotteshaus in äußerlicher Hinsicht zweckmäßig und würdig zu gestalten. Wir können uns freuen, dass wir so ein schönes Gotteshaus haben; wir wollen es pflegen, sauber und ordentlich halten und darauf achten, dass seine Einrichtung und sein Schmuck dazu mithelfen, dass wir würdige Gottes­dienste feiern, bei denen Gottes Wort im Mittelpunkt steht. Seht, so heiligt man den Feiertag.

Nun öffnete Esra die Schrift­rolle mit Gottes Wort. Aber er fing nicht gleich an zu lesen. Zuerst lobte er Gott. Das Volk bekräftigte diesen Lobpreis mit dem Ruf: „Amen! Amen!“ Dann hoben die Menschen ihre Hände zum Himmel, wie man es damals beim Beten zu tun pflegte. Und dann neigten sie ihre Köpfe und verbeugten sich tief vor Gott und seinem Wort. Auch das ist vorbild­lich: Wenn wir Gottes Wort hören, dann nehmen wir es nicht einfach so zur Kenntnis wie einen anderen Text oder wie die Nachrichten im Fernsehen. Vielmehr besinnen wir uns darauf, dass der Herr aller Herren mit uns redet, unser Schöpfer persönlich. Darum fangen unsere Gottes­dienste auch nicht gleich mit den biblischen Lesungen an, sondern wir loben und preisen Gott erst mit der Eingangs­liturgie, mit Introitus und Kyrie und Gloria und Gebet und Lied. Dabei sitzen wir nicht gemütlich in der Bank oder stehen mit den Händen in den Hosen­taschen. Vielmehr macht unser Körper bei der Anbetung mit: Wir stehen ehrfürchtig auf vor dem Herrn und seinem Wort, wir falten die Hände, wir neigen die Köpfe, und manchmal knien wir auch. Seht, so heiligt man den Feiertag.

Nachdem Esra und das Volk angebetet hatten, wurde Gottes Gesetz vorgelesen und ausgelegt – „vom lichten Morgen bis zum Mittag vor Männern und Frauen und wer's verstehen konnte“. – „Und sie legten das Buch des Gesetzes Gottes klar und verständ­lich aus, sodass man verstand, was gelesen worden war.“ Der letzte Satz ist ein Vorbild vor allem für die Pastoren. Die Pastoren sollen in der Predigt eine Brücke bauen von der alten Zeit, in der Gottes Wort geschah und auf­geschrieben wurde, hinüber zur Gegenwart, in der es verstanden und angewandt sein will. Klar und verständ­lich soll diese Auslegung sein, damit alle wissen, was gemeint ist. Solche Schrift­verlesung und ‑erklärung braucht Zeit. Der Gottes­dienst damals dauerte vom Hellwerden bis zum Mittag, etwa fünf bis sechs Stunden! Da müssen wir allerdings kapitu­lieren, das ist bei uns nicht mehr möglich, so lange Gottes­dienste zu feiern. Und doch können wir an diesem Vorbild grund­sätzlich lernen, dass man sich für den Gottes­dienst Zeit nehmen sollte. Im Gottes­dienst herrscht der Heilige Geist, nicht der eilige Geist. Auch von den Christen­generationen vor uns kann man da etwas lernen. In vielen Kirchen gab es Gottes­dienste nicht nur am Sonntag­vormittag, sondern auch am Sonntag­nachmittag. Die Pastoren hatten früher auch nicht den Ehrgeiz, ihre Predigten vor Ablauf von zwanzig Minuten zu beenden, sondern sie predigten so lange, bis sie mit ihrer Predigt fertig waren. In Afrika kommt es auch heute noch vor, dass Sonntags­gottes­dienste drei, vier oder auch fünf Stunden lang dauern. Wie gesagt, es wäre un­realistisch, wieder so lange Gottes­dienst­zeiten bei uns einführen zu wollen. Aber dies sollte man beherzigen: Für Gottes Wort sollten wir uns Zeit nehmen. Es ist gut, wenn man sich in das Gottes­dienst­geschehen wirklich vertieft, anstatt das Ende des Gottes­dienstes herbei­zusehnen. Es ist gut, wenn die Gemeinde­glieder auch nach dem Gottes­dienst noch eine Weile über das Gehörte nachdenken, vielleicht auch miteinander darüber reden. Es ist gut, am Sonntag­nachmittag oder am Sonntag­abend für sich selbst in der Bibel zu lesen oder in Predigt­büchern. Auf diese Weise können wir den Feiertag besser heiligen als mit ober­flächlicher Zerstreuung oder mit unruhigen Freizeit­aktivitäten.

Die Juden, die damals Esra zuhörten, waren von Gottes Wort ergriffen. Sie waren tief erschüttert und fingen an zu weinen. Warum weinten sie? Sie weinten, weil ihnen durch Gottes Gesetz klar wurde, dass sie Sünder waren. Sie waren erschüttert darüber, wie wenig es ihnen gelang, Gottes Willen zu erfüllen. Auch das ist vorbild­lich: Gottes Wort ganz ernst zu nehmen – auch dann, wenn es weh tut und deutlich wird, was alles nicht in Ordnung ist bei uns. Man muss nicht gleich anfangen zu weinen, aber kalt lassen darf es uns nicht, wenn Gott von uns Gehorsam fordert und wir dann versagen. Es hat schon seinen Sinn, wenn wir im Gottes­dienst auch Beicht­gebete sprechen und darin bekennen, dass wir arme, elende, sündige Menschen sind.

Aber unser Vorbild aus der Bibel zeigt auch, dass wir beim Klagen nicht stehen­bleiben sollen: Nachdem das Gesetz verkündigt wurde, wurde mit dem Evangelium getröstet. Esra, Nehemia und die anderen Amtsträger riefen den Menschen zu: „Seid nicht traurig und weint nicht! Geht hin und esst fette Speisen und trinkt süße Getränke und sendet davon auch denen, die nichts für sich bereitet haben! Und seid nicht bekümmert, denn die Freude am Herrn ist eure Stärke!“ Die Menschen sollten nicht beim Trauern über ihren Sünden stehen­bleiben, sondern sie sollten fröhlich werden und feiern! Sie sollten nicht nur über das Gesetz des Herrn er­schrecken, sondern sie sollten auch durch sein Evangelium neue Kraft bekommen, neue Zuversicht und Freudig­keit. „Die Freude am Herrn ist eure Stärke!“ Und was ist der Grund dafür? Der Grund dafür kommt in unserem Textwort nur versteckt vor, nur indirekt, denn es stammt ja noch aus dem Alten Testament. Es heißt dort nur: „Denn dieser Tag ist heilig!“ Was bedeutet das eigentlich, „heilig“? „Heilig“ bedeutet „zu Gott gehörig“. Ein, Tag, der besonders zu Gott gehört – gibt es das eigentlich? Ist Gott nicht der Herr aller Tage? Ja, das ist er, und so lehrt uns die Bibel an anderer Stelle auch ganz klar, dass kein Tag an sich selbst heiliger wäre als andere; alle Tage sind gleicher­maßen zu Gott gehörig. Wenn nun bestimmte Tage „heilig“ genannt werden, dann nicht um ihrer selbst willen, sondern um der Menschen willen, die sie begehen. Diese Menschen sind Heilige, von Gott geheiligt, zu Gott gehörig, sein Volk. Heilige Tage sind also Tage, an denen der Alltag in Gottes Volk ruht und an denen Gottes Volk zusammen­kommt, um die Worte des Herrn zu hören und ihn anzubeten. Als sein heiliges Volk hat Gott damals die Juden nach der Babylo­nischen Gefangen­schaft wieder angenommen, weil er ihnen ihre Schuld vergeben hat. Uns Nichtjuden hat Gott in sein heiliges Volk hinein­genommen durch seinen Sohn Jesus Christus, durch den er alle Schuld vergibt. Durch ihn sind wir seit der Taufe heilig, zu Gott gehörig. Und durch ihn heiligen wir als Heilige den Feiertag, den Sonntag, den Tag des Herrn Jesus Christus – nach dem Vorbild aller Heiligen vor uns, im Alten und im Neuen Testament.

Lasst uns darum als Gottes Heilige den heutigen Tag heiligen! Lasst es uns fröhlich tun, weil Gott uns durch Jesus die Schuld vergeben und uns auf diese Weise heilig gemacht hat! „Die Freude am Herrn ist eure Stärke“, das sei das Motto unserer Sonntage und, vom Gottes­dienst her aus­strahlend, unseres ganzen Lebens. Seht, so heiligt man den Feiertag. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2007.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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