Salomos Urteil

Predigt über 1. Könige 3,16‑28 zum 9. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

Die Geschichte von Salomos Urteil zeigt uns dreierlei: erstens ein Vorbild, zweitens eine Gebets­erhörung und drittens Gottes Liebe.

Wenn wir die Geschichte für sich selbst betrachten, dann ist sie eine Geschichte über ein Vorbild. Sie zeigt: Der König Salomo war ein Vorbild an Weisheit und Gerechtig­keit. Weisheit und Gerechtig­keit – mit diesen Stich­wörtern sind zwei ganz aktuelle Probleme an­gesprochen, denn in unserem Land wird immer wieder ein Bildungsnotstand beklagt und ebenso ein Mangel an sozialer Gerechtig­keit und Gleich­behandlung. Was lernen wir da vom Beispiel Salomos? Wir lernen, dass Weisheit im biblischen Sinn etwas anderes ist als Bildung oder das, was die Pisa-Studie misst. Salomo glänzt nämlich nicht mit großem Wissen oder mit tiefen philo­sophischen Gedanken; sein weises Urteil gründet nicht auf einer Bildung, die er in einer Schule oder bei seinem Hoflehrer Nathan gelernt hat. Das Wissen, auf dem sein Urteil gründet, ist etwas ganz Einfaches und Schlichtes – eine Erfahrung, die er schon in frühster Kindheit bei seiner Mutter Batseba machen konnte. Diese Erfahrung lautet: Mutterliebe ist unheimlich stark, wohl die stärkste Liebe, die wir auf Erden kennen. Nur weil Salomo die Stärke wahrer Mutterliebe kannte, konnte er das Risiko eingehen und so tun, als wollte er das Kind mit dem Schwert in zwei Teile schneiden lassen. Er wusste: Die wahre Mutterliebe würde sich dann schon heraus­stellen und er würde merken, zu wem das Kind gehört.

Ja, liebe Gemeinde, wahre Weisheit zeigt sich darin, dass ein Mensch so grund­legende Dinge in Gottes Schöpfung erkennt und würdigt wie die Mutter­liebe. Das ist heute bei der Diskussion um garantierte Krippen­plätze allerdings ein heißes Eisen. Trotzdem: Wenn wir uns Salomo und die Bibel als Vorbild für Weisheit nehmen, müssen wir uns mit der Frage auseinander­setzen, wie wir denn der wichtigen Bedeutung von Mutterliebe in der heutigen Gesell­schaft zu ihrem Recht verhelfen können. Auch moderne wissen­schaftliche Unter­suchungen bestätigen ja, dass sich Kinder besser entwickeln, wenn die Mutter in den ersten Lebens­jahren die wichtigste Bezugs­person ist. Gottes Schöpfungs­ordnung ist zwar kein politisches Programm und gibt nicht Antwort auf alle Fragen; es mag auch bestimmte Situationen geben, wo eine Krippen­betreuung un­umgänglich ist. Aber es wäre schön, wenn man heute nach Salomos Vorbild die Schöpfungs­weisheit Gottes wieder stärker be­rücksichtigt und der Mutterliebe und damit der Mutter-Kind-Beziehung den Stellenwert zumisst, der ihr gebührt. Überhaupt lässt sich an Gottes Schöpfungs­ordnung erkennen, wie wichtig liebevolle und geordnete Beziehungen in Ehe, Eltern­schaft und Familie für die ganze Gesell­schaft sind. Denn die Familie ist eine kleine, über­schaubare Welt, in der Kinder gut darauf vorbereitet werden, sich in der großen kompli­zierten Welt der mensch­lichen Gesell­schaft zurecht­zufinden. Es sind solche einfachen, grund­legenden und zeitlos gültigen Er­kenntnisse, die wahre Weisheit ausmachen. Zwar hat es auch seinen Sinn, wenn man die Quadrat­wurzel von 49 kennt oder weiß, wie „Stängel“ nach der neuen Recht­schreibung buch­stabiert wird, aber mit Weisheit im biblischen Sinn hat das wenig zu tun. Das Wissen um Gottes Schöpunfgs­ordnung – zum Beispiel Gottes Grundlagen von Liebe, Ehe, Muttersein, Vatersein und familiärer Gemein­schaft – ist wichtiger als jede formale Bildung. Da geht freilich nichts zu verbessern mit höheren Bildungs­etats, mehr Schul­stunden und kleineren Klassen, sondern da ist eine Rück­besinnung auf die Grundwerte unserer Gesell­schaft nötig.

Und nötig sind auch heute noch Vorbilder, bei denen man erkennen kann, wie solche grund­legenden Er­kenntnisse der Schöpfungs­ordnung im praktischen Leben angewandt werden können. Salomos Urteil war ja deshalb so genial, weil er sein Wissen über die Mutterliebe bei der gegebenen Situation in einer Weise anwenden konnte, dass durch seine Recht­sprechung die Wahrheit zu Tage trat. Genau das bedeutet „Gerechtig­keit“ im grund­legenden biblischen Sinn: etwas recht machen, sich richtig verhalten, sein Wissen richtig einsetzen. Auch da müssen wir unsere heutigen Vor­stellungen am biblischen Vorbild überprüfen. Heute scheint man unter Gerechtig­keit nur die Anwendung kom­plizierter Paragrafen zu verstehen oder aber eine un­differen­zierte Gleich­behandlung aller Menschen. Man hat manchmal den Eindruck, dass unter dem Stichwort „soziale Gerechtig­keit“ die er­wirtschafte­ten Güter so aufgeteilt werden sollen, wie Salomo zum Schein das Kind unter den beiden Frauen aufteilen wollte, nämlich für jede der beiden genau eine Hälfte. Göttliche Weisheit aber lehrt zu differen­zieren, Stellung und Situation jeder Person zu berück­sichtigen und damit dann wirklich jedem gerecht zu werden, im eigent­lichen Sinn des Wortes. Gott schenke uns solche Weisheit und Gerechtig­keit, einem jeden von uns in der Situation und Stellung, wo er ihn hinstellt.

Ja, ich meine das wirklich so: Gott schenke uns solche Weisheit! Wir dürfen ihn darum bitten im Gebet. Wir sollen ihn sogar darum bitten im Gebet. Im Jakobus­brief heißt es: „Wenn es jemandem unter euch an Weisheit mangelt, so bitte er Gott, der jedermann gern gibt“ (Jak. 1,5). Tut ihr das, liebe Brüder und Schwestern, kommt ihr dieser Auf­forderung nach? Bittet ihr Gott um Weisheit? Oder meint ihr, ihr habt schon genug davon? Salomo hat es getan. Als er König über Israel wurde, erbat er sich nicht Reichtum oder langes Leben, sondern er bat Gott um Weisheit. Er sagte: „Ich bin noch jung, weiß weder aus noch ein. Und dein Knecht steht mitten in deinem Volk, das du erwählt hast, einem Volk, so groß, dass es wegen seiner Menge niemand zählen noch berechnen kann. So wollest du deinem Knecht ein gehorsames Herz geben, damit er dein Volk richten könne und verstehen, was gut und böse ist“ (1. Kön. 3,7‑9). Darum geht es bei der wahren Weisheit: gehorchen, auf Gott hören, und dann verstehen, was gut und böse ist, also was dem Herrn gefällt und was ihm nicht gefällt. Salomos Gebet um Weisheit steht im selben Kapitel wie unser Predigt­text, direkt vor der Geschichte von Salomos Urteil. Das Urteil zeigt, dass Gott Salomos Bitte erhört hat: er hat ihm tatsächlich Weisheit geschenkt. Und so ist diese Geschichte denn zweitens, im Zusammen­hang mit dem, was kurz vorher geschah, die Geschichte einer Gebets­erhörung. So bezeugt diese Geschichte auch uns heute: Gott erhört Gebete! Bitte ihn nur getrost, wenn dir etwas fehlt, und vertraue darauf, dass er deine Gebete hört und dir zur rechten Zeit alles Nötige geben wird. Achte dabei aber darauf, dass es keine selbst­süchtigen oder nichtigen Wünsche sind, die du vorbringst. Gott hat Salomos Gebet darum besonders gefallen, weil Salomo eben nicht um Reichtum, Ehre und langes Leben gebeten hat, sondern um Weisheit, damit er ein guter König sein kann und damit er das Volk nach dem Maßstab von Gottes Gerechtig­keit regieren kann.

Als Geschichte einer Gebets­erhörung zeigt der Bericht von Salomos Urteil auch, dass Gott unsere Bitten über die Maßen reichlich erfüllt. In dem Urteil äußert sich ein un­gewöhnlich großes Maß an Weisheit; viele König und Richter handeln nicht so weise, wenn sie ein Urteil finden müssen. Im Schlusssatz der Geschichte heißt es darum: „Ganz Israel hörte von dem Urteil, das der König gefällt hatte, und sie fürchteten den König; denn sie sahen, dass die Weisheit Gottes in ihm war, Gericht zu halten.“ Das Volk erkannte: Diese Weisheit kommt von Gott, die hat Salomo von ihm geschenkt bekommen! So dürfen wir auch gewiss sein, dass die biblischen Bücher, die auf den König Salomo zurück­gehen, wirklich Gottes Wort sind, gegründet auf göttliche Weisheit: die Sprüche Salomos, der Prediger Salomo, das Hohelied Salomos sowie zwei Psalmen. Auch die folgenden Kapitel im ersten Königsbuch zeugen von Salomos göttlicher Weisheit, sodass es dort im Rückblick auf seine vierzig­jährige Regierungs­zeit heißt, er war größer an Weisheit als alle Könige auf Erden. Was für eine ungeheure Gebets­erhörung!

Liebe Gemeinde, wir haben erstens gesehen: Die Geschichte von Salomos Urteil, für sich genommen, zeigt uns ein Vorbild an Weisheit und Gerechtig­keit. Die Geschichte von Salomos Urteil im Zusammen­hang mit dem, was unmittelbar davor und danach steht, zeigt uns zweitens eine ungeheure Gebets­erhörung. Nun wollen wir den Bogen noch weiter spannen, noch weiter zurückgehen im Alten Testament und zugleich vorauseilen ins Neue, dann werden wir erkennen: Die Geschichte ist drittens eine Geschichte von Gottes Liebe.

In der Geschichte von Salomos Urteil sieht es fast so aus, als ob ein Kind getötet wird, erst im letzten Moment schreitet die Mutterliebe ein und verhindert den Mord. Gehen wir im Alten Testament weit zurück, dann finden wir eine weitere Geschichte von einer Beinahe-Kinds­tötung: Es ist die Opferungs Isaaks. Abraham überwand seine Vaterliebe durch seine noch größere Liebe zu Gott, der ihm aufgetragen hatte, seinen einzigen Sohn Isaak zu opfern – übrigens auf dem Berg Morija, wo dann tausend Jahre später die Stadt Jerusalm stand und Salomo sein Urteil sprach. Gerade, als Abraham die Hand mit dem Messer gegen seinen eigenen Sohn erhob, schritt Gottes Liebe ein und verhinderte Isaaks Tod. Das sind die beiden Beinahe-Kinds­tötungen des Alten Testaments, die in letzter Sekunde verhindert wurden: Isaaks Opferung und die Teilung eines Kindes mit dem Schwert. Und nun gehen wir von Salomos Zeit aus tausend Jahre voraus, in die Zeit des Neuen Testaments. Es geschieht wieder an demselben Ort, wieder in Jerusalem. Da überwindet Gott seine väterliche Liebe zum ein­geborenen Sohn, da opfert er ihn am Kreuz aus Liebe zu allen Menschen, aus Liebe zu uns Sündern, aus Liebe zu dir und zu mir. Da ist dann freilich niemand mehr da, der in letzter Sekunde ein­schreitet und den Tod verhindert, da stirbt Gottes Sohn wirklich und büßt damit die Strafe für alle Sünden den Welt. Seht, da erkennen wir, wie sehr Gott uns liebt! Seine Liebe zu uns ist größer als die Mutterliebe der Frau in der Geschichte, die nicht mitansehen konnte, wie ihr Sohn getötet werden sollte. Gott hat sich selbst überwunden; er hat mit­angesehen, wie sein Sohn getötet wurde, er ist nicht ein­geschritten beim grausamen Geschehen auf Golgatha. „So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen ein­geborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben“ (Joh. 3,16). Und so erkennen wir an der Geschichte von Salomos Urteil und an der Mutter­liebe, von der sie redet, etwas von Gottes großer Liebe zu uns durch seinen Sohn Jesus Christus. Amen.

Diese Predigt wurde erstmals gehalten im Jahre 2007.

Autor: Pastor Matthias Krieser

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